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Die Kindheit

← Elli Kamm aus Gelsenkirchen

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Gelsenkirchen

Mein Name ist Elli Kamm, mein Mädchenname ist Elli Diament. Ich wurde in Gelsenkirchen im Januar 1926 geboren. Ich bin die einzige Tochter meiner Eltern, meiner Mutter Mali, Amalia, und meines Vaters Simon. Wir waren 6 Kinder. Ich war das einzige Mädchen. Ich erinnere mich an eine glückliche Kindheit, natürlich sehr verwöhnt. Meine Eltern waren sehr glücklich. Wir hatten ein Geschäft und hatten ein schönes Leben.

Ich erinnere mich vage, dass 1933 oder 1934 oder 1935 irgendwie um diese Zeit herum, als Hitler an die Macht kam, wir bedroht wurden und man uns bei nicht jüdischen Familien unterbrachte. Ich war dort mit noch einem weiteren Bruder. Zwei andere Brüder waren woanders, meine Eltern waren woanders, bis es etwas ruhiger wurde und dann kehrten wir nach Hause zurück. Und langsam aber sicher konnten wir das Warnzeichen sehen. Aber meine Eltern konnten nicht glauben, dass es hier getan werden kann, - wir lebten seit so vielen Jahren in Deutschland, wir Kinder waren dort geboren, wir waren zur Schule gegangen, - dass sie uns etwas antun würden.

Ich vermute, dass wir uns zu wohl fühlten, um zu emigrieren, Deutschland zu verlassen, unsere materiellen Güter zurück zu lassen und in ein anderes Land zu gehen. Mein ältester Bruder war Zionist und dachte, dass er gehen musste. Er war der erste, der den Schritt machte. Ich glaube, er war zuerst in der Hachscharah (Vorbereitung auf die Auswanderung nach Palästina). 1939, als der Krieg ausbrach, nahmen sie, vielleicht war es vorher, ich erinnere mich nicht genau, nahmen sie meine beiden ältesten Brüder und schickten sie in einen Ort in Polen, weil meine Eltern in Polen geboren wurden. Sie hatten noch einen polnischen Pass, und so wurden sie immer noch als polnische Bürger angesehen.

So wurden sie dahin geschickt und während sie dort waren, rief mein Bruder uns an und sagte uns, dass er zu der Zeit nach Palästina gehen konnte. Aber es war illegal, auf einem illegalen Schiff. Also war er der einzige, der in der Lage war, Deutschland zu verlassen. So blieben wir alle da. Dann kurz danach kam die Gestapo und nahm meinen Vater mit. Es war ein Samstagnachmittag. Ich kann noch immer den Schatten sehen, wir hatten Glasfenster, ich kann sie immer noch da stehen sehen. Samstags nach dem Abendessen ruhten sich meine Eltern aus. Dann klopften sie an die Tür und nahmen meinen Vater mit.

Einer meiner Brüder, sein Name war Leo, mein Bruder Freddy war in der Zeit nicht zu Hause, er muss irgendwo sonst gewesen sein, er war ein leidenschaftlicher Leser, er muss in der Bücherei gewesen sein, um ein Buch zu bekommen. Sie nahmen meinen Vater und meinen Bruder Leo und brachten sie ins Gelsenkirchener Gefängnis. Und sie fragten nach Freddy, meinem anderen Bruder. Aber meine Mutter sagte, er wäre erst 15. Sie nahmen die ab 16 mit - und sie gingen wieder.

Und inzwischen wurde er gewarnt, wo immer er gewesen sein mag. Irgend jemand muss ihn gefunden haben. Ein paar Stunden vergingen, wir dachten, es wäre in Ordnung und er war wieder auf dem Heimweg. Die Gestapo wartete auf ihn, weil sie in seiner Akte gesehen hatten, dass er 16 Jahre alt war. Und sie nahmen ihn mit. Ich habe etwas ausgelassen. Ich hatte einen jüngeren Bruder, Sammy, er ging nach Holland gerade vor diesem Ereignis mit Verwandten, die sich um ihn kümmerten. Es waren ein Onkel und eine Tante meiner Mutter. Er war also so: Leo blieb, Freddy blieb, ich blieb, Sammy war in Holland und ein jüngerer Bruder, der 1933 geboren wurde. Mein ältester Bruder war in Israel. Jedenfalls nahmen sie meinen Vater mit und tagelang wussten wir nicht, wo sie waren. Wir versuchten sie zu sehen, sahen uns um und konnten sie nicht finden. Aber wir wussten, dass sie noch in Gelsenkirchen waren.

Herne

Eines Tages fand ich heraus, dass man sie in eine Stadt in der Nähe gebracht hatte, Herne, um sie woanders hin zu transportieren. Inzwischen trugen wir schon den Judenstern. Ich war sehr mutig und jung, ich weiß nicht genau, wie alt ich war, 39 war ich 13, 14 Jahre alt und ich habe meinen Judenstern verdeckt und nahm den Zug nach Herne, zum Generalgefängnis oder wie man es auch genannt hat, um zu sehen, ob ich sie finden konnte. Und inzwischen war noch eine andere Frau aus meiner Stadt, ihr Name ist mir entfallen, und wir gingen umher, umher, ich erinnere mich an lange Stufen hinauf, wir konnten sie nicht finden und schließich ging ich irgendwo herum, ich hörte viele rasselnde Stimmen, unten im Keller durch ein Fenster wie dieses und da waren sie alle in einem Raum zusammen gekauert. Ich klopfte und ich sah, dass mein Vater und meine beiden Brüder Leo und Freddy mich sahen und all ihre Sorge war, wie es meiner Mutter ging und es ging ihnen gut und wir sollten uns keine Sorgen machen. Aber sie waren hungrig, sie bekamen nichts zu essen, Deutschland war auf Rationierung, in Deutschland gab es Lebensmittelmarken. Wie kommt man an Nahrung?

Judenstern

Und wieder bedeckte ich meinen Stern und ich ging, obwohl die Geschäfte sonntags geschlossen waren, zu einem Tante-Emma-Laden. Ich klopfte an der Tür und sagte "Heil Hitler. Ich lebe da und da. Ich habe gerade Besuch von Leuten von außerhalb bekommen und sie sind sehr hungrig. Was kann ich ohne Lebensmittelmarke bekommen?" Und ich kam mit zwei solchen Taschen. Und ich ging zurück, hoffend das sie noch da wären und na klar, sie waren noch da. Wir klopften an das kleine Fenster und die einzige Sorge meines Vaters und meiner Brüder war, wie ich schon sagte, wie es meiner Mutter ging. Wie ich schon sagte, führten sie eine sehr glückliche Ehe und während ich das Essen durch das Fenster reichte, verletzte ich mich - man kann hier die Narbe noch sehen, die Haut war bis zum blanken Knochen durch, mein Vater machte sich Sorgen, das Blut strömte und glücklicherweise, hatte diese Dame Taschentücher, und ich wurde verbunden. Die Verletzung interessierte mich nicht. Das Einzige, was mich interessierte, war mit ihnen zu sprechen und ihnen das Essen zu geben. Inzwischen war meine Mutter zu Hause und wusste nicht, wohin ich verschwunden war. Ich konnte keine Nachricht hinterlassen und als ich heim kam, war sie sehr aufgeregt, aber als ich ihr sagte, was ich getan hatte, war sie erleichtert und fragte, was geschehen war. In der Zwischenzeit sah sie den Verband und "wenn wir zum Notdienst gehen, was wir sagen?" Ich hatte Angst, ihnen zu sagen, dass ich sie gefunden hatte, dass ich die Stadt verlassen hatte, was illegal war, und so sagte ich ihnen, dass ich mich irgendwo an einem Fenster verletzt hatte, durch das ich hindurch reichen wollte, um nach etwas zu greifen. Ich habe ihnen also eine Geschichte aufgetischt, das war es.

Sachsenhausen

Das Nächste, was wir hörten, war, dass sie sie nach Oranienburg brachten, Sachsenhausen. Wir bekamen dann und wann Briefe, die uns mitteilten, dass es ihnen gut ginge. Das waren vorgeschriebene Worte. "Schickt uns Pullover, schickt uns warme Kleidung", aber wir konnten sie überhaupt nicht bekommen. Wir hatten überhaupt nichts mehr. Sie pferchten uns zusammen in zwei abgetrennten Bezirken, wo nur Juden lebten. Wir lebten dort nach 1938, nachdem sie unser Geschäft demoliert hatten. Und wir versuchten, Pullover zu bekommen, wir schickten sie und sie bekamen sie nie. SS nahmen sie und schickten sie an die Front oder behielten sie für sich selbst. Aber von Zeit zu Zeit bekamen wir Briefe, dass jemand an Lungenentzündung gestorben ist und jemand Anderes an Lungenentzündung gestorben ist aus den und den Familien. Und es war üblich, dass sie kleine Urnen schickten, was etwas Schreckliches war.

Meine Mutter hatte eine Schwester in New York und sie konnte Visa besorgen, Visa für Panama, Cuba und verschiedene süd-amerikanische Länder und sie versuchte meinen Vater und meine Brüder herauszubekommen. Vielleicht würden sie uns Deutschland verlassen lassen. Das was wir im Austausch gegen unsere Brüder hätten abgeben können: Möbel, Besitztümer usw.... hatten wir schon in die USA geschickt. Wir konnten es nicht mehr zurückholen, weil der Krieg ausbrach. Sie konnten nicht mehr raus.

So... Ich springe ein bisschen. So ist es, wenn die Dinge dir wieder in den Sinn kommen. Die Gestapo hatte hoch und heilig versprochen, - meine Mutter und ich waren hingegangen, - hoch und heilig - dass sie sie freilassen würden. Ein anderer Bekannter der Familie hatte dieselben Visa bekommen und war im selben Lager, Oranienburg, wie mein Vater und meine Brüder. Meine Mutter, mein kleiner Bruder und ich, wir hätten das Land verlassen können. Aber wir wollten nicht gehen, weil wir dachten, dass man sie jeden Tag entlassen würde. Nachdem Monate vergangen waren, hatten sie einen Mann entlassen. Diesen Bekannten meiner Familie. Und wir waren überzeugt, dass die Nächsten mein Vater und meine Brüder sein würden. Wir fanden später heraus, dass es zu viel war für den Mann im Büro, drei Papiere zu bearbeiten. Deswegen wurden sie nicht entlassen. Und wir warteten täglich mit der Hoffnung, vielleicht heute, vielleicht morgen.

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Andreas Jordan, August 2006

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