Tabelle aus: Martin Hölzl, "Buer und Belzec" in Stefan Goch (Hg.), "Städtische Gesellschaft und Polizei", Essen 2005Polizeibataillon 65Nach kriegsmäßiger Ausrüstung des Bataillons und Grundausbildung der zum Bataillon eingezogenen Reservisten wurde es Mitte Mai 1940 in den Niederlanden, und zwar in Zwolle und in Kampen, zu Bewachungsaufgaben eingesetzt. Gleichzeitig wurde während dieses Einsatzes die Ausbildung der Polizeireservisten fortgeführt. Während des Einsatzes in den Niederlanden wurde die 4. Schwere Kompanie aus dem Bataillon herausgelöst. Der Pak-Zug wurde aus dem Verband des Bataillons herausgezogen, die schweren MG-Züge auf die drei anderen Kompanien verteilt. Mitte 1940 wurde das Bataillon nach Deutschland zurückverlegt und in den Städten Gelsenkirchen-Buer, Bottrop und Recklinghausen für den weiteren Kriegseinsatz neu formiert. Insbesondere wurden die älteren aktiven Polizei-Unterführer und -Reservisten durch Polizei-Angehörige jüngerer Jahrgänge ersetzt. Am 26. Mai 1941 wurde das Bataillon nach Heilsberg/Ostpreußen verlegt. Von hier rückte es am 2 2. Juni 1941 im Verbände der 285. Sicherungsdivision über Tilsit hinter der kämpfenden Truppe im Nordabschnitt der Ostfront in die Sowjetunion ein mit dem Einsatzbefehl, das rückwärtige Heeresgebiet zu sichern und von versprengten sowjetischen Einheiten und Soldaten zu "säubern". Nach Einnahme der Stadt Kowno (Kaunas) bezogen der Bataillonsstab, die 1. und 2. Kompanie des Bataillons etwa am 26. Juni 1941 in Kowno, die 3. Kompanie in Schaulen (Siauliai) Quartier. In Kowno sahen Angehörige des Bataillons Massenerschießungen jüdischer Männer, Frauen und Kinder in der am Stadtrand liegenden Zitadelle, die von litauischer "Heimwehr" durchgeführt wurden. Bei dem Einsatz im Baltikum sollen auch Teile des Bataillons und einzelne Bataillonsangehörige an Massenexekutionen und Einzelerschießungen von Juden, anderen sowjetischen Zivilpersonen und sowjetischen Kriegsgefangenen unmittelbar beteiligt gewesen sein. Massenerschießungen jüdischer Männer, Frauen und Kinder(...) Mancherlei Kritik seitens der Zivilverwaltung bezog sich auf die Art und Weise der Morde, die andere Ziele deutscher Besatzungspolitik wie zum Beispiel das Vermeiden von Unruhe in der auszubeutenden Bevölkerung konterkarierten. Die Auseinandersetzungen drehten sich jedoch in erster Linie um die Frage der jüdischen Fach- und Hilfsarbeiter. Das heißt, um die Frage der Ermordung der jüdischen Frauen und Kinder gab es keine Konflikte mit den Kommandos des Reichsführers-SS, Heinrich Himmler, denn darin war man sich einig: die Morde an Kommunisten und der jüdischen Bevölkerung wurden zwischen der politischen Verwaltung, dem Arbeitsamt, den Wirtschaftsstellen der Wehrmacht und den SS-Einsatzkommandos diskutiert, häufig modifiziert und dann vereinbart. Im folgenden möchte ich das Gemeinte an dem Beispiel des Geschehens in Šiauliai (dt.Schaulen) verdeutlichen. [*] In dieser Stadt im Nordwesten Litauens waren von den insgesamt 30.000 Einwohnern etwa 7-8.000 Juden. Nach der Besetzung der Stadt durch die Deutschen am 26. Juni 1941 wurden dort in den ersten Wochen 730 Männer verhaftet, darunter viele Juden. Im Laufe von sechs Wochen wurden 115 von ihnen nach wiederholten Befragungen als Facharbeiter wieder freigelassen und ca. 600 erschossen. Schon in den letzten Junitagen hatten in Šiauliai Vertreter des Wirtschaftsstabes Ost zusammen mit den Wirtschaftsfachleuten der Wehrmacht durchgesetzt, daß das Sonderkommando la und das Einsatzkommando 2 die jüdischen Facharbeiter zunächst von der Ermordung jüdischer Männer ausgenommen wurden, damit die dortigen Lederfabriken weiter produzieren konnten. Der Prozeß der Ghettoisierung, der in Šiauliai - wie auch in Vilnius im Unterschied zu Kaunas - mit Selektionen einherging, wurde präzise von einem ermittelnden Staatsanwalt beschrieben: Es war "der Auswahlgesichtspunkt maßgebend, daß die Juden zu verschonen seien, die für die vielfältige Industrie in Šiauliai und andere kriegerische Aufgaben noch gewisse Zeit (bis zur geplanten, aber nicht mehr verwirklichten Ablösung durch nichtjüdische Arbeitskräfte) benötigt wurden. In die Selektionen waren die inzwischen installierte Zivilverwaltung, besonders Arbeitsämter und die litauische Eigenverwaltung eingeschaltet. Die SS brauchte sich darum nicht im einzelnen zu kümmern". Fast 5.000 Juden wurden ghettoisiert und 800 - 1.000 Juden in mehreren "Aktionen" erschossen, nachdem sie vorher durch eine Kommission - der zwei Angehörige des deutschen Arbeitsamtes angehörten - zu "unnützen" Juden erklärt worden waren. Die an den Morden in Šiauliai direkt beteiligten Einheiten waren vom Einsatzkommando 2 und litauischen Gehilfen, ein Zug des 11. Polizeireservebataillons, die dritte Kompanie des Polizeibataillons 65, Teile des Landesschützenbataillons 307, das die Kriegsgefangenen bewachte und auch Einheiten des Reichsarbeitsdienstes, die sich freiwillig gemeldet hatten. Das Einsatzkommando 3, das eigentlich für ganz Litauen zuständig sein sollte, wollte kurz darauf im September 1941 sämtliche Juden in Šiauliai ohne wirtschaftliche Rücksichten umbringen. Joachim Hamann, der Leiter eines berüchtigten Mordkommandos vom Einsatzkommando 3, beschimpfte die örtlichen Vertreter der Sicherheitspolizei vom Einsatzkommando 2, nannte den dortigen Zustand einen "Saustall", mußte jedoch vor Hans Gewecke, dem Gebietskommissar von Šiauliai, zurückstecken. Gewecke berichtete kurz darauf an den Generalkommissar Adrian von Renteln, daß von elf Landkreisen zehn schon nahezu "judenfrei" seien, in Šiauliai müßten jedoch von anfänglich ca. 6.000 Juden etwa 4.000 Juden übrig bleiben, "die als Spezialarbeiter gebraucht werden". Gewecke wies die Fabrikleitungen in Šiauliai an, im Laufe der Zeit alle jüdischen Facharbeiter durch litauische zu ersetzen. De facto allerdings stieg die Zahl der jüdischen Arbeiter z. B. in den Lederfabriken von Šiauliai von knapp 400 im Sommer 1941 auf 760 im Herbst 1943, die dann insgesamt 2.000 Arbeiter umfaßten. [*] Die Rekonstruktion der Ereignisse beruht auf den Akten des Verfahrens der Staatsanwaltschaft Lübeck gegen den Gebietskommissar Hans Gewecke, die im Landesarchiv Schleswig archiviert sind, Abt. 352 Lübeck, Nr. 1662-1727.Nach kurzem Aufenthalt in Kowno und Schaulen, wo den Einheiten des Bataillons Objektschutz- und Bewachungsaufgaben übertagen worden waren, wurde das Bataillon über Rositten (Rezekne) und Pleskau (Pskow) nach Luga in Marsch gesetzt. Hier erhielt es Befehl, das Winterquartier aufzubauen und zu beziehen. Auch in Pleskau und Luga sollen Angehörige des Bataillons an Massenexekutionen von Juden teilgenommen und Erschießungen einzelner Juden, anderer sowjetischer Zivilpersonen und Kriegsgefangenen durchgeführt haben. Polizeibataillon 65 (Zusatzbezeichnung "Cholm")Von Luga aus kamen die Kampf-Kompanien des Bataillons unter Führung des stellvertretenden Bataillonskommandeurs, Hauptmann Walter Grundmann, Mitte Januar 1942 im Verbände der Kampfgruppe "Scherer" zum Fronteinsatz bei den Abwehrkämpfen im Räume Cholm (Nordrußland), während die nicht zur kämpfenden Truppe gehörigen Teile des Bataillons, nämlich Bataillonsstab, Tross und Kfz-Staffel, in Luga verblieben. Grundmann war sonst Chef der 1. Kompanie. Bei diesem bis Anfang Mai 1942 andauernden Fronteinsatz war das Bataillon zusammen mit Einheiten der Wehrmacht zeitweise von sowjetischen Verbänden im Räume Cholm eingeschlossen und erlitt schwere Verluste.
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1. Tötung von etwa 3.000 jüdischen Männern, Frauen und Kindern, Zitadelle Kowno, Ende Juni/Anfang Juli 1941 |
B.: Taten im Generalgouvernement
1. Erschießung von etwa 20 polnischen Zivilgefangenen aus dem SS- und Polizeigefängnis Montelupi in Krakau in einem Wald bei Krakau im Herbst 1942 |
C.: Taten in Dänemark
1. Festnahme zahlreicher dänischer jüdischer Männer, Frauen und Kinder in Kopenhagen im Herbst 1943 und Begleitung von Transporten eines Teiles der Festgenommenen nach Theresienstadt. |
D. Taten in Jugoslawien
1. Erschießung mehrerer jugoslawischer Männer bei Cilly im April 1944 |
Die Bilanz der Auswertung der Abschlussverfügung lautet: Die Staatsanwaltschaft Dortmund ermittelte gegen Angehörige des Polizeibataillons 65 wegen des Verdachts der Beteiligung an 50 bekannt gewordenen Straftaten. Dabei handelte es sich zum Großteil um kleinere Mordaktionen, die allerdings eine Menge über die bei einem Teil der Polizisten vorherrschende Geisteshaltung verraten.
So soll der Führer der 3. Kompanie, Walter Schmidt, in Dänemark die Kantine in angetrunkenem Zustand mit stark verschmutzter Hose betreten haben. Nach Ansicht des Zeugen habe es sich bei den Flecken um Menstruationsblut gehandelt. Ein Zugwachtmeister habe den Kompanieführer darauf aufmerksam gemacht, worauf sich ein handgreiflicher Streit entwickelte. In Dänemark bewachte das Polizeibataillon 65 das Internierungslager für Juden in Horseröd. Später in Jugoslawien habe der Kompanieführer seinen damaligen Kontrahenten auf ein "Himmelfahrtskommando" geschickt, bei dem dieser den Tod fand. Der Polizist glaubte, dass es sich um einen Racheakt handelte.
Angehörige des Polizeibataillons 65 haben sich häufig auf besonders brutale Weise an Menschen vergangen. Im Spätherbst 1941 erschossen Angehörige der 2. Kompanie einen jungen sowjetischen Juden in Luga, nachdem sie ihn vorher gequält hatten. "Im Spätherbst 1941 wurde ein junger Mann in die Unterkunft der 2. Kompanie gebracht, der von Unterführern nach Feststellung der Beschneidung als Jude erkannt worden war." Dieser Jude sei vom damaligen Polizeihauptwachtmeister und späteren Polizeimeister Hermann T. und den damaligen Zugwachtmeistern Peter B. und Josef E. misshandelt und gezwungen worden sein, mit einem in den Unterkünften der 2. Kompanie vorgefundenen ausgestopften Bären zu tanzen. Dazu musste er sich das Bärenfell überziehen. Beim Tanzen soll auf den jungen Mann geschossen worden sein. Schließlich wurde er angeblich in einen Holzverschlag gesperrt und darin weiter gequält. Der Gefangene habe vergeblich versucht, sich mit einer alten Sense die Pulsadern zu öffnen. Daraufhin sei der Gefangene erschossen worden.
Beschreibungen von größeren Mordaktionen dienen in diesem Fall ebenfalls dazu, deren Charakter zu verdeutlichen. Dazu äußerte sich August F. von der 1. Kompanie. Während des Einsatzes in Krakau von Juli bis Dezember 1942 nahmen die Kompanieangehörigen wöchentlich zwei bis drei Mal an Erschießungen ("Sondereinsätzen") teil. Die Schützen seien immer dieselben gewesen. Er selbst sei einmal abkommandiert worden, nachdem er geäußert hatte, sie hätten den Krieg verloren. "In Lublin erzählte mir dann der inzwischen gefallene Alfons S., dass sie fast vier Wochen lang nichts anderes getan hätten, als Menschen getötet." In Lublin seien Menschen "waggonweise" von Polizisten des Bataillons 65 getötet worden. Die Menschen hätten sich vor der Erschießung nackt ausziehen müssen, und man hätte bei den Frauen, die sich nicht schnell genug ausgezogen hätten, die Kleider mit dem Bajonett vom Hals an nach unten aufgeschlitzt. Dabei sei es vorgekommen, dass bei Frauen auch die Körper verletzt wurden. Alfons S. sprach auch davon, dass bei beleibteren Frauen die Därme hervorgekommen seien. Zeuge August F. war der Auffassung, dass "keiner gegen seinen Willen an Erschießungen teilnehmen musste", zu "weiche" Kollegen seien dazu nicht eingeteilt worden.
Ein Reservepolizist, der während einer Exekution ein Kind erschießen sollte, habe seinen Karabiner weggeworfen, als das Kind am Grubenrand sagte: "Onkel, ich habe Dir doch nichts getan."
Zeuge Josef D. sagte aus:
"Unter Führung von Leutnant Roland Brehm, Führer des 2. Zuges in der 1. Kompanie, der heute noch Offizier bei der Polizei Gelsenkirchen ist, fuhren wir zu einem jüdischen Krankenhaus. (...) Ich kam u.a. in ein Krankenzimmer und hier sagte mir der Arzt, es handele sich um eine frisch operierte (Blinddarm) Patientin und diese wäre nicht transportfähig. Ich antwortete ihm, dass wir aber alle Insassen abzuliefern hätten bzw. die Zahl, die auf dem Schein stand. Und wenn sie nicht mitkönne, so müsse er oder ein paar andere Ärzte mitkommen. Mit diesen Menschen, genau 46 an der Zahl, fuhren wir zu einem uns bekannten Platz im Wald. Vorweg möchte ich noch eine traurige Geschichte zu Protokoll geben, die sich im Krankenhaus zutrug. U.a. hatten wir eine alte Krankenschwester mit zu verladen. Diese zeigte mir ein EK I aus dem I. Weltkrieg und sagte mir, dass sie im l. Krieg Krankenschwester war. Außerdem bot sie mir Geld und Schmuck an und ich sollte ihr das Leben retten. Ich konnte es doch nicht aus der damaligen Situation heraus. Ich nahm zwar das Geld und den Schmuck an mich und gab beides den mit anwesenden SS-Männern. (...) Die frisch operierte Frau (...) durfte bei der Erschießung ihr Nachthemd anbehalten. Sie wurde an die Grube getragen. Ich selbst wurde durch B. dazu bestimmt, als Schütze in der Grube zu fungieren. Zuvor musste ich nämlich, ich will jetzt hier die volle Wahrheit sagen, mit als Schütze an der Grube fungieren. (...) Das Kommando war erst zur Grube gefahren. Dort war Leutnant B. federführend und SS. Es lag schon eine Vielzahl nackter Leichen in der Grube. Eine Vielzahl von Opfern lief noch entkleidet an der Grube herum. Die Toten mussten vorher noch mit Kalk beschüttet werden. Ich wurde zum Exekutionskommando eingeteilt. Geschossen wurde mit Karabinern. Feuerkommando wurde nicht erteilt. Es wurde wahllos auf die an der Grube knienden Opfer geschossen. Da wir mit den Karabinern auf eine so kurze Entfernung schössen, waren wir, und so auch ich, mit Blut bespritzt und auch mit Teilen aus dem Gehirn, da wir meist auf den Kopf zielten. Es gab reichlich Schnaps und Zigaretten und gute Verpflegung. Man machte uns praktisch betrunken, damit wir dieses grausige Geschäft überhaupt durchführen konnten. Exekutiert worden ist den ganzen Tag über. (...) An der Grube spielten sich grauenhafte Szenen ab. Manche der Opfer sprangen gleich so in die Grube. Die Menschen schrieen auf die grauenhafteste Weise und so blutbespritzt wie ich war und außerdem angetrunken, konnte ich ganz einfach nicht mehr mitmachen. Ich muss, wenn ich mich heute noch erinnere, geheult haben wie ein Schlosshund. Auf Grund dieser Tatsache hat mich dann B. mit dem schon vorher erwähnten Kommando ins Krankenhaus geschickt." |
Ein Zeuge berichtete, dass ein Polizeibeamter einen kriegsgefangenen Russen per Genickschuss tötete, weil dieser "unerlaubt" ein Stück Brot aus einem Korb entwendet hatte. Der Abschlussvermerk benennt eine weitere Gräueltat:
Während des Einsatzes des Bataillons im Raum Cholm von Januar bis Mai 1942 befand sich der Bataillonsgefechtsstand im Keller des "Roten Hauses" in Cholm. Dort wurde ein etwa 18jähriges Mädchen festgehalten. Bataillonskommandeur Walter Grundmann ließ eines Tages eine "Gerichtsverhandlung" durchführen, weil das Mädchen gesagt habe: "Viele deutsche Mütter werden weinen." Laut Abschlussvermerk habe "Grundmann das Mädchen auf einen Stuhl gestellt, es geschlagen und ihm die Unterwäsche heruntergezogen". Danach fasste er dem Mädchen an das Geschlechtsteil und machte dabei die für die anwesenden Bataillonsangehörigen bestimmte Bemerkung, dass Spioninnen dort oft Nachrichten zu verbergen pflegten. Er befahl den Anwesenden, ihre Stahlhelme aufzusetzen und verkündete das Urteil: "Im Namen des Führers verurteile ich Dich zum Tode durch den Strang." Anschließend gab er dem zufällig anwesenden, sich zunächst weigernden Bernhard R. den Befehl, das Mädchen im Türrahmen des Kellers zu erhängen. Erst nach energischer Wiederholung des Befehls habe R. den Befehl ausgeführt. Weil er sich zu ungeschickt anstellte und die Erhängungsprozedur nicht sofort zum Tod des Mädchens führte, habe sich Walter Grundmann an die Beine des Mädchens gehängt und so dessen Tod herbeigeführt.
Eine sichere Feststellung über die Zahl der Opfer des Polizeibataillons 65 ist kaum möglich. Aus den Akten geht hervor, dass die Einheit an der Ermordung von Tausenden von Menschen in Europa beteiligt war. Auch hier ist die Zahl der Toten nicht ausschlaggebend. Eine deutliche Sprache spricht eher die Vorgehensweise bei den Ermordungen. Eine äußerst vorsichtige Schätzung käme auf eine Mindestzahl von 5.000 Menschen, die unter direkter Beteiligung von Angehörigen des Polizeibataillons 65 im Exekutionskommando erschossen wurden. Entscheidendes Problem bei einer Bilanzierung ist die Tatsache, dass bei den untersuchten Fällen oft keine exakte Zahlenangaben vorhanden waren. Oft heißt es nur, dass Tausende oder zahlreiche Menschen erschossen wurden, ohne dass eine exakte Zahlenangabe erfolgt. Wir können daher davon ausgehen, dass die Zahl der Opfer des Polizeibataillons 65 weit über der oben genannten Zahl von 5.000 liegt. Zu den Aufgaben des Bataillons zählte beispielsweise auch der Transport von Tausenden von Juden in Konzentrationslager. Entscheidender ist, was geschah und wie gemordet wurde.
Bemerkenswert an diesem Verfahren ist, dass die Staatsanwaltschaft Dortmund "Nachvernehmungen" von zahlreichen Bataillonsangehörigen veranlasste. Alle nachvernommenen ehemaligen Bataillonsangehörigen sagten in beinahe exakt gleichem Wortlaut aus, dass sie vor den Aktionen nicht wussten, um was es ging. Und vor allem betonten sie, dass eine Verweigerung nicht möglich war, weil sie mit dem Tode bedroht würden. Das Lesen der Protokolle dieser Nachvernehmungen durch einen Beamten des LKA NRW wirft die Frage auf, ob diese dem Zweck dienten, eine Handhabe zur Einstellung des Verfahrens zu bekommen.
Beispiele für die auffälligen Übereinstimmungen in vielen der durchgeführten Vernehmungen:
Emil J.: "Wie sollte ich als Polizeireservist mich diesem Befehl entziehen. (...) Schlimmstenfalls hätte man mich sicherlich selbst erschossen."
Gustav W.: "Für mich und ich meine, dass auch die anderen Reservisten den Eindruck hatten, stand fest, dass eine Weigerung der Ausführung des Befehls an der Aktion teilzunehmen, tatsächlich mit dem Tode bestraft wird."
Josef D: "Bei einer Befehlsverweigerung wusste ich, was mir geschehen könnte, denn wir unterstanden auch als Reservisten der SS- und Polizeigerichtsbarkeit. (...) Wie sollte ich nun als Reservist (....) den Befehl verweigern."
Otto S.: "Es wäre seinerzeit undenkbar gewesen, den einmal gegebenen bzw. erhaltenen Befehl (...) nicht auszuführen. Ich war seinerzeit nur Reservist und kein aktiver Beamter. (...) Außerdem möchte ich zum Punkt der Befehlsverweigerung sagen, dass auch wir Reservisten der SS- und Polizeigerichtsbarkeit unterstanden. Ich weiß, dass diese Gerichte hohe und höchste Strafen - einschließlich die Todesstrafe - bei oft geringen Vergehen verhängten. Ich frage also, wie wäre es mir zuzumuten gewesen, den Befehl zu verweigern?"
Willi D.: "Uns war auch weiterhin bekannt, dass wir Reservisten der SS- und Polizeigerichtsbarkeit unterlagen. Bekanntlich verhängten diese allein schon für kleine Delikte hohe und höchste Strafen - einschließlich die Todesstrafe. Wie sollte ich nun als kleiner Reservist auf Grund der mir drohenden Gefahren den mir gegebenen Befehl (...) nicht befolgen. Es war also ganz unmöglich."
Adolf Wilp erinnerte sich: "Wie sollte ich mich als kleiner Reservist (...) einem Befehl widersetzen? Außerdem weiß heute wohl jeder, was in der Kriegszeit auf Befehlsverweigerung stand. U.U. die Todesstrafe, denn wir unterlagen auch als Reservisten der SS- und Polizeigerichtsbarkeit."
Heinrich H.: "Abschließend möchte ich noch sagen, dass uns bekannt war, dass wir der SS-und Polizeigerichtsbarkeit unterlagen. Derartige Gerichte sprachen bereits für geringe Delikte hohe und höchste Straßen aus - u.a. auch die Todesstrafe. Aus meinen Ausführungen geht klar hervor, dass ich mich in der damaligen Zeit - auf Grund der mir drohenden Gefahr hin - als einzelner gegen den gegebenen Befehl nicht auflehnen konnte. Es war ganz einfach unmöglich."
Florian K.: "ich konnte doch unmöglich in der damaligen Zeit den Befehl (...) verweigern. Man hätte mich möglicherweise gleich dazugestellt."
Albert F.: "Zusätzlich möchte ich sagen, dass wir als Polizisten der SS- und Polizeigerichtsbarkeit unterlagen. Diese Sondergerichte verhängten hohe und höchste Strafen für oft geringe Vergehen. Hierbei beziehe ich auch die Todesstrafe mit ein."
Lediglich der Spieß der 3. Kompanie Alex K., wollte sich nicht als Beschuldigter vernehmen lassen, "obwohl mir durch den vernehmenden Beamten die Gründe, die zur heutigen Vernehmung führten, zur Kenntnis gebracht wurden". Hat er möglicherweise nicht verstanden, was Sinn der Vernehmung war? Offen ist auch die Frage, wer den Polizisten die wahrscheinlich vorformulierten Aussagen in den Mund gelegt hat, die für das Protokoll jeweils leicht abgewandelt wurden. Ob das vor den Vernehmungen oder erst unmittelbar bei den Vernehmungen geschah? Wie dem auch sei, für die Beschuldigten war das Verfahren ein voller Erfolg. Es wurde eingestellt.
Auch viele Angehörige des Polizeibataillons 65 konnten nach 1945 Karriere machen bzw. fortsetzen. So bspw. auch Walter Stein, von Sommer 1941 bis Anfang 1942 Zugführer in der 1. Kompanie, ab August 1942 Zugführer in der 3. Kompanie, anschließend Adjutant beim SS- und Polizeiführer Radom. Höchster Rang: Oberleutnant.
[Anm. d. Verf.: Walter Stein, (5.10.1913–1999). Abitur; 1936 Eintritt in die Kriminalpolizei (Hannover); 1938 Kriminalkommissar-Prüfung an der Führerschule der Sicherheitspolizei in Berlin-Charlottenburg. Seit 1939 im sicherheitspolizeilichen Einsatz im „Protektorat Böhmen und Mähren“. Stein war neunzehnjährig in die SA eingetreten (Juni 1933), der er bis Oktober 1934 angehörte (in dieser Zeit, im Februar 1934, wurde er zum Sturmmann befördert); im Anschluss daran Mitglied des NSKK bis zu seiner Aufnahme in die SS am 2. Juni 1938 (Nr. 290996); zuletzt am 30. Januar 1943 zum SS-Hauptsturmführer befördert. Mitglied der NSDAP seit dem 1. Mai 1937 (Nr. 4611018)]
Andreas Jordan, Oktober 2007 |