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Lagerordnung KZ Esterwegen


Konzentrationslager Esterwegen1.8.1934

Kommandantur - Besondere Lagerordnung für das Gefangenen-Barackenlager Esterwegen

1. Zweck

Es bleibt jedem Schutzhaftgefangenen überlassen, darüber nachzudenken, warum er in das Konzentrationslager gekommen ist. Hier wird ihm Gelegenheit geboten, seine innere Einstellung gegen Volk und Vaterland zu Gunsten einer Volksgemeinschaft auf nationalsozialistischer Grundlage zu ändern, oder, wenn es der Einzelne für wertvoller hält, für die schmutzige 2. oder 3. Judeninternationale eines Marx oder Lenin zu sterben.

2. Einweisung in das Lager

Kein Gefangener darf im Lager Zivilkleidung tragen. Zivilkleidung und Effekten werden bei den Einlieferungen abgenommen und gesondert verwaltet.

Allen Neuzugängen sind die Kopfhaare radikal zu scheren. Wer mit Ungeziefer behaftet ist und bei der Einlieferung keine Meldung erstattet, wird bestraft.

Bei der Aufnahme der Personalien durch Beamte der Polit. Abtg. des K.L.E. hat sich jeder Häftling an die reine Wahrheit zu halten und gestellte Fragen gewissenhaft zu beantworten.

3. Meldepflicht für ansteckende Krankheiten

Wer mit einer ansteckenden oder übertragbaren Krankheit, oder mit Ungeziefer behaftet ist, hat bei der Einlieferung Meldung zu erstatten. Ein Gefangenen-Feldwebel oder Korporalschaftsführer, welcher innerhalb seines Barackenbereichs Ungeziefer (Wanzen, Läuse, Filzläuse usw.) aufkommen lässt, wird mit Arrest bestraft, ebenso wird ein Gefangener bestraft, welcher Ungeziefer einschleppt, diesen Zustand verschweigt, oder Meldung hierüber unterlässt.

Wo Ungeziefer aufkommt, fehlt es an der erforderlichen Sauberkeit der Personen oder Stuben. Wird der oben geschilderte Zustand mit Absicht herbeigeführt, dann werden die verantwortlichen Personen wegen Sabotage zur Verantwortung gezogen.

4. Zucht und Ordnung

Ohne Rücksicht auf Herkommen, Stand und Beruf befinden sich die Gefangenen ausnahmslos in einem untergeordneten Verhältnis.
Ob alt, ob jung, hat sich jeder an militärische Zucht und Ordnung vom ersten Tag an zu gewöhnen. Alle SS-Männer bis zum Kommandanten des Konzentrationslagers sind Vorgesetzte der Gefangenen; ihren Befehlen ist unverzüglich und ohne Widerrede Folge zu leisten. Die Befugnisse der SS-Männer sind durch besondere Lagervorschriften geregelt; eine Überschreitung dieser Befugnisse wird bestraft.

5. Ehrenbezeugung

Zur Förderung der Manneszucht sind die Gefangenen gezwungen, vor allen SS-Angehörigen militärische Ehrenbezeugung zu erweisen.
Wird ein Gefangener von einem SS-Manne angesprochen, so hat er militärische Haltung anzunehmen. Auf dem Marsche wird unter Blickwendung die Ehrenbezeugung erwiesen. Vor SS-Führern vom Sturmführer aufwärts wird die Ehrenbezeugung auf Befehl des SS-Mannes, welcher Abteilung führt, befohlen mit dem Kommando: "Augen rechts", beendet mit: "Rührt Euch". Dabei sind die Mützen abzunehmen.

Betritt ein Vorgesetzter eine Arbeitsstelle, dann wird die Kopfbedeckung nicht abgenommen, die Gefangenen arbeiten ungestört weiter. Meldung erstattet der Führer der Begleitperson und der Vorarbeiter der Gefangenen. Werden Gefangenen-Unterkünfte durch einen Vorgesetzten betreten, dann hat der nächststehende Gefangene durch den Ruf "Achtung" darauf aufmerksam zu machen. Der Stubenälteste meldet, die Belegschaft hat Haltung anzunehmen. Ehrenbezeugungen sind grundsätzlich zu erweisen, wenn ein Vorgesetzter das Lager betritt; sie sind zu unterlassen, wenn ein solcher ausserhalb des Drahtzaunes des Lagers den Postenweg abgeht.

6. Unterbringung

Die Schutzhaftgefangenen werden in Baracken untergebracht.
Jede Baracke bildet in sich eine Gefangenenkompanie. Die Gef.Kompanie untersteht einem SS-Unterführer als Kompanieführer, welcher aus den Reihen der Barackeninsassen einen Gefangenen-Feldwebel und die nötigen Korporalschaftsführer bestimmt. Die Gefangenen-Feldwebel und Korporalschaftsführer sind lediglich Ordnungsmänner innerhalb ihres Bereichs. Sie erhalten ihre Befehle durch den Gefangenenkompanieführer und sind verpflichtet, diese Befehle unter allen Umständen durchzudrücken. Sie sind angehalten, jeden Gefangenen, der sich nicht in die Ordnung fügt, dem Kompanieführer zu melden.

7. Barackenordnung

Die Unterbringung der Gefangenen in Baracken bestimmt der Führer des Schutzhaftlagers, bzw. sein Rapportführer. Die Gefangenen dürfen sich nur in den ihnen zugewiesenen Unterkunftsräumen aufhalten. Ein Gefangenen-Feldwebel, welcher Gefangenen anderer Baracken den Aufenthalt innerhalb seiner Belegschaft gestattet, wird zur Verantwortung gezogen. Wer eigenmächtig die für ihn bestimmte Unterkunft mit einer anderen vertauscht, wird bestraft. Das Rauchen in den Unterkünften ist streng untersagt. Auf die Behandlung der Feuerstätten und der Waschstellen sowie der Aborte ist größte Sorgfalt zu legen.

Beim Ertönen des Weckrufes ist das Nachtlager sofort zu verlassen und Betten und Stuben in Ordnung zu bringen, dabei sind die Fenster zu öffnen. Dem kontrollierenden Kompanieführer erstatten die Gefangenen-Feldwebel und die Korporalschaftsführer den Morgenrapport. Anschließend wird Kaffee empfangen. Während der Tageszeit darf kein Gefangener ohne Erlaubnis das Bett benützen. An der Bettstatt hat jeder Häftling ein Namensschild anzubringen. Die Gefangenen-Feldwebel haben außerdem ein Namensverzeichnis ihrer Belegschaft und ein Verzeichnis über die im Raume vorhandenen staatseigenen Gegenstände an sichtbarer Stelle anzubringen.

Die Unterkunftsstuben müssen sich zu jeder Zeit in einem musterhaften sauberen Zustand befinden. Gefangene, welche sich gegen die Stubenordnung, oder die Gefangenen-Feldwebel auflehnen, sind zu melden. Mindestens alle 3 Wochen werden die Gefangenen zum Baden geführt; wer sich vom Baden drückt, oder sich im übrigen nicht genügend körperlich sauber hält, wird unter Aufsicht von SS-Männern zur Reinigung geführt. Wäsche darf unter keinen Umständen zum Trocknen an die Grenzplatten der neutralen Zone gehängt werden. Bei Tage ist es gestattet, dieselbe längs der Baracken zum Trocknen aufzuhängen. Mit Einbruch der Dämmerung sind Fenster und Lagergassen von allen Wäschestücken freizuhalten. Kleider und Wäsche werden in der Wäscherei gereinigt.

8. Pflicht zur Arbeit

Die Gefangenen sind ausnahmslos zur körperlichen Arbeit verpflichtet. Stand, Beruf und Herkommen bleiben außer Betracht. Wer die Arbeit verweigert, sich von [sic!] ihr drückt, oder zum Zwecke des Nichtstuns körperliche Gebrechen oder Krankheiten vorschützt, gilt als unverbesserlich und wird zur Verantwortung gezogen. Die Arbeitszeit im ganzen Lager bestimmt ausschließlich der Lagerkommandant. Beginn und Ende der Arbeit wird durch Hornsignal oder durch die Werkstattglocke bekanntgegeben.

Über die festgesetzte Arbeitszeit hinaus und an Sonn- und Feiertagen kann mit Genehmigung des Kommandanten jederzeit gearbeitet werden, wenn es die Bedürfnisse des Lagers erfordern. Arbeitenden Gefangenen kann mit Genehmigung des Kommandanten Moorzulage gewährt werden.

9. Haftstufen

Die Schutzhaft wird in 3 Stufen vollzogen. Neuzugänge werden grundsätzlich der Stufe II zugeteilt.

A.) In die Stufe I (Entlassungsstufe) können versetzt werden, Gefangene, welche bereits 3 Monate sich im Konzentrationslager befinden, wenn sie folgende Bedingungen erfüllt haben:

    a) keinerlei Verstoß gegen die Lagervorschriften,
    b) nicht mit Arrest bestraft wurden
    c) stets arbeitswillig waren,
    d) ihre innere Einstellung zu Gunsten der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft grundlegend geändert haben,
    e) schriftlich erklären, dass sie sich endlich lossagen von den staatszerfressenden Idee des Marxismus eines Marx oder Lenin,
    f) die Namen ihrer früheren Funktionäre, soweit sie sich nicht schon im Lager befinden, schriftlich mitteilen.

Eine erhaltene Verwarnung (Verweis) verlängert die Schutzhaft um mindestens 3 Wochen, eine erhaltene Arreststrafe verlängert die Schutzhaft um mindestens 8 Wochen. Strafen (Arrest, Verwarnung, Verweis) kann nur der Lagerkommandant aussprechen.

B.) In die Stufe II werden versetzt:

    a) leitende politische Persönlichkeiten und Intellektuelle, deren bisheriges oder früheres Wirken als besonders verderblich für Volk und Staat anerkannt wurde,
    b) Gefangene, die mit strengem Arrest oder Einzelhaft bestraft wurden,
    c) Gefangene der Abteilung "Strafarbeit"
    d) kriminelle Schutzhaftgefangene,
    e) Juden und andere Personen, welche sich als Volksschädlinge, oder als gemeine politische Hetzer bemerkbar gemacht haben,
    f) ehemalige nationalsozialistische Führer, die das Vertrauen ihres obersten Führers in gewinnsüchtiger Weise missbraucht haben, oder als Lump und Verräter sich gezeigt haben,
    g) Gefangene, die in ihren Briefen zu erkennen geben, dass sie sich absolut nicht umstellen wollen.

C.) Eine Versetzung aus Haftstufe III nach Stufe II kommt nur für Gefangene in Frage, welche nach mehrmonatiger Haft durch besondere Führung, Einstellung und sonstiges Verhalten die Gewähr bieten, dass der Zweck der Schutzhaft wirklich erreicht ist. Den Nachweis darüber zu führen, ist Sache der Schutzhaftgefangenen. Nach weiterer 3-monatiger Haft in erworbener Stufe II kann, wenn die Bedingungen unter A erfüllt wurden, eine weitere Versetzung nach Stufe I erfolgen. Die Einstufung der Gefangenen werden im allgemeinen nicht bekanntgegeben, sondern in den Personalakten vermerkt. Eine äußerliche Kennzeichnung der Gefangenen nach Stufen unterbleibt. Durch einen Strafbefehl kann eine Einstufung zum Ausdruck gebracht werden.

10. Verhalten im Lager

Johlen, Schreien und überlautes Rufen ist im Lager untersagt. Die Baracken und Unterkünfte dürfen nur durch die vorgeschriebenen Eingänge betreten und verlassen werden. Wer bei Tag oder Nacht durch ein Barackenfenster steigt, sich ohne Auftrag auf Barackendächer begibt, Steine über die Lagermauer wirft, während der Nacht - zwischen Zapfenstreich und Wecken - die Baracke verlässt, wird ohne Aufruf erschossen. Die gleichen Folgen hat der Gefangene auf sich zu nehmen, welcher die durch Latten begrenzte neutrale Zone ohne Erlaubnis oder Auftrag betritt. Zusammenrottungen in der Nähe des Drahthindernisses an der Lattengrenze sind verboten. Wird dieses Verbot nicht beachtet, dann wird sofort geschossen. Befehle der Lagerposten sind unverzüglich zu vollziehen, einem Befehl kann, wenn erforderlich, mit der Waffe Nachdruck verliehen werden.

11. Unbefugtes Verlassen des Lagers

Wer das Lager ohne Begleitperson verlässt, wird als "fluchtverdächtig" behandelt. Wer in der Zwischenzeit nach dem Ausrücken der Arbeitskolonnen von einem SS-Mann oder SS-Führer oder SS-Sanitätsmann zu einer Arbeit bestimmt wird, hat sich vor Verlassen der Baracke bei seinem Kompanieführer abzumelden. Geschieht das nicht, wird er auch dann bestraft, wenn er in Begleitung der oben genannten SS-Männer das Barackenlager verlässt. Ein SS-Mann (Sanitäter) muss bei der Abholung im Besitze eines Arbeitszettels sein.

12. Lagerarzt

Der Lagerarzt ist nur für Kranke, aber nicht für Arbeitsscheue, da. Gefangene, welche sich durch eine grundlose oder zimperliche Krankmeldung von der Arbeit zu drücken versuchen, werden der Abt."Strafarbeit" zugeteilt. Wer sich zum Arzt meldet, hat am gleichen Tag dort zur Untersuchung zu erscheinen. Wer vom Arzt als arbeitstauglich befunden wird, erhält Strafarbeit. Angehörige der Strafabteilung, die sich grundlos zum Arzt melden, werden nach der Disziplinar- und Strafordnung bestraft.

13. Staatseigentum

Alle staatseigenen Gegenstände im Lager, in den Unterkünften und am Körper sind sorglich zu behandeln und so oft als erforderlich in der Freizeit zu reinigen und zu flicken. Wer staatseigene Gegenstände - gleich welcher Art - vom vorgeschriebenen Ort nach einem anderen verschleppt, vorsätzlich zerstört, verschleudert, oder zu einem andern als vorgeschriebenen Zweck verwendet, umarbeitet etc., wird bestraft und zu Ersatz herangezogen. Nach Lage der Umstände haftet die gesamte Gefangenenkompanie.

14. Lagerpost

Jeder Schutzhaftgefangene darf im Monat 2 Briefe oder 2 Postkarten von seinen Angehörigen empfangen oder an seine Angehörigen senden. Die Briefzeilen müssen übersichtlich und gut lesbar sein. Postsendungen, die diesen Anforderungen nicht entsprechen, werden nicht befördert, bzw. zugestellt. Der Inhalt der Briefe muss persönlich gehalten sein.

Wer in einem Brief abfällige Bemerkungen über Staat und Regierung, Behörden und Einrichtungen zum Ausdruck bringt, oder marxistische oder liberalistische Führer oder Parteien verherrlicht, Vorgänge im Konzentrationslager mitteilt, gilt als unverbesserlich und wird zur Verantwortung gezogen.Alle auslaufenden Briefe und Postkarten sind frankiert und offen dem Gef. Kompanieführer zu übergeben.

Zweimal im Monat kann den Schutzhaftgefangenen ein Paket mit Wäsche zugestellt werden. Werden den Paketen Lebensmittel, alkoholische Getränke, Tabakwaren, marxistische, jüdische oder zentrümliche Schriften, Broschüren, Zeitungen, fotografische Platten, Werkzeuge, Messer oder andere Gegenstände beigefügt, dann verfallen diese Sachen der Beschlagnahme. Zivilanzüge werden dem Effektenbüro übergeben. Die Angehörigen sind entsprechend zu benachrichtigen. Ein Anspruch auf Herausgabe besteht nicht.

Pakete, die das Lager verlassen, dürfen nur Wäsche enthalten. Ist diese besonders schmutzig, dann muss sie entsprechend vorgewaschen sein. Im Lager angefertigte Gegenstände dürfen nur mit Genehmigung des Kommandanten bei der Entlassung mitgenommen werden. Gipsplaketten werden vernichtet. Für jedes einlaufende Paket werden 10 Pfennig Zustellgebühr (Transportkosten) erhoben. Die Angehörigen sind von der Postzustellgebühr befreit. Den Gefangenen wird gestattet, eine deutsche Tageszeitung zu halten. Gesuche wegen Zeitungsbestellungen sind schriftlich über den Kompanieführer der Kommandatur vorzulegen. Das Zeitungsgeld ist erst dann einzuzahlen, wenn der Antrag genehmigt ist.

15. Geldbeträge

Geldbeträge können nur mittels Postzuweisung oder Zahlkarte in das Lager gelangen. Den Angehörigen ist mitzuteilen, dass Barbeträge bei der Poststelle nicht angenommen werden dürfen. Barbeträge, die entgegen dieser Vorschrift Briefen oder Paketen beigelegt werden, verfallen der Beschlagnahme. Wer einem SS-Angehörigen Geld anbietet, kommt in Einzelhaft. Die Gefangenengelder werden bei der Politischen Abteilung verwaltet. Beträge über R.M. 15,- werden dem Konto des betreffenden Gefangenen deponiert. Alle übrigen Beträge zahlt der SS-Geldverwalter täglich an die Gefangenen aus, welche im Postbuch hierüber persönlich zu quittieren haben. Deponierte Gelder werden auf Grund einer Anforderungsliste, in welcher der Gefangene quittiert, nach Bedarf ausbezahlt.

16. Lagerbücherei

Die Lagerbücherei kann von allen Gefangenen benutzt werden. Einzelnen Gefangenen kann die Benutzung durch Befehl untersagt werden. Die Bände sind sorgsam zu behandeln und binnen einer Woche zurückzugeben.

17. Alarm

Wenn im Lager die Alarmsirene ertönt, oder mehrere Gewehrschüsse hintereinander fallen, haben sich die Gefangenen restlos im Laufschritt in ihre Unterkünfte zu begeben und unverzüglich Fenster und Türen zu schließen. Gefangene, welche diesem Befehl nicht nachkommen, oder während der Dauer des Alarms die Baracken verlassen, werden ohne weiteres beschossen.

18. Appell

Den Befehl zum Appell erteilt der Führer des Schutzhaftlagers, oder sein Rapportführer. Der Befehl kann durch Pfeifensignal oder mündlich erteilt werden. Die Gefangenen treten in Kompaniefront am befohlenen Platze an, der beauftragte Kompaniefeldwebel meldet unter "Stillgestanden! Augen rechts! (links!)" die Stärke der angetretenen Gefangenenkompanie. Solange die Gefangenen in Reih und Glied stehen, darf weder geraucht, noch gesprochen werden. Jede Disziplinlosigkeit wird mit Arrest bestraft.

19. Rapport

Die Gefangenen haben das Recht, Bitten und Beschwerden vorzubringen. Über eine Bitte und Beschwerde entscheidet in letzter Instanz der Lagerkommandant. Bitten und Beschwerden sind in allen Fällen dem zuständigen Gefangenen-Kompanieführer vorzubringen, welcher verpflichtet ist, dieselben auf dem Dienstwege weiterzuleiten. Richtet sich eine Beschwerde gegen den Kompanieführer selbst, dann ist sie dem Führer des Schutzhaftlagers vorzutragen.

Gefangene, die den vorgeschriebenen Beschwerdeweg nicht einhalten, die zwecks Beschwerde Unterschriften sammeln, werden bestraft. Wer seiner Beschwerde unwahre Tatsachen zu Grunde legt, wird zur Rechenschaft gezogen. Gefangene, welche sich zum Rapport melden, haben diese Bitte dem Gef. Kompanieführer vorzubringen. In besonderen Fällen ist es gestattet, dem Führer des Schutzhaftlagers unmittelbar Meldung zu erstatten. Den Rapport nimmt im Auftrage des Kommandanten der Leiter der politischen Abteilung entgegen. Darüber hinaus kann sich der Gefangene zum Kommandandatur-Rapport melden.

20. Haarschnitt

Jede Gefangenen-Kompanie hat einen Kompaniebarbier zu bestimmen, welchem eine staatseigene Haarschneidemaschine ausgehändigt wird. Alle 14 Tage sind Kopf- und Brusthaare nachzuschneiden. Nacken und Schläfen sind dabei vollkommen kurz zu halten. Eine Gefangenenkompanie, die dieser Anordnung nicht restlos nachkommt, erhält die Aufgabe, die Köpfe fortgesetzt kahl zu scheren, wie es bei der Einweisung geschieht.

21. Allgemein

Die Zeiten für den Zapfenstreich und das Wecken werden vom Kommandanten bestimmt. Nach Eintritt des Zapfenstreichs hat überall im Lager größte Ruhe zu herrschen. Die Zimmerbeleuchtung ist sofort auszuschalten. Gänge bleiben beleuchtet. Wer die Nachtruhe anderer Gefangener vorsätzlich stört, wird bestraft. Außerhalb der Unterkünfte darf im Lager geraucht werden. Während der Arbeit im Moor ist das Rauchen nicht gestattet, ebenso in Küchen, Magazinen und an feuergefährlichen Orten ist das Rauchen bei Strafe streng verboten. Das Rauchen und die Benützung der Kantine ist eine Vergünstigung, welche nach Veranlassung entzogen werden kann. Der Genuss alkoholischer Getränke ist allen Gefangenen verboten.

22. Aufwiegler

Wer im Lager, an der Arbeitsstelle, in den Unterkünften und auf Ruheplätzen politisiert, aufreizende Reden hält, sich mit anderen zu diesem Zwecke verabredet, zusammenfindet oder umhertreibt, wahre oder unwahre Nachrichten und Lichtbilder über das Lager mittels Kassiber oder auf andere Weise hinausschmuggelt, Entlassenen oder Überstellten mitgibt, in Kleidungsoder anderen Gegenständen versteckt oder vergräbt, mittels Steine usw. über die Lagermauer wirft, auf Dächer oder Bäume steigt und Zeichen oder Lichtsignale gibt, oder andere zur Flucht verleitet, hierzu Ratschläge erteilt, oder behilflich ist, wird als Aufwiegler behandelt.

23. Meuterer

Wer einen Posten oder SS-Mann angreift, verspottet, den Gehorsam oder die Arbeit verweigert, andere zu gleichen Taten verleitet, eine Marschkolonne oder eine Arbeitsstätte ohne Befehl oder Erlaubnis verlässt, während des Marsches oder der Arbeit johlt, schreit, hetzt, die vorgeschriebene Ehrenbezeugung absichtlich unterlässt, wird als Meuterer behandelt.

24. Saboteure

Wer im Lager, in den Unterkünften, Werkstätten und Arbeitsstätten einen Brand, Explosion, einen Wasser- oder sonstigen Schaden vorsätzlich oder fahrlässig herbeiführt, ferner wer am Drahthindernis, an der Lagermauer, an den Lichtleitungen, an Heizkörpern, an Kesselanlagen, in Küchen, an Maschinen oder Kraftfahrzeugen Handlungen vornimmt, die dem gegebenen Auftrag nicht entsprechen, wird als Saboteur behandelt.

25. Gemeingefährlich

Wer einem Posten Geschenke anbietet, zu bestechen versucht, in seiner Gegenwart den Marxismus oder eine andere Novemberpartei verherrlicht, abfällige Bemerkungen über den nationalsozialistischen Volksstaat und seine Regierung macht, sich widerspenstig zeigt, einem fremden Lagerbesucher heimlich Mitteilung über das Lager und seine Insassen macht, Briefe, Zettel, Lichtbilder, und Kleidungsstücke zusteckt, im Lager verbotene Gegenstände, Kleidungsstücke, Mützen, Zigarettendosen, die sich als Verstecke eignen, herstellt, empfängt, weitergibt, verschickt, wird als gemeingefährlich behandelt.

26. Unverbesserlich

Wer sich vor der Arbeit drückt, den Appellen zur Arbeitseinteilung, dem Lagerappell ohne Grund oder Erlaubnis fernbleibt, sich ohne triftigen Grund zum Arzt oder Zahnarzt meldet, nicht ausrückt, körperliche Gebrechen vorschützt, träge und faul sich benimmt, auf keine Ordnung achtet, anstößige Briefe schreibt, Mitgefangene bestiehlt, schlägt, oder sonst wie missbraucht, gilt als unverbesserlich.

27. Fluchtverdächtig

Wer ohne Begleitperson das Barackenlager, die Arbeitsstätte oder eine Werkstatt verlässt, frühzeitig einrückt, verbotene Gegenstände und Werkzeuge mit sich führt, besitzt, oder anderen verschafft, unbefugt Zivilkleidung trägt, ist fluchtverdächtig.

28. Begünstiger

Wer als Gefangenen-Feldwebel, Korporalschaftsführer oder als Gefangener von dem Vorhaben einer Aufwiegelung, Sabotage, Meuterei, Flucht, oder einem anderen Verbrechen oder Vergehen Kenntnis erhält, wird, falls er das Verbrechen nicht rechtzeitig seinem Vorgesetzten zur Meldung bringt, als Täter bestraft.
Gefangene, welche ein bekanntgewordenes Vorhaben dem Kommandanten oder seinem Untergebenen rechtzeitig melden, werden bevorzugt behandelt. Wer wissentlich eine falsche Meldung erstattet, wird bestraft.

29. Strafen

Verbrechen, Vergehen und Übertretungen werden nach der Disziplinar-und Strafordnung für Schutzhaftgefangene geahndet.

F. d. R.Inspektion der Konzentrationslager RFSS

Adjudantgez. Eicke, SS-Gruppenführer

Quelle: Erich Kosthorst und Bernd Walter. Konzentrations- und Strafgefangenenlager im "Dritten Reich", Beispiel Emsland, Zusatzteil Dokumentation und Analyse zum Verhältnis zum NS-Regime und Justiz. Düsseldorf 1983.

Andreas Jordan, Mai 2008