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Die "Arisierung" der Fleischerei Paul Grüneberg

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Fleisch-Markthalle Paul Grüneberg

Die in Gelsenkirchen bekannte und insbesondere in der jüdischen Gemeinde angesehene Familie Grüneberg betrieb eine Fleischerei an der Hochstraße, der heutigen Hauptstraße. Zum Zeitpunkt der nationalsozialistischen Machtübernahme war die sogenannte Fleisch-Markthalle im Besitz von Paul Grüneberg. Grüneberg war wie viele andere Gelsenkirchener Juden Teilnehmer des Ersten Weltkrieges. Nach Kriegsende trat er dem Reichsbund jüdischer Frontsoldaten bei und heiratete am 14. September 1919 die aus Jever stammende Helene Levy, mit der zusammen er zwei Töchter, Hannelore und Hella, hatte.

Der Träger des Verwundetenabzeichens und Eisernen Kreuzes, der Frontkämpfer und Patriot Paul Grüneberg entschloss sich, mitsamt seiner Familie in Deutschland zu bleiben - auch dann noch, als er durch die Hetze des nationalsozialistischen Hetzblattes "Der Stürmer" Opfer einer gezielten Verleumdungskampagne wurde. Und dies, obgleich sich Gelegenheiten zur Flucht boten und man zumindest die Kinder aus Deutschland hätte herausbringen können. 1941 musste die Familie zusammen mit anderen jüdischen Familien in ein sogenanntes "Judenhaus" ziehen. Die Juden Gelsenkirchens wurden, wie andernorts auch, gezwungen, ab 1939 ihre angestammten Wohnungen und Häuser zu verlassen, um in solchen eigens ausgewiesenen Häusern, die sich gleichfalls in jüdischem Besitz befanden, auf zumeist äußerst begrenztem Raum unterzukommen. Die auf diese Weise erfolgte "Konzentration" der jüdischen Bevölkerung "erleichterte" den nationalsozialistischen Machthabern das weitere Vorgehen gegen die Juden, erst recht deren Deportation.

So teilte denn die Familie Grüneberg das Schicksal des größeren Teils der nach 1941 in Gelsenkirchen verbliebenen Juden: Eltern und Töchter wurden nach Riga deportiert. Paul Grüneberg und seine Frau Helene überlebten zwar das Ghetto, kamen jedoch im KZ Stutthof "durch Hunger und Gas ums Leben". Auch ihre Tochter Helene ist in Stutthof verschollen. Überlebt hat nur Hannelore Grüneberg, die in Elbing von der Roten Armee befreit wurde. Nach ihrer Befreiung kehrte Hannelore Grüneberg am 7. Juli 1945 nach Gelsenkirchen zurück und begann im Dezember 1946 in Hamburg eine Ausbildung zur Krankenschwester. 1948 wanderte sie zu Verwandten nach Südamerika aus und heiratete dort. 1953 zog Hannelore, jetzt Buchheim, in die USA, wo sie eine eigene Bäckerei aufbaute.

Bevor die Familie Grüneberg als Folge des nationalsozialistischen Regimes ihren Besitz verlor, betrieb sie ihre Metzgerei mit großem Erfolg. Paul Grüneberg hatte den Betrieb seines Vaters in den gepachteten Räumen an der Hochstraße 16 übernommen. Aufgrund günstiger wirtschaftlicher Entwicklung seines "gutgehenden" Betriebes konnte er bald darauf eigene Räumlichkeiten erwerben. 1933 kaufte Grüneberg für 25.000 RM die Gebäude und Grundstücke Wiehagen 78 und 80.238 Im Wiehagen 78 zog die Familie Grüneberg ein, im Nachbargebäude Wiehagen 80 das Unternehmen. Den väterlichen Betrieb in der Hochstraße führte Paul Grüneberg als Filiale weiter.

Metzgerei der Familie Grüneberg an der damaligen  'Adolf-Hitler-Sraße' heute Hauptstraße 16.

Bild: Metzgerei der Familie Grüneberg an der heutigen Hauptstraße 16 in Gelsenkirchen, damals 'Adolf-Hitler-Sraße'

Wie andere jüdische Unternehmen auch, so etwa das Kaufhaus Eichengrün, waren Grünebergs Betriebe seit dem 1. April 1933 dem generellen Boykottaufruf der Nationalsozialisten ausgesetzt. Im Falle Grüneberg kam zu dieser wirtschaftlich schwierigen Situation noch eine gezielte Verleumdungskampagne hinzu. Nach einer Auseinandersetzung mit einem Mitarbeiter seines Betriebes, der offensichtlich stehlen wollte, erschien 1934 auf der Titelseite des "Stürmers" ein Artikel: "Paul Grüneberg - Der Judenmetzger von Gelsenkirchen". Der Artikel beschuldigte Grüneberg, schlechtes und verdorbenes Fleisch zu verkaufen und seine Angestellten auszubeuten. Gegen diese Vorwürfe zog Paul Grüneberg vor Gericht. Obwohl er den Rechtsstreit gewann, beanspruchte der Prozess seine Zeit und Mittel in einem Maße, dass sein Betrieb erheblich gefährdet wurde. Auch konnte er trotz des für ihn günstigen Urteils seinen guten Ruf nicht wiederherstellen. Sein Betrieb wurde weiterhin gemieden.

Die Folge dieser "[...] rassischen Boykottmaßnahmen" waren anhaltende Umsatzrückgänge, die Grüneberg zwangen, Unternehmen und Besitz schrittweise zu veräußern. Als erste Reaktion gab Grüneberg 1935 die Pacht des Filialbetriebs an der Hochstraße an den Metzger Franz Bergermann ab. Franz Bergermann trat zum 1. April 1935 als neuer Pächter in den bestehenden Mietvertrag für die Geschäftsräume ein. Bergermanns Darstellung folgend hatte er dabei Teile des Inventars übernommen und dafür ganze 2.500 RM in bar bezahlt. Franz Bergermann übernahm damit ein eingeführtes Unternehmen in bester Lage, ohne eine Goodwill-Zahlung zu leisten. Dies sei an dieser Stelle zunächst festgestellt, ohne damit schon der Bewertung vorzugreifen, ob ein solcher Goodwill tatsächlich vorhanden war. Nachdem er bereits die Filiale aufgegeben hatte, verpachtete Grüneberg schließlich auch seinen Hauptbetrieb, der angesichts des weiter anhaltenden Boykotts immer unrentabler wurde. Als Pächter trat am 15. Juli 1935 Franz Blank auf, der die Metzgerei und den angeschlossenen Wurstwarenhandel im Wiehagen übernahm. Über die Höhe des vereinbarten Pachtzinses liegen keine Unterlagen vor. Mit der Verpachtung auch des Hauptgeschäfts hatte Paul Grüneberg im Juli 1935 seine unternehmerische Tätigkeit beendet.

Blank gelang es offenbar, aus dem für Grüneberg unrentablen Betrieb erhebliche Gewinne zu erwirtschaften und ein nach eigenem Bekunden gutes Einkommen zu erzielen. Es war zumindest gut genug, um am 8. Dezember 1938 auch die beiden Gebäude im Wiehagen 78 und 80 von Grüneberg zu erwerben. Der Kaufpreis betrug für beide Grundstücke einschließlich "aufstehender Gebäude 30.000 RM. Auf den Kaufpreis wurden bestehende Darlehenshypotheken angerechnet, so dass sich ein Restkaufpreis von 12.100 RM ergab, der bar an den beurkundenden Notar Ischerland zu zahlen war. Dieser behielt weitere Gelder, unter anderem 3.000 RM für Abgaben an die Devisenstelle, zurück. Die vertraglich zugesicherte Kaufsumme war so gering, dass der Regierungspräsident Münster am 17. Februar 1939 gegenüber Blank eine Ausgleichszahlung in Höhe von 10.000 RM verfügte. Durch diese Ausgleichszahlung wurde die Differenz zwischen dem vereinbarten Kaufpreis und dem amtlich auf Grundlage der Pachteinnahmen ermittelten Ertragswert von 40.000 RM abgegolten.

Im Detail wirft der Verkauf der Gebäude eine Reihe von Fragen auf, die auch Gegenstand des Restitutionsverfahrens wurden. Sie sollen daher in der Darstellung der Restitution behandelt und hier nur kurz skizziert werden. Im Wesentlichen zielten diese Fragen auf den tatsächlich gezahlten Kaufpreis und den erzwungenen Auszug der Familie Grüneberg aus dem Gebäude ab.

Hinsichtlich des Kaufpreises gab Blank an, über die vereinbarte Kaufsumme von 30.000 RM hinaus noch 10.000 RM in bar an Grüneberg gezahlt zu haben. Paul Grünebergs Erbin Hannelore bestritt dies jedoch. Ebenso unklar wie diese möglicherweise bar gezahlte Summe, ist auch der Verbleib der an den Notar Ischerland überwiesenen 30.000 RM. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Geld überhaupt nicht bei Grüneberg einging. Strittig war auch, wer für den Auszug der Familie Grüneberg verantwortlich war. Der Kaufvertrag garantierte der Familie bis zum 1. Juli 1939 ein Wohnrecht für zwei Räume im Erdgeschoss und eine spätere Mietoption. Tatsächlich aber mussten Grünbergs das Haus 1941 verlassen und in ein sogenanntes „Judenhaus" ziehen.

Wie in der kurzen Skizze des Familienschicksals bereits geschildert, konnte allein Hannelore Grüneberg, verheiratete Buchheim, als einzige Uberlebende Wiedergutmachungsforderungen stellen. Sie tat dies in einer ganzen Reihe von Verfahren auf Grundlage sowohl des Rückerstattungs- als auch des Entschädigungsrechtes. Im Folgenden soll das Augenmerk auf den Rückerstattungsverfahren um die Betriebe und Immobilien auf Grundlage des BrREG (Gesetz Nr. 59) liegen. Die späteren Versuche Grünebergs, auf Grundlage des BEG und seiner Vorläufer auch Entschädigungszahlungen zu erhalten, sind in den ausgewerteten Beständen nicht ausreichend dokumentiert. Die hier untersuchten Rückerstattungen wurden in zwei getrennten Verfahren verhandelt. Der Rückerstattungsantrag vom 10. März 1950 eröffnete das Verfahren gegen Franz Blank, die Grundstücke und Gebäude Wiehagen 78/80 betreffend. Gegenstand eines zweiten Rückerstattungsverfahrens war die Filiale an der Hochstraße 16. Rückerstattungspflichtig war hier der Käufer Franz Bergermann. Dieser Antrag wurde durch die JTC gestellt.

Wie in allen untersuchten Fällen soll auch bei diesen Verfahren die Frage nach dem Restitutionserfolg beantwortet werden. Zugleich machen die beiden Prozesse es aber auch möglich, den Ablauf zweier Typen von Restitutionsverfahren zu demonstrieren. Im Verfahren gegen Franz Blank waren nahezu alle Aspekte des "Arisierungsvorgangs" zwischen den Parteien umstritten. An diesem Beispiel lassen sich daher alle wesentlichen Fragen illustrieren, die in den Restitutionsverfahren regelmäßig zu klären waren. An der anschließend dargestellten Rückerstattung des Filialbetriebes soll hingegen beispielhaft die Rolle der JTC aufgezeigt werden. Da Hannelore Grüneberg durch ihre Heirat nicht mehr unter ihrem Geburtsnamen aufzufinden war, stellte die mit der Sicherstellung erbenloser jüdischer Vermögen betraute JTC im April 1953 im Namen der Erben Grüneberg den Antrag auf Rückerstattung von Warenlager, Inventar und Goodwill. Warum Hannelore Grüneberg, die ja schon gegen Blank ein Verfahren eröffnet hatte, der JTC unbekannt blieb und auch selbst kein Verfahren gegen Bergermann anstrengte, blieb unklar.

Im Verfahren gegen Blank erzielten die Streitparteien in keinem der strittigen Punkte in den vorgerichtlichen Verhandlungen am Wiedergutmachungsamt eine Einigung. Daher wurde es an die Wiedergutmachungskammer beim Landgericht Essen überwiesen. Im Einzelnen war dort zu klären, ob der Verkauf unter Zwang oder freiwillig erfolgte, ob der Kaufpreis dem Wert der Gebäude angemessen war oder außerhalb des schriftlichen Vertrages Zahlungen vereinbart und geleistet wurden. Unklar war auch, welcher Betrag tatsächlich an Grüneberg gelangte und schließlich wer den zwangsweisen Auszug aus der Wohnung betrieben hatte. Diese Fragen spiegeln die Anforderungen des BRüG an einen zulässigen Rückerstattungsanspruch wider.

Zur Frage, ob der Verkauf unter Zwang erfolgte, äußerten sich die Parteien erwartungsgemäß gegensätzlich. Als Käufer eines vormals jüdischen Gebäudes musste Blank aufgrund der generellen Schuldvermutung in "Arisierungsfällen" belegen, dass kein Zwang vorgelegen hatte. Blanks Anwalt Eckermann führte daher in einer ersten Stellungnahme zu den Wiedergutmachungsforderungen am 6. Dezember 1950 aus, Grüneberg habe sich zur Verpachtung und schließlich zum Verkauf entschlossen, da seine Metzgerei sich als unrentabel erwiesen hätte. Woher diese Unrentabilität gerührt haben mag und warum sein Mandant an gleicher Stelle wenig später offenkundig profitabel wirtschaften konnte, blieb Eckermann nach eigenem Bekunden "unbekannt". Einen Zusammenhang mit der erwähnten Rufmordkampagne des "Stürmers" sah er nicht.

Der Vorschlag, nach dem Betrieb auch die Immobilien zu übernehmen, sei von Grüneberg an Blank herangetragen worden. Zuvor schon sei Grüneberg im Jahre 1938 an seinen Nachbarn, den zum Zeitpunkt der Restitutionsverhandlungen bereits verstorbenen Kaufmann Lüning, herangetreten und habe ihm die Grundstücke zum Kauf angeboten. Lüning aber habe abgelehnt und erst daraufhin "[...] bot Herr Grüneberg dem Pflichtigen die Grundstücke zum Kauf an. Zu dieser Zeit war und wurde Herr Grüneberg von keiner Seite genötigt. Der Verkauf fand freiwillig statt, [...]"

Hinsichtlich der zweiten strittigen Frage, ob der Kaufpreis dem Wert der Gebäude angemessen war, hielten Blanks Anwälte den Preis von 30.000 RM sehr wohl für ausreichend. In der Sache zutreffend führten sie aus, Grüneberg habe die Gebäude wenige Jahre zuvor für lediglich 25.000 RM, also noch unter dem von Blank gezahlten Preis, erworben. Allerdings hatte Paul Grüneberg in der Zwischenzeit einige wertsteigernde Umbauten vornehmen lassen. Als verlässlicherer Vergleich sei daher zunächst der Einheitswert der Immobilien heranzuziehen. Dieser lag für den Verkaufszeitraum bei 34.000 RM. Der Verkaufspreis lag somit noch unter dem Einheitswert als dem der absoluten Untergrenze des angemessenen Marktwertes.

Um einen Anhaltspunkt für den tatsächlichen Verkehrswert zu gewinnen, beauftragte die Kammer einen Gutachter. Den Gesamtwert der beiden Gebäude zum Zeitpunkt der Bewertung setzte der Architekt Josef Bielefeld in einem Gutachten vom 26. Februar 1953 mit 67.037 DM fest. Dabei liegt diesem Umrechnungskurs die Regelung der Währungsreform von 1948 zugrunde. Während über 60 RM hinausgehende Altgeldbeträge im Verhältnis 100:6,5 umgerechnet wurden, galt für Miet- und Pachtzinsen sowie Immobilienbesitz ein Umrechnungskurs von 1:1. Von diesem Gesamtwert zog Bielefeld 15 Prozent Wertminderung wegen eines Abwasserbaches hinter den Grundstücken ab und ermittelte so einen Verkehrswert von 57.000 DM.

Bild: Ehemalige Metzgerei der Familie Grüneberg an der heutigen Hauptstraße 16 in Gelsenkirchen, damals 'Adolf-Hitler-Sraße'

Bild: Ehemalige Metzgerei der Familie Grüneberg an der heutigen Hauptstraße 16 in Gelsenkirchen, damals 'Adolf-Hitler-Sraße'

Zwischen Kauf und Bewertung hatte jedoch auch Blank in die Gebäude investiert. Diese Leistungen (Pflasterarbeiten, Brunnenbau, Türen, Fenster, Werkzeug usw.) gingen ebenfalls in diese Bewertung ein. Blank hatte insgesamt rund 11.500 RM aufgewendet. Zieht man diese Summe von dem ermittelten Verkehrswert von 57.000 Mark ab, so ergibt sich ein Wert für das Gebäude, so wie es von Blank seinerzeit erworben worden war, von 45.500 Mark. Einen ähnlichen Preis errechnete Bielefeld auch auf anderer Bemessungsgrundlage, indem er für den Kaufpreis den sechs- bis siebenfachen Ertragswert der Gebäude ansetzte. Dies hätte auf Grundlage der 1938 erzielten Jahreserträge einem Verkaufspreis von 40.000 RM entsprochen.

Von einem angemessenen Preis dieser Größenordnung ging offensichtlich auch der Regierungspräsident aus. Die von diesem angeordnete Abgabe in Höhe von 10.000 RM entspricht genau der Differenz zwischen den gezahlten 30.000 RM und dem von Bielefeld auf Basis der Jahreserträge ermittelten Ertragswert von rund 40.000 RM. Das Verfahren förderte also eine deutlich zu niedrige Zahlung Blanks zutage. Neben den vertraglich vereinbarten Zahlungen wurden jedoch in einigen Fällen gutwilliger "Arisierungen" auch Leistungen außerhalb des schriftlichen Vertrages erbracht. Blank nahm für sich in Anspruch, eine solche Zahlung getätigt zu haben. Er führte an, Grüneberg über den Kaufpreis hinaus weitere 10.000 RM in bar gezahlt zu haben und konnte hierfür mit dem Klempnermeister Karl von Rissenbeck auch einen Zeugen benennen. Karl von Rissenbeck bestätigte darüber hinaus das von Blank angeführte gute Verhältnis zwischen Grüneberg und Blank. Am 12. März 1952 sagte van Rissenbeck aus, er sei zufällig bei einem Gespräch zwischen Blank und Grüneberg zugegen gewesen. Unmittelbar danach habe Grüneberg ihm, Rissenbeck, gegenüber Folgendes geäußert: "Der Blank ist doch ein feiner Kerl, hat mir 10 Mille in die Hand getan." Dazu erläuterte Blank, eine Quittung über die Schwarzzahlung von 10.000 RM habe er sich nicht geben lassen.

Träfen alle diese Angaben zu, so hätte Blank insgesamt 50.000 RM für eine Immobilie gezahlt, deren Verkehrswert der Gutachter Bielefeld mit 40.000 RM angesetzt hatte. Ob die in Frage stehende Barzahlung jedoch wirklich geleistet wurde, konnte im Verfahren nicht zweifelsfrei be- oder widerlegt werden. Ebenso unklar blieb, ob Blank zum Zeitpunkt des Erwerbs und der angeblichen Barzahlung schon klar war, dass er eine Ausgleichszahlung würde leisten müssen. Ebenfalls nicht zweifelsfrei klären konnte die Kammer, welcher Betrag überhaupt an Grüneberg gelangt war. Der Notar Ischerland, an den Blank den Kaufbetrag ausgezahlt hatte, war zum Zeitpunkt des Restitutionssprozesses bereits verstorben. Erschwerend teilte am 27. September 1951 die Sparkasse Gelsenkirchen mit, die entsprechenden Kontounterlagen seien kriegsbedingt verloren gegangen. Der Verbleib des Geldes, nachdem es an Ischerland gezahlt worden war, blieb somit "unbekannt". Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass das Geld tatsächlich nicht bei Paul Grüneberg einging. Dies behauptet zumindest seine Tochter Hannelore in ihrem Video-Bericht. Ein Beleg, der ihre Anschuldigung entkräften könnte, fehlt ebenso wie ein schlüssiger Beweis des Gegenteils.

Und auch im fünften strittigen Punkt ergaben die Untersuchungen keinen zwingenden Beweis für die eine oder andere Version: In der Frage, wer für den Auszug der Familie aus ihrem Haus verantwortlich war, beschuldigte Hannelore Grüneberg den Käufer Blank: Er habe nicht mit "Nichtariern" unter einem Dach wohnen wollen. Dieser wiederum verteidigte sich, Grünebergs hätten wie alle Juden Gelsenkirchens "[...] in ein anderes Haus umziehen [müssen], wo die Juden aus der ganzen Stadt zusammengelegt wurden. Es ist unrichtig, dass das etwa auf meine Veranlassung geschehen ist". Franz Blank verwies auf die Anordnung des Gelsenkirchener Oberbürgermeisters, der formal die Unterbringung der jüdischen Einwohner in den bereits genannten "Judenhäusern" verfügt hatte.

Auf Grundlage der weiterhin in allen Aspekten gegensätzlichen Standpunkte begann die Suche nach einem möglichen Vergleich. Hier nimmt der Fall eine ungewöhnliche Wendung, da Hannelore Grüneberg und ihr Prozessbevollmächtigter, Rechtsanwalt Rawitzki, sich in der Frage Rückgabe oder Vergleich uneins waren. Wie in vielen anderen Fällen auch, lag die Abwicklung der Ansprüche auch in diesem Fall in den Händen eines bevollmächtigten Anwalts, während die in Obersee lebende Antragstellerin nur sporadisch und mit großer Verzögerung in die Verhandlungen eingriff. Hannelore Grünebergs Anwalt Rawitzki war sehr um einen Vergleich bemüht, den er für sinnvoller als eine Rückerstattung an seine in Südamerika lebende Mandantin hielt. Seit dem August 1951 versuchte er daher mehrfach, Hannelore Grünberg zu kontaktieren, die sich zunächst jedoch nicht zu Wort meldete.

Erst Anfang des Jahres erhielt Rawitzki die erbetenen Instruktionen. Am 26. Januar 1952 teilte er dann der Kammer mit, seine Mandantin lehne einen Vergleich ab und fordere die Grundstücke zurück. In der folgenden Sitzung vom 29. Oktober 1952 stellte Rawitzki daher gegen seine eigene Uberzeugung den Antrag auf Rückerstattung der Gebäude. Grundlage war, wie schon im ursprünglichen Rückerstattungsantrag, der Vorwurf, die Gebäude seien nur unter Nötigung zum geringen Preis von 30.000 RM verkauft worden. Blanks Rechtsanwalt Eckhard reagierte daraufhin mit einem Antrag auf Rückerstattung der schwarz gezahlten 10.000 RM.

In der Folge bemühte sich Rawitzki weiter intensiv, Hannelore Grüneberg zu einem Vergleich zu bewegen. Rawitzki sollte in seinem Bemühen erfolgreich sein. Beide Parteien stimmten schließlich einem Vergleich zu, in dem Blank sich verpflichtete, 25.000 DM nachzuzahlen. Dieser Betrag entspricht ziemlich genau der Differenz zwischen den an Ischerland gezahlten 30.000 RM und dem mit 57.000 DM veranschlagten Verkehrswert. Auf Grundlage dieses Vergleichs wurde das Grundstück am 20. August 1953 freigegeben.

Dem oben dargestellten Vergleich gingen, wie bereits angesprochen, bemerkenswerte Auseinandersetzungen zwischen Hannelore Grüneberg und ihrem Prozessbevollmächtigten Rawitzki voraus. Sie sollen hier ausführlicher betrachtet werden, da sie deutlich machen, vor welchen praktischen Problemen die schnelle Abwicklung der Rückerstattung oftmals stand. Die Darstellung dieser Auseinandersetzung ist möglich aufgrund eines Einspruchs, den Hans Orzelski am 20. Juni 1953 bei der Wiedergutmachungskammer am Landgericht Essen gegen den zwischen Rawitzki und Blank ausgehandelten Vergleich erhob. Hans Orzelski wohnte in dem Gebäudekomplex Wiehagen 78 und 80 zur Miete. Er war damit von einem möglichen Eigentümerwechsel direkt betroffen.

In seinem Schreiben an die Wiedergutmachungskammer vom 4. Juni 1953 warf Orzelski dem Rechtsvertreter Hannelore Grünebergs vor, geflissentlich darum bemüht gewesen zu sein, ihn aus dem ganzen Geschehen auszuschalten, um den Vergleich schließen zu können. Nicht Rawitzki jedoch, sondern er selbst, Orzelski, sei der einzig Bevollmächtigte Hannelore Grünebergs und "im Besitze der Vollmacht, ausgefertigt von Lore Buchheim geb. Grüneberg [...]". Nach Orzelskis Darstellung erhielt zunächst 1948 der Kaufmann Walter Ostermann eine Generalvollmacht von Hannelore Grüneberg, die sich zur Auswanderung entschlossen hatte. Für die juristische Vertretung in den Restitutionsverfahren erteilte sodann Ostermann Dr. Rawitzki eine Untervollmacht für die Hausrestitutionen. Walter Ostermann emigrierte jedoch einige Zeit später ebenfalls in die USA. Zur Wahrung ihrer Interessen in Deutschland erteilte nun Hannelore Grüneberg, inzwischen Buchheim, eine neue Vollmacht, diesmal Hans Orzelski. Diese Vollmacht, so Orzelski, habe er im März 1952 der Wiedergutmachungskammer in Anwesenheit von Rawitzki bekannt gemacht. Als lediglich Unterbevollmächtigter des inzwischen ausgewanderten Ostermann sei Rawitzki verpflichtet gewesen, sich mit Orzelski als Nachfolger Ostermanns als Generalbevollmächtigtem in Fragen des Wiedergutmachungs-verfahrens ins Benehmen zu setzen, ehe er zum Vergleich schritt.

Zu Protokoll genommen und aktenkundig wurde die von Orzelski angeführte Vollmacht allerdings nicht. Rawitzki seinerseits wies auch jede Kenntnis von einer solchen Vollmacht für Orzelski zurück: Der ihm bekannte Bevollmächtigte Ostermann habe sich im Übrigen immer für einen Vergleich ausgesprochen. Hannelore Grüneberg habe sich stets solchen Einigungsversuchen widersetzt, da sie zurückkehren und die Häuser selber nutzen wollte. An der Ernsthaftigkeit dieser Absicht hätten jedoch sowohl Ostermann als auch Rawitzki Zweifel gehabt. In seinen weiteren Ausführungen lieferte Rawitzki nun ein anschauliches Bild der Schwierigkeiten, den Prozess zu einem zügigen Ende zu bringen. Um Hannelore Grüneberg zu einer Zustimmung zu einem Vergleich zu bewegen, hatte Rawitzki nach eigenem Bekunden mehrfach an seine Mandantin geschrieben, jedoch keine Antwort erhalten. An ihrer Stelle schrieb jedoch ihr Ehemann und stimmte einem Vergleich im Namen seiner Frau zu. Daraufhin bereitete Rawitzki den erwähnten Vergleich mit Blank vor und benachrichtigte unmittelbar vor Unterzeichnung am 5. Juni 1953 die Eheleute letztmalig per Telegramm. Da keine Antwort erfolgte, unterzeichnete Rawitzki auf Grundlage des Briefes von Hannelore Grünebergs Ehegatten am 12. Juni 1953 den Vergleich. Erst nachdem der Vergleich schon geschlossen war, traf am 26. Juni 1953 ein Brief ein, in dem Hannelore Grüneberg selbst dem Vergleich nun doch widersprach. Mit einem Vergleich sei sie "auf keinen Fall" einverstanden. Vergleiche in ihrem Namen könne darüber hinaus nur ihr Generalbevollmächtigter Orzelski abschließen, mit dem sich jedoch Rawitzki nicht abgesprochen habe. Das Schreiben ihres Mannes sei in dessen Unkenntnis der ökonomischen Verhältnisse in Deutschland verfasst worden. Aufgrund dieses Briefes, der auch Orzelski in Kopie zuging, strebte dieser daher die Annullierung des bereits unterzeichneten Vergleichs an.

Orzelskis Bemühen blieb jedoch vergeblich. Am 20. November 1953 beschloss die Wiedergutmachungskammer, Orzelskis Antrag auf Feststellung, dass der Vergleich vom 12. Juni 1953 unwirksam sei, zurückzuweisen. Allerdings bedeutete auch dieser Beschluss nicht das Ende der Auseinandersetzungen. Am 3. Dezember 1953 legte Orzelski erneut Widerspruch ein und ging vor dem Oberlandesgericht Hamm in Berufung. Mit Beschluss vom 8. März 1954 lehnte jedoch auch das OLG die Beschwerde ab und folgte dem Beschluss der Wiedergutmachungskammer. Das Urteil und damit der Vergleich wurden zum 30. November 1954 rechtskräftig.

Neben dem Restitutionsverfahren soll auch das Rückerstattungsverfahren um die Filiale an der Hochstraße 16 dargestellt werden, das einen für derartige Verfahren nahezu idealtypischen Verlauf nahm. Rückerstattungspflichtig war hier Franz Bergermann, der die Pacht der Filiale und die Einrichtung zum 1. April 1935 übernommen hatte. Das in der Sache wenig bemerkenswerte Verfahren soll den Ablauf eines Rückerstattungsverfahrens illustrieren, in dem die Jewish Trust Corporation, wie in etwa der Hälfte aller bekannten Restitutionsverfahren aus Gelsenkirchen, in Vertretung der Eigentümer Rückerstattungsansprüche geltend machte.

Das Verfahren wurde durch einen Antrag der JTC auf Rückerstattung von Warenlager, Inventar und Goodwill eröffnet. Nachdem der Rückerstattungsantrag die Central Claims Registry in Bad Nenndorf erreicht hatte, veranlasste diese am 30. April 1953 die Sperrung des betreffenden Vermögens beim Amt für gesperrte Vermögen. Am 18. Mai 1953 erhielt der Käufer Franz Bergermann mit Posturkunde Nachricht über das angelaufene Verfahren. Er antwortete auf die Rückgabeforderungen fristgerecht am 12. Juni 1953 durch ein Schreiben seines Anwalts Antoni. In der Sache stimmte seine Darstellung mit derjenigen der Gegenpartei überein, nicht jedoch im Detail und in der Bewertung. Auch Antoni führte namens seines Mandanten an, Grüneberg habe die Filiale zum 1. April 1935 aufgegeben. Bergermann habe die Filialräume angemietet und die Ladeneinrichtung übernommen - nicht aber den Warenbestand, wie der Antrag der JTC annahm. Die übernommenen Gerätschaften seien zudem "in einem [...] schlechten Zustand [...] gewesen, so dass der bar bezahlte Kaufpreis von 2.500,- RM auch unter Berücksichtigung des vorhandenen geringen Kundenkreises durchaus angemessen" gewesen sei. Dieser geringe Kundenkreis wiederum habe daraus resultiert, dass Grüneberg den größten Teil der Stammkundschaft mit in seinen Hauptbetrieb habe hinübernehmen können.

In ihrer Entgegnung vom 3. August 1953 wies die JTC ihrerseits jedoch jeden Versuch zurück, den Verkauf als normales Geschäft zu behandeln und insistierte auf die spezifische durch politische Umstände bedingte Verfolgungssituation. Da über diesen Punkt keine Einigung zu erzielen war und eine gütliche Lösung nicht möglich schien, wurde mit Verfügung vom 14. August 1953 das Verfahren an die Wiedergutmachungskammer beim Landgericht Essen zur gerichtlichen Regelung überwiesen.

Nach dem schriftlichen Vorspiel folgte dort nun die mündliche Verhandlung. Hier stellte Bergermann die Schwierigkeiten heraus, die für ihn mit dem Aufbau des übernommenen Betriebes verbunden waren. Zum eigentlichen Kauf führte er zunächst nochmals aus, was sein Anwalt Antoni bereits schriftlich erklärt hatte. Er schilderte nochmals die Übernahme der Einrichtung, nicht aber des Warenlagers, die Barzahlung ohne Quittung und den Kaufpreis von 2.500 RM. Detailliert ging Bergermann auf die Frage nach einer möglichen Goodwillzahlung ein. Diese lehnte er mit dem bereits bekannten Argument ab, der ehemalige Kundenstamm sei mit Grüneberg abgewandert.

Auch die JTC veränderte ihre Argumentation nicht und widersprach Bergermanns Darstellung in einem Schreiben vom 23. Dezember 1953. Die Existenzgründung sei ganz im Gegenteil erfreulich verlaufen. So erfreulich, "[...], dass die Umsätze des Herrn Bergermann im Jahre 1935 seit der Übernahme des Geschäftsbetriebes 53.758 RM, im Jahre 1936 111.192 RM betragen haben". Aus dem Anwachsen des Umsatzes sei zu schließen, "dass das übernomene [siel] Geschäft, entgegen den Erklärungen des Antragsgegners, einen erheblichen Goodwillwert aufgewiesen hat".

Nachdem das Prozedere der wechselseitigen Stellungnahmen abgeschlossen war, traten beide Parteien in Vergleichsverhandlungen ein. Wie in allen untersuchten Fällen enthalten die Prozessakten keine Details zum Inhalt dieser Verhandlungen. Lediglich die Ergebnisse in Form des geschlossenen Vergleichs sind aktenkundig. Auch das hier betrachtete Verfahren endete am 30. Juni 1954 in einem Vergleich. Gegen Zahlung von als geradezu läppisch zu bezeichnenden 300 DM verzichtete die JTC auf die Rückerstattung der geforderten Waren- und Einrichtungsgegenstände. Die Zahlung erfolgte ausweislich der vorhandenen Unterlagen direkt an die JTC. Ob und in welcher Höhe diese Zahlung auch an Hannelore Grüneberg weitergeleitet wurde, konnte nicht ermittelt werden.

Bild: Stadtarchiv Gelsenkirchen

Zitat aus: Was die Nationalsozialisten "Arisierung" nannten - Wirtschaftsverbrechen in Gelsenkirchen während des "Dritten Reiches". Carsten Kaiser/Thomas Lammfuß. Hg. Hans-Jürgen Priamus, Essen 2007
ISBN: 978-3-89861-843-4

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Andreas Jordan, April 2008

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