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Schaffung eines Gedenkortes in Gelsenkirchen

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Update: 29.8.2020 Die September-Ausgabe des Gelsenkirchener Stadtmagazins isso. greift auf den Seiten 38-41 die Lebens- und Leidensgeschichte der Gelsenkirchener Familie Karl Böhmer auf. Dazu findet sich dort der Abdruck eines Kommentars von Astrid Becker zur Öffentlichkeitsarbeit der Stadt Gelsenkirchen hinsichtlich des neugeschaffenen Rosa-Böhmer-Platzes: "Federleicht fremdgeschmückt - Kein Ruhmesblatt".

Isso Klargestellt. 'Federleicht fremdgeschmückt - Kein Ruhmesblatt'

Abb.: Screenshot, "Isso Klargestellt. 'Federleicht fremdgeschmückt - Kein Ruhmesblatt' Ein Kommentar von Astrid Becker"

14.8.2020: Die WAZ Gelsenkirchen berichtet am 77. Jahrestag der Ermordung von Rosa Böhmer:

Ein Platz zum Gedenken an Rosa Böhmer

Von Bastian Rosenkranz

Der neu gestaltete Bereich zwischen Hans-Sachs-Haus und Musiktheater trägt ab sofort den Namen des Sinti-Mädchens aus Buer, das vor 77 Jahren in Auschwitz starb.

Altstadt. Auf den Tag genau vor 77 Jahren löscht der Rassenwahn der Nationalsozialisten eines der un-schuldigsten Leben aus: das eines Kindes. Rosa Böhmer, am 22. Sep-tember 1933 in Buer geboren, stirbt als neunjähriges Mädchen in den Gaskammern von Auschwitz, weil sie zur Gruppe der Sinti und Roma gehört. Fast acht Jahrzehnte später hat das Gedenken an Böhmer und ihre Familie nun endgültig einen Platz mitten in Gelsenkirchen erhalten. Das geht in erster Linie auf Andreas Jordan zurück. Der Leiter des Gelsenzentrums, dem Verein für regionale Kultur- und Zeitgeschichte, hatte sich seit 2008 dafür eingesetzt, Rosa Böhmers kurze Lebensgeschichte zentral in Gelsenkirchen sichtbar zu machen. Weil es ein herausragendes Schicksal im Gesamtkontext der Nazi-Barbareien sei, betont Jordan. Und ein gut nachvollziehbares dazu, ermöglicht durch die Nachforschung von Böhmers damaligem Klassenkamerad und späteren Geschichtslehrer Hubert Schier.

„Rosa Böhmer kehrt symbolisch ins Herz der Stadt Gelsenkirchen zurück.“

Andreas Jordan, Leiter des Gelsenzentrums

„Die Nazis haben Sinti und Roma an die Ränder der Stadt verdrängt, um der Stadtgesellschaft zu zeigen: Die gehören nicht zu uns“, sagt Andreas Jordan und setzt fort: „Jetzt kehrt Rosa Böhmer symbolisch ins Herz der Stadt Gelsenkirchen zurück. Ein junges, unschuldiges Mädchen. Für mich ist es ein Zeichen des Umdenkens, ein Zeichen für das Hier und Jetzt.“ Name und Gedenkplakette erin- nern ab sofort an die Tochter von Karl und Anna Böhmer, die 1933 in Buer zur Welt kam. Deutsch, katholisch, Sinti: Letztgenanntes veranlasst die Nationalsozialisten 1937 dazu, das kleine Mädchen aus ihrer Familie zu reißen. Denn: Sinti und Roma gelten für die Nazis als arbeitsscheu, asozial, des Lebens unwürdig. Rosa Böhmer kommt in das Kinderheim Damianaeum in Warburg, wo Johannes und Theresia Hunke sie 1939 als Pflegekind aufnehmen.

„Nach einer kurzen, im Flüsterton gehaltenen Mitteilung an die Klassenlehrerin wurde Rosa Böhmer gebeten, ihren Tornister zu packen.“

Hubert Schier in seinem Text „Vergessenes Schülerschicksal“

Die Hunkes aus Hövelhof im Kreis Paderborn kümmern sich liebevoll um die Bueranerin – und planen für ihre Firmung, als das Kind in der Schule Besuch bekommt. Hubert Schier schreibt später in seinem Text „Vergessenes Schülerschicksal“ über die Szene am 5. März 1943: „Während des Unterrichts be- traten eine Dame und zwei Herren den Klassenraum. Nach einer kurzen, im Flüsterton gehaltenen Mitteilung an die Klassenlehrerin wurde Rosa Böhmer gebeten, ihren Tornister zu packen.“ Das Trio bringt das Mädchen zurück nach Gelsenkirchen zur leiblichen Familie und unterschreibt ihr Todes- urteil. Am 13. März erreicht der Zug mit Rosa, ihrer Mutter und den acht Geschwistern Auschwitz-Birkenau, genau fünf Monate später stirbt das Mädchen. Ihre Pflegeeltern, die bis zuletzt intervenieren, erhalten Anfang Juli einen Brief mit der zynischen Empfehlung, „anstelle des Zigeunerkindes ein arisches Waisenkind in die Pflege zu nehmen.“

Spielplätze und Wasserfontänen

Zurück in der Gegenwart. Grüne Wiesen wechseln sich auf dem neu gestalteten Platz mit Sitzmög- lichkeiten aus hellem Stein ab. Klettergerüste und Wippen, die kleinen Insekten nachempfunden sind, laden zum Spielen ein. Kinder rennen lachend umher und kühlen sich an den Wasserfontänen ab. Rosa Böhmer hätte es hier gefallen.

PDF: Ein Platz zum Gedenken an Rosa Böhmer


Gelsenkirchen: Rosa-Böhmer-Platz in der City erinnert nun an Völkermord an den Sinti und Roma 

Gelsenkirchen: Der Antrag auf Schaffung eines Gedenkortes wird abgelehnt

Abb.: Ablehnung aus 2013

1. August 2020. Seit 2008 setzte sich Andreas Jordan, Gründer und langjähriger Vorsitzender des Gelsenzentrum e.V. dafür ein, die Erinnerung an die unter der NS-Gewaltherrschaft ermordeten Gelsenkirchener Sinti und Roma mit einem öffentlich sichtbaren deutlichen Zeichen wach zu halten. Exemplarisch sollte eine Benennung eines Platzes bzw. Straße nach dem Sinti-Mädchen Rosa Böhmer in Gelsenkirchen an den Völkermord an Sinti und Roma erinnern.

Über die Jahre brachte Jordan wiederholt Anre- gungen und Vorschläge ein, die jedoch von Seiten der Verwaltung und den politischen Gremien jedoch abgelehnt wurden. Mit der Neugestaltung der Ebertstraße folgten Politik und Verwaltung dann einer vor längerer Zeit von Jordan eingereichten Bürgerantrag (§24 GO NRW), einen Gedenkort zu errichten: eine der neu geschaffenen Flächen an der Ebertstraße wurde nach Rosa Böhmer benannt. Das Sinti-Mädchen Rosa Böhmer wurde mit ihrer Mutter und acht Geschwistern in Auschwitz-Birkenau ermordet, der Vater starb bereits 1941 im KZ Niederhagen/Wewelsburg.

Gelsenkirchen: Erinnerungsorte-Tafel für die Sinti-Familie Karl Böhmer

Abb.: Die Erinnerungsorte-Tafel am Rosa-Böhmer-Platz, gelegen im Bereich Hans-Sachs-Haus und Ebertstraße, wurde im Juli 2020 aufgestellt.

Tafel verweist auf Lebens- und Leidensweg

Nun ist der neu geschaffene Gedenk- und Erinnerungsort in der Öffentlichkeit sichtbar: Der Rosa-Böhmer-Platz, gelegen im Herzen der Stadt, geschaffen im Zuge der Neugestaltung rund um die Ebertstraße. Eine Tafel am Fontänenfeld auf dem Rosa-Böhmer-Platz weist auf Rosa Böhmers Lebens- und Leidensweg, erinnert so symbolisch auch an die bis zu 500.000 Sinti und Roma, die unter dem Rassenwahn der Nazis gelitten haben und in den allermeisten Fällen ermordet wurden. Eine feierliche Übergabe des Rosa-Böhmer-Platzes an die Öffentlichkeit fand laut Stadtverwaltung wegen der Corona-Pandemie nicht statt. Auf die Frage hinsichtlich eines Nachholtermins unter Beteiligung von Angehörigen der Minderheit der Sinti und Roma teilte Stadtsprecher Martin Schulmann mit: "Ob und wann in welcher Form eine Erinnerungsveranstaltung künftig möglich ist, hängt auch von der weiteren Entwicklung der Pandemie ab."

Gelsenkirchen:  Die Familie Böhmer wurde von deutschen Nazis ermordet, nur weil sie Sinti waren

Abb.: Die Familie Böhmer wurde von deutschen Nazis ermordet, nur weil sie Sinti waren

Stolpersteine erinnern am Wohnort

Bereits im Jahr 2014 verlegte die Gelsenkirchener Stolperstein-Initiative um Andreas Jordan am letzten, selbstgewählten Wohnort der Familie Karl Böhmer an der Bergmannstraße 34 in Gel- senkirchen-Ückendorf elf Stolpersteine im Geden- ken an die Familie. Gelsenkirchener Künst- ler*innen und Kulturschaffende hatten mit ihren Spenden diese Erinnerungszeichen finanziert und somit erst ermöglicht. Der Holocaust an den Sinti und Roma wurde nach der Befreiung vom Nationalsozialismus nicht nur in Gelsenkirchen jahrzehntelang aus dem historischen Gedächtnis und der öffentlichen Erinnerung verdrängt. Die jetzt erfolgte Realisierung des Rosa-Böhmer-Platzes ist ein wichtiger Erfolg der Arbeit des Gelsenzentrum e.V., der sich über 10 Jahre für die Errichtung dieses Gedenkortes in Gelsenkirchen eingesetzt hat.

Persönliches Fazit

Nach seinem persönlichen Fazit gefragt, sagt Jordan: "Mehr als zehn Jahre habe ich mit meinen Anregungen und Vorschlägen, ein dauerhaftes Zeichen der Erinnerung und des Gedenkes an den an Sinti und Roma begangenen Völkermordes der Gelsenkirchener Stadtgesellschaft und deren politische Vetreter den Spiegel vorgehalten. Waren sie es doch, die in der Vergangenheit diesen Opfern von Tyrannei und Rassismus ein öffentliches Gedenkzeichen verweigert haben. So wundert es mich auch nicht wirklich, das in der offiziellen Verlautbarung der Stadt Gelsenkirchen zur Bennung des Rosa-Böhmer-Platzes schamhaft verschwiegen wird, welcher Gelsenkirchener Bürger als treibende Kraft tatsächlich hinter der Realisierung dieses so wichtigen Gedenkortes steht. Einmal mehr hat sich gezeigt, das beharrliches, zivilgesell- schaftliches Engagement zum erreichen eines Zieles führen kann. Gleichwohl ist die Realisierung dieses Gedenkortes auch eine Verpflichtung an uns alle - immer wieder die Stimme gegen jede Form von Rassismus und Nationalisums zu erheben, denn wir erleben seit langem beinahe täglich Beispiele für stetig gewaltsamer werdenden Antiziganismus, Antisemitismus und Rassismus. Dem kann und darf keinesfalls mit Gleichgültigkeit und Ignoranz begegnet werden." (GZ)

Ein Zusatzschild verweist auf den gewaltsamen Tod der Sinti-Familie Böhmer im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau

Abb.: Ein Zusatzschild verweist auf den gewaltsamen Tod der Sinti-Familie Böhmer im deutschen Vernichtungslager Au- schwitz-Birkenau. Rosas Vater Karl Böhmer wurde bereits am 9. 12.1941 im KZ Niedernhagen (Wevelsburg) ermordet.


Platz in Gelsenkirchener Innenstadt wird nach Sinti-Mädchen benannt 

Rosa Böhmer, geboren am 22. September 1933 in Gelsenkirchen, ermordet in Auschwitz am 13. August 1943

Abb.: Rosa Böhmer, ermordet im Alter von zehn Jahren am 13.8.1943 in Auschwitz.

20.2.2019. Mit Fertigstellung der Umbauarbeiten im Bereich Vattmann-/Ebertstraße wird auch die Benennung des Platzes vor dem ehemaligen Versorgungsamt (Vattmannstraße 2-8, 45879 Gelsenkirchen) nach Rosa Böhmer erfolgen. Das teilte uns die Fachverwaltung (ISG) auf Nachfrage gestern mit. Die Benennung des Platzes soll zeitgleich mit dem Abschluss der Arbeiten erfolgen, nach derzeitigem Planungsstand Ende 2019.


Porajmos: Der (fast) vergessene Holocaust an Sinti und Roma 

Abb: Der Appolonia-Pfaus-Park erinnert in Bochum an die in Auschwitz-Birkenau ermordete Sintezza Appolonia Pfaus, stellvertretend für die ermordeten Bochumer Sinti und Roma. (Foto: Jürgen Wenke)

23.1.2019. Das Romanes-Wort Porajmos (deutsch: "das Verschlingen") bezeichnet den Völkermord an den europäischen Roma in der Zeit des Natio- nalsozialismus. Der Völkermord an Sinti und Roma wurde von den Nationalsozialisten "aus dem gleichen Motiv des Rassenwahns, mit dem gleichen Vorsatz und dem gleichen Willen zur planmäßigen und endgültigen Vernichtung" durchgeführt wie der an Juden. Der Völkermord an Sinti und Roma wurde jahrzehntelang aus dem historischen Gedächtnis und der öffentlichen Erinnerung verdrängt. Dass sich die Erinnerung an den Porajmos heute grundlegend geändert hat, ist vor allem auf die Bürgerrechtsbewegung der deutschen Sinti und Roma zurückzuführen. Es ist mehr als bedauerlich, dass in Gelsenkirchen bis heute kein dauerhaftes, öffentliches Zeichen des Gedenkens realisiert wurde. Entsprechend Anläufe seit Mitte der 1990er Jahre wurden von Politik und Stadtverwaltung wiederholt mit unterschiedlichsten Begründungen abgelehnt.

Die Lokalpolitik hatte schon vor geraumer Zeit vor dem Hintergrund unserer Anregung das Institut für Stadtgeschichte mit der Suche nach einem geeigneten Platz beauftragt. Laut Prof. Dr. Stefan Goch, ehemaliger Leiter des ISG, scheint dieser Platz gefunden, so soll im Zuge der noch nicht abgeschlos- senen Neu- bzw. Umgestaltung der Ebertstraße und den damit verbundenen innerstädtischen Plätzen - die bereits an NS-Verfolgte erinnern - vor dem ehemaligen Versorgungsamt ein Rosa-Böhmer-Platz ge- schaffen werden. "Das Verfolgungsschicksal des Sinti-Mädchens → Rosa Böhmer" soll, wie schon lange von uns gefordert, stellvertretend an die aus Gelsenkirchen verschleppten und in Auschwitz-Birkenau ermordeten Sinti und Roma erinnern - Mitten im Herzen der Stadt." sagt Andreas Jordan, Vorsitzender des gemeinnützigen Vereins Gelsenzentrum, "Bleibt zu hoffen, das unsere jahrelangen Bemühungen zur Schaffung eines Gedenkortes für die Gelsenkirchener → Sinti und Roma tatsächlich schon bald zielführend waren."

Gelsenkirchen: Suche nach Gedenkort geht weiter

14.11.2013. In der gestrigen Sitzung lehnte die Bezirksvertretung Mitte die Anregung ab, den Platz zwischen Bildungszentrum und "Weißer Riese" nach der Sintezza Rosa Böhmer zu benennen.

Sinti und Roma: In Gelsenkirchen fehlt ein Zeichen der Erinnerung an den NS-Völkermord Abb.: Im Zuge des City-Umbaus "Neue Ebertstraße" ließe sich zwischen Fritz-Rahkob-Platz (1), Ebertstraße (2) und Leopold-Neuwald-Platz (3) mit etwas "guten Willen" eine entsprechende Fläche für einen "Rosa-Böhmer-Platz" einrichten. Die beiden bereits vorhanden Plätze erinnern an Opfer des Nazi-Regimes. Im Bürgerantrag vorgeschlagen: (4).

Häufig "dunkel und verschattet" sei der vorgeschlagene Platz zwischen der Wohnanlage "Weißer Riese" und dem Bildungszentrum. Weiter heißt es in der Beschlussvorlage, es werden "keine Adressen" geschaffen, auch werde dieser Platz "öffentlich kaum wahrgenommen bzw. genutzt". All das klingt irgendwie vorgeschoben. Mit Errichtung des Fritz-Rahkob-Platzes und des Leopold-Neuwald-Platzes sind seinerzeit ebenfalls keine Adressen geschaffen worden. Es wäre ein leichtes gewesen, die vorgeblich "fehlende Attraktivität" des vorgeschlagenen Platzes zu erhöhen. Im Rahmen der Neugestaltung der Fläche zwischen Vattmann- und Florastraße im Bereich der Ebertstraße kann mit der Umstrukturierung eine entsprechende Fläche geschaffen werden.

Die im August vorgenommene symbolische und temporäre Benennung des Platzes (4) nach Rosa Böhmer hatte bereits den Unmut der Eigentümergemeinschaft der Wohnanlage "Weißer Riese (rund 250 Mitglieder) erregt. Über den Verwalter hatte uns der Sprecher der Gemeinschaft aufgefordert, das Schild umgehend zu entfernen, man habe "Sorge, dass an dieser Stelle ein Müllkippe entsteht". Ob und inwieweit bei der gestrigen Entscheidung der BV Mitte die Eigentümergemeinschaft - ihr gehört ein kleiner Teil des vorgeschlagenen Platzes, - Einflüsse geltend gemacht hat, bleibt im Dunklen.

Eines ist jedoch erreicht: Der Gedenkort wird kommen, nur wann das sein wird und vor allem wo, ist derzeit noch offen. Wünschenswert wäre eine baldige Realisierung im Herzen der Stadt, denn das wäre auch ein starkes politisches Signal gegen den zunehmenden Antiromanismus, der auch in weiten Teilen der Gelsenkirchener Stadtgesellschaft vorhanden ist.

WAZ Gelsenkirchen: Rosa Böhmer: Suche nach Gedenkort für Gelsenkirchener Sinti-Mädchen geht weiter
Patrick Jedamzik, Bezirksverordneter für Gelsenkirchen-Mitte schreibt: Rosa-Böhmer-Platz

 

Symbolische Platzbenennung nach Rosa Böhmer

Sinti und Roma: In Gelsenkirchen fehlt ein Zeichen der Erinnerung

13.8.2013. Mit einer symbolischen und temporären Platzbenennung in der Gelsen-kirchener Altstadt wurde heute anlässlich des Todestages von Rosa Böhmer der Platz hinter dem Bildungszentrum nach dem im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau ermordeten neunjährigen Gelsenkirchener Sinti-Mädchen benannt. Ob es letztlich dieser Platz sein wird, der an die unter der NS-Diktatur verfolgten und in den allermeisten Fällen ermordeten Gelsenkirchener Sinti und Roma erinnert, steht noch nicht fest.

"Der Rote Emscherbote" formuliert seine Bedenken so: "Hoffentlich bedeutet die Suche nach einem “geeigneten Platz” nicht, dass sich die Ausgrenzung der Sinti und Roma im Gedenken fortsetzt, und die Stadt einen abgelegenen Platz am Stadtrand nach ihr benennt. Das wäre nicht nur blamabel, sondern einer sozialdemokratisch regierten Stadt unwürdig!"

Mittlerweile ist das Thema auch von der Lokalpolitik aufgenommen worden - nicht zuletzt durch unsere in diese Richtung gehenden Aktivitäten in den letzen Jahren. "Wir wollen einen Platz in der Stadt entsprechend benennen. Das ist unstrittig und wird so passieren. (...)" so wurde Dr. Günter Pruin, Vorsitzender des Kulturausschusses in einem Artikel in der heutigen Printausgabe der WAZ GE zitiert. In der Sitzung des Kulturausschusses am 15. Mai wurde dieser Punkt erörtert. Man kam bei der Sitzung überein, dass dem Kulturausschuss vom Institut für Stadtgeschichte ein Vorschlag für einen passenden Ort gemacht wird - nachzulesen im Sitzungsprotokoll, Seite 8.

WAZ Gelsenkirchen: Die Leidensgeschichte der Rosa Böhmer
Der Rote Emscherbote: Bald Rosa-Böhmer-Platz in Gelsenkirchen? (IV)
Gelsenblog: Gedenk- und Erinnerungsort: Symbolische Platzbenennung

 

Rosa-Böhmer-Platz: Beratung verzögert sich

26.6.2013. Wie die Stadtverwaltung Gelsenkirchen mitteilt sind die, Zitat: "(...) in dieser Angelegenheit erforderlichen umfangreichen Recherchen noch nicht abgeschlossen (...) aus diesem Grunde kann die Angelegenheit erst später beraten werden. (...)"

 

Bald Rosa-Böhmer-Platz in der Gelsenkirchener Innenstadt?

14.5.2013. Schriftlich teilt die Stadtverwaltung mit, dass die Anregung "Rosa-Böhmer-Platz" dem Ausschuss für Kultur und Tourismus in der Sitzung am 3. Juli 2013 zur Beratung vorgelegt wird.

 

Sinti und Roma: In Gelsenkirchen fehlt ein Zeichen der Erinnerung

13.4.2013. Folgen Verwaltung und Politik dem neuerlichen Antrag von Andreas Jordan, soll der Platz zwischen der City-Wohnanlage "Weißer Riese" und dem Bildungszentrum schon bald den Namen Rosa-Böhmer-Platz tragen.

"Rosa Böhmers Lebens- und Leidensweg soll stellvertretend an die im so genannten "Dritten Reich" aus Gelsenkirchen verschleppten und ermordeten Sinti und Roma erinnern. Ein "Rosa-Böhmer-Platz" fügt sich nahtlos in die Reihe der bereits nach Opfern und Gegnern des NS-Regimes benannten Plätze in der Gelsenkirchener Innenstadt ein" so Jordan.

Sinti und Roma: In Gelsenkirchen fehlt ein Zeichen der Erinnerung

Das Sinti-Mädchen Rosa Böhmer wurde am 22. September 1933 in Gelsenkirchen geboren. Nach der zwangsweisen Auflösung und Internierung der Familie Böhmer, die in Gelsenkirchen an der Bergmannstraße 34 lebte, kam Rosa Böhmer 1939 zu Pflegeeltern nach Hövelhof (Paderborn). Dort wurde das Kind von Gelsenkirchener Gestapobeamten 1942 aus dem Schulunterricht geholt, in das Internierungslager an der ehemaligen Reginenstraße in Ückendorf gebracht und am 9. März 1943 zusammen mit den dort zwangsweise lebenden Sinti- und Romafamilien nach Auschwitz verschleppt. Dort wurde Rosa Böhmer am 13. August 1943 - nur wenige Wochen vor ihrem 10. Geburtstag - von den Nazis ermordet.

Dokumentation: Aus der Schule ins KZ

 

Gedenken an die Deportation Gelsenkirchener Sinti und Roma

22.3.2013. In der Gelsenkirchener Bleckkirche ist am Donnerstag mit einer Gedenkstunde an die Deportation der Gelsenkirchener Sinti und Roma vor 70 Jahren erinnert worden. Die von Gelsenzentrum e.V. in Kooperation mit der Bleckkirche initiierte Gedenkveranstaltung, an der zahlreiche Sinti aus Gelsenkirchen und umliegenden Städten teilnahmen, war auch ein Aufruf an an die lokale Politik und Gesellschaft, der fortbestehenden Diskriminierung von Sinti und Roma energisch entgegenzutreten.

Deutliche Worte fand auch Roman Franz, Erster Vorsitzender des Landesverbandes NRW und Vorstandsmitglied des Zentralrat- und Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma in seiner Rede. So bedauerte er, dass in Gelsenkirchen bisher kein dauerhaftes Zeichen des Gedenkens realisiert wurde: “Wir, die Sinti, müssen gewiss nicht besonders an unsere Toten und an die Folgen von Tyrannei und Rassismus erinnert werden. Aber das sollte ein ernsthaftes Anliegen der Bürgerinnen und Bürger und ihrer politischen Vertretungen sein, denn die Ermordeten waren Bürger dieser Stadt.”

Andreas Jordan vom Verein Gelsenzentrum dazu: “Wir werden uns weiterhin beharrlich für die Errichtung eines öffentlichen Zeichens der Erinnerung und des Gedenkens an die aus Gelsenkirchen verschleppten und ermordeten Sinti und Roma einsetzen und der Stadtverwaltung zeitnah eine neuerliche Anregung unterbreiten. Die Realisierung unseres Vorschlags noch in diesem Jahr wäre wünschenswert, zumal die Ausgrenzung, Diskriminierung und Ermordung der Gelsenkirchener Sinti und Roma im Nationalsozialismus keinen Eingang in die Veranstaltungsreihe der Stadt zu Ereignissen und Folgen der Nazi-Herrschaft im 80. Jahr nach der Machtübergabe gefunden hat. Der Völkermord an 500.000 Sinti und Roma hatte seine eigene schreckliche Dimension, seine eigene Bürokratie und Systematik. Das darf auch in Gelsenkirchen nicht vergessen werden.”

 

Antrag fand keine Mehrheit

30. Januar 2013. Der Ausschuss für Kultur und Tourismus lehnt in seiner Sitzung am 30. Januar 2013 den Antrag auf "Schaffung eines Gedenk- und Erinnerungsortes für die aus Gelsenkirchen deportierten Sinti und Roma im Bereich der Ebertstraße"/Höhe Hans-Sachs-Haus ab.

22. Januar 2013. Stellungnahme der Verwaltung zum Bürgerantrag vom 21. Oktober 2012, Abschrift:

(...)

Öffentliche Beschlussvorlage; Drucksache Nr. 09-14/4673

Betreff

Anregungen und Beschwerden nach § 24 GO NRW, hier: Schaffung eines Gedenk- und Erinnerungsortes für die aus Gelsenkirchen deportierten Sinti und Roma

Beschlussvorschlag:


Der Antrag auf Schaffung eines Gedenk- und Erinnerungsortes für die aus Gelsenkirchen deportierten Sinti und Roma im Bereich der Ebertstraße wird abgelehnt.

Dr. Beck

Problembeschreibung / Begründung:

In einem Bürgerantrag vom 21. Oktober 2012 wird vorgeschlagen, einen Gedenk bzw. Erinnerungsort für die aus Gelsenkirchen deportierten und ermordeten Sinti und Roma im Umfeld des Neuen Hans-Sachs-Hauses zu schaffen. Dabei bezieht sich der Vorschlagende darauf, dass angeblich die Verfolgung und Ermordung der Sinti und Roma nicht hinreichend berücksichtigt worden wäre. Er spricht von "jahrzehntelange(r) Verengung der Erinnerungsarbeit in Gelsenkirchen auf nur wenige Verfolgtengruppen". Diese Einschätzung ist nicht zutreffend.

Die Verfolgung und Ermordung der Sinti und Roma in Gelsenkirchen wurde in Gelsenkirchen seit dem Beginn der Erforschung der Verbrechen an dieser Bevölkerungsgruppe in den 1970er Jahren behandelt. Im Rahmen der insgesamt in der ganzen Bundesrepublik erst verspätet einsetzenden Auseinandersetzung mit der Geschichte des Nationalsozialismus gibt es seit den 1980er Jahren, damals bearbeitet von dem inzwischen verstorbenen Dr. Michael Zimmermann, schon Veröffentlichungen, die die „Zigeuner-Lagerplätze“ in Gelsenkirchen berücksichtigen. Eine konkrete Beschäftigung mit dem Verfolgungsschicksal von Sinti und Roma in Gelsenkirchen lässt sich im Bereich der kommunalen Sozialpolitik seit Ende der 1950er Jahre nachweisen.

Nach ersten Forschungsergebnissen wurde die Verfolgung und Ermordung der Sinti und Roma in der 1994 eröffneten Dokumentationsstätte "Gelsenkirchen im Nationalsozialismus" öffentlich dargestellt und nach einem Auftrag des damaligen Oberbürgermeisters 1999 vom Institut für Stadtgeschichte eine umfassende Forschungsarbeit vorgelegt (Stefan Goch, "Mit einer Rückkehr nach hier ist nicht mehr zu rechnen", Verfolgung und Ermordung von Sinti und Roma während des "Dritten Reiches" im Raum Gelsenkirchen, Essen 1999 (Schriftenreihe des Instituts für Stadtgeschichte, Beiträge, Bd. 8)), auf die sich der Vorschlagende ja auch ausdrücklich bezieht. Weitere Publikationen folgten, erst jüngst: Stefan Goch, Gelsenkirchen: Nicht vergessen: Die Verfolgung und Ermordung der Sinti und Roma in Gelsenkirchen, in: Karola Fings, Ulrich, Friedrich Opfermann (Hrsg.), Zigeunerverfolgung im Rheinland und in Westfalen 1933-1945, Geschichte- Aufarbeitung und Erinnerung, Paderborn 2012, S. 157-162.

Seitens der Stadt Gelsenkirchen wird also nunmehr seit vielen Jahren auf die Verbrechen an Sinti und Roma hingewiesen. Gespräche mit dem Verband Deutscher Sinti und Roma e.V., Landesverband Nordrhein-Westfalen, der auch die Untersuchung von 1999 mit initiiert und auch begleitet hatte, führten nicht zu einer "Denkmals-Initiative" und einer konkreteren Vorstellung, in welcher Form, möglicherweise im öffentlichen Raum, an die Verfolgung und Ermordung der Sinti und Roma erinnert werden kann. Auch bundesweit hat es nach der Zustimmung der Bundesregierung zur Errichtung eines "Denkmal für die Opfer des nationalsozialistischen Völkermordes an den Sinti und Roma" im Jahr 1992 bis 2012 gedauert, bis ein solches Mahnmal errichtet werden konnte.

Meinungsverschiedenheiten zwischen verschiedenen Verfolgtenverbänden und weiteren Akteuren sowie "Gedenkkonkurrenzen" zwischen verschiedenen Gruppen von Opfern nationalsozialistischer Verbrechen führten zu zahlreichen Konflikten. Solche Konkurrenzen um "das beste Gedenken", die den Opfern aus ganz unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen nicht gerecht werden, möchte die Stadt Gelsenkirchen in der Gegenwart vermeiden. Im Stadtgarten erinnert ein Mahnmal, das in der Zeit nach der Befreiung vom Nationalsozialismus von Verfolgten selbst geschaffen wurde und in der heutigen Form aus dem Jahr 1950 stammt, an alle Verfolgten und Opfer. Auch wenn sich die Erinnerungskultur und die Formen der Denkmalsgestaltung weiterentwickelt haben, so ist dies doch der Ort der Erinnerung an die Opfer der Nationalsozialisten.

Weiterhin versucht die Stadt Gelsenkirchen nun schon seit Jahrzehnten durch dezentrale Erinnerungsaktivitäten und unterschiedliche Formen der Erinnerung ein differenziertes Bild des Nationalsozialismus zu vermitteln und auch der Bevölkerungsstruktur gerecht zu werden. Dabei sind auch neben unterschiedlichen Aktivitäten mit städtischer Beteiligung zivilgesellschaftliche Initiativen immer wieder unterstützt worden. Hier bemüht sich die Stadt Gelsenkirchen um gegenseitigen Respekt und konnte beispielsweise beim Projekt "Erinnerungsorte" schon mit zahlreichen Akteuren kooperieren. Vor dem Hintergrund der Geschichte der Verfolgung und Ermordung der Sinti und Roma gibt es nicht den geeigneten Erinnerungsort bzw. keinen Ort im Stadtbild, der als „geborener“ Erinnerungsort zentrale Bedeutung ausstrahlt.
Deshalb wird sich die Stadt Gelsenkirchen auch weiterhin vielfältig für eine Erinnerung an die nationalsozialistischen Verbrechen an Sinti und Roma engagieren.

Download der Beschlussvorlage als → PDF-Dokument

 

14.11.2012. Die Stadtverwaltung teilt mit, dass der Bürgerantrag dem zuständigen Gremium (Ausschuss für Kultur und Tourismus) in der Sitzung am 30. Januar 2013 zur Beratung vorgelegt wird.

Bürgerantrag: Erinnerungsort für NS-verfolgte Sinti und Roma in Gelsenkirchen  

In einem Bürgerantrag hat Andreas Jordan, der ehrenamtlich auch geschäftsführender Vorsitzender des gemeinnützigen Vereins Gelsenzentrum ist, jetzt die Forderung nach Errichtung eines Erinnerungs- und Gedenkortes in der Gelsenkirchener Innenstadt für die aus Gelsenkirchen unter der NS-Gewaltherrschaft deportierten und ermordeten Sinti und Roma formuliert.

Nach dem Vorschlag Jordans soll der Erinnerungsort an der Ebertstraße auf der Freifläche vor dem Hans-Sachs-Haus errichtet werden. In der Begründung des Antrags heißt es u.a.: "(...) In Gelsenkirchen fehlt daher ein öffentlich sichtbares Zeichen der Erinnerung und des Willens, dass Schicksal der aus Gelsenkirchen verschleppten und in Auschwitz ermordeten Sinti und Roma nicht zu vergessen. Der vorgeschlagene Gedenk- und Erinnerungsort befindet sich nach meiner Auffassung in einem würdigen Umfeld, ist repräsentativ und zentral gelegen und hätte damit eine hohe gesellschaftliche und politische Symbolkraft. (...)"

In einer Untersuchung der Verfolgung der Gelsenkirchener Sinti und Roma unter der NS-Gewaltherrschaft von Stefan Goch aus 1999 heißt es: "Von den 304 dargestellten Lebensgeschichten endeten 164 mit der Ermordung im „Zigeunerlager" Auschwitz und 48 mit einem unbekannten Schicksal in Auschwitz. Für 31 als "Zigeuner" verfolgte Menschen konnte eine Deportation nach Polen im Mai 1940 nachgewiesen werden. Fünf weitere Menschen wurde in anderen Lagern des „Dritten Reiches" ermordet."

(Quelle: Presse- und Medieninformation Gelsenzentrum e.V. vom 21. Oktober 2012)

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Gelsenzentrum, November 2012. Ediert August 2020

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