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Musik im KZ - Lagerlieder

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Richard Heidelberg

Musiker in Buchenwald

geboren am 7. April 1896
letzte Wohnanschrift: Gelsenkirchen und Aachen
Für tot erklärt.

Musiker im Gedenkbuch (Bd. I, Seite 522) der ins Konzentrationslager Buchenwald eingelieferten deutschen Juden.
Todesort: Izbica, Krasnystaw, Lublin, Poland.

Namen von weiteren Angehörigen der Familie Heidelberg, die ihre letzte Wohnanschrift in Gelsenkirchen und Aachen hatten und von den Nationalsozialisten in den Tod deportiert wurden

Heidelberg, Alfred

geboren am 2. Mai 1890 in Düsseldorf
letzte Wohnanschrift: Gelsenkirchen/Aachen
Inhaftierung: bis 13. Dezember 1938 KZ Sachsenhausen
Deportation: unbekannter Deportationsort
Todesdaten: für tot erklärt

Heidelberg, Ella

geboren am 13. April 1892 in Düsseldorf
letzte Wohnanschrift: Gelsenkirchen und Aachen
Deportation: unbekannter Deportationsort
Todesdaten: für tot erklärt

Heidelberg, Helene

geborene Salomon

geboren am 23. Oktober 1859 in Eschweiler
letzte Wohnanschrift: Gelsenkirchen/Aachen
Deportation: ab Düsseldorf 25. Juli 1942, Theresienstadt, Ghetto
Todesdaten: 03. Mai 1943, Theresienstadt, Ghetto



Zwischen Selbstbehauptung und Fremdbestimmung - Kategorien der KZ-Lieder

In der Zeit des NS-Regimes wurde auch in den verschiedenen Konzentrationslagern weiterhin Musik gemacht. Zum Teil haben inhaftierte Musiker ihren Beruf dort Mitglieder einer Kapelle oder Komponisten ausgeübt, zum Teil wurde Musik als Druckmittel verwandt.

Der Begriff KZ-Lied wurde vor allem in den 1950er Jahren auf bereits vor der NS-Zeit bekannte Musik beschränkt. Nur wenige Neuschöpfungen der Häftlinge während ihres Lageraufenthaltes fielen unter die Bezeichnung, was unter anderem daran liegt, dass nur wenige Kompositionen überliefert sind. Guido Fackler beschreibt in seinem Werk "des Lagers Stimme" zwei Kategorien welche die Musik in fremd- und selbstbestimmtes musizieren einteilen. Mit diesem Versuch die Lagermusik in die beiden Bereiche zu ordnen stellt Fackler eine Alternative zu den vorher gebräuchlichen vier Kategorien vor. Die alte Gliederung umfasste Lieder mit appellativem Charakter, dokumentarische Lieder, Gedankenlyrik und Spottlieder.

Jede dieser Kategorien hatte eine eigene Funktion, wie zum Beispiel: Die Lagersituation aus realistischer oder euphemistischer Sicht darzustellen. Da allerdings nur wenige zu untersuchende Lieder zur Verfügung stehen, ist jede Einteilung ausschließlich ein Versuch und keine definitive Lösung, die überlieferten Liedtexte und Musikbeispiele zu katalogisieren. Fackler hat eine neue Form der Einteilung gewählt. Aber auch seine Idee, die fremdbestimmte von der selbstbestimmten Musik zu trennen ist genau so problematisch wie die vorherige Kategorisierung.

Als fremdbestimmte Musik bezeichneten Fackler hauptsächlich die von den SS-Mitgliedern geforderten Gesänge. Die Häftlinge wurden oft gezwungen beim Appell oder bei der Arbeit bestimmte Lieder zu singen. Diese Maßnahme sollte die Opfer disziplinieren, demütigen, lächerlich machen oder ihnen ihre letzte kulturelle und soziale Identität nehmen. Außerdem wurde mit einem lauten, fast geschrienen, Gesangsstil eine Umerziehung der Häftlinge angestrebt, so wurden sie unter anderem gezwungen faschistische Texte zu singen. Als fremdbestimmte Form der Musik können auch die Lieder bezeichnet werden, die mit Hilfe von Lautsprechern über den Lagerplatz schallten. Oftmals wurde versucht mit dieser Musik die Schreie der Häftlinge zu übertönen oder durch ständige Präsens der Musik eine Umerziehung anzustreben. Neben diesen Zielen besaß Musik im Lager für das SS-Personal noch weitere Funktionen: sie diente einerseits zu ihrer eigenen Unterhaltung und wurde durch geschickte Medienarbeit dazu verwandt die Öffentlichkeit zu täuschen in dem ihr mit gezielten Musikveranstaltungen der Eindruck eines ausgefüllten Lageralltags vermittelt wurde.

Jedoch war befohlenes Musizieren nicht immer nur eindeutig positiv für die KZ-Aufseher und negativ für die Häftlinge, sondern diente teilweise beiden Seiten. Zum Beispiel riefen einige gesungene Lieder Erinnerungen an gute Zeiten wach und konnte Hoffnung auf eine bessere Zukunft wecken.

Die selbstbestimmte Musik durfte hauptsächlich in der Freizeit praktiziert werden. Auch heimliche Veranstaltungen mit selbstkomponierten oder ausgesuchten Liedern fanden statt. Fackler versucht in seinem Werk eine klare Trennung zwischen den beiden Kategorien selbst- und fremdbestimmtes Musizieren zu betonen, hebt aber auch die vielen Zwischen- und Übergangsstufen hervor. So sagt er, dass sich die Bereiche des Musizierens auf Befehl und Eigeninitiative "bisweilen durchaus berühren, vermischen oder gegenseitig beeinflussen" könnten. Es entsteht also eine recht breite Grauzone innerhalb der KZ-Lieder, die sich auf eine nicht klare Grenze zwischen verboten und erlaubt bezieht.

Als Beispiel für ein fremdbestimmtes Musizieren lässt sich das Horst-Wessel-Lied anführen, welches Antifaschisten bei ihrer Ankunft im KZ Sonnenburg singen mussten. Zusätzlich liegt noch ein Schutzhaftbefehl aus dem KZ Buchenwald vom 17.11.1937 vor, der den Zwang des Musizierens verdeutlicht: "Die freie Zeit des Abends ist mit Flickstunde und Reinigungsdienst und Singen auszufüllen."

Beispielhaft für das selbstbestimmte Musizieren ist das Lied "Wenn zerbrechen unsere Ketten" von Jiri Zak und Jaroslav Bartl, geschrieben im KZ Buchenwald. In diesem Lied wird die Angst und der Zorn über die SS von Seiten der Häftlinge dargestellt. Im Refrain überwiegt aber vor allem die Hoffnung auf Freiheit und Humanität. Auch Rache gegenüber ihren Peinigern wird geschworen. Dieser Euphemismus war notwendig für das Überleben im KZ und um die verbliebene Menschlichkeit zu bewahren.

Für ein Lied, welches sich in der Grauzone zwischen fremd- und selbstbestimmter Musik befindet ist das "Buchenwaldlied" von Fritz Beda-Löhner und Hermann Leopoldi typisch. Die Musik wurde komponiert von Hermann Leopoldi, dessen familiärer Namen Ferdinand Kohn war. Leopoldi wurde am 15.8.1888 in Wien geboren und starb am 28.6.1959 ebenfalls in Wien. Vor seiner Inhaftierung arbeitete er als Pianist im Varieté und wurde berühmt durch seine Kompositionen. 1938 kam er ins KZ Dachau und später nach Buchenwald. Von dort konnte er 1939 in die USA emigrieren. Der Verfasser des Textes vom Buchenwaldlied Fritz Beda-Löhner wurde am 24.6.1838 in Wildenschwert geboren und starb wahrscheinlich 1942 in Auschwitz. Er wurde als politischer Jude verhaftet. Sie schrieben das Buchenwaldlied motiviert durch den damaligen Lagerführer Rödl, der Ende 1938 dazu aufgefordert hatte eine Buchenwaldhymne zu komponieren. Er setzte 10 Mark für eine geeignete Komposition aus, jedoch erreichten ihn hauptsächlich nichtzufriedenstellende Versuche. Das Lied von Löhner und Leopoldi gefiel dem amtierenden Kapo der Poststelle, der sich daraufhin als Autor des Stückes ausgab. Durch diesen Kontakt und dem Wohlwollen der Lagerleitung wurde das Lied zur offiziellen Buchenwaldhymne. Die beiden Österreicher wurden allerdings vom Kapo als eigentliche Autoren verschwiegen.

Bei den Häftlingen wurde das Lied zuerst bekannt durch die grausame Methode das Stück einzuüben. 11.000 Gefangene wurden in stundenlanger Arbeit in der Kälte dazu gezwungen das Lied zu singen bis sie es perfekt vorstellen konnten. Der Lagerführer schien relativ beschränkt zu sein, so war er begeistert von dem Lied, obwohl ein eindeutiger Revolutionscharakter zu erkennen war. Er bemerkte auch nicht, dass das Lied für die Häftlinge trotz dem bestialischen Zwang es zu üben eine Art Hymne wurde.


Die Geschichte dieser Orte ist deshalb auch eine Geschichte von Liedern, die Menschen hier in Situationen der Erniedrigung, des Eingesperrt- und Ausgeliefertseins, in Verhältnissen des Terrors und Todes geschrieben und gesungen haben.


In den Strophen beschreibt das Lied hauptsächlich den Lageralltag auf relativ nüchterne Weise. Die Sehnsüchte, sorgen und unmenschlichen Lebensbedingungen werden dargestellt, jedoch nicht ohne gleichzeitig die Kraft und den Willen zu Überleben in den Vordergrund zu stellen. Der Optimismus nimmt mit jeder Strophe eine größere Bedeutung ein, sodass in der dritten und letzten Strophe nach der resignierten Feststellung "die Nacht ist so kurz und der Tag so lang" eine ausschließlich positive Einstellung folgt. "Doch ein Lied erklingt, das die Heimat sang, wir lassen uns den Mut nicht rauben! Halte Schritt Kamerad und verliere nicht den Mut, denn wir tragen den Willen zum Leben im Blut und im Herzen, im Herzen den Glauben!"

Vor allem der Refrain wurde für die Häftlinge zum Ausdruck der Hoffnung: "O Buchenwald ich kann dich nicht vergessen, weil du mein Schicksal bist. Wer dich verließ, der kann es erst ermessen wie wundervoll die Freiheit ist! O Buchenwald wir jammern nicht und klagen und was auch unsre Zukunft sei - |:Wir wollen trotzdem "ja" zum Leben sagen, denn einmal kommt der Tag – dann sind wir frei:|

Bezeichnend ist vor allem der Entschluss das Leben zu bejahen und die überzeugte Hoffnung eines Tages frei zu sein. Betont wird diese eigentliche Grundaussage des Liedes durch die Wiederholung und ihre Stellung am Schluss des Stückes. Bald war das Lied im ganzen Land bekannt.

Abschließend kann man also feststellen, dass es durchaus mehrere Möglichkeiten gibt die KZ-Lieder zu kategorisieren und dass jede dieser Lösungen viele Schwierigkeiten und Grenzfälle birgt. Wichtig ist vor allem die große Bedeutung von Musik im KZ. Lieder können erniedrigen oder Hoffnung schenken, Glauben unterdrücken oder bestärken und boten sowohl den Mitgliedern der SS als auch den Häftlingen die Möglichkeit ihre Interessen durchzusetzen.

Laura Brücker

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Die Häftlingskapelle in Buchenwald

Nach einem Bericht des ehemaligen Häftlings und Leiters der Kapelle Vlastimil Louda

Vlastimil Louda war seit dem 11.12.1940 in Buchenwald interniert und übernahm 1943 die Leitung der Kapelle. Die Gründung der Kapelle sollte den Anschein erwecken, dass den Häftlingen eine Möglichkeit zum kulturellen Genuss gegeben wird. In Buchenwald wurde die Häftlingskapelle zusammengestellt, um den Häftlingen "durch Musik eine bessere Stimmung in ihr eintöniges Leben zu bringen". Dies bewies sich jedoch bald nur als Schein, da die Kapelle wie jedes andere Arbeitskommando behandelt wurde und nur zu der Erhaltung der Ordnung in den marschierenden Häftlingskolonnen benutzt wurde. In verschiedenen KZ wurde den Häftlingen erlaubt sich ihre eigenen Instrumente schicken zu lassen, sodass sie zwei mal die Woche für ihre Kameraden musizieren konnten. Dies wurde jedoch nur gestattet, um die Grausamkeiten ein wenig zu verschleiern.

Die Lagerkapelle wurde 1938 auf Befehl des damaligen Kommandanten Roeder zusammengestellt. Sie wurde notdürftig aus dem Wenigen zusammengestellt, was im Lager vorhanden war. Es waren meistens "Zigeuner" mit Gitarren und sogenannte Asoziale die mit Mundharmonika musizierten. Später kamen eine Trommel, eine Posaune und zwei Trompeten hinzu. Alles musste von den Häftlingen besorgt werden und die SS gab ihnen keine Hilfe. Der Lagerführer sah die Kapelle nur als Verschwendung von Arbeitspotential und als "Übel" an. Sie hatte zwei mal täglich zu spielen, einmal zum Abmarschieren und dann zur Wiederkehr der Arbeitskommandos.

Die Musikanten mussten weiter tagsüber am Holzplatz oder in der Schreinerei arbeiten. Wenn dann am Abend die blutenden und verwundeten Kameraden von der Arbeit zurückgeführt wurden mussten sie lustige Zigeunermärsche spielen. Meistens stand ihnen dann noch zusätzlich der Prügelbock gegenüber, an welchem sich die SS-Männer abwechselten, um so noch genügend Kraft für Hiebe ausüben zu können.

Im Jahre 1939 entstand auf Anordnung der SS das sogenannte "Lagerlied", wofür der Verfasser eine Prämie erhielt. Gleichzeitig entstand das Judenlied, welches nur für Juden bestimmt war und ihre "Rasse" und ihr Volk beleidigte. Dieses Lied musste von allen Juden gelernt und auf dem Appellplatz gesungen werden. Dies war insbesondere der Fall, wenn "besserer" Besuch angemeldet war. Die Häftlinge mussten selbstverständlich deutsche Marschlieder lernen und jeder musste mitsingen, wenn er nicht bestraft werden wollte. So standen sie oft 2 Stunden ausgehungert und am Rande ihrer Kräfte auf dem Appellplatz und sangen die Lieder, die ihre Nationalität und Muttersprache diskriminierten, währen die SS Männer mit Knüppeln um die Blocks gingen. Dieses Verfahren wurde zur Abstumpfung der Gefangenen benutzt, um sie vollständig aus der Gesellschaft auszustoßen.

Im Jahr 1940 entschloss sich der SS-Hauptsturmführer Florstedt, eine ordentliche Blaskapelle zusammenzustellen, die mit allen erforderlichen Instrumenten ausgestattet werden solle. Die Kosten in Höhe von 5500,- RM würden von der örtlichen Wirtschaftsverwaltung übernommen werden, so versicherte er. Im gleichen Jahr wurden dann auch die Instrumente bestellt, die dann 1941 eintrafen. Jedoch hieß es nun: "Die Rechnung bezahlen die Juden". Diese konnten das Geld jedoch nicht aufbringen und so sammelte das ganze Lager, bis der Betrag bezahlt werden konnte. Auf Befehl des SS-Hauptsturmführers bediente sich der Kapellmeister des SS-Musikzuges an den eingegangenen Instrumenten. So beschlagnahmte er zwölf von ihnen. Erst 14 Tage vor der Befreiung des KZ gelang es Vlastimil Louda diese Instrumente zurückzubekommen. Die nun trotz alledem verstärkte Blaskapelle bestand aus 16 Musikanten unter denen 12 Trompeten und 4 Posaunen waren, die alle von anderen Arbeiten befreit waren.

Vormittags waren Proben der Bläser und nachmittags zwei bis vierstündige Proben der Streicher. Auf diese Proben wurde bald von sämtlichen Blockführern Einfluss genommen, sodass nun alle möglichen Schlager in den Proben gespielt werden mussten. So wurde in den 4 Stunden ein Schlager bis zu 16 mal wiederholt. Täglich wurden die unterernährten Musiker gezwungen, etwa 25 bis 30 Märsche, mit nur kurzer Pause, die meistens entfiel, am Tor zu spielen. Als Folge dessen schieden 6 von ihnen wegen Lungenschwäche und Tuberkulose aus und einer erlag seiner Kehlkopf-Tuberkulose. Schon 1941 wurde die Lagerkapelle bei "höheren" Besuchen eingesetzt um besseren Eindruck zu machen. In diesem Zusammenhang erhielten die Mitglieder auch gestohlene Uniformen von der jugoslawischen königlichen Garde.

Im gleichen Jahr wurden 1000 russische Kriegsgefangene eingeliefert und die Arbeitsleistung wurde erhöht. Die Musikanten mussten wie üblich am Tor stehen und spielen während die Toten hereingetragen wurden, die bei den Arbeitseinsätzen ums Leben gekommen waren. Es gab keine Pausen, auch wenn sie vor Tränen nichts mehr erkennen konnten oder das Mundstück nicht mehr halten konnten. So mussten sie auch mit ansehen wie die politischen Gefangenen halbtot aus dem Bunker zum Richtplatz getragen wurden, während sie weiter musizierten. Weiterhin kamen die Leibesübungen unter SS-Obersturmführer Gust hinzu, bei denen sie 2,5 Stunden "AUF" und "NIEDER" machen mussten. Bei einer dieser Übungen blieb ein Kamerad von Louda auf dem Platz und er büßte einen Zahn ein. Von Seiten der SS konnte sich die Lagerkapelle keine Hilfe erhoffen und so bekamen sie für Bedürfnisse außerhalb des Lagers keinen Pfennig.

1943 musste Louda dann die Leitung der Kapelle übernehmen, wobei er bemüht war die Kapelle zu vergrößern um soviel Menschen wie möglich der "kriegswichtigen" Produktion zu entziehen. So hatte die Blaskapelle bald 32 Musiker und das Streichorchester 84. Er veranstaltete unter dem Deckmantel des "Konzerts" Kabaretts, um seinen Mithäftlingen Menschlichkeit und andere soziale Eigenschaften beizubringen. Doch sein größtes Ziel war nach seinen Angaben, auf seine Kameraden einzuwirken und ihnen Mut zu machen.

Florian Blauth

Zitat aus den Arbeitsergebnissen der Leistungskurse Musik und Geschichte des Gymnasium Bethel, Bielefeld.
Praktikum im ehemaligen Konzentrationslager Buchenwald im März 2004 → Die Arbeitsergebnisse


"Wer das Lied nicht kannte, der wurde geprügelt"

In nahezu allen nationalsozialistischen Lagern gab es Musik als Teil des Häftlingsalltags. Eines der ersten Lagerorchester entstand in Dachau, offiziell organisiert in Lagerkapellen und Chören, beim Singen auf Befehl (als Schikane, Verspottung und zur psychischen Zerstörung der Gefangenen), aber auch inoffiziell in kleineren Musikensembles, illegalen Konzerten und dem Singen verbotener Lieder. Darüber hinaus wurden zahlreiche KZ-Lieder komponiert, welche zum Teil in den offiziellen Lieder-Kanon der KZ aufgenommen wurden, etwa die Lagerhymne vom KZ Buchenwald, das Moorsoldatenlied aus dem KZ Börgermoor, das Dachaulied oder das "Lied vom heiligen Caracho" aus dem Lager KZ Sachsenhausen. Besonders ausgeprägt war das Musik- und Kulturleben in Theresienstadt, wo Viktor Ullmann und andere Komponisten tätig waren. In Auschwitz gab es seit Januar 1941 ein Männerorchester, sowie eine Lagerkapelle in Auschwitz-Birkenau unter der Leitung von Szymon Laks und das von Alma Rosé gegründete Frauenorchester. Besonders ausgeprägt war das Musik- und Kulturleben in Theresienstadt, wo Viktor Ullmann und andere Komponisten tätig waren. In Auschwitz gab es seit Januar 1941 ein Männerorchester, sowie eine Lagerkapelle in Auschwitz-Birkenau unter der Leitung von Szymon Laks und das von Alma Rosé gegründete Frauenorchester. Es gab nicht nur das "Lied der Moorsoldaten". Lieder der Verfolgten und Deportierten durchziehen das nationalsozialistischen Lagersystem von Anfang bis Ende. Sie erklangen überall, in Gefängnissen, Zuchthäusern und Ghettos ebenso wie in den Konzentrationslagern.

Quellenwerk: Wikipedia

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Die Hauptwache des KZ Buchenwald Ende 1943. Gefangene müssen vor dem steinernen Adler auf der Mittelsäule ihre Mützen ziehen. Am Ende des Carachoweges befindet sich das Lagertor. (Bild: Musee de la Resistance et de la Deportation, Besancon)

(...) Auf dem Weg zum Haupttor des "Schutzhaftlagers" hatten die Häftlinge des KZ Buchenwald einen Wegweiser zu passieren, der das unverdächtige Motto trug: "doch stets ein frohes Lied erklingt".(1) Wer dahinter jedoch eine menschliche Geste vermutete, musste schon bald die leidvolle Erfahrung machen, dass Johann Gottfried Seumes Sinnspruch "Wo man singt, da lass dich ruhig nieder, böse Menschen kennen keine Lieder" sich allerspätestens in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern als bloßes Wunschdenken erwies. Denn das auf Anweisung der SS von Inhaftierten geschnitzte Holzschild bezeichnete den "Caracho-Weg"(2); die darauf angebrachte Darstellung einer Gruppe spurtender Häftlinge verwies darauf, dass diese gefürchtete Straße von den Arbeitskommandos beim Ein- und Ausrücken oftmals singend und im Laufschritt zurückgelegt werden musste. (...) Von Gefangenen als Ausdruck ihrer Ängste, Sehnsüchte und Hoffnungen aus eigenem Antrieb geschaffen, wurde dieses Lied von der SS später sogar ins offizielle Repertoire der KZ-Lagerlieder aufgenommen.

1: Vgl. Buchenwald. Mahnung und Verpflichtung. Dokumente und Berichte. Hg. im Auftrag der Föderation Internationale des Resistants (FIR) vom Internationalen Buchenwald-Komitee der Antifaschistischen Widerstandskämpfer in der Deutschen Demokratischen Republik. Dritte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Berlin.
Abbildungsteil, Abb. 14; Schneider, Wolfgang: Kunst hinter Stacheldraht. Ein Beitrag zur Geschichte des antifaschistischen Widerstandskampfes. Weimar 1973, S. 48.
2: Als Reaktion auf die Anweisung der SS, sich im Laufschritt zu bewegen, verfassten selbstironische Häftlinge im KZ Sachsenhausen illegal "Das Lied vom heiligen Caracho"

Aus: Guido Fackler, "Lied und Gesang im KZ"; 2001, pp. 141-198

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Das Lied vom Heiligen Caracho

Kommt nach Sachsenhausen man, jumheidi. jumheida,
trifft man einen Heil'gen an, jumheidi, heida,
den Sachsenhausen hoch verehrt,
auch wenn die Welt sich nicht drum schert.
Jumheidi, jumheida, jumheidi, jumheida,
jumheidi. jumheida. jumheidi. heida.
Caracho heißt der Heilige, jumheidi. jumheida.
er ist fürs Schnelle, Eilige, jumheidi, heida.
Andacht und Ruhe stehn ihm schlecht, Geschrei und Hetze sind ihm recht. Jumheidi...
Des Morgens, wenn es viere schlägt, jumheidi, jumheida,
sich lustig schon Caracho regt, jumheidi, heida.
"Ihr Kerle, seid ihr noch nicht munter? Kommt die Fliegerdeckung runter?" Jumheidi...
Mit Caracho geht's zum Waschraum rein, jumheidi, jumheida,
der Mensch ist schließlich ja kein Schwein, jumheidi, heida.
Die Zahneputzer in der Ecke bringt mit Caracho man zur Strecke. Jumheidi...

Lagertempo Sachsenhausen, jumheidi, jumheida,
im Laufschritt stets die Hacken sausen, jumheidi, heida.
Ob Klinker, Speer, Kanal, Transport*
- Caracho regiert hier wie dort Jumheidi...
Beim Baden stehst du lange draußen, jumheidi, jumheida,
um mit Caracho dann zu brausen, jumheidi, heida,
sollt' Seife für den Körper fehlen, Caracho reinigt auch die Seelen. Jumheidi...
Und in der Freizeit selbst das Essen, jumheidi, jumheida,
Caracho macht daraus ein Fressen, jumheidi, heida.
Bestellungen - Portionsempfang und Wasche wechseln mittenmang. Jumheidi...

Nur im stillen ich mich frag: jumheidi, jumheida,
warum bringt den Entlassungstag, jumheidi, heida,
Caracho uns nicht bald in Sicht? Kann er nicht - oder will er nicht? Jumheidi...
Ach, lieber heil'ger Caracho! Jumheidi, jumheida.
hör meines Herzens Ach und Oh, jumheidi, heida,
und bring im Laufschritt uns herbei den Tag, an dem wir wieder frei! Jumheidi...

* Klinker, Speer, Kanal, Transport: Außenlager des Konzentrationslagers Trotz allen Leids kam in Sachsennausen der Humor nicht zu kurz Dieses Lied ist ein Beispiel für den ungebrochenen Lebensmut der Häftlinge. Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges wurde der Befehl erteilt, sämtliche Bewegungen im Laufschritt zu vollziehen.
Melodie nach dem Studentenlied "Studio auf einer Reis".

Unbekannter Verfasser
Aus: Katja Klein, Kazett - Lyrik. Veröffentlicht 1995. ISBN:3826010574.
Quelle: Veröffentlichung der Deutschen Akademie der Künste zu Berlin S. 62 - 64.

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Bunalied

Steht am Himmel noch freundlich Frau Luna,
erwacht das Lager der Buna,
steigt empor die schlesische Sonne,
marschiert die Arbeitskolonne.
und auf Schritt und Tritt geht das Heimweh mit
und das schwere Leid dieser schweren Zeit,
doch die Arbeit winkt
und das Lied erklingt:

Nur die Arbeit macht uns frei,
an ihr geh’n die Sorgen vorbei,
nur die Arbeit lässt uns vergessen
alles das, was wir einst besessen.
Nur die Arbeit macht uns hart,
wenn uns das Schicksal genarrt,
und die Zeit vergeht und das Leid verweht,
nur das Werk unsrer Hände besteht.

Song of Buna

If Mrs. Luna still stands friendly in the sky,
the camp of Buna awakes,
the Silesian sun rises high,
the work crew marches on.
And at every turn homesickness accompanies them
and the heavy song of this heavy time,
but work waves to us
and the song resounds:

Only work will set us free,
Through work our sorrows will pass,
only work will let us forget
everything that we once possessed.
Only work will make us tough,
When fate has had the best of us,
And when time has passed and suffering blown over,
only the work of our hands will remain.

Concentration Camp Auschwitz-Buna, presumably 1942
Lyrics: Fritz Löhner-Beda,
Music: Anton Geppert

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Dachaulied

Stacheldraht, mit Tod geladen,
ist um uns're Welt gespannt.
D'rauf ein Himmel ohne Gnaden
sendet Frost und Sonnenbrand.
Fern von uns sind alle Freuden,
fern die Heimat, fern die Frau'n,
wenn wir stumm zur Arbeit schreiten,
Tausende im Morgengrau'n.

Refrain:
Doch wir haben die Losung von Dachau gelernt
und wurden stahlhart dabei.
Sei ein Mann, Kamerad.
Bleib ein Mensch, Kamerad.
Mach ganze Arbeit, pack an Kamerad.
Denn Arbeit, Arbeit macht frei.

Vor der Mündung der Gewehre
leben wir bei Tag und Nacht.
Leben wird uns hier zu Lehre,
schwerer als wir's je gedacht.
Keiner mehr zählt Tag' und Wochen,
mancher schon die Jahre nicht.
Und so viele sind zerbrochen
und verloren ihr Gesicht.

Schlepp den Stein und zieh den Wagen,
keine Last sei dir zu schwer.
Der du warst in fernen Tagen,
bist du heut' schon längst nicht mehr.
Stich den Spaten in die Erde,
grab dein Mitleid tief hinein,
und im eig'nen Schweiße werde
selber du zu Stahl und Stein.

Einst wird die Sirene künden;
auf zum letzten Zählappell.
Draußen dann, wo wir uns finden
bist du, Kamerad zur Stell'.
Hell wird uns die Freiheit lachen,
vorwärts geht's mit frischem Mut.
Und die Arbeit, die wir machen,
diese Arbeit, sie wird gut.

Text: Jura Soyfer; Musik: Herbert Zipper

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Herbert Zipper berichtete im Jahre 1988 der Österreichischen Musikzeitschrift, wie das Dachau - Lied tatsächlich entstand:

Im August 1938 im Konzentrationslager Dachau: Jura Soyfer und ich mußten eine ganze Woche lang einen Lastwagen mit Zementsäcken beladen, die außerhalb des Lagers gestapelt waren. Anschließend mußten wir diesen Wagen ins Lager ziehen und wieder entladen. Deshalb sind wir täglich bis zu dreißigmal durch das Eingangstor des Lagers durchgegangen. Eines Tages - es war, glaube ich, der dritte oder vierte Tag - sagte ich zu Jury, der an derselben Stange wie ich gezogen hat: "Weißt Du, diese Aufschrift über dem Tor -Arbeit macht frei - ist wirklich ein Hohn. Wir müssen unbedingt ein Widerstandslied machen, unseren Mitgefangenen ein bißchen Mut geben." Und Jura antwortete: "Ja, ich glaube, ich habe sogar schon daran gearbeitet."

"Es war etwa drei Tage später - wir mußten dann in einer Kiesgrube arbeiten, wo wir bis zum Bauch im Wasser gestanden sind -, als Jura zu mir kam und sagte, daß er schon fertig sei und mir den Text vortrug, denn aufschreiben konnte man ihn natürlich nicht. Wenn man einen solchen Text gefunden hätte, dann wäre das eine Todesursache gewesen oder man wäre wirklich sehr, sehr unangenehm behandelt worden. Und so habe ich den Text eben auswendig gelernt." Jura Soyfer sagte dem Mitgefangenen den Text zwei- oder dreimal vor. dann konnte dieser beginnen, den Text zu vertonen. Zipper war es gewohnt, im Kopf zu komponieren. Das war im KZ von Vorteil, denn er mußte nichts aufschreiben - was er sich auch nicht getraut hätte.

Das Dachau-Lied ist ein Marschlied, in dem sich die Häftlinge selbst Mut zusprechen. "Es muß so sein, daß die ersten drei Strophen nur die Umgebung, die Tatsachen, die Gefühle beschreiben, ohne wirklich die Foltern aufzuzählen -, daß geschlagen oder aufgehängt wird. Das wollten wir beide nicht.

Nein, es ist nämlich viel stärker, in allen Kunstwerken, wenn es sich um die menschliche Bestialität handelt, nicht die Gewalttätigkeit selbst zu zeigen, sondern sie in der Vorstellung des Zuhörers entstehen zu lassen, weil die Vorstellung immer stärker ist als die Wirklichkeit. Das haben wir besprochen, obwohl es ein Kampflied sein sollte. Schon in der ersten Zeile "Stacheldraht mit Tod geladen", da fühlt man bereits die Situation. Oder "Vor der Mündung der Gewehre leben wir bei Tag und Nacht". Das sind Andeutungen, die die Atmosphäre wirklich beschreiben, aber nicht die Gewalttätigkeit selbst. Wir verlangen nur "Heb den Stein und zieh den Wagen", was wir wirklich gemacht haben, aber erwähnen nicht die Greueltaten.

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Herbert Zipper erinnert sich auch noch, wie zwei Gitarristen und ein Geiger das Lied im KZ erlernten, und wie es verbreitet wurde. "Ich weiß noch, daß ich es ein paar Tage mit mir herumgetragen und mir gedacht habe, was ich machen soll, und dann ist mir ein sehr guter Geiger, der der Kapo war, eingefallen, der sich sofort bereit erklärte, das Lied zu erlernen. Jura hat den einen Gitarristen gekannt, und ich habe mit dem anderen gearbeitet. An einem Abend habe ich es mit dem Geiger einstudiert. Wir hatten ungefähr eineinhalb Stunden Zeit, bevor die Sirene ertönte Danach durfte man ja nicht mehr auf sein, sonst wurde man sofort erschossen. Da habe ich ihm das Lied beigebracht, am nächsten Tag wiederholten wir es, und da haben sie es alle drei schon gesungen ..."

Ein Schlaglicht auf die Verhältnisse im Dachauer Konzentrationslager werfen auch Herbert Zippers Erinnerungen an die sogenannten Sonntagskonzerte im KZ: "Konzerte ist ein übertriebener Ausdruck. Wir hatten keine wirklichen Instrumente, sondern von den Gefangenen selbst gebaute Gitarren und Streichinstrumente. Wir spielten jeden Sonntag für einige Hundert Gefangene ein 10 bis 15 Minuten langes Programm mit allen Arten von Musik, die ich während der Woche geschrieben hatte Andere Gefangene haben wahrend der Woche unbedruckte Reste von Zeitungspapier gesammelt, diese Reste zusammengeklebt und liniert, so daß ich Musik schreiben konnte. Natürlich habe ich keine Partituren geschrieben, sondern Stimmen, die wir am Nachmittag eine Stunde probierten. So hatten wir jeden Sonntag nachmittags ein Programm fertig. Das war natürlich nicht immer eigene Musik, viele Gefangene wollten etwa die Habanera aus "Carmen" hören und andere Musik, die das Allgemeingut der Menschheit war. Ich glaube, daß es diese Sonntagnachmittage waren, die vielen, vielen Gefangenen die nächste Woche ermöglicht haben, so daß sie keinen Selbstmord begingen, denn Selbstmord war zu jener Zeit gang und gäbe."

Zitiert nach: Süddeutsche Zeitung (Dachauer Neueste), 04. Januar 1989, S. 2

Paul Cummins, der Biograph von Herbert Zipper, beschreibt die Verbreitung des Dachauliedes in folgender Weise:

"Somehow the Dachau Lied made its way out of Dachau to other prison camps - to France and Holland, even to England and Mexico. The song survived the war throught the oral tradition and was published in East Germany in an anthology of antifascist songs of concentration camps. In 1953 Zipper received a letter from the East German Ministry of Culture asking if he was the H. Zipper who wrote the "Arbeit Macht Frei" song. In the meantime the collected works of Jura Soyfer were published with the song included. It is clear, as so many other writers have noted, that works of art once created often have a life of their own. "Dachau Lied" was one such creation."

Paul Cummins, Dachau Song. The Twentieth Century Odyssey of Herbert Zipper, New York, Berlin, Bern, Frankfurt/Main, Paris, Wien 1992, p. 89ff.

Zipper wurde im Februar 1939 aus dem KZ Buchenwald entlassen. Soyfer starb im Februar 1939 im KZ Buchenwald an Typhus.

"Stacheldraht, mit Tod geladen ..."

Lagerlied, KZ Buchenwald

Singen sei "das Fundament zur Musik in vielen Dingen", äußerte einmal der Komponist Georg Philipp Telemann. Singen bildete auch in den Konzentrationslagern eine elementare Ebene der Musikausübung, verfügbar ohne großen materiellen Aufwand und meist auch ohne größere Vorbildung. Freilich wurde das Singen in den KZ nicht weniger als die Arbeit der Häftlingskapellen durch konträre Funktionen geprägt.
Einerseits war es Teil des traumatischen Unterdrückungsapparats der SS: Gesungen werden musste häufig während harter körperlicher Arbeit. Dadurch sollte das Arbeitstempo in konstantem Takt gehalten werden; nach Kriegsbeginn wurde die Drangsal in vielen Lagern durch Einführung des Laufschritts bei der Arbeit nebst Singen noch erhöht. Eugen Kogon berichtet aus dem KZ Buchenwald von dem "Kommando Fuhrkolonne", welches nur von wenigen Häftlingen überlebt werden konnte: "15 bis 20 Mann als Gespann eines schwer beladenen Wagens, an Stelle von Pferden in Gurte gespannt, im Laufschritt vorwärtsgetrieben. Ein SS-Führer fährt mit dem Motorrad voraus, um das Lauftempo der Kolonne anzugeben, die außerdem singen muss! Die Lagerführer Plaul und Kampe hatten schon als Unterscharführer im KZ Sachsenburg für ein solches Fuhrkommando den die SS begeisternden Ausdruck "Singende Pferde" geprägt."

Gesungen werden musste oft auch beim Strafsport, zur Ankunft neuer Häftlinge - z. B. das Lied "Alle Vögel sind schon da" - oder zur eigenen Verhöhnung. So hatte sich die SS für die jüdischen Häftlinge des KZ Buchenwald den folgenden Schmähgesang einfallen lassen: Jahrhundert haben wir das Volk betrogen, kein Schwindel war uns je zu groß und stark, wir haben geschoben nur, gelogen und betrogen, sei's mit der Krone oder mit der Mark. (...) Jetzt hat der Deutsche uns durchschauet und hinter sichern Stacheldraht gebracht. Uns Volksbetrügern hat es längst davor gegraut, was wahr geworden plötzlich über Nacht. Nun trauern unsere krummen Judennasen, umsonst ist Hass und Zwietracht ausgesät. Jetzt gibt's kein Stehlen mehr, kein Schlemmen und kein Prassen, es ist zu spät, für immer ist's zu spät." Die Häftlinge wurden zur Selbstentwürdigung gezwungen. Sie hatten dieses Spottlied, das als "Judenlied" kursierte, in gesonderter Formation zu singen.

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Während für die einen in den Lagern Musik eine unerträgliche Qual war, und zwar nicht nur die verordnete, sondern ebenso die aus eigenem Antrieb gespielte oder gesungene, suchten andere gerade im Musizieren, vor allem im Singen, geistige Freiräume, eine "andere Welt", Nischen der Selbstbehauptung. Dazu war freilich eine Willenskraft nötig, die sich menschlicher Vorstellungskraft entzieht. Unter den Lagerbedingungen erhielten manche Lieder, über deren Textinhalte sonst eher hinweg gesungen wird, eine geradezu brisante Bedeutung, zum Beispiel "Die Gedanken sind frei". Die Weit der Imagination, der Phantasiekraft, der Gedanken war die letzte Freiheit, die die entrechteten und gefolterten Menschen für sich bewahren konnten, das Reservoir, in welchem auch Sehnsüchte noch vor dem Scheiterhaufen gerettet werden konnten: "Kein Mensch kann sie wissen, kein Jäger erschießen", heißt es im Lied, aber auch: "Und sperrt man mich ein im finsteren Kerker, das alles sind rein vergebliche Werke; denn meine Gedanken zerreißen die Schranken und Mauern entzwei."

Singen konnte eine Form des Widerstandes darstellen

Neben bereits vorhandenen bekannten Liedern entstanden - aus der Situation heraus - neue, zumeist mit ironischen Anspielungen auf das Lagerleben. "Galgenlieder", die ein "Stück Weltanschauung" offenbaren, in der sich "die skrupellose Freiheit des Ausgeschalteten, Entmaterialisierten (…) ausspricht" (Christian Morgenstern). So wurde die SS-Parole "Caracho" in Sachsenhausen zum Anlass einer Karikatur, deren ironischer Gestus noch durch die heitere Melodie des Liedes "Auf der Festung Königstein" verstärkt wurde. Heiterkeit vermochte partiell seelische Zwänge, wenigstens für Augenblicke, zu lockern, auf der anderen Seite hatte für viele alles Singen bereits aufgehört. Sie konnten angesichts der Bedingungen, unter denen Musik zur Tortur wurde, Töne, Klänge, Melodien, Harmonien nicht mehr als Genuss wahrnehmen.

In vielen Lagern existierten Lagerhymnen, einige waren von der SS beauftragt worden, andere als heimliche Opposition und Ausdruck unverrückbaren Solidarverhaltens entstanden. Zu diesen zählte das Dachau-Lied "Stacheldraht, mit Tod geladen" von Jura Soyfer und Herbert Zipper. Von Mund zu Mund weitergegeben, ergriff es innerhalb kurzer Zeit das gesamte Lager. Die Parole "Arbeit macht frei", die nicht allein in Dachau als zynische Lagertor-Aufschrift angebracht war, wurde vom Textautor in ihrer Bedeutung umgekehrt: Trotz aller Barbarei "bleib ein Mensch, Kamerad", bleibe stark, bewahre für dich und deinen Mithäftlingen das Bewusstsein, ein Mensch zu sein! Viele der Gefangenen vermochten das Lied als eines der "ihren" anzuerkennen und sich mit ihm zu identifizieren.

Quelle: Triangel, Februar 1999, mdr Kultur-Programmjournal für Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, S. 44 ff)

Die Moorsoldaten - wie das Lied entstand

Die Moorsoldaten

Im Konzentrationslager Börgermoor bei Papenburg werden 1933 in einer Nacht die Gefangenen von den SS-Wachen unmenschlich verprügelt. Nach dieser "Nacht der langen Latten" entsteht bei den Insassen der Plan, etwas für die eigene Ehre zu tun. Man will an einem Sonntag eine Theatervorstellung aufführen, den "Zirkus Konzentrazani", um den Peinigern zu zeigen, dass die Gefangenen nicht den Lebensmut verloren haben. Heimlich entsteht für diese Veranstaltung das Lied "Die Moorsoldaten". Am Schluss der Vorstellung erklingt es zum ersten Mal. Einer der Autoren, Wolfgang Langhoff, erinnert sich: Und dann hörten die Lagerinsassen zum erstenMal das "Börgermoorlied", das inzwischen schon eine volksliedhafte Popularität erreicht hat. Einer sagte: "Kameraden, wir singen euch jetzt das Lied vom Börgermoor, unser Lagerlied. Hört gut zu und singt dann den Refrain mit." Schwer und dunkel im Marschrhythmus begann der Chor: Wohin auch das Auge blicket ... Tiefe Stille! Wie erstarrt saß alles da, unfähig mitzusingen, und hörte noch einmal den Refrain: Wir sind die Moorsoldaten und ziehen mit dem Spaten ins Moor ... Leise und schwermütig begannen einige Kameraden mitzusummen. Sie blickten nicht nach rechts und nicht nach links. Ihre Augen sahen über den Stacheldraht weg, dorthin, wo der Himmel auf die endlose Heide stieß. Ich sah den Kommandanten. Er saß da, den Kopf nach unten und scharrte mit dem Fuß im Sand. Die SS still und unbeweglich. Ich sah die Kameraden. Viele weinten.

Auf und nieder gehn die Posten, Keiner, keiner, kann hindurch. Flucht kann nur das Leben kosten, ... Diese Strophe hatten die Kameraden sehr leise gesungen und setzten plötzlich laut und hart mit der letzten Strophe ein: Doch für uns gibt es kein Klagen, Ewig kanns nicht Winter sein! Einmal werden froh wir sagen: Heimat, du bist wieder mein! Dann ziehn die Moorsoldaten nicht mehr mit dem Spaten Ins Moor! Damit schloß unsere Veranstaltung, und die einzelnen Baracken zogen diszipliniert und ruhig in ihre Quartiere zurück. Das Moorsoldatenlied wurde zwei Tage später vom Kommandanten verboten. Aber die SS-Leute kamen immer wieder und sagten: Habt ihr nicht das Lied? Wir haben es oft aufgeschrieben. In der Schreinerei haben wir Stämme schräg abgeschnitten und darauf die Verse geschrieben, auf diese Holzscheiben. Überhaupt hat uns das Lied viel geholfen. Wenn irgendeine Veranstaltung war, wenn ein Kamerad verabschiedet wurde, der entlassen wurde, dann haben wir für ihn die erste und meist auch die letzte Strophe gesungen.

Die Moorsoldaten

Wohin auch das Auge blicket,
Moor und Heide nur ringsum.
Vogelsang uns nie erquicket,
Eichen stehen kahl und krumm.
Wir sind die Moorsoldaten
und ziehen mit dem Spaten ins Moor.

Hier in dieser öden Heide
ist das Lager aufgebaut,
wo wir fern von jeder Freude
hinter Stacheldraht verstaut.
wir sind die Moorsoldaten
und ziehen mit dem Spaten ins Moor.

Morgens ziehen die Kolonnen
in das Moor zur Arbeit hin,
graben bei dem Brand der Sonnen,
doch zur Heimat steht ihr Sinn.
Wir sind die Moorsoldaten
und ziehen mit dem Spaten ins Moor.
Heimwärts, heimwärts! Jeder sehnet
sich nach Eltern, Weib und Kind.
Manche Brust ein Seufzer dehnet,
weil wir hier gefangen sind.
Wir sind die Moorsoldaten
und ziehen mit dem Spaten ins Moor.

Auf und nieder gehn die Posten,
keiner, keiner kann hindurch.
Flucht wird nur das Leben kosten.
Vierfach ist umzäunt die Burg.
Wir sind die Moorsoldaten
und ziehen mit dem Spaten ins Moor.

Doch für uns gibt es kein Klagen.
Ewig kann´s nicht Winter sein.
Einmal werden froh wir sagen:
Heimat , du bist wieder mein!
Dann ziehn die Moorsoldaten
nicht mehr mit dem Spaten ins Moor.

(Text: Johann Esser und Wolfgang Langhoff)

Hintergrundgrafik: "Wymarsz komand do praxy" ("Marsch zur Arbeit" – Aus dem Zyklus "Day of the prisoner", 1950) von Mieczyslaw Koscielniak, ehemaliger Häftling in Auschwitz. Im Hintergrund dirigiert ein Häftling seine Kameraden (published in M. Koscielniak: Bilder von Auschwitz, 2d ed.; Frankfurt, 1986)


Andreas Jordan, Juli 2008

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