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Fliegerlynchmorde

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2. Weltkrieg in Gelsenkirchen-Buer: Erst überlebt und dann getötet

Ihren Vater hat Susan Friedhaber-Hard nie kennengelernt. Leutnant John "Jack" Friedhaber, amerikanischer Bomberpilot, starb 1944 in Gelsenkirchen, als sie vier Monate alt war. Folgt man der Aussage eines überlebenden Mitglieds der 10-köpfigen Bombercrew, wurde Friedhaber, der sich wie vier weitere Besatzungsmitglieder zunächst mit dem Fallschirm aus dem nach einem Flaktreffer brennenden Bomber hatte retten können, am Boden unweit der Absturzstelle der B-24 Liberator mit dem Namen "Never Mrs" in der Heege im Stadtteil Buer von Gelsenkirchenern brutal zu Tode geprügelt.

Viele Jahrzehnte hat Susan Friedhaber-Hard auch mit Hilfe ihrer Tochter Rebecca in teils mühevoller Recherchearbeit versucht, den Lebensweg ihres Vaters nachzuzeichnen. 1991 gelang es ihr, Kontakt über ein Veteranen-Netzwerk zu Frank Stout aufzunehmen. Stout, der zur Crew der "Never Mrs" gehört hatte, schickte ihr eine Liste der Besatzungsmitglieder, einen offiziellen Unfallbericht und Fotos von ihrer B-24, der "Never Mrs.". Frank Stout schrieb unter anderem: "Susan, wir wurden von der Flak getroffen, das dritte Triebwerk, der Bombenschacht und das Kommandodeck standen in Flammen, und der Sauerstoff explodierte. (...)". Stout schrieb ihr auch, das ihr Vater von deutschen Zivilisten nach seinem Absprung am Boden erschlagen worden ist. Viele Teile eines Puzzles konnte sie so zusammenfügen, doch es blieben Fragen offen.

Pilot John 'Jack' Friedhaber

Abb.: Pilot John 'Jack' Friedhaber, USAAF

John Friedhaber wurde als ältestes von sieben Kindern am 14. Juli 1920 geboren und wuchs in Springbrook (New York) auf. Nach seinem Abschluss an der East Aurora High School im Jahr 1937 ging er in seiner Freizeit gerne jagen, fischen und lernte das Fliegen, während er als Maschinist bei Bell Aerospace arbeitete. 1942 meldete er sich 1942 als Freiwilliger zur United States Air Force und begann begann das intensive Pilotenausbildungsprogramm des Air Corps in Norwich (Vermont). Dort heiratete er am 1. Mai 1943 Anne Pruzinsky. Am 11. Juli 1944 wurde Tochter Susan in der Kleinstadt Holyoke geboren - an diesem Tag ist John Friedhaber nicht geflogen, das belegen Flugaufzeichnungen von Westover Field (Massachusetts), dort war Leutnant Friedhaber in dieser Zeit stationiert.

Am 11. November 1944 war der Bomber "Never Mrs" von dem Stützpunkt der 453rd Bombardment Group in Old Buckenham (Norfolk) der 8. United States Army Air Forces (USAAF) im nordöstlichen England mit weiteren 123 Bombern zu einer Mission über dem Deutschen Reichsgebiet gestartet. Zielort der Bomber-Flotte war an diesem Tag das Hydrierwerk in Bottrop-Welheim. Es war John Friedhabers fünfter Einsatz als Bomberpilot.

Besatzung des amerikanischen Bombers B-24 Liberator 'Never Mrs.' am 11. November 1944

Abb.: Besatzung des amerikanischen Bombers B-24 Liberator "Never Mrs." am 11. November 1944. Reihe oben v.l.n.r. Sgt. Henry E. Ball (Oberer Turmschütze), 2nd Lt. John Vanderhoof (Co-Pilot), 2nd Lt. John Friedhaber (Pilot), Sgt. Tom Notcher (Heckschütze), F/O Henry Maxfiel (Navigator); Reihe unten v.l.n.r. Sgt. Peter Felbarth (Funker), Sgt. Walter R. England (Vorderer Schütze), Sgt. Frank E. Stout, Jr. (Rechter Seitenschütze), Sgt. Earl W. Dempsey (Linker Seitenschütze). Nicht abgebildet: Sgt. Edgar J. Conner (Beobachter/Radar)

Bomber Never Mrs. auf dem Flugplatz Old Buckenham, England

Abb.: Bomber B-24 "Never Mrs" auf dem Flugplatz Old Buckenham, England

Fernschreiben an Dulag Luft Wetzlar (Auswertestelle)

Abb.: Fernschreiben an Dulag Luft Wetzlar (Auswertestelle), die 4. Flak Division beansprucht den Abschuss der "Never Mrs" als ihren Treffer

Gegen 11.35 Uhr am 11. November 1944 erreichte Friedhabers Maschine den Luftraum über dem Zielgebiet Bottrop-Welheim. Dort wurde das Flugzeug von der deutschen Flak in Höhe des Bombenschachtes schwer getroffen, an Bord brach ein Feuer aus. Die Maschine kippte über den Flügel ab, geriet ins trudeln. Fünf der Besatzungsmitglieder konnten sich mit dem Fallschirm retten, es waren Friedhaber, Vanderhoof, Maxfield, Stout und Notcher, sie kamen unweit der Absturzstelle in der Heege (Acker östlich Hürkamp) in Gelsenkirchen-Buer zu Boden. Notcher und Vanderhoof kamen verletzt zunächst in das Reserve-Lazarett Buer, Maxfield und Stout wurden gefangengenommen und kamen zunächst in das Gefängnis Gelsenkirchen. Die übrigen Besatzungsmitglieder wurden tot im Flugzeugwrack gefunden, Felbarth, Ball, Connor in ihren Sitzen im Flugdeck, Dempsey lag auf dem Boden des Decks. England saß tot im vorderen Geschützturm. Das Feuer in der Maschine erlosch am Boden.

Abschussmeldung des Flughafenkommandeurs Hugo Angenendt, Flugplatzkommando Gelsenkirchen-Buer

Abb.: Abschussmeldung des Flughafenkommandeurs Hugo Angenendt, Flugplatzkommando Gelsenkirchen-Buer. Der Beobachter Edgar J. Connor wird nicht genannt, stattdessen ein Sgt. C. M. Oertle, der nicht zu dieser Besatzung gehörte. (Hugo Angenendt war auch in der Tötung des englischen Fliegers Norman C. Cowley im Februar 1945 involviert.)

John H. Vanderhoof gab später im Bericht an: "Lt. Friedhaber und ein weiterer Besatzungsmitglied zogen mich bewusstlos aus meinem Sitz, ich hatte eine blutende Verletzung am Hinterkopf, Blut lief mir aus Nase, Mund und Ohren. Sie legten mir den Brustschirm an, Friedhaber zog mich zum Bombenschacht - so konnte ich rauskommen. Friedhaber ging zurück, schaute nach seinen Männern auf dem Flugdeck. Er sah, das nichts mehr zu machen war. Stout sah das Geschehen mit an, dann sprang er ab. Stout sah auch, das Friedhaber nach ihm sprang. Das erzählte er mir im Kriegsgefangenenlager im Februar 1945. Maxfield erzählte mir auch, das er gehört habe, das sich die deutschen Soldaten bei seiner Festnahme nach dem Absturz erzählten, das Bauern aus der Umgebung der Absturzstelle den Piloten John Friedhaber mit Knüppeln, Steinen und Schlägen aller Art getötet haben, nachdem dieser am Fallschirm lebend gelandet war."

John Herbert Friedhabers letzte Ruhestätte in den USA

Abb.: John H. Friedhabers letzte Ruhestätte in den USA

Die Leichen der Besatzungsmitglieder wurden zunächst auf dem Gelsenkirchener Ostfriedhof verscharrt. Einige Zeit nach dem Absturz der 'Never Mrs 'wurde auch das Wrack der B-24 Liberator geborgen.

Im April 1948 werden Gräber auf dem Gelsenkirchener Ostfriedhof (Feld 45K, Gräber 51 bis 116) von US-amerikanischen Spezialisten auf der Suche nach den sterblichen Überresten von John Friedhaber und Henry Ball erneut geöffnet. Den Aufzeichnungen nach sollen in den Gräbern 94 und 95 verscharrt worden sein. Bereits kurze Zeit zuvor hatte an gleicher Stelle die "British 39 Grave Concentration Unit" englische Tote exhumiert. Dabei fanden die Engländer neben menschlichen Knochen auch amerikanische Militärbekleidung, u.a. ein Hemd, auf dessen Rückseite der Name "Friedhaber" aufgedruckt war. Diese Fundstücke wurden mit dem Schädel und Knochen, die Friedhaber zugeordnet wurden, in einen Sarg gelegt und zunächst wieder vor Ort begraben.

Friedhabers sterbliche Überreste wurden dann von den Amerikanern nach Neuville-en-Condroz, Belgien (Ardennes American Cemetery and Memorial) überführt, dort wird er noch als unbekannt begraben. Endgültig indentifiert werden kann er erst später, seine wirklich letzte Ruhestätte findet John Herbert Friedhaber auf Wusch der Familie am 6. Dezember 1951 auf dem Woodlawn National Cementery in Chemung County, New York, USA.

Abschussmeldung  Flugplatzkommando Gelsenkirchen-Buer

Abb.: Abschußmeldung Flugplatzkommando Gelsenkirchen-Buer. Der Beobachter Sgt. Edgar J. Connor, Erk.Nr. 12006364, der ebenfalls tot im Flugzeugwrack vorgefunden wurde, wird in dieser Fassung der Meldung nicht genannt. In der Vegrößerung des Orginaldokumentes sind die nachstehend beschriebenen "Korrekturen" ebenfalls zu erkennen, dort ist wiederum ein Mann namens "Oertle" nachgetragen worden, der jedoch nicht zur Besatzung gehörte. Handschriftlich wurde vermerkt, das die zunächst ins Latzarett eingeliefrten beiden Besatzungsmitglieder am 6.1 Januar 1945 dem DULAG überstellt worden sind. Bei den Exhumierungen wurden keine Hinweise auf diesen Mann gefunden. (Zum vergrößern Foto anklicken)

Über 300 Deutsche wurden nach 1945 von den Alliierten wegen der sogenannten Fliegermorde vor Gericht gestellt, davon wurden über 150 der Angeklagten hingerichtet. Als Fliegermorde wird die völkerrechtswidrige Tötung abgeschossener oder notgelandeter alliierter Flugzeugbesatzungen in der Endphase des Zweiten Weltkrieges bezeichnet. In manchen Quellen wird in wenigen Fällen auch verweigerte Hilfe dokumentiert.

Die weitaus größere Zahl der Verbrechen blieb jedoch ungesühnt oder gar unentdeckt. Mancher alliierte Flieger, der offiziell beim Absturz seiner Maschine oder beim Absprung tödlich verletzt worden sein soll, ist womöglich von fanatisierten Männern umgebracht worden. Nach Auswertung des Quellenmaterials kann davon ausgegangen werden, das es sich auch im Falle des Piloten John Friedhaber um einen Fliegermord handelt. Ausschlaggebend sind dabei letztlich die Aussagen von Stout und Maxfield sowie die vorstehende Abschußmeldung des Flugplatzkommandos Gelsenkirchen-Buer. Darin deutlich erkennbar sind die "Korrekturen" in der Rubrik "Verbleib" zu John Friedhaber. Dort stand zunächst die Abkürzung "gef.", diese wurde entfernt, dann mit dem Wort "tot" überschrieben, der Punkt ist noch sichtbar. Deutlich sichtbar auf der hier abgebildeten Fassung der Meldung ist auch, das es sich um zwei verschiedene Schrifttypen bei dem Wort "tot" handelt, was für die für die Benutzung verschiedener Schreibmaschinen spricht.

Nach dem Krieg konnte niemand zur Rechenschaft gezogen worden, damit blieb auch diese Tat ungesühnt. Susan Friedhaber-Hard war das alles bekannt, in einem Interview mit der Tageszeitung "The Buffalo News" im Jahr 1994 sagte sie: "Stellen Sie sich meinen Schock vor, als ich erfuhr, dass mein Vater die Explosion der B-24 überlebt hatte, nur um sein Leben durch die Hand von Zivilisten zu verlieren. Hasse ich die Deutschen? Nein, natürlich nicht. Ich hasse den Krieg. Dass wir beide deutscher Abstammung sind, ist die größte Ironie von allem." Susan Friedhaber-Hard starb am 10. Juni 2017.

Pilot John 'Jack' Friedhaber

Quellen
https://de.findagrave.com/memorial/2510341/john-herbert-friedhaber Find a Grave Abruf (7. Juli 2021)
Vgl. auch: Search for a father killed in war http://friedhaber.homestead.com/nevermrs.html (Abruf 10. Juli 2021)
American Air Museum in Britain http://www.americanairmuseum.com/person/123034 (Abruf 10. Juli 2021)
Old Buck Shots Consolidated(Ford) B-24H-25-FO Liberator 42-95167 "Never Mrs" https://www.flickr.com/photos/oldbuckshots/ (Abruf 10.Juli 2021)
National Archives Collection of Foreign Records Seized, 1675 - 1958; Series: Downed Allied Aircraft Kampfflugzeug Unterlagen (KU) Reports, ca. 1943 - 1945 File Unit: KU-3317. https://catalog.archives.gov/id/147905985 (Abruf 10. Juli 2021)
American World War II Orphans Network, In their Memory; The Turner AWON History Book, S. 118
Susan Friedhaber-Hard (2013)

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Andreas Jordan, Juli 2021

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