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Hitlers Kinder-Soldaten: Flak- und Lufwaffenhelfer im "Dritten Reich"

Abb.: Wandspruch, aus einer Unterkunft des Flakregiment 46: ...Dich Flakregiment, werde ich nie vergessen. Für Zehntausende sollte dieser Propagandaspruch bittere Realität werden.

Abb.: Ein so genannter "Wandschmuck", aus einer Unterkunft des Flakregiment 46: (...) Dich Flakregiment, werde ich nie vergessen...

Flakhelfer/innen

Als Flakhelfer werden jene Jugendlichen bezeichnet, die in den letzten Jahren des Zweiten Weltkrieges (ab 1943) im Deutschen Reichsgebiet zum Einsatz in den Flakstellungen der Luftwaffe und der Kriegsmarine herangezogen wurden. Die weitaus größte Gruppe stellten die amtlich als Luftwaffenhelfer, abgekürzt "LwH", bezeichneten Oberschüler der Jahrgänge 1926 bis 1928. (Nach der heute weltweit gebräuchlichen Begriffsbestimmung könnten diese im weiteren Sinne nachträglich zu den Kindersoldaten gezählt werden. Der Soziologe Heinz Bude hat die Definition Schülersoldaten für die Luftwaffenhelfer geprägt).

Urlaub und Taschengeld der Flakhelfer

Flakhelfer erhielten Urlaub (außer Freistellungen zum Schulunterricht) nur spärlich. Es gab gelegentlich Urlaub für einen halben Tag, bei Stationierung in der Nähe der elterlichen Wohnung auch gelegentlich über eine Nacht oder gar über ein Wochenende. Zweimal im Jahr wurde ein 14-tägiger Urlaub gewährt. Die Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln waren unentgeltlich (Wehrmachtsfahrschein für die Eisenbahn). Die Flakhelfer mussten außerhalb ihres Dienstortes einen Urlaubsschein oder bei dienstlicher Abwesenheit einen Marschbefehl bei sich führen, damit sie die Berechtigung ihres Aufenthalts außerhalb des Dienstortes nachweisen konnten. Die Flakhelfer erhielten je Tag 0,50 Reichsmark. (Angeblich 1,00 Reichsmark, die nicht ausbezahlten 0,50 RM sollten angelegt und nach dem "Endsieg" mit Verzinsung ausbezahlt werden.)

Zahlenmäßiger Einsatz der Flakhelfer

Die von Hitler 1942 geforderte Abstellung von 120.000 Mann regulären Personals zum Fronteinsatz wurde durch die Einberufung der Flakhelfer ermöglicht. Insgesamt taten etwa 200.000 Jungen der Jahrgänge 1926 bis 1928 Dienst als Luftwaffenhelfer, im Anfang nur im frontfernen Reichsgebiet. Zu Beginn des Einsatzes 1943 waren ausschließlich Schüler der höheren und mittleren Schulen betroffen, doch ab Herbst 1944 wurden auch Lehrlinge eingezogen, vorwiegend aus Österreich und aus den im Osten eingegliederten bzw. besetzten Gebieten. Sie ersetzten zum Teil die Luftwaffenhelfer der Jahrgänge 1926, 1927 und, soweit fronttauglich, 1928, die 1944 zum Reichsarbeitsdienst und zur Wehrmacht abgingen. Durch das schnelle Vorrücken der Alliierten gegen Ende des Krieges wurden viele Jungen in Einsätze gegen Erdtruppen verwickelt, sowohl im Osten gegen die Sowjetarmee als auch im Westen gegen britische und amerikanische Einheiten. Die Flakhelfer hatten rechtlich einen Nichtkombattanten-Status im Sinne der Haager Landkriegsordnung. Bei Feindannäherung wurden manche zu regulären Flaksoldaten erklärt und erhielten entsprechende Vermerke in ihre Dienstausweise.

Folgen des Einsatzes

Als die ersten Flakhelfer eingezogen wurden, ging man davon aus, dass 100 Jugendliche einen Ersatz für 70 reguläre Flaksoldaten darstellen würden. In der Realität erwies sich jedoch oft, dass die Flakhelfer, die im weiteren Verlauf des Krieges schließlich ganze Flakbatterien eigenverantwortlich führten, die zermürbten und resignierenden Männer an Einsatzbereitschaft weit übertrafen. Wie viele der Flakhelfer gefallen sind, ist unbekannt, da sie statistisch nicht erfasst wurden. Aufgrund der zahlreichen Berichte über Volltreffer in Flakstellungen ist mit hohen Opferzahlen zu rechnen. Allein bei einem Luftangriff auf eine Flakstellung in Köln-Brück am 28. Januar 1945 kamen 17 Luftwaffenhelfer ums Leben. Am 3. Oktober 1943 erhielt eine Flakstellung bei Sandershausen in der Nähe von Kassel einen Bombenvolltreffer.

Unter den Opfern befanden sich 23 Oberschüler. An der Stelle des Geschehens erinnert heute ein Gedenkstein an die Opfer. In der Flakstellung Langenhagen bei Hannover wurden am 27. September 1943 13 Schüler der hannoverschen Gymnasien Lutherschule und Bismarckschule durch einen Volltreffer in die Umwertung (eine mechanische Rechenanlage zur Ermittlung der ballistischen Werte für die Geschütze) getötet. Auch für sie wurde ein Gedenkstein angelegt. Er steht noch immer nahe der Pferderennbahn Neue Bult in Langenhagen.

Luftwaffenhelfer/innen

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Luftwaffenhelfer (LwH) war die offizielle Bezeichnung für 15- bis 17-jährige Oberschüler der Jahrgänge 1926 bis 1928, die als Flakhelfer seit Februar 1943 im Rahmen des Kriegshilfsdienstes bei der Reichsverteidigung im Luftkrieg eingesetzt waren. Luftwaffenhelfer hatten nicht den Status von Soldaten. Sie erfüllten zwar wie Soldaten Aufgaben an Geschützen und Geräten und lebten in den Flakstellungen wie sie, waren jedoch gleichzeitig Schüler, die von ihren Lehrern unterrichtet wurden. Offiziell wurden sie als HJ-Jungen dargestellt. Drei Institutionen waren beim Festlegen des Einsatzes von Luftwaffenhelfern beteiligt, Luftwaffe, Hitlerjugend und Schule. Freiwillige Meldungen waren nicht möglich, die Schüler wurden klassenweise zum Einsatz abgeordnet.

Die Luftwaffenhelfer sollten Ersatz für fronttaugliche Soldaten schaffen, die aus den Flakstellungen abgezogen wurden und an die Front geschickt wurden, um dort die Verluste zu ersetzen. Jeweils 100 Luftwaffenhelfer ersetzten 70 für die Front freigestellte Soldaten. Gegen den Einsatz der Luftwaffenhelfer gab es Bedenken, so fürchtete Martin Bormann, der Leiter der Parteikanzlei, den Einfluss auf die Stimmung der Bevölkerung. Es galt,den Eindruck zu vermeiden, dass die Wehrmacht ausgeblutet war und auf Jugendliche als Soldaten zurückgreifen musste.

Luftwaffenhelfer wurden nach neun Monaten Dienstzeit zum Luftwaffenoberhelfer (LwOH) befördert und trugen dann eine silberne Litze auf den Schulterstücken. Als weitere Maßnahme wurde, um das Prestigestreben der Jugendlichen auszunutzen, in seltenen Fällen das Flak-Kampfabzeichen verliehen.

Die nationalsozialistische Propaganda bot Jugendlichen in der Pubertät vor allem Ritterkreuzträger als imponierende Figuren an, Fliegerasse und U-Bootfahrer. Bei Luftwaffenhelfern hörte dies völlig auf, sie waren für diese heroische und pathetische Propaganda nicht mehr empfänglich. Um erwachsen zu erscheinen, standen bei ihnen hübsche Filmsternchen hoch im Kurs. In den Jahren 1943 bis 1945 dürften insgesamt 200.000 Luftwaffenhelfer und Marinehelfer im Einsatz gewesen sein. Genaue Daten über Verluste unter den Luftwaffenhelfern existieren nicht, doch lassen Berichte von zahlreichen Volltreffern in Flakstellungen hohe Opferzahlen vermuten.

"Die Ausstattung der Unterkünfte mit Wandschmuck ist durch die Luftgaukommandos zu sichern. ... Die Alkohol- und Tabakportionen dürfen für die Lw.-Helfer nicht empfangen werden, statt dessen sind Vitamindrops oder Süßigkeiten auszugeben."

Aus der Dienstanweisung des Reichsluftfahrtministers über den "Kriegshilfseinsatz der Jugend in der Luftwaffe" vom 26. Januar 1943

Von Februar 1943 bis Kriegsende 1945 werden wahrscheinlich bis zu 200.000 Jungen der Jahrgänge 1926 bis 1928 Luftwaffen- oder Marinehelfer gewesen sein. Doch ihr Einsatz in den 2.300 Flakbatterien (Herbst 1944) wehrt kaum einen Luftangriff ab, und selbst der Abschuss zahlreicher Flugzeuge der Alliierten hat keinen nennenswerten Einfluss auf den Kriegsverlauf. Wie viele Jugendliche als Luftwaffenhelfer 'gefallen' sind, ist nicht bekannt.

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Die Flak in Gelsenkirchen-Horst

Im Winter 1941/42 wird eine leichte Flakabteilung gebildet. Sie hatte erst 4 Batterien, dann 5 und später 6. Erhebliche Einbußen an Material und Personal sorgten 1944 dafür, dass 5 Batterien mit 2cm Geschützen übrigblieben. Abwehr- und Objektschutz im Flakregiment 4, Gruppe Essen, Luftgau VI.

Die 3. Batterie (Vier Züge) der leichten Flakabteilung 718: "Geführt" von Oberleutnant Petzke. 1.Zug : "Geführt" von Leutnant Hulz, Wachtmeister Herr und Uffz. Perkunder. Gefechtsstand der Abt. im St. Joseph-Hospital. Abteilungskommandeur Major Glasow.

Stellungen der 3. Batterie:
1. Zug Rennbahn Gelsenkirchen-Horst
2. Zug Mergelkuhle, Gladbeck-Rosenhügel
3. Zug "Russisches Gefangenen-Lager", Gladbeck-Rosenhügel
4. Zug Friedhof Gelsenkirchen-Buer/Beckhausen

12. auf 13. Juni 1944: der erste Zug mit drei Geschützen 2 cm Vierling 38. Die Royal Air Force zerstört zwei Geschütze, ein weiteres wird stark beschädigt, 8 Tote. Weitere Stellung: Gelsenkirchen-Horst, Fürstenbergstrasse. In o. g. Nacht gab es in Horst fast 20 Tote unter den Gelsenkirchener Mittelschülern in dieser Stellung.

Zeitzeuge Franz J. Kämper (6./lei. Flak-Abt. 718, später Flakbatterie z.b.V. 10400 am 16.11.1944 dann 5/s. Flakabt. 243 (o) schreibt an GELSENZENTRUM:

"Ich erlebte den Angriff in unmittelbarer Nähe und habe ihn in meinen privaten schriftlichen Erinnerungen ausführlich geschildert. Wir hatten in dieser Nacht in dieser Stellung vier Tote zu beklagen, drei Flaksoldaten (Koch, "Kammerbulle", WuG-Wachtmeister) und einen Luftwaffenhelfer aus Essen. Er war Schüler der Mittelschule Gelsenkirchen, die Schüler der Mittelschule Buer überlebten den Angriff auf diese Stellung. Drei meiner Klassenkameraden aus Buer waren in dieser Nacht unter den Toten der Flakstellung Horster Rennbahn".

Umwertung der 6. Batterie 718 in 'z.b.V. Batterie 10.400'. Die Batterie lag in Buer-Beckhausen. Sie verfügte über 4 Kanonen 12,8 cm. September 1944 erleben die Mittelschüler aus Buer einen Rohrkrepierer, vier Verwundete. Die Batterie wird am 1. November in die 5. Batterie, schwere Flakabt. 243 umgewandelt. Diese Stellung verfügte über ein Würzburg Fu MG, neben dem 4-Meter Gerät gab es noch ein 6 Meter-Gerät. Die Buerer Mittelschüler werden am 30. Januar 1945 entlassen, die Besatzung der Stellung sprengt bei Kriegsende die Geschütze.

Zeitzeuge Franz J. Kämper:

"Das waren einige wenige Kameraden, die in ein Wehr-Ertüchtigungslager wechseln mussten. Die anderen Luftwaffenhelfer wurden etwa am 26. März entlassen. Ich war der letzte, als ich am 27. März von einem vorgeschobenen Beobachtungsposten von Dorsten aus in die Stellung kam, um für meinen Beobachtungs-Vorgesetzten und mich wieder Nachschub zu "fassen". Meine Entlassungs-Bescheinigung vom 28. März 1945 habe ich heute noch ebenso wie meinen Ausweis und mein Personalbuch".

Luftwaffenhelfer vor Gelsenberg/Beckhausen, Sommer 1944

Abb.: Luftwaffenhelfer vor Gelsenberg/Beckhausen, Sommer 1944

Luftwaffenhelfer 6. Batterie leichte Flakabt. 718, 2cm. Der Richtkanonier in der Stellung Buer/Beckhausen.

Abb.: Luftwaffenhelfer 6. Batterie leichte Flakabt. 718, 2cm. Der Richtkanonier in der Stellung Buer/Beckhausen.

Luftwaffenhelfer vor dem Basisgerät der z.b.V. 10.400; Anfang Dezember 1944 in Gelsenkirchen-Buer.

Abb.: Luftwaffenhelfer vor dem Basisgerät der z.b.V. 10.400; Anfang Dezember 1944 in Gelsenkirchen-Buer.

Luftwaffenhelfer Manfred Pliska, Helmut Schieferle, Günther Lojewski, Kurt Kather vor dem Funkmeßgerät der z.b.V. Batterie 10.400

Abb.: Luftwaffenhelfer Manfred Pliska, Helmut Schieferle, Günther Lojewski, Kurt Kather vor dem Funkmeßgerät der z.b.V. Batterie 10.400

Übersichtskizze

Abb.: Übersichtskizze Flakstellungen südl. d. Lippe im Sommer 1944

Überrannte Flakstellung Buer

Abb.: Überrannte Flakstellung Buer

Vgl.: Jugend im Krieg von Ludger Tewes, 1989.

Bilder aus "Der zweite Weltkrieg in Bottrop und Umgebung, 1943-1945. Historische Gesellschaft Bottrop, Mai 1985.


Lufwaffenhelfer in Gelsenkirchen-Horst

Lufwaffenhelfer war auch der Zeitzeuge Franz-Josef Kämper aus Gelsenkirchen. Der nachfolgende Text ist Teil der Familienchronik von Franz-Josef Kämper, im nachfolgenden Text als "FJ" bezeichnet:

Auszug aus dem Personalausweis von Franz Josef Kämper

Abb.: Auszug aus dem Personalausweis von Franz Josef Kämper

08. Januar 1944. Alle Schüler des Jahrganges 1928 der Knaben-Mittelschule Buer kommen aus der Kinderlandverschickung des Lagers Bresnitz zurück. Hitler muß Soldaten von der Flak an die Fronten abziehen, als Ersatz braucht man neue Luftwaffenhelfer. 12.01. FJ wird, zusammen mit allen Klassenkameraden der Jahrgänge 1928 und älter, als Luftwaffenhelfer zur 6. leichten Flak-Abt 718 eingezogen. Er ist jetzt 1,68 m groß und wiegt 56 kg. Seine Einheit (Batterie) war mit der "2 cm Flak 38" ausgerüstet. (2 cm = Geschoßdurchmesser, Flak = Fliegerabwehrkanone, 38 = Kanone war 1938 konstruiert worden.) Die Luftwaffenhelfer (LwH) sind 15 oder 16 Jahre "alt". Sie werden auch als Baby-Flak "auf den Arm genommen".

An Haltestellen hört FJ mehrfach von älteren Leuten, die ihn beobachten, den empörten und leisen Ausruf: "Eine Schande, diese Kinder!"

Erste Stellung: Auf einem Kohle-Lagerplatz der Zeche Nordstern in Gelsenkirchen-Horst. Zweite Stellung: An der Schleuse 4 des Rhein-Herne-Kanals in Schalke-Nord. Die Luftwaffenhelfer waren in Holzbaracken untergebracht, mehrstöckige Holzbetten mit Strohsack-"Matratzen", ein Tisch mit Stühlen, ein Kohle-Kanonenofen, und für jeden ein mannshoher, ca. 40 cm breiter Blechspind, das war die komfortable Inneneinrichtung. Graue Wolldecken dienten als Bettunterlage und -decke. Das Essen holte man im Aluminium-Kochgeschirr in der Küche ab. Gegessen wurde in der Baracke, oder Sommertags im Freien. So konnte man sagen, daß den LwH Unterkunft und Verpflegung geboten wurde, und selbstverständlich auch Bekleidung. Der tägliche Sold betrug eine Reichsmark, ausgezahlt wurden davon aber nur 50 Pfennige. Angeblich sollten die anderen 50 Pfennige später als aufgelaufene Gesamtsumme fällig werden. Doch das sogenannte 3. Reich war bald am Ende, ohne daß dieser offene Betrag noch die Bezugsberechtigten erreicht hätte. Die 2 cm Flak konnte nur gegen Tiefflieger eingesetzt werden. Da die nächtlichen Angriffe der englischen Bomber in größeren Höhen geflogen wurden, gab es nur Übungen.

Ausschnitt aus einem Befliegungsfoto der Alliierten, Bereich Gelsenkirchen-Horst, September 1944. Neben dem Fuerstenbergstadion liegt beschriebene Flakstellung, in den Markierungen sind mittig die hoelzernen Flaktuerme zu erkennen.

Abb.: Ausschnitt aus einem Befliegungsfoto der Alliierten, Bereich Gelsenkirchen-Horst Süd vom September 1944. Neben dem Fürstenbergstadion liegt die von Franz-Josef Kämper nachfolgend beschriebene Flakstellung, in den Markierungen sind mittig die hölzernen Flaktürme zu erkennen. VERGRÖßERN

12. Juni 1944. Vor einiger Zeit hatte man uns zu unseren dritten Stellung neben dem Fußballstadion (Fürstenbergstadion) von Horst-Emscher verlegt. Das war etwa 1,5 km Luftlinie westlich der Gel- senberg Benzin AG, einem Werk, in dem aus Kohle das so kriegswichtige Benzin gewonnen wurde. Sie bestand u.a. aus folgenden Baracken: Mannschaftsräume, Küche, Schreibstube, WuG (Waffen und Gerät), Kantine und Telefonzentrale. Der zweistöckige Holz-Geschützturm sah aus wie ein großer Aussichtsturm. Im Erd- und 1. Obergeschoß war je eine Baracke eingebaut. Das 2 cm-Flakgeschütz stand auf der obersten Plattform unter freiem Himmel. Die Telefonzentrale war die einzige Baracke, die außen bis Mannshöhe von einem Erdwall umgeben war. Eine neue Telefonzentrale war schon einsatzbereit. Sie lag als Unterstand jenseits der Straße auf freiem Feld und sollte in den nächsten Tagen in Betrieb genommen werden.

Auszug aus dem Personalausweis: zugehöriger Truppenteil

Abb.: Auszug aus dem Personalausweis: zugehöriger Truppenteil

FJ hatte an diesem Tage bis abends Dienst in der Telefonzentrale. Der Flaksender hatte vor Dienstende den Anflug größerer Bomberverbände über der Zuider-See in Holland gemeldet. Erwin Hugenbruch, ein Luftwaffenhelfer aus Essen, übernahm den Nachtdienst in der Telefon-Baracke und löste FJ dort ab. Bald gab es Alarm, und da die 2 cm-Geschütze bei den großen Anflughöhen der Bomber nutzlos waren, suchten alle gute Deckung. Die LwH sprangen in die Einmann-Löcher, die sie vor einiger Zeit mit gemischten Gefühlen selbst ausgehoben hatten.

FJ hetzte zum Unterstand: Die Tür war abgeschlossen, sie sprang aber durch den Luftdruck der in der Nähe einschlagenden Bomben auf, sodaß er sich innen auf den Boden werfen konnte. Es war ein furchtbarer Bombenangriff auf die Gelsenberg AG Horst, einem der kriegswichtigen Werke, in denen Benzin hergestellt wurde. Die Erde bebte, die Luft war erfüllt von einem stechendem Geruch und starken Detonationen in nächster Nähe. Keiner dachte, daß er je aus dieser Hölle lebend herauskommen würde.

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Als es endlich ruhig war, kam FJ wieder aus dem Unterstand nach oben: Die Stellung war total zerstört worden. Die Baracke mit der Telefon-Zentrale hatte einen Luftminen-Volltreffer bekommen. Beim Schein von Taschenlampen wurde in den Trümmern nach den Verwundeten und Toten gesucht. Zunächst waren drei Tote zu beklagen, die sich alle in der Telefonzentrale aufgehalten hatten.

Der Koch Stahmer, der WuG (Waffen- und Geräte)-Wachtmeister und auch LwH Erwin Hugenbruch. Ein vierter Mann aus der Telefonzentrale, der Obergefreite Krebs, überlebte -wie durch ein Wunder- schwer verwundet. Ihn besuchten wir einige Tage später in einem Hilfs-Lazarett in Zweckel. Vor der Telefonbaracke, außerhalb des Erdwalles, hatte sich der Batteriechef, Leutnant Borgmann, auf den Boden geworfen und war verwundet worden. Er war der Sohn eines Bauern aus Polsum bei Buer und kehrte nach Kriegsende auch dorthin zurück. Später zog er ins Münsterland.

Vermißt wurde am folgenden Morgen noch der Obergefreite Lorch, der "Kammerbulle". Er hatte an der Ostfront den furchtbaren Kriegswinter 1941/42 miterlebt und war ein sehr erfahrener Soldat. Als wir am Vormittag die große Stirnwand der Kantinenbaracke, die auf dem Boden lag, wegräumten, lag er darunter. Er hatte sich anscheinend in letzter Sekunde bäuchlings, mit weit vorgestreckten Händen, auf den Boden geworfen. Der große Vierkant-Holzträger, der die Kantinendecke an der Stirnwand getragen hatte, war ihm spitzkantig quer tief in den Rücken eingedrungen. Er war offensichtlich schlagartig getötet worden.

Abb.: Das Personalbuch der Luftwaffe,

Abb.: Das Personalbuch der Luftwaffe, "Kriegshilfseinsatz"

Der Spieß, Hauptwachtm. Schumacher, ein ehemaliger Stalingradkämpfer, wollte ihm den Ehering abziehen, um ihn später mit den anderen Sachen an die Angehörigen zu schicken. Doch der Finger war geschwollen, der Ring ließ sich nicht abziehen. Schumacher gab FJ den Befehl, ein Beil zu holen. Damit trennte Sch. den Finger von der Hand und zog den Ring nach hinten ab.

An diesem Morgen sahen einige LwH der Gelsenkirchener Mittelschule, daß sich die Mutter von Erwin Hugenbruch der Stellung näherte. Sie hatte im nahen Essen sicher auch bemerkt, daß Horst angegriffen worden war, und wollte sehen, wie es ihrem Erwin ergangen war. Spieß Schumacher hat sie dann noch vor den Trümmern der Stellung abgefangen und mußte ihr sagen, daß ihr Sohn Erwin in der Nacht Opfer des Bombenangriffes geworden war. Gegen Mittag kam ein Flak-Lastwagen, um die Gefallenen abzuholen. Auf der Ladefläche lagen verschnürte Bündel von Wehrmachts-Zeltplanen.

Vom Fahrer erfuhren wir, daß darin die Gefallenen der Flakstellung auf der Horster Rennbahn lagen und das auch unsere toten Klassenkameraden Manfred Dröse, Kurt Enge und Karl-Heinz Sokolowski auf der Ladefläche lagen. Auch deren Stellung war schwer getroffen worden. Sie lag am unmittelbaren westlichen Rand der Gelsenberg AG. Unsere Klassenkameraden haben wir Tage später in Buer, Erwin Hugenbruch in Essen, und die Flaksoldaten in Heßler beerdigt. Es wurde erzählt, daß die Zivilbevölkerung bei diesem Angriff ca. 180 Tote und die gesamte Flak 23 Tote zu beklagen hatte. Es hat Tage gedauert, bis wir unsere Nahrung wieder normal runterkriegten.

Da die Stellung in wahrstem Sinne des Wortes dem Erdboden gleich gemacht worden war, wurden wir in einer nahegelegenen Schule untergebracht. Die neue Telefonzentrale (Unterstand) wurde in Betrieb genommen. FJ gehörte nach wie vor zur Besatzung der Zentrale. Die ankommenden Leitungen waren als Freileitungen über Masten herangeführt worden. Spezielle Blitzschutzsicherungen sollten einschlagende Blitze zur Erde ableiten. Die Telefonleitungen endeten im Klappenschrank, der für jede Leitung eine Fallklappe hatte. Kam ein Anruf, so fiel die vorher senkrecht eingerastete Fallklappe in die waagerechte Stellung und meldete das durch ein lautes Surren.

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Die Wehrmachts-Telefonhörer hatten im Griff eine metallische Sprechtaste. Nur wenn man sie herunterdrückte, konnte der andere Teilnehmer hören, was man hineinsprach. Hatte man den Hörer in der Hand, lagen die Finger auf dieser metallischen Sprechtaste. Eines Abends hatte FJ während eines heftigen Gewitters Dienst. Er saß vor dem Klappenschrank und hatte gerade eine Telefonverbindung zur 4. Flakdivision vermittelt, als draußen wohl ein Blitz einschlug. FJ merkte garnicht, daß ihn der Blitz "außer Gefecht" setzte: Als er wieder wach wurde, lag er hinter seinem Stuhl seitlich auf dem Betonboden, seine Beine zuckten heftig, so als hüpfe er im Liegen. Er hatte für lange Sekunden nach dem "Wachwerden" keine Macht über sie, „berappelte" sich wieder und war danach wieder ganz der Alte. Alle Fallklappen waren in die waagerechte Stellung gefallen.

Über die Wirkung des Blitzes in dieser Situation gibt es einige Theorien:
1. Blitzeinschlag draußen in die Freileitungs-Telefondrähte und Versagen der Blitzschutzsicherungen: Der Blitz muß dann wohl über die metallische Sprechtaste, dann durch den Körper von FJ und seine metallnagel-beschlagenen Stiefel über den Betonboden seinen Weg zur Erde gefunden haben.
2. Blitzeinschlag in den Unterstand und Bildung eines "Spannungstrichters" am Einschlagort: Wenn FJ seine Füße auf dem Boden nicht unmittelbar nebeneinander stehen hatte, könnte er mit seinen auseinander stehenden Stiefeln eine beträchtliche Blitzspannung "abgegriffen" haben. Diese steigt proportional mit dem Abstand der Füße. Der Spannungstrichter ist auch der Grund dafür, daß Kühe auf der Weide bei Gewittern sehr stark gefährdet sind. Sie überbrücken mit ihren weit auseinander liegenden Läufen große Trichterspannungen, wenn in ihrer Nähe ein Blitz einschlägt. Noch viele Jahre nach dem Krieg ging FJ bei Gewittern um keinen Preis an ein Telefon!

10. Juli 1944. Die LwH werden zur schweren Flakbatterie z.b.V. 10400 in Buer-Beckhausen (z.b.V. zur besonderen Verwendung.) verlegt. Die Stellung lag 2 km Luftlinie nordwestlich der Gelsenberg AG zwischen dem Hof des Bauern Becks und der Autobahn. Das war zwischen den Abfahrten Gladbeck und Buer. Die Langrohr-Geschütze hatten ein Kaliber von 12,8 cm. Damit konnten sie Flugzeuge bekämpfen, die in größeren Höhen anflogen.

Abb.: Nachweis über

Abb.: Nachweis über "Erholungsurlaub" für die Schülersoldaten

Bisher konnten die LwH morgens zum Unterricht in die Schule fahren. Nun kamen die Lehrer in die Stellung, um die Luftwaffenhelfer zu unterrichten. Wenn wir bei Alarm an die Geräte oder Geschütze mußten, war's mit dem Unterricht vorbei. Die Lehrer verließen dann die Stellung wieder und konnten so noch einen der relativ sicheren großen Betonbunker der Zivilbevölkerung erreichen.

August 1944. Die Tagesangriffe beginnen. Ziele sind die Gelsenberg AG Horst, Ruhröl Bottrop, Ruhrchemie Holten, Hydrierwerk Scholven. Diese Werke stellen nach dem Fischer-Tropsch-Verfahren Benzin aus Kohle her und sind für die Kriegsführung von größter Bedeutung. Sobald nach einem Angriff die Produktion wieder lief, wurden die Anlagen erneut von großen Bomberverbänden angegriffen.

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Zur Täuschung der Angreifer wurden, z.B. beim Hydrierwerk Scholven, verschiedene Maßnahmen ergriffen: Die Zufahrtsstraße wurde kilometerlang mit einer Holzkonstruktion überdacht, auf der große Tarnnetze alles lückenlos abdeckten. Nordöstlich von Scholven hatte man auf einer landwirtschaftlich genutzten großen Fläche aus Holzattrappen ein großes "Hydrierwerk" nachgebaut. Bei zu erwartenden Angriffen wurde das eigentliche Hydrierwerk durch Anlagen, die ringsherum angeordnet waren, lückenlos vernebelt. Darauf fielen aber die angreifenden Bomberverbände nur einmal herein. Alle diese Maßnahmen konnten nicht verhindern, daß die Angriffe meist große Wirkung hatten. Die Benzinversorgung für die Wehrmacht und die anderen Truppenteile wurde immer mehr lahmgelegt. Unsere Batterie bekämpfte nun regelmäßig anfliegende Bomber. Bei guter Sicht wurden sie optisch erfaßt, bei schlechter durch das FuMG (Funk-Meß-Gerät), welches jedoch durch von den Bombern abgeworfene Stanniol-Streifen gestört wurde. Wenn die optische und FuMG-Erfassung ausschieden, war Sperrfeuer in den Luftraum der anfliegenden Bomber das letzte Mittel. Ab ca. September 1944 war Sperrfeuer wegen des schlechten Munitions-Nachschubes nicht mehr zulässig. Es hatte ohnehin trotz großen Munitionsverbrauchs keine große Wirkung gezeigt. Pro Bomberverband sind bald nur noch wenige Granaten zulässig. Sabotage in der Munitionsherstellung führt zu Rohrkrepierern. Auch bei uns war das der Fall, es gab mehrere Verwundete, als das Geschützrohr dabei abgesprengt wurde. In anderen Stellungen hatte es dabei Tote gegeben.

Abb.: FJ erhält das Tätigkeitsabzeichen der Flakartillerie

Abb.: November 1944: FJ erhält das Tätigkeitsabzeichen der Flakartillerie

März 1945: Die Flak-Batterie in Beckhausen wird auf den Erdkampf vorbereitet. Von der Stellung aus verlegen wir eine Fernsprechleitung über Zweckel und Feldhausen zur Hardt, einer Anhöhe unmittelbar westlich von Dorsten. Von dort aus sollen die später aus dem Räume Wesel anrückenden feindl. Truppen der Batterie gemeldet werden. Beobachter dort wird ein Oberfähnrich, sein Helfer FJ. Sowohl in der Stellung Beckhausen als auch im Erdloch auf der Hardt endete die Eindraht-Fernsprechleitung an je einem Feldfernsprecher 33 (Tragbarer Bakelit-Kasten). Als Rückleitung diente das Erdreich.

Wenn die Leitung gestört war, mußte FJ sie von Dorsten aus in Richtung Stellung Beckhausen überprüfen, während von dort aus das gleiche Spiel in Richtung Dorsten ablief. FJ war hierzu ausgerüstet mit einem Wehrmachtsfahrrad, welches einen abnehmbaren Lenker hatte, einem Feldfernsprecher 33 und einer Werkzeugtasche. Die Leitung war auf kürzestem Wege, d.h. auch querfeldein, verlegt worden. Bei einer dieser Aktionen wurde er bei Feldhausen von einem Tiefflieger mitten auf einem großen Acker angegriffen, als er gerade die Leitung reparierte. Die Schußgarben gingen nur wenige Meter daneben. Um diese Zeit schossen die Amerikaner auf alles, was sich auf dem Erdboden bewegte. Deutsche Flugzeuge hatte man schon lange nicht mehr gesehen!

Abb.: Die Rückgabe der Ausrüstung/Bekleidung wird säuberlich vermerkt, auch einige Wochen vor Ende des zweiten Weltkrieges

Abb.: Die Rückgabe der Ausrüstung wird säuberlich vermerkt, auch einige Wochen vor Ende des zweiten Weltkrieges

Alle 3 Tage mußte FJ mit dem Fahrrad zur 11 km entfernten Flakstellung fahren, um für den Oberfähnrich und sich Nachschub zu holen. Als er das am 28. März 1945 wieder tun wollte, war in der Stellung kein LwH mehr zu sehen. Man hatte sie am Vortage nach Hause entlassen, weil man offenbar befürchtete, daß die LwH - als durch die Haager Landkriegsordnung nicht geschützte Angehörige einer wehrmachtähnlichen Organisation - von den anrückenden Gegnern als Partisanen angesehen würden. Man sagte, zwei LwH hätten sich freiwillig als Flaksoldaten vereidigen lassen und wären in der Stellung geblieben. FJ bat nun auch um seine Entlassung. Die Dienstkleidung und Ausrüstung mußte er in Kammer abgeben. Der "Kammerbulle" quittierte ihm das auch.

Abb.: Bescheinigung über die Entlassung des Luftwaffenhelfers FJ

Abb.: Bescheinigung über die Entlassung des Luftwaffenhelfers Franz-Josef Kämper

FJ durfte aber seine "abgegebenen" Klamotten in eine Decke packen. Das Bündel nahm er auf die Schulter und machte sich zu Fuß querfeldein auf den Weg in das ca. 4 km entfernte Elternhaus. Der Flakmantel diente ihm in den ersten Nachkriegsjahren noch als Wintermantel. Als Heranwachsender hatte man nach zweijährigem Uniform-Tragen (erst HJ-Uniform im KLV-Lager, dann Flak) zu Hause keine passende Kleidung mehr, und kaufen konnte man nichts.

Lebensgeschichtliche Erinnerungen von Franz Josef Kämper, Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung.

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Andreas Jordan, März 2009

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