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Nachruf für Fred Diament, früher Gelsenkirchen 

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Erinnerung an Fred Diament

Von Elaine Woo, Journalistin bei der Los Angeles Times, 28. November 2004

Fred Diament, ein pensionierter Textilunternehmer aus LA, dessen lebenslange Beschäftigung mit dem Holocaust durch fünf höllische Jahre als Gefangener im Zweiten Weltkrieg in Konzentrationslagern genährt wurde, starb an den Komplikationen einer Lungenentzündung am 13. November im UCLA Medical Center. Er wurde 81 Jahre alt.

Diament war ein deutscher Jude polnischer Herkunft und wurde im Alter von 15 Jahren von den Nazis beim Kriegsausbruch 1939 verhaftet. Er wurde in ein KZ in der Nähe von Berlin geschickt, bevor er nach Auschwitz gebracht wurde, wo sein Vater von Wächtern tot geprügelt und einer seiner Brüder - Mitglied der geheimen Widerstandsbewegung im Lager - gehängt wurde.

Der Nobel-Preis-Träger und Holocaust-Überlebende Elie Wiesel erinnert auf sehr bewegende Weise an dieses Ereignis in seinem autobiographischen Roman "Nacht". Diament selbst unterstütze den Widerstand und überlebte den Todesmarsch aus Auschwitz 1945, bevor er nach Palästina auswanderte. Er kämpfte für die Unabhängigkeit Israels als Mitglied der Untergrundarmee Haganah, aus der die israelische Armee entstand und nahm so am Sinai-Feldzug 1956 teil. Er wanderte 1959 in die USA aus und hatte schließlich geschäftlichen Erfolg aber er gelobte, die Erinnerung an das was das schlimmste Verbrechen der Geschichte genannt wird, zu bewahren. Er sprach oft über sein Martyrium in der Kriegszeit in Schulen und in Gemeinschaftsgruppen und half bei der Gründung des amerikanischen Holocaust Memorial Museums in Washington D.C., das 1993 seine Tore öffnete.

"In unseren Augen war er ein Held" sagte Sig Halbreich, 95, ein ebenfalls ein Überlebender des Holocausts, der Diament im Lager von Sachsenhausen in Berlin traf. Als einer der Chefs des Widerstands trug er dazu bei, ihn in Auschwitz zu schützen. "Trotz seiner Jugend wurde er oft geschlagen. Aber er gab nie auf."

Wie Halbreich gehörte Diament zu den ersten Juden, die in die Todeslager geschickt wurden. Das machte ihn zu dem, was der Schriftsteller Primo Levi, bedeutender Chroniker des Holocausts, eine "niedrige Nummer" nennt. Diese Bezeichnung bezog sich auf die Identifikationsnummer, die die Nazis auf den Armen der Gefangenen eintätowierten. "Freddy überlebte nicht einen oder zwei sondern fünf Winter." sagte der Holocaust-Historiker Michael Berenbaum, der mit Diament im Holocaust Museum arbeitete. "Er gehört zu den Überlebenden des Schlimmsten, was einen enormen Respekt abfordert."

Diament wurde in der Bergbaustadt Gelsenkirchen in Deutschland geboren. Seine Eltern hatten ein Möbelgeschäft, das aber von den Nazi-Schlägern während der Kristallnacht - Feldzug der Gewalt und der Einschüchterung gegen die deutschen Juden im November 1938 - zerstört wurde. Er, sein Vater and sein Bruder wurden nach Sachsenhausen geschickt, wo er gezwungen wurde, ausgemergelte Leichen auf einen Lastwagen zu laden. Später, in Auschwitz, wurde er dem Nazi-Kommandanten als persönlicher Diener zugewiesen. Seine Position erlaubte ihm, die Gespräche des Kommandanten zu belauschen und dem Widerstand einige Informationen mitzuteilen, die seinen Kameraden helfen könnten. "Wir bildeten einen geheimen Untergrund und er brachte uns täglich alle Neuigkeiten", sagte Halbreich über Diament. "Er war für uns eine sehr wichtige Person".

Am 10. Oktober 1944 wurden drei Galgen auf dem Paradeplatz des Lagers errichtet. In dieser Nacht wurde mehr als 10 000 Gefangenen befohlen, sich davor zu versammeln, während der Regen auf ihre kahl geschorenen Köpfe fiel. Drei Gefangene wurden im grellen Licht der Suchscheinwerfer herausgebracht. Es waren Janek Grossfeld, ein Medizinstudent aus Krakau, Nathan Weissman, ein Jurastudent aus Lodz und Leo Yehuda Diament, der 22-jährige Bruder von Fred Diament. Sie waren bei dem Versuch erwischt worden, Kontakt zu polnischen Partisanen aufzunehmen, die ihnen hätten helfen können, einen Massenausbruch aus Auschwitz zu organisieren. Sie waren sechs Wochen vor diesem Tag in dem notorischen Block 10, dem Folterbunker, festgehalten worden, hatten aber nichts von ihrem Plan verraten.

Leo Diament aus Gelsenkirchen wurde als Letzter getötet. Bevor der Henker die Kiste unter seinen Füssen wegzog, schrie er: "Mut, Kameraden! Wir sind die letzten Opfer. Es lebe die Freiheit!"

"An diesem Abend" schrieb Wiesel in "Nacht", schmeckte die Suppe nach Leichen." Obwohl der Tod ein alltägliches Ereignis war: "Wie viele Male wachten wir morgens auf und entdeckten mit Schrecken, dass wir neben einem Toten geschlafen hatten" schrieb Fred Diament in einem Artikel Jahre später, war das Hängen selten. Laut Halbreich konnte Diament es nicht ertragen, Zeuge der Hinrichtung seines Bruders zu sein. Ein Apotheker brachte ihn zur Lagerkrankenstation, wo er arbeitete und behielt ihn dort, bis die Hinrichtungen vorbei waren.

Nach Diaments Tochter, Elana Diament Cooperman, war diese Tragödie "das entscheidende Ereignis im Leben meines Vaters". Von da an, sagte sie, "versuchte er immer dem Vermächtnis dieser drei Helden von Auschwitz gemäß zu leben, deren Tod nur drei Monate vor der Befreiung des Lagers geschah". In dem harten Winter 1944-1945, während die Sowjet-Truppen auf Polen zu marschierten, war Diament unter den Tausend ausgehungerten, zerlumpten Gefangenen, die zum Todesmarsch von Auschwitz nach Deutschland gezwungen wurden. Ohne Nahrung und ohne Wasser überlebten viele nicht. Nachzügler wurden erschossen und die Schwachen wurden am Straßenrand zum Sterben liegen gelassen.

In der durch einen sowjetischen Luftangriff entstandenen Verwirrung konnte jedoch Diament fliehen und machte sich schließlich auf den Weg in die Tschechoslowakei und in die Freiheit. In den ersten Monaten nach dem Krieg wurde er Rekrut bei der Haganah und fand seine Schwester Elli wieder, die den Krieg in Theresienstadt, dem Ghetto-Lager in der Nähe von Prag, verbracht hatte. Seine Eltern und drei seiner vier Brüder waren tot.

Er traf seine zukünftige Frau Ilse, auch eine Lagerüberlebende, auf dem Schiff, das ihn 1945 nach Israel brachte. Sie überlebte ihn mit ihren vier Kindern Elana, Steve, Amalia und Jeff und ihren sieben Enkelkindern. In Israel half Diament bei der Einrichtung eines der ersten Kibbuz für Holocaust-Überlebende. Er kehrte nach Deutschland mehrmals, um als Zeuge im Nürnberger Prozess gegen seine ehemaligen Folterer auszusagen. Mit seiner Aussage trug er zur Verurteilung von sechs der sadistischsten Wächter von Sachsenhausen und Auschwitz.

1959 zog er nach Los Angeles zu seiner Schwester und seinem überlebenden Bruder Saul, die sich dort niedergelassen hatten. Er trat in die Bekleidungsindustrie ein und im Alter von 36, neben seiner Familie und seinem Vollzeitjob, nahm er seine Ausbildung, die von den Nazis unterbrochen worden war, wieder auf. Während der nächsten 13 Jahre besuchte er Abendkurse und machte seinen Bachelor und seinen Master an der UCLA. Schließlich stieg er zum CEO (Chief executive officer) in der Frauenbekleidungsfirma Ernst Strauss auf. Er wohnte lange in Studio City und war aktives Mitglied in vielen jüdischen Organisationen wie die Jüdische Föderation von Los Angeles und dem Holocaust-Museum (USHMM) in Los Angeles.

Er war zweimal Präsident des "Clubs 1939", einer der größten und ältesten Organisationen von Überlebenden des Holocaust. In den frühen 80ern half er bei der Planung der Weltversammlung der Holocaust-Überlebenden, die in Israel und in den USA statt fand. Während dieser Zeit rekrutierte ihn Wiesel, ein enger Freund, der Diament in Auschwitz kennen gelernt hatte, als Mitglied des Ausschusses, der Inhalt und Philosophie des "United States Holocaust-Memorial-Museums" bestimmen sollte. Wiesel hatte es gegründet und war Vorsitzender. Berenbaum beschreibt ihn als hartnäckig und voller Leben. Selbst nach einigen finanziellen Rückschlägen in den letzten Jahren ließ er keine Gelegenheit aus, öffentlich über den Holocaust zu sprechen, insbesondere vor Schülergruppen. Er zeigte den Studenten die tätowierte Nummer auf seinem Arm und musste seine Tränen unterdrücken, wenn er von der Brutalität der Nazis sprach.

"Wir haben eine Verpflichtung, uns klar und deutlich gegen Ungerechtigkeiten auszusprechen, wenn wir sie sehen." sagte er zu den Los Angeles Daily News vor einigen Jahren."Sonst lassen Sie nur den Hass sich ausbreiten. Das Leben ist heilig. Sobald sie es vergessen, gibt es keine Grenze für das Morden".

Deutsche Textübersetzung: Marie-Cecile Duclercq


Andreas Jordan, Juli 2007

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