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OnlineProjekt Ausstellung Zeitgeist 1933 - 1945


Auf diesen Seiten werden Exponate ausgestellt, die den ganz normalen Wahnsinn unterm Hakenkreuz verdeutlichen und zum Nachdenken anregen sollen.

Leserbrief an den "Stürmer"

Dieser "Leserbrief" einer Gelsenkirchenerin an das antisemitische Hetzblatt des Julius Streicher zeigt in seiner menschenverachtenden Schreibweise sehr deutlich, welche Wirkung die Propaganda und die Haßparolen der Nationalsozialisten auf den schon vorher latent vorhandenen Antisemitismus und die deutsche Bevölkerung hatte. Dies ist nur ein Beispiel...

Antisemitisches Hetzblatt: Der Stuermer

"Lieber Stürmer!

Gauleiter Streicher hat uns so viel von den Juden erzählt, daß wir sie ganz gehörig hassen. Wir haben in der Schule einen Aufsatz geschrieben unter dem Titel: "Die Juden sind unser Unglück". Ich möchte bitten, meinen Aufsatz in Abdruck zu bringen. Die Juden sind unser Unglück. Leider sagen heute noch viele: "Die Juden sind auch Geschöpfe Gottes. Darum müßt Ihr sie auch achten." Wir aber sagen: "Ungeziefer sind auch Tiere, und trotzdem vernichten wir es." Der Jude ist ein Mischling. Er hat Erbanlagen von Ariern, Asiaten, Negern und Mongolen. Bei einem Mischling herrscht das Böse vor. Das einzige Gute, das er hat, ist die weiße Farbe. Ein Sprichwort der Bewohner der Südseeinseln lautet: "Der Weiße ist von Gott, und der Schwarze ist von Gott. Der Mischling aber ist vom Teufel."
Jesus sagte einmal zu ihnen: "Ihr habt zum Vater nicht Gott, sondern den Teufel." Die Juden haben ein böses Gesetzbuch. Das ist der Talmud. Auch sehen die Juden in uns das Tier und behandeln uns danach. Geld und Gut nehmen sie uns mit aller List weg. Auch schon am Hofe Karls des Franken regierten Juden. Deshalb wurde das römische Recht eingeführt. Dieses paßte aber nicht für den deutschen Bauern: es war aber auch kein Gesetz für den römischen Ackerbürger, sondern es war ein jüdisches Händlergesetz. Sicherlich sind die Juden auch Schuld an dem Mord Karls des Franken.

In Gelsenkirchen hat der Jude Grüneberg Aas an uns verkauft. Das darf er nach seinem Gesetzbuch. Aufstände haben die Juden angezettelt und zum Krieg haben sie gehetzt. Rußland haben sie ins Elend geführt. In Deutschland gaben sie der KPD Geld und bezahlten die Mordbuben. Wir standen am Rande des Grabes. Da kam Adolf Hitler. Jetzt sind die Juden im Auslande und hetzen gegen uns. Aber wir lassen uns nicht beirren und folgen dem Führer. Wir kaufen nichts beim Juden. Jeder Pfennig, den wir Ihnen geben, tötet einen unserer Angehörigen. Heil Hitler!"

Leserbrief von Erna Listing, Gelsenkirchen, Oswaldstraße 8 im NS-Propagandablatt "Der Stürmer" Januar 1935


Die Familie von Paul Grüneberg war in Gelsenkirchen sehr angesehen. Die "Fleisch-Markthalle" der Familie Grüneberg befand sich an der Hochstr. (während der NS-Zeit Adolf-Hitler-Straße), heute Hauptstraße. Der Metzgermeister Grüneberg war Mitglied des Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten und geschätztes Mitglied der jüdischen Gemeinde. Bald nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten bekam Paul Grüneberg den Antisemitismus und die verschärften Diskriminierungen zu spüren. Im Oktober 1934 erschien im "Stürmer" auf der Titelseite ein Artikel mit dem Titel: "Paul Grüneberg - Der Judenmetzger von Gelsenkirchen". Darin wurde Grüneberg beschuldigt, deutschen Kunden verdorbenes Fleisch zu verkaufen, außerdem beute er seine Angestellten aus. Grüneberg erkannte nicht die Notwendigkeit, Deutschland zu verlassen. Die Familie verlor Ihr Geschäft und mußte 1941 in ein sogenanntes "Judenhaus" ziehen.

Die vier Mitglieder der Familie Grüneberg wurden am 27. Januar 1942 ins Ghetto Riga deportiert. Im KZ Stutthof wurden Paul und Helene Grüneberg ermordet, Ihre Tochter Helene Grüneberg ist seither verschollen. Einzige überlebende war Hannelore "Lore" Grüneberg. Sie kehrte nach Kriegsende für eine kurze Zeit nach Gelsenkirchen zurück, um dann 1948 nach Bolivien auszuwandern.

Julius Streicher war einer der radikalsten Antisemiten der NSDAP, Organisator von Pogromen und Boykotten gegen Juden und Herausgeber des nationalsozialistischen Hetzblatts "Der Stürmer". Das 1923 zum ersten Mal erschienene Hetzblatt erreichte 1938 mit einer halben Million Exemplaren seine höchste Auflage. Berüchtigt war "Der Stürmer" für seine gehässigen Judenkarikaturen und seine Verquickung von Antisemitismus mit pornographischen Obsessionen. Ab 1927 wurde auf der Titelseite des "Stürmers" ständig das aus dem Kontext gelöste Zitat "Die Juden sind unser Unglück" des Historikers Heinrich von Treitschke aufgedruckt. Wöchentlich veröffentlichte das Blatt triumphierend Listen verhafteter Juden, die gegen die neuen Rassengesetze verstoßen hätten.

In einer extra eingerichteten Rubrik namens Am Pranger wurden so genannte "artvergessene Frauen" in Wort und Bild an den Pranger gestellt, zusammen mit den Männern. "Der Stürmer" erhielt täglich bis zu 700 Leserbriefe, viele mit denunziatorischem Inhalt; selbst die Gestapo hatte Probleme, alle Hinweise abzuarbeiten. In Städten und Dörfern im gesamten Deutschen Reich hingen sogenannte "Stürmer-Kästen", in denen die aktuelle Ausgabe kostenlos zu lesen war. Während der olympischen Spiele 1936 wurden an den Wettkampforten die "Stürmer-Kästen" abmontiert bzw. leer gelassen, um bei den ausländischen Besuchern einen besseren Eindruck zu machen.

Der Giftpilz - ein Kinderbuch

Ab 1936 gab der Stürmer-Verlag antisemitische Kinderbücher heraus, angeblich in einer Auflage von über 100.000 Stück: "Trau keinem Fuchs auf grüner Heid und keinem Jud bei seinem Eid - Ein Bilderbuch für Groß und Klein" (1936, Elvira Bauer), "Der Giftpilz" (1938, Ernst Hiemer und Fips) sowie "Der Pudelmopsdackelpinscher" (1940, Ernst Hiemer).

Streicher forderte die Todesstrafe für jüdische "Rasseschänder", bezichtigte indirekt sogar Hitler der Nachgiebigkeit in der "Judenfrage". "Nur die Lösung der Judenfrage kann uns erlösen." Selbst manche Parteigenossen hielten Streicher für "nicht ganz zurechnungsfähig", doch Streicher genoss die persönliche Protektion Hitlers.
Ab Kriegsbeginn 1939 wurde die offene Propagierung des Antisemitismus in der Presse ein wenig zurückgefahren. 1940 entschied ein NS-Parteigericht, dass Streicher zur "Menschenführung nicht fähig" sei, er wurde aller ämter enthoben. Grundlage waren neben seiner exzessiven Aggressivität auch Gauleiterkollegen gegenüber die Verquickung privater und politischer Ambitionen, das öffentlich ausgelebte Bedrängen von Frauen, an denen er interessiert war, sowie persönliche Raffgier und Selbstbedienungsmentalität. Der "Stürmer" und der zugehörige Verlag aber wurden ihm auf unmittelbaren Befehl Adolf Hitlers belassen; das Blatt erschien weiter in einer Auflage von 300.000 Exemplaren. Streicher erhielt ein Verbot, Nürnberg zu betreten und wohnte außerhalb der Stadt. 1943 starb Streichers Frau Kunigunde. Im Mai 1945 heiratete er Adele Tappe, die seit Mai 1940 seine Sekretärin gewesen war.

Andreas Jordan, Februar 2006