GELSENZENTRUM-Startseite

Carl Engelbert Böhmer

← Die Täter

Header Gelsenzentrum e.V. Gelsenkirchen

Gelsenkirchens Oberbürgermeister in der Nazizeit

Carl Böhmer, 1933-1945 Oberbürgermeister Gelsenkirchens und damit Chef der Gelsenkirchener Stadtverwaltung im so genannten 'Dritten Reich'Abb.: Carl Böhmer, 1933-1945 Oberbürgermeister Gelsen-kirchens und damit Chef der Gelsenkirchener Stadtverwaltung im so genannten "Dritten Reich" (ISG Fotosammlung, Bild-Nr.: 6314)

Carl Böhmer (15.2.1884-12.11.1960) trat schon im März 1928 in die NSDAP ein und übernahm zahlreiche Funktionen innerhalb der Parteihierarchie. Im Juli 1933 wurde er Oberbürgermeister der Stadt Gelsenkirchen und übte dieses Amt bis Kriegsende aus. Unter seiner Führung wurde Gelsenkirchen als ideologisch gefestigte Arbeiterstadt herausgestellt und das Unrechtssystem des Nationalsozialismus durch die Verwaltung umgesetzt.

→ Oberbürgermeister Böhmer gratuliert Hitler zum Geburtstag

Wegen seiner wichtigen Funktion wurde Böhmer 1945 von der britischen Militärregierung in einem Internierungslager bis 1. April 1947 inhaftiert. Nach langwierigen Verfahren wurde Böhmer mit der Entscheidung des Sonderbeauftragten für die Entnazifizierung im Lande Nordrhein-Westfalen vom 1. Dezember 1950 nur in die Entnazifizierungs-Kategorie IV ("Anhänger") eingereiht. Trotz dieser Entscheidung bemühten sich nun die Kommunalpolitiker und die Gelsenkirchener Stadtverwaltung, dem ehemaligen Oberbürgermeister alle Versorgungsbezüge zu verweigern. Bis zum Tod Carl Böhmers am 12. November 1960 blieb es bei der Weigerung der Stadt Gelsenkirchen, Zahlungen an Böhmer zu leisten. Von 1952 bis 1960 mussten die Gelder für Böhmer jeden Monat durch Zwangsvollstreckung, also Pfändung aus der Stadtkasse, eingetrieben werden.

Quelle: Gelsenkirchen im Nationalsozialismus: Katalog zur Dauerausstellung der Dokumentationsstätte Gelsenkirchen (Schriftenreihe des Instituts für Stadtgeschichte (ISG) - Materialien, Bd.5), 1. Auflage, November 2000

Entnazifizierung in der britischen Zone, in der auch Gelsenkirchen lag

Die Briten legten im Gegensatz zu den Amerikanern in ihren Zonen eine gemäßigtere Gangart an den Tag. Eine Entnazifizierung fand hier nur in sehr begrenztem Umfang statt und konzentrierte sich hauptsächlich auf die schnelle Auswechslung der Eliten. Ausnahmen gab es jedoch auch hier:

Ein Beispiel: der deutsche Konzernchef Günther Quandt konnte in Nürnberg nicht angeklagt werden, weil an die ermittelnden amerikanischen Behörden keine diesbezüglichen Unterlagen weitergeleitet wurden. Obwohl Quandt nachweislich in seinen Rüstungswerken (Afa, heute Varta in Hannover; sowie zwei weiteren Firmen in Berlin und Wien) KZ-Häftlinge ausbeutete, wurde er als 'entlastet' eingestuft. Bereits im Jahre 1946 bekam er wieder lukrative Aufträge - diesmal für die britische Armee.

Die Briten arbeiteten dabei mit einem Skalensystem von 1-5; die Kategorien 3-5 (leichtere Fälle) werden von Entnazifizierungsauschüssen entschieden, die von den Briten 1946 aus Parteimitgliedern z.B. der SPD etc. vor Ort gebildet werden. Die Entscheidungen dieser Ausschüsse wurde im Allgemeinen akzeptiert, da die Kategorien 1-2 (Schwere Fälle) ohnehin nicht in diesen Gremien behandelt wurden. Für die Aburteilung von Angehörigen verbrecherischer NS-Organisationen wie beispielsweise der SS, der Waffen-SS, des SD wurden deutsche Spruchgerichte eingerichtet. Mehr als 1.200 deutsche Richter, Staatsanwälte und Hilfskräfte führten in der britischen Zone im Ganzen 24.200 Verfahren durch. Hätte man konsequent alle Mitglieder der NS-Vereinigungen angeklagt, deren verbrecherischer Charakter vom internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg festgestellt worden war, hätte es nach amerikanischen Schätzungen etwa 5 Millionen Verfahren geben müssen. Eine britische Verordnung legte fest, dass Richter und Schöffen nicht Mitglied der NSDAP oder einer ihrer Organisationen gewesen sein durfte. Hintergrund dafür war, dass etwa 90 Prozent der Angehörigen der deutschen Rechtspflege einschließlich der Anwälte Mitglied im NS-Rechtswahrerbund gewesen war, und die Mitgliedschaft darin freiwillig gewesen war. Drei Viertel der Angeklagten wurden mit Strafen belegt. Die große Mehrzahl der Strafen wurde mit der Internierungshaft als abgegolten erklärt, nur 3,7 Prozent der Angeklagten mussten einige weitere Monate in Esterwegen absitzen, 4,5 Prozent noch eine Geldstrafe zahlen.

Vgl. hierzu auch: Dokumentationsstätte "Gelsenkirchen im Nationalsozialismus" Katalog zur Dauerausstellung. Essen, 2000.
Vgl. hierzu auch: Wikipedia, Entnazifizierung

Andreas Jordan, Mai 2008

Statthalter der NSDAP in Gelsenkirchen

Carl Böhmer wurde als Sohn eines Brauereidirektors am 1. Dezember 1884 in Essen-Schonnebeck geboren. Nach der Schulzeit und einigen Bildungskursen absolvierte er eine kaufmännische Lehre bei Siemens & Halske. In dem erlernten Beruf arbeitete Böhmer dann bei der Bochumer Knappschaftsverwaltung. Anschließend war er in den kaufmännischen Abteilungen von Zechenunternehmen tätig, erst bei Ewald Fortsetzung und dann bei Graf Bismarck. Während des Ersten Weltkrieges war er von August 1916 bis Mai 1918 Soldat. Für die Deutsche Erdöl AG (DEA), zu der seit 1923/24 die Zeche Graf Bismarck gehörte, leitete er vor seiner Karriere im "Dritten Reich" die betriebliche Konsum-Anstalt.

Nachdem Böhmer zunächst dem deutschnationalen "Stahlhelm - Bund der Frontsoldaten" angehört hatte, ging er relativ früh zur NSDAP. Er trat dieser Partei zum 1. März 1928 bei und erhielt die Mitgliedsnummer 80 329. Damit zählte er zu den "Alten Kämpfern" der NSDAP mit einer Mitgliedsnummer unter 100 000. Offenbar existierte gerade unter den Angestellten der Zeche Graf Bismarck eine ganz Gruppe früherer NSDAP-Mitglieder. In der Ende der 20er Jahre noch unbedeutenden NSDAP-Ortsgruppe Gelsenkirchens und im NSDAP-Bezirk Emscher-Lippe fungierte er zunächst bis 1930 als Geschäftsführer. Im "Dritten Reich" gehörte er später zahlreichen nationalsozialistischen Nebenorganisationen und z. B. auch der SA an, wobei er in letzterer ab 1944 den Rang eines Standartenführers erreichte, was dem militärischen Rang eines Obersten entsprach.

Wohl aufgrund seiner langen Zusammenarbeit mit dem NSDAP-Gauleiter Alfred Meyer, der seine Parteikarriere ja auch in der Gelsenkirchener NSDAP-Ortsgruppe begonnen hatte und auch Angestellter bei der Zeche Graf Bismarck gewesen war, avancierte Böhmer auf Vorschlag des Gauleiters nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten mit der Entlassung der Politiker der Weimarer Zeit zum Gelsenkirchener Oberbürgermeister. Zunächst wurde er ab 7. April 1933 Staatskommissar für die Stadt Gelsenkirchen, dann ab 21. Juli kommissarischer Oberbürgermeister. Am 27. September 1933 wurde Carl Böhmer vor der Stadtverordnetenversammlung endgültig in das Amt des Oberbürgermeisters eingeführt. Die Funktion des Oberbürgermeisters, die eben bedeutete, dass Carl Böhmer Chef der gesamten Stadtverwaltung war, behielt er bis zur Befreiung der Stadt Gelsenkirchen vom Nationalsozialismus.

Wegen seiner wichtigen Funktion wurde Böhmer 1945 von der britischen Militärregierung in einem Internierungslager bis 1. April 1947 inhaftiert. Bei der Entnazifizierung wurde Böhmer durch den (deutschen) kleinen Entnazifizierungsausschuss in Gelsenkirchen nach sehr sorgfältiger Untersuchung mit zahlreichen Zeugenvernehmungen am 18. Mai 1949 in die Kategorie III ("Geringe Übeltäter") eingereiht, nachdem die britische Militärregierung zuvor am 1. April 1947 Böhmer nur in Kategorie IV ("Anhänger) eingestuft hatte. Für den Ex-Oberbürgermeister bedeutete die Entscheidung des Gelsenkirchener Entnazifizierungsausschusses, der auch die Beteiligung Böhmers ar der Zerstörung der Gelsenkirchener Synagoge als erwiesen ansah, neben beruflichen Beschränkungen vor allem einen Verlust des Pensionsanspruchs. In dem dann eingeleiteten Berufungsverfahren zu seiner Entnazifizierung erreichte Böhmer zunächst nichts. Am 8. Juni 1949 bestätigte der Sonderbeauftragte für die Entnazifizierung im Lande Nordrhein-Westfalen die Einreihung in Kategorie III. Auch der Entnazifizierungs-Berufungsausschuss entschied am 27. Oktober 1949 gegen die Berufung Böhmers. Schließlich wurde Böhmer dann mit der Entscheidung des Sonderbeauftragten für die Entnazifizierung im Lande Nordrhein-Westfalen vom 1. Dezember 1950 doch entlastet und in Kategorie IV ("Anhänger") eingereiht.

Trotz dieser Entscheidung bemühten sich nun die Kommunalpolitiker und die Gelsenkirchener Stadtverwaltung, dem ehemaligen Oberbürgermeister alle Versorgungsbezüge zu verweigern. Die Stadt Gelsenkirchen nutzte entsprechend alle Rechtsmittel, um Pensionszahlungen an Böhmer zu verhindern, wobei die Stadt grundsätzlich die Rechtmäßigkeit der Ernennung Böhmers zum Oberbürgermeister verneinte. Als die Stadt 1952 vom Landgericht Essen verurteilt wurde, bis zur endgültigen Entscheidung regelmäßig einen Teilbetrag der geltend gemachten Pensionsbezüge an Böhmer zu zahlen, weigerte sie sich. Bis zum Tod Carl Böhmers am 12. November 1960 blieb es bei der Weigerung. Von 1952 bis 1960 mussten die Gelder für Böhmer jeden Monat durch Zwangsvollstreckung, also Pfändung aus der Stadtkasse, eingetrieben werden. Nach dem Tode Böhmers wurden die langwierigen juristischen Auseinandersetzungen - noch waren drei Gerichtsverfahren nicht abgeschlossen - beendet, indem Böhmers Witwe, die die Prozesse offenbar nicht weiterführen wollte, und die Stadt Gelsenkirchen 1962 einen Vergleich schlossen.

Quelle: Gelsenkirchen - Ein Streifzug durch 125 Jahre Stadtgeschichte, Heinz-Jürgen Priamus, Holger German, Norbert Silberbach, Wartberg, 2000

Header Gelsenzentrum e.V. Gelsenkirchen

Andreas Jordan, Juli 2008

↑ Seitenanfang