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Otto Glanert - 1936 verhaftet wegen Vorbereitung zum Hochverrat

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Bericht von Otto Glanert, Gladbeck

Im Rahmen eines Antrags auf Wiedergutmachung nach 1945 schildert Otto Glanert aus Gladbeck die Geschichte seiner Verfolgung und Inhaftierung während der NS-Zeit


Bei der Machtübernahme 1933 wurde ich verhaftet. Unter Leitung von Kriminalkommissar Finger, wurde ich verhört, verhöhnt, geschlagen und mißhandelt. Dieses geschah jedesmal bei der Vorführung aus der Untersuchungshaft zur Vernehmung. Mehrere SA Leute und Nationalsozialisten stürzten wie ein paar hungrige Löwen auf mich. Bei dem Zwischenfahren von Kriminal Achenbach und Rölinghausen wurde es verhütet, daß ich totgeschlagen wurde. Genannte, Achenbach und Rölingshausen waren früher meine Arbeitskameraden in der Chemie. Diese Verhaftungswelle ging 1933 - 34 siebenmal. Dadurch habe ich meine Arbeit verloren und flog von einer Arbeitsstelle zur anderen. Gleichzeitig wurde ich von der NSDAP verfolgt und ich mußte mich im Parteibüro melden. Sie setzten einen Druck dahinter, daß ich ein Verräter meiner Partei werden sollte. Dieses habe ich stur immer abgelehnt.

1936 wurde ich wiederum wegen Vorbereitung zum Hochverrat verhaftet, ebenfalls mit mir die Kameraden Otto Mölter, Anton Kühne und Paul Huhlmann. Wir wurden bei der Polizei in Gladbeck eingeliefert. Dort hatte man mich wieder bei der Vernehmung mißhandelt. Wer dieses 1936 in Gladbeck geleitet hat, ist mir noch heute unbekannt.

Eines nachts wurde die Zelle aufgeschlossen und der Wachtmeister gab uns den Befehl zum Fertigmachen für den Transport. Hinter ihm stand ein SS-Oberstandartenführer aus Buer. Sie traten mit einem Gummischlauch in meine Zelle und begannen loszuschlagen. Anfangs setzte ich mich zur Wehr, dann kamen einige Polizisten hinzu und ich wurde gefesselt. Dann wurde ich nach oben geschliffen und kam in einen offenen Wagen. Ein SS-Mann saß am Steuer. Es stiegen noch 2 Zivilisten und der Oberstandartenführer aus Buer ein.

Wir fuhren zur Wirtschaft Wormeland. Das Auto fuhr in die Gasse in Richtung kath. Kirche ein. Die Begleitmannschaften wechselten sich gegenseitig ab und tranken sich einen Rausch an. Um 12 Uhr kamen meine Peiniger aus der Wirtschaft und sagten gleichzeitig, so du Hund, heute Nacht wirst du noch sterben.

Die so genannte Todesbrücke

Bild: Die so genannte Todesbrücke in Horst

Dann fuhren sie Richtung Horst. An der Todesbrücke vor Horst stoppte das Auto. Man machte mir meine Fesseln los, ich sah, daß sie ihre Pistole zogen. Nun sagte einer: Los, du Hund! Jetzt mach, daß du nach Hause kommst. Dieses sagten sie wohl nur, um einen Fluchtversuch vorzutäuschen. Ich hatte diese Ahnung und machte daher von dem Befehl keinen Gebrauch, krampfte mich am Auto fest und blieb stehen. Sie traten mich und stießen mich wieder ins Auto. Dann ging es weiter nach Gelsenkirchen, dort ging die Mißhandlung weiter. Der Kommissar und sein Protokollsekretär Läufken führten die Vernehmung. Wie sie mich bald totgeschlagen hatten, warfen sie mich in den Keller.

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Polizeiamt Buer

Bild: Polizeiamt Buer

In dieser Zelle lagen schon 2 Tote. Es sollten Bibelforscher (Zeugen Jehovas) gewesen sein. Hier lag ich mehrere Tage. Der Wachtmeister Müller fand mich und war sehr erstaunt, daß ich noch am Leben sei. Anschließend wurde ich Josef König und seinen Kameraden gegenübergestellt. Da ich nichts eingestehen wollte, ging die Mißhandlung von vorne los. Dann stellte man mich Mölter, Kühle und Huhlmann gegenüber. Wir durften uns nicht anschauen, aber im Zimmer stand ein großer Spiegel, hier trafen sich unsere Blicke, und ich gab zu verstehen, fest sein und aushalten. Dieses dauerte ungefähr 4 Stunden. Alle blieben fest, außer Mölter. Wie es sich nun herausstellte, daß ich der Hauptfunktionär war, schlugen sie mich zum 2. Male nieder. Man schleppte mich wieder die Steintreppe herunter und warf mich wieder in die Zelle. Polizeiwachtmeister Müller fand mich zum 2. Mal und erkannte mich kaum wieder. Er holte schnell Medikamente und verband mich, denn mein ganzer Körper blutete und war zerschlagen. Lange lag ich hier und wußte nicht, ob ich leben oder sterben sollte. Nach mehreren Monaten ging es zum Untersuchungsgefängnis Gelsenkirchen.

Dort wurde Mölter, Kühne und Huhlmann entlassen und mich klagte der Untersuchungsrichter wegen Vorbereitung zum Hochverrat an. Dann ging ich auf den Transport nach Berlin-Plötzensee, dort wollten sie mir den Kopf nehmen. Der Untersuchungsrichter im Volksgerichtshof lehnte es ab, ich sollte nicht in den Volksgerichtshof. Die Entscheidung lag nun bei der Gelsenkirchener Gestapo und nun wurde ich wieder nach Gelsenkirchen transportiert. Der Untersuchungsrichter bestand in Gelsenkirchen aber auf Vorbereitung zum Hochverrat. Von dort aus dann mit dem Transport nach Hamm zum zweiten Senat. Er verurteilte mich zu einem Jahr Gefängnis.

Ich bekam eine milde Strafe, weil dieser Fall zurücklag von 1933 bis 1934. Von Hamm ging ich mit dem Transport nach Esterwegen/Oldenburg. Hier machten wir Kulturarbeiten, wir gewannen der Heide fruchtbares Land ab. Dann ging es wieder nach Hamm. Das Justizgefängnis Hamm entließ mich, und ich wurde der Gladbecker Gestapo übergeben. Der Kriminalassistent Rölinghausen hatte zur Zeit Staatsdienst, und bei ihm lag die Entscheidung, ob ich wieder ins Lager Esterwegen sollte oder nicht. Und so wurde ich dann durch Rölinghausen frei. Dann suchte ich nach Arbeit. Man lehnte überall ab. Durch Anton Kominek bekam ich dann doch an der Reichsautobahn als Maschinist Arbeit.

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Als die NSDAP dahinter kam, daß ich wieder feste Arbeit hatte, wurde ich von neuem verfolgt. Ich bekam von der Partei, Bezirkskommando, Polizei und vom Arbeitsamt eine Aufforderung, die Arbeit dort niederzulegen und auf der Zeche anzufangen. Die NSDAP schaltete sich hier wieder ein und begann mit allen Schikanen zu arbeiten. Diese Spitzelkreaturen versuchten auf alle Art und Weise durch Landserbriefe, mich hereinzulegen und zu probieren. Es gelang ihnen doch, mir in einem Falle etwas anzuflicken, denn Unteroffizier Traud hatte auch so einen ähnlichen Brief geschickt.

Er frug auch gleich an, ob der KPD-Mann Otto Glanert noch nicht an der Front in Rußland wäre, denn für ihn wäre es hier angebracht, denn dann hätte er endlich einmal die Nase voll. Bald darauf kam auch schon Traud in Urlaub. Ich stellte ihn zur Rede und fragte, was dieses bedeutete. Er erklärte mir, daß in Rußland, ob Frau oder Mann, alles kämpft und bei einem Abzug sind die Russen so gemein und stecken alles in Brand, daß ja nichts den Deutschen in die Hände fällt. Ich begrüßte dieses. Daher meldete mich Traud bei der NSDAP Rentfort. Ich wurde abgeholt und der Gestapo vorgeführt. Durch das Einmischen der Beamten von Möllerschächte bei der Gestapo wurde ich wieder frei. Aber der Ortsgruppenleiter Meis von Rentfort wollte keine Freilassung. Er erlegte mir daher eine Strafe, daß ich mich 4 Monate lang, und zwar jeden Tag, bei der Ortsgruppe melden sollte. Hier setzte sich Möllerschächte wieder ein und ich wurde befreit.

Sitz der Gestapo am Horst-Wessel-Platz in Gladbeck

Bild: Sitz der Gestapo am Horst-Wessel-Platz in Gladbeck

Im Jahre 1942 kam Franz Zilasko von Rußland zurück. Er wollte das deutsche Volk aufklären und das Volk zur Einsicht bringen, das Hitler für uns nur Sklaverei bedeutet. 1943 wurde Zilasko dann verhaftet. Ich folgte ihm und wurde der Gladbecker Gestapo vorgeführt.

Der Kommissar Sportmann aus Bottrop, der z.Zt. in Gladbeck Dienst hatte, führte die erste Vernehmung. Er fühlte meine Muskeln und holte Verstärkung herbei. Ihm zur Verfügung stand der Gestapoagent Schalla und Kettler. Sportmann schlug mich als erster ins Gesicht. Ich wehrte mich, schon setzten Schalla und Kettler ein. Unterdessen hatte sich Sportmann schon erholt und schlug auch wieder zu. Dann versetzte ich ihm noch einen Schlag, so daß sein Gebiß herausfiel. Dann wurde ich gefesselt. Nun ging es nach Bottrop, wieder zur Vernehmung. Dieselbe wie in Gadbeck. Dann ging es von Bottrop nach Gelsenkirchen. Hier ging dieses Peinigen von neuem los. Man schlug mir die Zähne aus, die Backe wurde aufgeschlagen, 5 Löcher hatte ich an der rechten Nierenseite. Abends ging die Fahrt von Gelsenkirchen nach Gladbeck. Diese Foltervernehmung ging sieben mal vor sich. Als Zeuge waren hier Frau Brunner, Herr Grimmbacher. Dann ging ich auf Transport. Ich war immer gefesselt.

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Von Gelsenkirchen kam ich nach Frankfurt, nach Nürnberg, dann nach Ambach, Oberpfalz. Dann wieder zurück zum Justizpalast Nürnberg Volksgerichtshof. Dort wurde die Anklage gemacht wegen Hochverrat. Der zweite Senat, der Generalstaatsanwalt des Volksgerichtshofs Berlin beantragte Todesstrafe. Der zweite Senat ging über und verurteilte uns zu 10 Jahren Zuchthaus. Von dort aus gingen wir auf Transport nach Stuttgart, dann Ludwigsburg. Unsere Anzüge und Wertsachen sind verloren gegangen. Von 120 Pfund bin ich runtergegangen auf 100 Pfund. Ich habe nicht geglaubt, daß ich noch einmal aus dieser Hölle heraus komme. In diesem Lager wurden täglich 100te von Menschen verbrannt, gefoltert und hingerichtet. Viele wurden von Hunden zerrissen oder totgeschlagen.

Der Transport von Ludwigsburg nach Bruchsal setzte sich von 10 000 Mann in Marsch. Unterwegs wurden fast 4 000 Mann umgebracht. In den Gefängnissen, Zuchthäusern oder Lägern waren wir keine Menchen mehr, sondern Sklaven. In Ludwigsburg waren die Schikanen so, in den Zellen wurde nicht geheizt. Wir vergingen vor Hunger und Kälte. Pro Tag starben wohl an die 100 Menschen. Außerdem mußten 10 Menschen 2 Pferde ersetzen. Wir wurden dann vor einen Wagen gespannt und mußten ziehen, wie ein Stück Vieh, ob wir konnten oder nicht. Bis wir zusammenklappten und am Boden liegen blieben.

Am 22. April 1945 rückten die französischen Truppen in Ludwigsburg ein. Wir wurden von ihnen befreit, und französische Ärzte untersuchten uns und erklärten, daß wir höchstens noch einen Monat gelebt hätten, denn wir waren voller Wasser. Außerdem hatte ich schon 4 Monate meine Sprache verloren. Nun kamen wir ins Lazarett und wurden sehr gut gepflegt. Man gab sich die größte Mühe, um uns am Leben zu halten. So leid es mir tut, muß ich Stellung zur englischen und amerikanischen Truppe nehmen, wenn es nach ihnen gegangen wäre, hätten wir nichts zu essen bekommen, denn sie sahen in uns politisch Gefangenen Verbrecher.

Deshalb nehme ich hierzu Stellung: "Grund und Boden hat dieses gewollt, Grund und Boden soll auch bezahlen." Jedem Naziaktivist soll man das Vermögen beschlagnahmen und den politisch Geschädigten zu Gute kommen lassen. Daher stelle ich den Antrag: dass alle politisch Geschädigten, die den Mut aufgebracht haben, gegen dieses Banditentum zu kämpfen, im Staatsdienste eingestellt werden, da diese würdig sind, einen Staat zu leiten, damit wir Ruhe und Frieden im Lande haben. Ich stelle den Antrag auf Schadenersatz, da meine Augen und Sprache sehr gelitten haben, außerdem bin ich noch in zahnärztlicher Behandlung. Der Schadenersatz lautet auf 10 000 RM. Durch meine Verhaftung von 1933 und 1945 ging mein Haushalt zurück. Meine Kinder konnten nichts lernen, da der Staat keine Unterstützung zahlte.

gez. Otto Glanert

Quelle: Stadtarchiv Gladbeck


Andreas Jordan, Juli 2007

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