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Die Rote Ruhrarmee im Ruhrkrieg 1920

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Wieder einer, das ist nun im Reich Gewohnheit schon. Es gilt ihnen gleich. So geht das alle, alle Tage.
Hierzulande löst die soziale Frage ein Leutnant, zehn Mann, Pazifist ist der Hund?
Schießt ihm nicht erst die Knochen wund!
Die Kugel ins Herz! Und die Dienststellen logen: Er hat sich seiner Verhaftung entzogen.
Leitartikel, Dementi. Geschrei. Und in vierzehn Tagen ist alles vorbei.
Wieder einer. Ein müder Mann, der müde über die Deutschen sann.

Den preußischen Geist – er kannte ihn aus dem Heer und aus den Kolonien,
aus der großen Zeit – er mochte nicht mehr.
Er haßte dieses höllische Heer.
Er liebte die Menschen. Er haßte Sergeanten (das taten alle, die beide kannten).
Saß still auf dem Lande und angelte Fische, Las ein paar harmlose Zeitungswische...

Spitzelmeldung. Da rücken heran zwei Offiziere und sechzig Mann.
(Tapfer sind sie immer gewesen, das kann man schon bei Herrn Schäfer lesen.)
Das Opfer im Badeanzug… Schuß. In den Dreck. Wieder son Bolschewiste weg –!
Verbeugung, Kommandos, hart und knapp. Dann rückt die Heldengarde ab.
Ein toter Mann. Ein Stiller, ein Reiner. Wieder einer. Wieder einer.

Kurt Tucholsky: Paasche (1920)


Ein fast vergessener Kampf

Im Kulturhauptstadtjahr 2010 jährt sich zum 90. Mal ein fast vergessener Kampf gegen die Errichtung einer faschistischen Militärdiktatur in Deutschland. Arbeiter waren zur Verteidigung der Republik im März 1920 in den Generalstreik getreten und wurden im April von denen verfolgt, gejagt und getötet, gegen die sich ihr erfolgreicher Generalstreik gerichtet hatte. Die Verlierer im Ruhrkrieg waren die kämpfenden Arbeiter und ihre Familien im Ruhrgebiet, es ist ihr unbestreitbarer Verdienst, das 1920 durch ihren Kampf die Errichtung einer Militärdiktatur in Deutschland verhindert wurde.

Am 13. März 1920 wollten militante rechte Kreise mit dem sogenannten Kapp-Lüttwitz-Putsch den ersten Versuch einer deutschen parlamentarischen Demokratie beenden. Mit einem Generalstreik der Arbeiterschaft in Deutschland wurde der Putsch jedoch zum Scheitern gebracht. Nach dem Ende des Putsches ließ die Reichsregierung den andauernden bewaffneten Widerstand im Ruhrgebiet durch die "Rote Ruhrarmee" im März und April 1920 von der Reichswehr und den Freikorps niederschlagen.


Sie starben für die Rettung der Republik

Die "Rote Ruhrarmee" hatte sich als Antwort auf den Kapp-Lüttwitz-Putsch gebildet. Sie bestand aus bewaffneten Arbeitern, welche die sozialen und demokratischen Errungenschaften nach dem Ersten Weltkrieg gegen das putschende Militär verteidigen wollten. Nicht alle unter der roten Fahne denken an Umsturz, an die Diktatur des Proletariats und Weltrevolution. Sie sind angetreten, weil sie die Demokratie in durch den Kapp-Lüttwitz-Putsch in Gefahr und sich in ihren sozialen Erwartungen getäuscht sahen. Besonders im Ruhrgebiet kam es zu schweren Kämpfen zwischen den Arbeitern in der Ruhrarmee und den Freikorpsverbänden, der Sicherheitspolizei und der Reichswehr auf der anderen Seite.

Die "Rote Ruhrarmee" ist zum Synonym für die Ereignisse im Frühjahr 1920 geworden, die in der Literatur u.a. als "Ruhrkrieg", "Ruhrkampf 1920", "Ruhraufstand" oder auch "Märzrevolution" bezeichnet werden. Einen allgemein gebräuchlichen, einheitlichen Begriff für die Ereignisse und Kämpfe gibt es nicht. Der Begriff "Ruhrkrieg" ist sicher der treffendste, denn es handelte sich tatsächlich um einen Bürgerkrieg. Im Ruhrkrieg gab es Verbrechen auf Seiten der "Roten Ruhrarmee" und in noch furchtbarerem Ausmaß auf Seiten der Freikorps-, Polizei- und Reichswehrverbände.

Denkmal auf dem Horster Südfriedhof in Gelsenkirchen

Abb.: Denkmal auf dem Südfriedhof in Gelsenkirchen-Horst

Die Kämpfe forderten in den Reihen der "Roten Ruhrarmee" weit mehr als 2.000 Tote - überwiegend Ermordete, nicht Gefallene, weil die allermeisten erst nach dem eigentlichen Kampfgeschehen getötet wurden. Darunter übrigens auch Frauen, die zur "Roten Ruhrarmee" gehört hatten, als Krankenschwestern etwa oder als Köchinnen. Bei den Reichswehr- und Freikorps-Verbänden waren es etwa 350 Tote. In Heßler und Horst kam es in den ersten Tagen des April 1920 noch zu schweren Kämpfen, die sich bis zum 5. April hinzogen. Dabei starben weitere 80 Arbeiter. Verantwortlich dafür war der Bürgermeister von Horst, Dr. Wilhelm Schumacher. In dieser Funktion organisierte Schuhmacher im März/April 1920 den Kampf gegen die Rote Ruhrarmee. Schumacher machte später bei den Nazis Karriere. Das Foto zeigt das Denkmal auf dem Horster Südfriedhof, das 1920 von der Horster Arbeiterschaft ursprünglich zur Erinnerung an die während des Kapp-Lüttwitz-Putsches und in den darauf folgenden Kämpfen von Freikorps- und Reichswehrverbänden ermordeten Arbeiter aus Gelsenkirchen errichtet worden war.

Dieses Denkmal wurde während des "Dritten Reiches" von den Nazis zerstört. 1947/48 wurde es vom "Komitee ehemaliger politischer Gefangener und Konzentrationäre" (Vorläufer der VVN/BdA) in seiner jetzigen Form wieder errichtet. Seither erinnert der große Gedenkstein namentlich auch an Opfer des antifaschistischen Widerstandes 1933-1945, darunter auch an Mitglieder der "Zielasko-Widerstandsgruppe", wie Karl Schuster, Johann Eichenauer und Andreas Schillak junior und an die jüdischen Bürger Israel Kaufmann und Willy Hirsch aus Horst, die - wie fast alle Horster Juden - von den Nazis ermordet wurden. Genannt werden auf dem Denkmal auch die Horster Bürger Johann Neuner, Bernhard Ruczinski, Albert Quednau und Hermann Schmeckmann.

Denkmal auf dem Horster Südfriedhof in Gelsenkirchen

Abb.: Namen von ermordeten und gefallenen Angehörigen der Roten Ruhr- armee auf dem Mahn- und Gedenkstein auf dem Friedhof Horst-Süd


Vinzenz Muskeciorz
Wenzel Ruzek
Franz Nigbur
Wilhelm Kempa
Heinrich Wesseler
Friedrich Wagner
Johann Sacre
Arthur Muenzner
Anton Wazlawik
Ludwig Kasparek
Heinrich Spikowski




Ermordete und gefallene Angehörige der Roten Ruhrarmee

Vorname, Name Wohnort Alter/BerufTodestag/Ort Todesart
Gustav Langfeld Gelsenkirchen-25.3.1920 Dülmen Gefallen
Loose GelsenkirchenLehrer 18.3.1920 Rotthausen Verstorben
Louis Gärtner Buer-- Gefallen
Martha Greine Buer18, Dienstmädchen 1.4.1920 Haltern Verstorben
Fritz Mutzel Buer--Gefallen
Bicking Buer-HasselBergmann- -
Paul Gusowski Horst-Emscher33 27.3.1920 Hünxe Gefallen
Josef Rudolph Horst-Emscher27 27.3.1920 Hünxe Gefallen
Esbruch Horst--Ermordet

(Erklärung Vermerk "Verstorben": Nach Misshandlung oder Verwundung verstorben)

Tabelle aus "Kapp-Putsch und Märzrevolution 1920 (III), Totenliste der Märzgefallenen aus dem Rheinisch-Westfälischen Industriegebiet" von Günter Gleising und Anke Pfromm, RuhrEcho Verlag Bochum, 2010. Mit freundlicher Genehmigung.

Der Kapp-Lüttwitz-Putsch und der Ruhrkrieg 1920

In Berlin drohte ein rechtsgerichteter Putsch unter General von Lüttwitz und dem ostpreußischen Generallandschaftsdirektor Wolfgang Kapp gegen die demokratisch gewählte Regierung, die Errungenschaften der Weimarer Republik zunichte zu machen. Als Antwort auf diesen sogenannten Kapp-Lüttwitz-Putsch sammelte sich im Ruhrgebiet ein großer Teil der revolutionären Kräfte innerhalb der Arbeiterschaft. In den größeren Orten des Ruhrgebietes übernahmen spontan gebildete lokale "Vollzugsräte" die politische Macht. Sie wurden meist von der USPD dominiert, aber auch die KPD war vertreten. Schon unmittelbar nach Bekanntwerden der Ereignisse in Berlin begannen sich die politisch erregten Arbeiter unter Führung lokaler Vollzugsräte aus Sozialdemokraten, Linkssozialisten und Kommunisten zu bewaffnen und Milizen zu bilden.

Im Ruhrgebiet kam es am 13. März 1920 zu ersten Demonstrationen, so zum Beispiel mit 20.000 Menschen in Bochum. Gleichzeitig zum Kapp-Putsch fand am 14. März 1920 in Elberfeld ein Treffen von Vertretern von KPD, USPD und SPD statt. Die linken Arbeiterparteien beschlossen spontan ein Bündnis gegen die Putschisten. SPD, USPD und KPD verfassten einen gemeinsamen Aufruf zur "Erringung der politischen Macht durch die Diktatur des Proletariats".

In Folge dieser Erklärung und im Rahmen des Generalstreiks versuchten einige Arbeiter im regionalen Maßstab die Regierungsgewalt zu übernehmen. In den größeren Orten des Ruhrgebietes übernahmen spontan gebildete lokale "Vollzugsräte" die politische Macht. Sie wurden meist von der USPD dominiert, die KPD war ebenfalls mit dabei. Aber auch die anarchosyndikalistische Freie Arbeiter-Union Deutschlands (FAUD) war vertreten. Arbeiterwehren wurden aufgestellt, die die Städte kontrollierten. Am 15. März gelang ihnen in Herdecke die Überwältigung einer zahlenmäßig unterlegenen Abteilung des Freikorps Lichtschlag. Von diesem Erfolg ermutigt bildete sich binnen kurzem eine größere Arbeiterstreitmacht von etwa 50.000 bis 80.000 Mann. Am 16. März hatte diese so genannte "Rote Ruhrarmee" Dortmund erobert, und nur wenige Tage später kontrollierte sie nahezu das gesamte Ruhrgebiet.

Der Kommandierende General des Wehrkreiskommando VII in Münster, Generalleutnant von Watter, verweigerte bis zum 16. März eine öffentliche Erklärung zugunsten der alten Regierung. Die Zentrumspresse, SPD und DDP verurteilten dagegen das Umsturzunternehmen in ersten Reaktionen als unrechtmäßig und verbrecherisch. In vielen Städten, wie in Münster, folgten Arbeiter, Angestellte und auch Teile der Beamtenschaft dem Aufruf von SPD und Freien Gewerkschaften zum Generalstreik. Die größte Zustimmung für den Streikaufruf gab es im Ruhrgebiet, das schon seit Monaten immer wieder von sozialen und politischen Unruhen erfasst wurde.

Weite Teile der Ruhrarbeiterschaft waren tief enttäuscht über die Ergebnisse der Revolution, die nicht zu einer sozialistischen Staats- und Gesellschaftsordnung geführt hatte. Hinzu kam großer Hass auf die Freikorps, deren sich die sozialdemokratische Reichsregierung im Frühjahr 1919 im Kampf gegen linke Aufstandsversuche bediente. Zunächst wurde ein Generalstreik gegen die Putschisten ausgerufen, dann am 13. März 1920 die 50.000 Mann starke "Rote Ruhrarmee" gebildet, der es gelang, binnen kürzester Zeit die bewaffneten Ordnungskräfte im Revier zu besiegen. Diese sogenannte "Märzrevolution" - die größte bewaffnete Arbeiteraktion, die es in Deutschland je gab - nährte, wie schon die Münchner Räterepublik, die Angst des Bürgertums vor dem Bolschewismus.

Die Reichsregierung versuchte vergeblich durch die Zusage politischer Reformen und einer Amnestie die Selbstauflösung der "Roten Ruhrarmee" zu erreichen. Nachdem die Verhandlungen gescheitert waren, kam es zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen, als die Regierung Reichswehr- und Freikorpsvewrbände am 2. April 1920 ins Ruhrgebiet beorderte, die dann nach heftigen Kämpfen den Aufstand niederschlugen. Eine führende Rolle spielte hierbei der Kommandierende General von Watter. Sein Stab führte im Auftrag der Reichsregierung von Münster aus den Bürgerkrieg im Ruhrgebiet, bei dem Verbände von Reichswehr und Freikorps die "Rote Ruhrarmee" im Ruhrgebiet niederwarfen. Die Reichswehr ließ sich bereitwillig einsetzen, ging es doch gegen die "Bolschewisten", nicht gegen "Kameraden".

Die Greueltaten der Regierungstruppen übertrafen bei weitem die Ausschreitungen der Roten Ruhrarmee. Wer bei seiner Festnahme bewaffnet war, wurde sofort erschossen - auch Verwundete. Am 3. April musste Reichspräsident Ebert die Standgerichte wieder verbieten, um das Schlimmste zu verhüten. Erst am 12. April untersagte General von Watter seinen Soldaten "gesetzwidriges Verhalten"

Der "Roten Ruhrarmee", deren Stärke aus den später abgegebenen Gewehren auf etwa 50.000 Angehörige geschätzt wurde, gelang es, binnen kürzester Zeit die bewaffneten Ordnungskräfte im Ruhrrevier zu besiegen. Am 17. März 1920 griffen Einheiten der Roten Ruhrarmee bei Wetter eine Vorhut des Freikorps Lichtschlag unter Hauptmann Hasenclever an, der sich auf Nachfrage als Anhänger der neuen Kapp-Regierung zu erkennen gegeben hatte. Sie erbeuteten die Geschütze, nahmen 600 Freikorpsangehörige gefangen und besetzten Dortmund.

Am 20. März 1920 bildete sich in Essen der Zentralrat der Arbeiterräte, die in Teilen des Ruhrgebiets die Macht übernahmen. Auch in Hagen gab es eine Zentrale. Dem Ultimatum der ins Amt zurückgekehrten Regierung, bis zum 30. März bzw. 2. April Streik und Aufstand aufzugeben, kamen die Arbeiterräte nicht nach. Der Versuch, den Konflikt auf dem Verhandlungsweg im sogenannten Bielefelder Abkommen beizulegen, scheiterte letztlich am eigenmächtigen Vorgehen des regionalen Militärbefehlshabers Oskar von Watter. Die Folge war die erneute Proklamation eines Generalstreiks. Daran beteiligten sich mehr als 300.000 Bergarbeiter (rund 75 Prozent der Belegschaften).

Am 2. April 1920 marschierten Reichswehreinheiten auf Befehl der SPD-geführten Regierung ins Ruhrgebiet ein, um den Aufstand niederzuschlagen. Bezeichnenderweise befanden sich darunter auch Freikorps-Einheiten, die noch einige Tage zuvor den Kapp-Lüttwitz-Putsch unterstützt hatten, wie etwa die 3. Marine-Brigade des Wilfried von Loewenfeld. Der Antisemit und erklärte Faschist Loewenfeld war persönlich verantwortlich für den Beschuss der Stadt Bottrop am 3. und 4. April 1920 mit Mörsern, Granaten und Maschinengewehren. Er war als Chef des Freikorps Loewenfeld verantwortlich für die durch seine Männer begangenen Morde, nicht nur die in Bottrop und Kirchhellen begangenen, sondern auch die beim Einsatz in Oberschlesien und Berlin. Auch das Freikorps Loewenfeld zeigte u.a. auf seinen in Bottrop einrückenden Fahrzeugen bereits 1920 Hakenkreuze.

Bottrop-Kirchhellen: Straße nach dem Führer der Brigade Loewenfeld benannt

Der erklärte Faschist und Antisemit Loewenfeld sollte eigentlich für ein ehrendes Gedenken z.b. als Namensgeber für eine Straße im öffentlichen Raum tabu sein. Nicht so in Bottrop-Kirchhellen. Dort wurde 1960 eine Straße wieder nach Loewenfeld benannt, obwohl der Gemeinderat die Straße bereits 1947 in Johannestrasse umbannte. Aktuell, im Kulturhauptstadtjahr 2010, läuft ein erneuter Versuch, im Rat der Stadt Bottrop die Umbenennung der Loewenfeldstraße in Bottrop-Kirchhellen zu erreichen.

Mit Rückendeckung der Reichsregierung wurde der Ruhraufstand von General Watter von Norden her niedergeschlagen. Sein Stab führte im Auftrag der Reichsregierung von Münster aus den Bürgerkrieg im Ruhrgebiet, bei dem Verbände von Reichswehr und Freikorps die "Rote Ruhrarmee" im Ruhrgebiet niederwarfen. Es erfolgten Todesurteile sowie Massenerschießungen. Wer bei Festnahme bewaffnet war, wurde erschossen – auch Verletzte. Am 3. April 1920 ließ Reichspräsident Friedrich Ebert die Standgerichte wieder verbieten, um das Schlimmste zu verhüten. Erst am 12. April 1920 untersagte General von Watter seinen Soldaten "gesetzwidriges Verhalten".

Das Freikorps Epp, das am 6. April 1920 in Dortmund einmarschierte, war an der Niederschlagung des dortigen Aufstands beteiligt - vier Tage zuvor hatten sie bei Pelkum zwischen Bergkamen und Hamm nach einem Gefecht mit den Arbeitern mehrere Verwundete und zehn Sanitäterinnen der "Roten Ruhrarmee" sowie weitere Aufständische "auf der Flucht" erschossen. In der "Schlacht bei Pelkum" starben insgesamt 79 Kämpfer der "Roten Ruhrarmee". Erst an der Ruhr machte die Reichswehr halt, weil die britischen Besatzungstruppen wegen Verletzung des Friedensvertrages von Versailles mit der Besetzung des Bergischen Landes drohten.

Der Kapp-Lüttwitz-Putsch unterm Hakenkreuz

Skizze von Adolf Hitler, 1920

Abb.: Skizze Hitlers von 1920, darauf von ihm der Text: "Die heiligen Zeichen der Germanen. Eines dieser Zeichen sollte von uns wieder erhoben werden."

Das Denkmal auf dem Horster Südfriedhof (s.o.) stellt sehr gut die historische Verbindung zwischen dem rechtsextremen Kapp-Lüttwitz-Putsch, als Freikorps-Soldaten erstmals auch mit Runenzeichen (Hakenkreuzen) an Ausrüstung wie den Stahlhelmen und an Fahrzeugen auftraten, und dem Nationalsozialismus dar.

Stahlhelm mit einem aufgemalten Hakenkreuz, wie er von Angehörigen der Brigade Erhardt und bei anderen Freikorpswährend des Putsches getragen wurde

Abb.: Stahlhelm mit aufgemalten Hakenkreuz

Aus dem "Kampflied" der Brigade Erhardt:

"Hakenkreuz am Stahlhelm,
schwarz-weiß-rotes Band,
die Brigade Ehrhardt werden wir genannt.
Die Brigade Ehrhardt
schlägt alles kurz und klein,
wehe Dir, wehe Dir, du Arbeiterschwein."

Nach der offiziellen Auflösung der Brigade Erhardt übernahm die SA (Sturmabteilung) der noch jungen NSDAP das "Kampflied", nun mit den Zeilen 'Hakenkreuz am Stahlhelm/Blutig-rot das Band/Sturmabteilung Hitler werden wir genannt'.

Der Aufruf zum Generalstreik

Aufruf zum Generalstreik vom 13. März 1920 durch den Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund und die Arbeitsgemeinschaft freier Angestelltenverbände

Abb.: Aufruf zum Generalstreik vom 13. März 1920 durch den Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund (ADGB) und die Arbeitsgemeinschaft freier Angestelltenverbände (AfA). Verantwortlich für den Aufruf zeichneten die beiden Gewerkschaftsfunktionäre Carl Legien und Siegfried Aufhäuser.

Die Reichswehr unter Generaloberst Hans von Seeckt schützte während dieser Putschtage die legale Regierung nicht. Unter seinem berüchtigten Motto - "Reichswehr schießt nicht auf Reichswehr" verhielten sich die Kräfte des Heeres eher abwartend. Deshalb konnte der Kapp-Lüttwitz-Putsch nur durch einen Generalstreik in Deutschland bezwungen werden, ausgerufen durch den Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund. Dieser einzigartige politische Generalstreik, der die gesamte Wirtschaft und das öffentliche Leben in Deutschland lahm legte, zwang die Putschisten nach wenigen Tagen zur Aufgabe und Flucht nach Schweden. Es gibt keinen Zweifel daran, dass dieser Generalstreik die Republik damals gerettet hat.

Der Generalstreik

Der Streik, der mit ungeheurer Wucht gegen den Militärputsch einsetzte, war der einzige politische Generalstreik in der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, der diesen Namen wirklich verdient. Er ist ein Meilenstein in der demokratischen Tradition Deutschlands. Aber auch hier muß man sich vor Illusionen und Mythen hüten. Vor allem eine Partei ist es, die keine historische Berechtigung hat, sich den Generalstreik von 1920 als Ruhmestitel anzuheften: die SPD. Sie tut das allerdings bis heute und beruft sich dafür auf folgenden Aufruf:

"Arbeiter, Genossen! Wendet jedes Mittel an, um die Wiederkehr der blutigen Reaktion zu vernichten. Streikt, schneidet dieser Militärdiktatur die Luft ab, kämpft mit jedem Mittel um die Erhaltung der Republik, laßt alle Spaltung beiseite! Es gibt nur ein Mittel gegen die Rückkehr Wilhelms II.: die Lahmlegung jedes Wirtschaftslebens! Proletarier, vereinigt euch!"

Das SPD-Flugblatt von 1920

Abb.: SPD-Flugblatt von 1920

Dieser Text mit seiner Anlehnung an das Kommunistische Manifest war unterzeichnet von den SPD-Ministern der Reichsregierung und von Otto Wels namens des SPD-Parteivorstandes. Nun ist zunächst mehr als zweifelhaft, ob die Minister diesen Text überhaupt verfaßt und unterzeichnet haben, bevor sie sich in die Autos setzten, um vor den Putschisten aus Berlin zu fliehen. Vermutlich stammt der Text aus der Feder des Pressechefs der Reichskanzlei. Vor allem aber haben die SPD-Minister sich wiederholt öffentlich von ihm distanziert. Als sie aus Berlin zunächst nach Dresden, dann von Dresden weiter nach Stuttgart flohen, wurden sie von Generälen, die den Generalstreik bekämpften, wegen dieses Textes zur Rede gestellt. Dasselbe geschah dann telefonisch von General von Watter in Münster, der für das rheinischwestfälische Industriegebiet zuständig war.

Jedesmal haben die SPD-Minister, voran Reichswehrminister Noske, beteuert, sie hätten mit diesem Aufruf nichts zu tun und mißbilligten den Inhalt. Diese Konfrontation und die weitere Erfahrung von 1920, daß ein Generalstreik, einmal in Gang gesetzt, eine radikalisierende Eigendynamik entfaltete, fuhr dann der SPD-Führung für alle Zeiten in die Knochen. Machen wir uns klar, was das heißt: totale Arbeitsniederlegung und Stillstand aller Produktion und Zirkulation gegen putschendes Militär, das eine vorzügliche Verpflegung erhielt. Es gab Militärs, die diese Situation wie ein Experiment erlebten, wobei wir noch einmal bedenken müssen, daß es damals noch kaum historische Erfahrungen mit Militärputschen gab. Ein Offizier der Marinebrigade Ehrhardt, der Kerntruppe der Putschisten in Berlin, schrieb ein Jahr später:

"Vielleicht war es ganz gut, diesem schwarzen Mann, mit dem immer graulich gemacht wurde, einmal hinter die Maske zu sehen. Der Generalstreik hat zur Folge, daß neben Unbequemlichkeiten für einzelne die Lebenshaltung jedes Staatsbürgers plötzlich und stark heruntergeschraubt wird...um so fühlbarer wird die Wirkung, je weniger Vorräte und Geld eine Familie hat. Dabei schneiden die Proletarier am schlechtesten ab (...) Den Soldaten konnte es (...) einerlei sein, ob die Menschen in den großen Städten, die keine Weckgläser und nicht viel Geld hatten, zu essen bekamen oder nicht."

Zum Kalkül der Putschisten gehörte, die Industriearbeiterschaft von den agrarischen Regionen aus notfalls auszuhungern. Es gab Arbeiterführer, die die begrenzte Reichweite des Generalstreiks erkannten und das Kalkül der Putschisten erahnten. Hagen war eine der wenigen Großstädte, die zum Zeitpunkt des Putsches ohne militärische Besatzung waren, was General von Watter in Münster dann schleunigst zu korrigieren versuchte. Hier forderte am Nachmittag des Putschtages ein USPD-Führer in einer Konferenz, man müsse den bewaffneten Widerstand organisieren, und er begründete dies damit, daß "ein Generalstreik auf lange Frist unmöglich ist und letzten Endes doch zum Siege der Reaktion führen muß."

Für diese Auffassung fand er eine Mehrheit, ein Ausgangspunkt für den Aufstand im Ruhrgebiet. Andernorts waren die Parteifunktionäre vielfach bedenklich und zögernd. Aber entscheidend war das Handeln der Arbeiter. Landauf, landab ertönte ein einziger Ruf nach Waffen als Antwort auf die Nachricht vom Putsch in Berlin. Waffenlager wurden ausgehoben, Bürgerwehren, Kriegervereine usw. entwaffnet, mit den ersten Waffen traten die Arbeiter dem Militär entgegen, nicht nur im mittleren Ruhrgebiet, sondern auch im südlichen Teil des Ruhrgebiets, im Märkischen -, im Münster -, im Bergischen Land, im Großraum Wesel, in Mitteldeutschland um Halle und Merseburg, in Teilen von Sachsen, Thüringen, Brandenburg, Mecklenburg und Pommern.

Erhardt Lucas - Erster Teil eines Aufsatzes von 1990, erschienen in "Schwarzer Faden"

Nach dem offiziellen Streikende am 20. März 1920 gab sich die Arbeiterschaft im Ruhrgebiet mit dem Rücktritt der Putschisten nicht zufrieden. Da die Freikorps durch den wieder an die Macht zurückgekehrten SPD-Reichskanzler Friedrich Ebert nicht entwaffnet wurden, bildete sich innerhalb kurzer Zeit im Ruhrgebiet eine selbstorganisierte bewaffnete "Rote Ruhrarmee". Sie wollte verhindern, dass Freikorps und reguläre Reichswehrtruppen ins Ruhrgebiet einmarschieren, was ihnen aber letztlich nicht gelingen konnte.


Die Ereignisse in Gelsenkirchen, Buer, Horst, Wattenscheid und Essen

[...] Schon einen Tag nach dem Kapp-Lüttwitz-Putsch in Berlin war es in Buer zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Kommunisten und Sozialdemokraten gekommen. Die Kommunisten verweigerten jegliche Zusammenarbeit mit den Sozialdemokraten, die in ihren Augen für den Putsch mitverantwortlich waren und forderten die Entwaffnung von Polizei und Zechenwehren. Darauf besetzte Major Friderici mit Teilen des Regiments 62 Buer. Schon am 17. März verließen die Soldaten die Stadt aber wieder, da sich die "Rote Ruhrarmee" in Wattenscheid sammelte.

Direkt nach dem Abmarsch der Soldaten bildete sich auch in Buer ein Aktionsausschuss aus MSPD, USPD, DDP und Zentrum. Dieser bildete am 17. März eine Sicherheitswehr nach dem schon bekannten Muster, Polizisten und Arbeiter verrichteten gemeinsam den Sicherheitsdienst. Schon einen Tag später setzten die Kommunisten jedoch eine reine Arbeiterwehr durch. Die Polizisten wurden entwaffnet, Politiker der DDP und des Zentrums mussten den Aktionsausschuss verlassen.

In Gelsenkirchen sandte Polizeipräsident zur Nieden am 15. März, dem Tag, an dem der Generalstreik in Gelsenkirchen ausgerufen wurde, eine Einheit der Sicherheitspolizei von 40 Mann unter Hauptmann Westphal nach Wattenscheid, mit der Aufgabe, die dortige Ordnungspolizei bei der Kontrolle der Arbeiterschaft zu unterstützen. Der Einmarsch der Sipo in Wattenscheid führte zu einer spontanen Demonstration vor der Polizeiwache, die von den Polizisten mit Kolbenschlägen auseinander getrieben wurde. Nur kurze Zeit später erschien eine Delegation Wattenscheider Politiker (MSPD, USPD und Zentrum) bei Polizeipräsident zur Nieden, die um Abzug der Sicherheitspolizei bat, um so die aufgeheizte Situation zu entschärfen. Zur Nieden, der in der Arbeiterschaft nicht beliebt war, reagierte heftig. Mit den Worten: "Die Leute beschäftige ich, wo ich will!" lehnte er jeglichen Rückzug der Polizisten ab.

Einheiten der 1. Hundertschaft der Sicherheitspolizei zerstreuten gleichzeitig eine Demonstration von Arbeitern gegen die Kapp-Regierung in Gelsenkirchen und beendeten, wenn auch nur kurzfristig, einen Streik auf der Zeche Hibernia. Da auch zur Nieden ähnlich wie General von Watter nach dem Putsch nur sehr vage politische Stellungnahmen abgegeben hatte und dieser nun Anweisungen gab, gegen Streiks und Demonstrationen vorzugehen, wuchs in der Bevölkerung der Glauben, auch er sei ein Sympathisant der Putschisten. Schon am nächsten Tag, den 16. März, wurde in Gelsenkirchen der Aufruf zum Generalstreik auf allen Zechen befolgt.

Es kam zu einer Großdemonstration, die zum Polizeipräsidium zog. Da Polizeipräsident zur Nieden die Straßen um das Polizeipräsidium von der Sicherheitspolizei hatte abriegeln lassen, staute sich eine immer größer werdende Menschenmenge an den Absperrungen um das Präsidium. Das Präsidium selbst war zu diesem Zeitpunkt nur schwach mit einem Zug der 1. Hundertschaft besetzt. Um die Menge doch noch zu beruhigen, empfing zur Nieden eine Delegation der Arbeiter.

Diese forderte umgehende Entwaffnung der Sicherheitspolizei mit der Begründung, diese stehe auf Seiten der Putschisten. Zur Nieden lehnte dies - im Gegensatz zu seinem Bochumer Amtskollegen drei Tage später - ab und sagte lediglich zu, dass eine Arbeiterdelegation täglich die schweren Waffen auf dem Flugplatz Rotthausen kontrollieren dürfe, um so Missbrauch von Seiten der Sicherheitspolizei auszuschließen. Die Delegation überbrachte die Antwort der wartenden Menge, die mit solchen Zugeständnissen aber nicht mehr zu beruhigen war. Einige Arbeiter versuchten, die Absperrungen zu durchbrechen, worauf die Sicherheitspolizisten im Präsidium das Feuer eröffneten. Die Menge zerstreute sich, zurück blieben zwei Tote und zehn Verwundete. Nach diesem Gewaltakt drohte die Stimmung innerhalb der Arbeiterschaft endgültig in offene Gewalt gegen die Sicherheitspolizei umzuschlagen.

Der Flugplatz Gelsenkirchen-Essen-Rotthausen um 1920

Der Flugplatz Gelsenkirchen-Essen-Rotthausen um 1920. Die auf dem Flughafen Gelsenkirchen-Essen-Rotthausen beheimateten Condor-Flugzeugwerke durften laut Versailler Vertrag keine Flugzeuge oder Flugzeugteile mehr herstellen und standen somit vor dem Bankrott. Auf dem Condor-Gelände gab es einige Gebäude, darunter auch ehemalige Flugzeughallen. Obwohl der Flughafen zu diesem Zeitpunkt noch zur selbstständigen Gemeinde Rotthausen und polizeilich zum Gebiet des 17. Essener-Polizeireviers Katernberg gehörte, kaufte die Stadt Gelsenkirchen von den Condor-Werken einen Teil der nicht mehr genutzten Gebäude und stellte diese der "Grünen" Sicherheitspolizei als provisorische Unterkünfte zur Verfügung. Hier lagerte die Sicherheitspolizei auch schwere Waffen, wie Maschinengewehre und Minenwerfer.

Bild links: ISG Fotosammlung, 11679. Rechts: Postkarte aus den 20er Jahren. Repro Gelsenzentrum e.V.

Im Gegensatz zu den Sicherheitspolizisten konnten die Ordnungspolizisten, die weiterhin den Dienst auf ihren Polizeiwachen versahen, weitgehend normal weiterarbeiten. Ihnen schlug in dieser Phase weitaus weniger Aggressivität entgegen, was wohl vor allem daran lag, dass sich die "Blaue" Ordnungspolizei ganz im Gegensatz zu allen anderen bewaffneten Truppen der Weimarer Republik schon zu Beginn des Kapp-Putsches klar für die alte Regierung ausgesprochen hatte. Dadurch gewann die "Blaue" Polizei gerade bei der Arbeiterschaft erheblich an Ansehen zurück. Hinzu kam, dass die älteren, ruhigeren und erfahrenen Ordnungspolizisten ein weitaus besseres Verhältnis zur Zivilbevölkerung unterhielten als die fremden oft aggressiv auftretenden Doppelstreife gehenden jungen Sicherheitspolizisten.

Auch noch zu diesem Zeitpunkt hätte für die Sicherheitspolizei grundsätzlich die Möglichkeit bestanden, die Arbeiter gewähren zu lassen, wenn nicht sogar sie zu unterstützen. Schließlich übernahmen diese mit der Verteidigung der Republik gegen Feinde von Innen eine der wichtigsten Aufgaben der Sipo. Auf der anderen Seite war den Sicherheitspolizisten bewusst, dass eine Unterstützung der Arbeiter eine Auseinandersetzung mit den Freikorps zur Folge gehabt hätte.

Für die meisten Sicherheitspolizisten, vom Weltkrieg geprägt und oftmals selbst noch in Kriegervereinen tätig und dem Militär freundschaftlich verbunden, war es viel einfacher, gegen das alte Feindbild des Bolschewismus zu kämpfen. Die politische, soziale und emotionale Kluft zwischen Arbeitern und den "Grünen" Sicherheitspolizisten sowie "Weißen" Freikorpssoldaten blieb unüberwindlich.

Die Arbeiter waren der Sipo gegenüber zwar grundsätzlich misstrauisch eingestellt, mit einem Kampf gegen sie rechneten sie jedoch zunächst nicht. Die Bekenntnisse der Sipostäbe in Münster und Berlin zum Putsch waren nicht in die Öffentlichkeit gedrungen. Ganz im Gegenteil hatten sich Teile der Essener und Gelsenkirchener Sicherheitspolizei zur Republik bekannt. Außerdem hatte man das Beispiel der Bochumer Sicherheitspolizei vor Augen, die zu diesem Zeitpunkt noch gemeinsam mit Arbeitern den Sicherheitsdienst verrichtete und auch nicht gegen andere bewaffnete Arbeiter vorgegangen war.

Arnold Meinberg, Führer der Dortmunder KPD und wichtiger Organisator innerhalb der "Roten Ruhrarmee" stellte später fest: "Mit einem Kampf um Essen hatten wir ... nicht gerechnet. Essen sollte nur der Aufmarschplatz zum Angriff auf den Kappisten Hauptmann Schulz sein. In tollster Naivität gab man ... den Befehl, sich in Essen an bestimmten Plätzen zu sammeln und von dort nach Mülheim zu marschieren."

Am 17. März traf eine etwa 200 Mann starke Arbeitertruppe, die auf weitere Verstärkung aus dem östlichen und südlichen Ruhrgebiet wartete, in Westenfeld bei Wattenscheid mit der Abteilung Westphal der Sicherheitspolizei Gelsenkirchen zusammen. Was dann genau geschah, ist nicht mehr zu rekonstruieren, aber aus der Reaktion der Arbeiter ist zu ersehen, dass die Gelsenkirchener Sicherheitspolizisten nicht gewillt waren, diese weiter nach Mülheim ziehen zu lassen. Daraufhin erging aus Wattenscheid ein Ultimatum an Polizeipräsident zur Nieden, das den waffenlosen Abzug der Sipo aus Wattenscheid bis 13 Uhr und den Rücktritt zur Niedens forderte. Auf Bitten von Wattenscheider Bürgern kam es um 16 Uhr noch einmal zu Verhandlungen zwischen zur Nieden und Westphal auf der einen und Vertretern der Arbeiterschaft auf der anderen Seite.

Zur Nieden bot den Rückzug der Sicherheitspolizei bei gleichzeitigem Rückzug der Arbeiter aus dem Landkreis Gelsenkirchen an. Danach sollte die Ordnungspolizei zusammen mit unbewaffneten Arbeitern die Aufgaben der Sipo übernehmen. Eine Antwort erfolgte nicht mehr. Denn während die Verhandlungen noch andauerten, waren weitere bewaffnete Arbeiter nach Westenfeld gekommen, so dass sich dort nun etwa 2.000 Mann aufhielten. Die Arbeiterschaft lehnte im Bewusstsein ihrer Stärke das Angebot des Polizeipräsidenten ab und marschierte gegen 21 Uhr in Wattenscheid ein, traf dort aber nur noch auf die sich zurückziehende Nachhut der Sipo. Am Stadtrand von Wattenscheid fielen die ersten Schüsse, die zwei Polizisten leicht verletzten. Damit war die Sicherheitspolizei in den bewaffneten Kampf gegen die Arbeiterschaft eingetreten.

Kaum in Gelsenkirchen angekommen, bat Polizeipräsident zur Nieden mehrfach in Münster um Verstärkung, da ein Kampf mit seinen wenigen Leuten aussichtslos war. Das in Münster für Gelsenkirchen zuständige Abschnittskommando I lehnte ab, da man eine Zersplitterung der Kräfte vermeiden wollte, aber auch weil es mittlerweile unmöglich war, Truppen nach Gelsenkirchen zu schaffen, denn die Arbeiter hatten die Gleisverbindungen besetzt. Nachdem Unterstützung nicht gewährt werden konnte, bat zur Nieden seine Leute nach Essen zurückziehen zu dürfen. Münster stimmte zu und um 4 Uhr nachts floh die Sicherheitspolizei auf LKWs aus Essen, wobei sie große Mengen an Waffen auf dem Flugplatz Rotthausen zurücklassen musste. In Essen angekommen, wurde die Sicherheitspolizei notdürftig in den ehemaligen Lazarett-Baracken im nordwestlich der Innenstadt gelegenen Segeroth einquartiert, in denen auch schon die 1. Essener Hundertschaft stationiert war. Vermutlich sollte die große Anzahl von Polizisten die Arbeiter des Segeroths ruhigstellen und gegebenenfalls schnelle Zugriffsmöglichkeit bieten, denn dieses Arbeiterviertel in Essen galt als "Brutstätte des Kommunismus".

Nachdem die Sicherheitspolizei aus Gelsenkirchen abgezogen war, wurde in Gelsenkirchen ein Aktionsausschuss aus je drei Mitgliedern der drei sozialistischen Parteien gebildet. Diese bildeten als erstes eine Sicherheitswehr, die ausschließlich aus Kommunisten und Mitgliedern der USPD bestand und in der die Kommunisten die Mehrheit besaßen. Die Sicherheitswehr war 400 bis 600 Mann stark und stützte sich auf die Ordnungspolizei, mit deren Hilfe sie auch den Sicherheitsdienst versah. Erst als die Situation ab dem 29. März eskalierte, übernahm die Sicherheitswehr alleine den Sicherheitsdienst. Tätlichkeiten gegen die Ordnungspolizisten gab es aber auch in dieser Phase nicht.

Die gesamte Gelsenkirchener Sicherheitspolizei wurde dem Kommando des Essener Sicherheitspolizeioffiziers Major Wulff unterstellt. Dieser befahl, am nächsten Morgen 50 Mann der Essener technischen Hundertschaft unter Hauptmann von Oelsnitz nach Gelsenkirchen zu fahren und die zurückgelassenen Waffen zu holen. Wenig später schickte er noch 3 LKWs mit Gelsenkirchener Sicherheitspolizei hinterher, um die Essener Kollegen abzusichern. Die Essener erreichten gegen 11.30 Uhr den Flughafen und überraschten die nur 12 Mann starke Wachmannschaft, die dort am Morgen vom Gelsenkirchener Aktionsausschuss postiert worden war. Es kam zu einem kurzen Feuergefecht bei dem einer der Posten, ein Lehrer, getötet wurde. Dann konnten die Waffen nach Essen abtransportiert werden. Für die Arbeiterschaft bedeutete dies einen herben Rückschlag, da auf dem Flugplatz auch schwere Waffen lagerten, an denen es ganz besonders mangelte.

Der Gelsenkirchener Aktionsausschuss sandte eine Delegation zum Essener Polizeipräsidenten Melcher mit der Bitte, keine weiteren Angriffe auf Gelsenkirchen zu unternehmen. Da Melcher vom Wehrkreiskom- mando in Münster mit Zustimmung des Reichsund preußischen Staatskommissars Severing den Befehl erhalten hatte, "Essen um jeden Preis zu halten", kam es ihm auf die Konzentration seiner Kräfte an, so dass er bedenkenlos zustimmen konnte.

Gleichzeitig baten die Arbeiter um Rücksendung der Gelsenkirchener Sicherheitspolizisten, damit sie, wie auch in Bochum, zusammen mit Arbeitern ihren Dienst versehen könnten. Es gibt zwei verschiedene Deutungen für diese überraschende Forderung. Unwahrscheinlicher ist die Vermutung, die in der Forderung ein Indiz dafür sieht, dass die Arbeiterfunktionäre wohl gegen den Kapp-Lüttwitz-Putsch, nicht aber gegen legale Truppen kämpfen wollten. Wahrscheinlicher ist, dass diese Bitte der Versuch war, an die Waffen der Sicherheitspolizei zu gelangen.

Der Ruhrkrieg von 1920 war die letzte der großen Massenbewegungen, in denen die Arbeiterschaft noch einmal versuchte, die Forderungen aus der Zeit der Novemberrevolution umzusetzen und die Demokratisierung des Landes nach ihren Vorstellungen voranzutreiben. Die Konfliktbereitschaft der Arbeiter ließ anschließend mehr und mehr nach, bis sie in der Kohlenabsatzkrise, die im Anschluss an die Ruhrbesetzung 1924 folgte, völlig versiegte. Die negativen Erfahrungen mit Unternehmern, Militär und Staat und der Vertrauensverlust gegenüber den politischen Parteien, besonders gegenüber der MSPD, spalteten die Arbeiterschaft. Dies führte nicht nur zu einer Schwächung der Arbeiterschaft insgesamt, sondern, wie schon an den Wahlergebnissen zur Reichstagswahl 1920 abzulesen, auch zu einer Verlagerung der innenpolitischen Kräfte zugunsten radikalerer Parteien, die bis zum Ende der Weimarer Republik nicht mehr behoben werden konnte. [...]

Aus: Frank Jochims, "Auf dem Weg zu einer demokratischen Polizei - Der Kapp-Putsch". Beitrag in Stefan Goch, Städtische Gesellschaft und Polizei, Beiträge zur Sozialgeschichte der Polizei in Gelsenkirchen, 2005. Seiten 116-130 ff.

Kämpfe in Essen

Schlagzeile der Essener-Arbeiter-Zeitung vom 13. März 1920:

Abb.:Schlagzeile der "Essener-Arbeiter-Zeitung" vom 13. März 1920: "Wollt Ihr die Republik und die Demokratie meucheln lassen?"

In Essen erhielt der Polizeipräsident der Sicherheitspolizei (Sipo), Kurt Melcher, am 18. März 1920 vom Wehrkreiskommandanten Generalleutnant Freiherr von Watter den Befehl, die Stadt vor den heranrückenden Arbeiterschaften zu verteidigen. Die Einheiten der "Roten Ruhrarmee" marschierten von Gelsenkirchen und Wattenscheid kommend über Kray und Steele sowie über Katernberg und Stoppenberg in Richtung der Essener Innenstadt ein und hatten bereits am 19. März die Innenstadt besetzt. Wegen dieser Übermacht gab die Sicherheitspolizei ihren sinnlos schließlich gewordenen Kampf auf.

Der Wasserturm am Steeler Berg in Essen, 1920

Abb.: Der Wasserturm am Steeler Berg in Essen, 1920

Am 15. März werden bei Ausschreitungen vor dem Essener Rathaus fünf Menschen getötet und siebzehn verletzt. Auf den Zechen beginnt der von der alten Regierung geforderte Aufstand. Am 18. März 1920 eroberte die "Rote Ruhrarmee" über Katernberg und Stoppenberg, Essen und besetzen das Rathaus und Teile der Stadt. In der Folge kam es auch in Essen zu Kämpfen, wobei neben den Kampfhandlungen an der Hauptpost vor allem die blutige Auseinandersetzung um den Wasserturm am Steeler Berg bekannt wurde. Dort kämpften am 19. März 1920 Angehörige der Reichswehr- und Freikorpsverbände gegen eine Abteilung der "Roten Ruhrarmee". Am Morgen des gleichen Tages wurde das Essener Rathaus mit Minenwerfern beschossen.

Nur die Besatzung des Wasserturms, bestehend aus 24 Mann der Einwohnerwehr und 22 Mann Sicherheitspolizei hielten ihre Stellung gegen die Arbeiter. Am Misstrauen dieser Turmbesatzung scheiterte der telefonische Versuch des Polizeirates Exner, sie zur Aufgabe zu bewegen. Gegen 17 Uhr jedoch zeigten die Besatzer des Erdgeschosses die weiße Fahne, was diejenigen im Obergeschoss aber nicht mitbekamen. Die herannahenden Arbeiter deuteten die weiße Fahne als Kapitulation und bestiegen die Freitreppe des Wasserturms. Daraufhin wurden sie von den Besatzern des Obergeschosses beschossen und mit Handgranaten beworfen. Dennoch gelang den erbitterten Arbeitern nach zwei Versuchen die Erstürmung des Turms. Elf Verteidiger des Wasserturms starben teilweise bei diesen Kämpfen und teilweise danach. Zeugenaussagen zufolge sollen die gefangenen Besatzer in Einzelfällen von Arbeitern vor Gewalttaten geschützt worden sein.

Bei einem Prozess vom 10. Februar bis 11. März 1921 vor dem Schwurgericht Essen wurden 15 Angeklagte der ehemaligen Ruhrarmee-Angehörigen nach insgesamt 23 Verhandlungstagen freigesprochen. Alle hatten sie bekundet, daß sie sich der Arbeiterarmee angeschlossen hätten, um "die für gefährdet gehaltene deutsche Republik vor den Kappleuten zu schützen". Am 10. Verhandlungstag setzte der Gerichtsvorsitzende die Prozeßbeteiligten davon in Kenntnis, "daß das Gericht die Behauptung als wahr unterstellt, daß die Angeklagten das Bewußtsein gehabt haben mögen, für den Schutz der Reichsverfassung eingetreten zu sein, als sie am 19. März letzten Jahres die Stadt Essen in Besitz nahmen und den Wasserturm eroberten." (Anlage zur Chronik der Stadt Essen 1921, Seite 107)

Die "Schlacht um Stoppenberg" oder der "Kampf um die Villa Kondring"

Der Bürgerkrieg forderte in Stoppenberg beim Kampf um die Villa von Dr. Kondring, zwischen der Sicherheitspolizei und der "Roten Ruhrarmee" mehr als 150 Tote unter den Arbeitern und viele Verletzte.

[...] Am 18. März rückten die Arbeitermassen, die sich zuvor in der Umgebung von Wattenscheid gesammelt hatten, über Gelsenkirchen nach Essen-Stoppenberg und Essen-Katernberg vor. Am Stoppenberger Rathaus trafen erste Arbeitereinheiten auf etwa 30 Mann der 1. Essener Hundertschaft unter Hauptmann Bredt, die auf zwei LKWs verteilt den Vormarsch beobachten sollte. Die zahlenmäßig unterlegenen Sicherheitspolizisten zogen sich nach stundenlangen Kämpfen vom Rathaus zum Haus des Chefarztes Dr. Kondring zurück, das aufgrund seiner exponierten Lage ideal für die Verteidigung war. Nachdem ein Versuch, die eingeschlossenen Sicherheitspolizisten durch eine Hundertschaft zu befreien, gescheitert war, ergaben sich die Verteidiger schließlich am 19. März um 8 Uhr morgens der Übermacht der Arbeiter, deren Vormarsch auf Essen in der Zwischenzeit weiter gegangen war.

Die "Schlacht um Stoppenberg" oder "Der Kampf um die Villa Kondring" ist eines von mehreren Beispielen im Ruhrkrieg, das zeigt, wie Ereignisse von nationalen und nationalsozialistischen Apologeten beeinflusst und zu wahren Heldenepen verklärt wurden, in denen vor allem die Heldenhaftigkeit der national gesinnten Verteidiger und die bestialische Grausamkeit der bolschewistischen Arbeiter betont wurden. Im Gegensatz zu diesen teilweise noch immer existierenden Legenden, zu denen auch gehört, dass die gesamte Besatzung der Villa Kondring getötet worden sei, sah die Realität anders aus. Einen Beweis liefert dabei der Bericht Hauptmann Bredts, des zu Beginn der Kampfhandlungen angeschossenen Kommandeurs der in Stoppenberg kämpfenden Sipo-Abteilung.

Tatsächlich wurde der erste der sich ergebenden Polizisten von den wütenden Arbeitern erschlagen - ein deutliches Zeichen für den Hass, mit dem dieser Bürgerkrieg betrieben wurde. Hier wurde dieser Hass vermutlich noch zusätzlich angestachelt, da wenige Stunden vorher die zum Ersatz der eingeschlossenen Sipos entsandte Hundertschaft verwundete Arbeiter in einer Stoppenberger Schule erschlagen hatte.

Ein Befehl General von Watters vom 22. März 1920 gibt einen weiteren Hinweis, mit welcher Rücksichtslosigkeit die Kämpfe geführt wurden: "Verhandelt wird nicht. Solange eine militärische Operation im Gange ist, darf sie auch nicht durch den meist zur Nachgiebigkeit neigenden Einspruch regierungstreuer Zivilisten beeinträchtigt werden.[...] In jedem Bewaffneten ist der Feind zu sehen. Unbewaffnete Massen haben ebenfalls auf der Straße nichts zu suchen. Sie müssen durch Feuer zersprengt werden, ehe sie an die Truppe herankommen."

In Stoppenberg eskalierte die Situation dann aber nicht weiter. Wie Bredt im Weiteren angibt und was sich auch mit einer im Essener Stadtarchiv erhaltenen Zeugenaussage deckt, verhinderten besonnene Arbeiter weitere Ausschreitungen. [...]

Der Kapp-Putsch, Frank Jochims "Auf dem Weg zu einer demokratischen Polizei - Der Kapp-Putsch". Beitrag in Stefan Goch, Städtische Gesellschaft und Polizei, Beiträge zur Sozialgeschichte der Polizei in Gelsenkirchen, 2005. Seite 123 ff.

Ruhrkrieg 1920: Reichswehrsoldaten vor einem zerstörten Arbeiterhaus  am Rhein-Herne-Kanal in Essen (Rahmdörne, verm. Höhe Gewerkenstrasse)

Abb.: Bild links: Ruhrkrieg 1920, Reichs- wehrsoldaten vor einem zerstörten Arbeiter- haus am Rhein-Herne-Kanal in Essen (Rahm- dörne, verm. Höhe Gewerkenstrasse), rechts: zerstörtes Haus an der Altenessener Nord- sternstrasse

Die letzten gescheiterten Abwehr- kämpfe der "Roten Ruhrarmee" in Essen gegen Reichswehr und Freikorps werden von an der Kanalbrücke zwischen Karnap und Altenessen schildert. Auf der Karnaper Seite des Kanals rückte die Reichswehr vor, auf der Altenessener ging die Rote Ruhrarmee in Abwehrstellung. Bei den Kämpfen wurden die Brücken über den Kanal und anliegende Häuser beschädigt. Nach den heftigen Kämpfen mit der "Roten Ruhrarmee" am Kanal besetzen die Regierungstruppen die Stadt, im Rathaushof erschiessen sie am 7. April zwei Essener Arbeiter ohne ein Gerichtsverfahren, weil man sie "irrtümlich" für Spione gehalten hatte.

Weg der Roten Ruhrarmee, 17.-23. März 1920

Ein Generalstreik hat die Republik gerettet

Zitat aus einer Rede von Uli Borchers, VVN/BdA Bochum, gehalten am 28. März 2010 zum Gedenken an die Niederschlagung des Kapp-Putsches:

[...] Nach dem Scheitern des Kapp-Putsches gab es erneut erhebliche Differenzen darüber, wie zukünftig Attacken auf die Republik verhindert werden können:

  • die SPD-Führung erklärte den Generalstreik für beendet und strebte die Normalisierung der Verhältnisse an.

  • USPD und KPD forderten die Entwaffnung aller Freikorps und Putschisten.

Unter ihrer Führung bildete sich im Ruhrgebiet die "Rote Ruhrarmee". Ca. 100.00 Mann setzten sich zur Wehr, errangen militärische Erfolge und vertrieben Reichswehreinheiten aus Dortmund, Essen, Mühlheim, Duisburg, Hamborn. Carl Severing, der sozialdemokratische Reichskommissar für Rheinland-Westfalen, forderte die "Rote Ruhrarmee" auf, sich aufzulösen und die Waffen abzugeben. Im Gegenzug wurde zugesichert, die Reichswehr nicht ins Ruhrgebiet einmarschieren zu lassen.

Unter einem Vorwand, zumindest mit einer fragwürdigen Begründung, wurde dieses Versprechen gebrochen und die Reichswehr marschierte ins Ruhrgebiet ein. Unter Führung der KPD wurde erneut zu Generalstreik und bewaffnetem Widerstand aufgerufen. Die militärische Überlegenheit der Reichswehr einerseits und die Isoliertheit der "Roten Ruhrarmee" andererseits führte in die Niederlage, die "Rote Ruhrarmee" wurde zerschlagen. Reichswehr und Freikorps nahmen fürchterliche Rache: neben den Toten aus den Kämpfen gab es zahlreiche "standrechtliche" Erschießungen.(...)

Wer war Gewinner, wer waren die Verlierer?

Die Entscheidungen der SPD-Reichsregierung hatten fatale Konsequenzen. Es wurden genau diejenigen militärischen Kräfte gegen die kämpfenden Arbeiter im Ruhrgebiet eingesetzt, die nur wenige Tage zuvor am Kapp-Putsch direkt beteiligt waren oder mit dem Putsch sympathisiert hatten. Warum konnte dies so geschehen? Es waren die politischen Forderungen der "Roten Ruhrarmee", die der Reichsregierung nicht passten. Es waren die SPD-eigenen politischen Vorstellungen von Ruhe und Ordnung, vom Aufbau einer parlamentarischen Demokratie, die unvereinbar waren mit der Existenz von bewaffneten Arbeitern und einer starken KPD. Die Reichsregierung sicherte sich zwar ihre Macht durch den Einsatz der Reichswehr, eine Bestrafung der am Kapp-Putsch Beteiligten war unter diesen Bedingungen völlig undenkbar.

Emil Julius Gumbel schreibt dazu in "Verschwörer", 1924, Neuauflage Fischer TB 1984, S. 61):

Die folgende Tabelle zeigt, wie das Verfahren gegen 540 Offiziere, die am Kapp-Putsch beteiligt waren, eingestellt wurde (...).Dies konnte von den Kapp nahestehenden Kreisen mit Recht als Ermunterung angesehen werden. Sie hatten nur zu einem noch nicht ganz zeitgemäßen Mittel gegriffen. Es galt ihr Werk zunächst mit legalen Mitteln fortzusetzen, den durch die Niederschlagung des Kapp-Putsches zerstörten Apparat wieder instand zu setzen. Um dann mit anders gearteten Mitteln das selbe Ziel, die Zerstörung der Republik, fortzusetzen.

Zu den Gewinnern gehörte das Militär. Die Reichswehr festigte mit den Aktionen gegen die kämpfenden Arbeiter ihren Status in der Weimarer Republik und blieb dennoch durch und durch monarchistisch, nationalistisch und antidemokratisch. In Verbindung mit den Freikorps blieb die Reichswehr bis zur Machtübertragung an die Nationalsozialisten ein Unsicherheitsfaktor.

Verlierer in dieser Auseinandersetzung waren die kämpfenden Arbeiter und ihre Familien im Ruhrgebiet. Sie waren zur Verteidigung der Republik im März in den Generalstreik getreten und wurden im April von denen verfolgt, gejagt, getötet, gegen die sich ihr erfolgreicher Generalstreik gerichtet hatte. Ihr Verdienst ist es, mit letzter Konsequenz bis zur Aufgabe des eigenen Lebens gekämpft zu haben. Ihr Verdienst ist es, den größten bewaffneten Aufstand der deutschen Arbeiterbewegung gewagt zu haben für die demokratische und sozialistische Erneuerung Deutschlands. Sie wollten mit ihrem bewaffneten Widerstand auch die Ergebnisse der Novemberrevolution von 1918/19 verteidigen. Der größte Verdienst der Arbeiterbewegung besteht allerdings darin, dass ihr bewaffneter Kampf 1920 eine Militärdiktatur verhindert hat.

Das blutige Ende des Ruhrkrieges 1920

Der deutsche Historiker Erhard Lucas schrieb dazu:

Ende März 1920 war unter den Aufständischen bis auf kleine Minderheiten die Erkenntnis allgemein, daß die Bewegung abgebrochen werden müsse; von einer einzigen Region aus, und war sie im Rahmen der deutschen Gesamtwirtschaft auch noch so wichtig, ließen sich die politischen Verhältnisse im Deutschen Reich nicht verändern. Die Selbstauflösung der Aufstandsbewegung lag zum Greifen nahe.

Diese Möglichkeit wurde jedoch sowohl von der Reichsregierung als auch von der Reichswehr ausgeschlagen und zerstört. Die Regierung entschied sich für den militärischen Einmarsch ins Industriegebiet und zwar - was besonders folgenreich war - für den Einmarsch sämtlicher Truppen, die im ganzen Reich irgendwie verfügbar waren. Darunter waren nicht wenige Freikorps und andere Truppeneinheiten, die den Militärputsch zuvor mitgetragen hatten.

Es war von der Reichsregierung ein fast unbegreiflicher Zynismus, aber auch ein Ausdruck geringer Selbstachtung, diese Truppen noch einmal in Dienst zu nehmen, vor denen sie vor wenigen Tagen hatte fliehen und um ihre Existenz kämpfen müssen. Zynisch war diese Entscheidung gegenüber denen, die Opfer des militärischen Einsatzes werden würden, denn es war genau bekannt, welche Brutalitäten von diesen Truppen zu erwarten waren.

Die Truppenkommandeure vor Ort verschärften die Situation noch zusätzlich dadurch, daß sie selbst die von der Regierung und von Carl Severing gesetzten letzten Fristen für die Waffenabgabe ignorierten. Sie handelten nach der Devise: mit Roten wird nicht verhandelt, Abmachungen sind von vornherein null und nichtig. Das konkrete Vorgehen war also bestimmt von der Annahme eines rechtsfreien Raumes und von der Vogelfreierklärung des Gegners.

Als am 17. März 1920 der Kapp-Lüttwitz-Putsch im Reich zusammenbrach, kämpften die Arbeiter weiter. Aus dem Abwehrkampf gegen den Rechtsputsch wurde jetzt eine linke Aufstandsbewegung, in der die radikalen Kräfte die Oberhand gewonnen hatten. Sie riefen zum Sturz der Regierung auf und wollten die Errichtung einer Rätediktatur erzwingen. Am 23./24. März unternahm der SPD-Politiker Carl Severing im Auftrag der Reichs- und der preußischen Regierung in Bielefeld den Versuch, in Verhandlungen mit Vertretern der Aufständischen zu einer politischen Lösung des Konflikts zu gelangen.

Die Mehrzahl der kämpfenden Arbeiter lehnte das so genannte Bielefelder Abkommen vom 24. März ab. Daraufhin erteilte die Reichsregierung Anfang April General von Watter den Befehl zum Einmarsch ins Aufstandsgebiet. Die Militäraktion stützte sich auf reguläre Reichsverbände und Freikorpseinheiten, von denen einige als republikfeindlich gelten mussten. Dabei gingen die Regierungstruppen vielerorts mit rücksichtsloser Härte und Brutalität vor. Das letzte Gefecht des "Ruhrkriegs" fand am 6. April in Gelsenkirchen statt und markierte die vollständige Niederlage der aufständischen Ruhrarbeiterschaft.

So endete die Aufstandsbewegung 1920 nicht in einer allgemeinen freiwilligen Abgabe der Waffen, sondern in einem Massenmord an der Arbeiterschaft der "Roten Ruhrarmee".

Literaturhinweise und Quellen

→ Online: Hans Marchwitza - Sturm auf Essen, (1930), Kapitel 6.

Colm, Gerhard: Beitrag zur Geschichte und Soziologie des Ruhraufstandes 1920, Essen 1921.
Eliasberg, George: Der Ruhrkrieg von 1920. Schriftenreihe des Forschungsinstituts der Friedrich-Ebert-Stiftung; Verlag Neue Gesellschaft Bonn/Bad Godesberg 1974.
Goch,Stefan: Städtische Gesellschaft und Polizei, Beiträge zur Sozialgeschichte der Polizei in Gelsenkirchen. Klartext, 2005
Grünberg Karl: Brennende Ruhr. Verlag Neues Leben, 1956.
Hennicke, Otto : Die Rote Ruhrarmee. Gewehre in Arbeiterhand, Berlin 1956
Kerbs, Diethart: Die Rote Ruhrarmee März 1920. Nishen, Berlin 1985.
Lucas, Erhard: Märzrevolution 1920. 3 Bände, Verlag Roter Stern Frankfurt am Main 1973–1978.
Presse- und Informationsamt Essen: Die Stadt Essen. Beleke, Essen 1983
Rhefus, Reiner; Fey, Wolfgang; Judick, Günter; Krause, Manfred: Spurensicherung 1920 - Der Arbeiteraufstand gegen den Kapp-Putsch und die damalige Arbeiterkultur im Bergischen Land /Stadthistorische Wanderungen und Touren durch Remscheid, Wuppertal und Velbert. Klartext, 2000
Spethmann, Hans: Die Rote Armee an Ruhr und Rhein. Verlag R. Hobbing, Berlin 1932 (3. Auflage)
Winkler, Heinrich August: Weimar 1918-1933. Die Geschichte der ersten deutschen Demokratie. Beck, München 1993.

Online-Quellen (Abruf Juni/Juli 2010):

http://www.ruhrecho.de
http://eisberg.blogsport.de/2009/01/17/deutsche-korporationen-in-freikorps-tradition/
http://www.stmuk.bayern.de/blz/web/100081/06.html
http://de.wikipedia.org/wiki/Ruhraufstand
http://www.revoluzzen.de/kapp-putsch-8.html
http://www.ruhr-uni-bochum.de/iga/isb/frameset_isb.htm
http://www.altenessen.info/kalender-1995/index.html
http://www.essen.de/Deutsch/Rathaus/Aemter/Ordner_41/Stadtarchiv/geschichte/geschichte_einsichten_kapp.asp
http://vvn-bda-bochum.de/archives/898
http://historisches-centrum.de/index.php?id=574
http://www.nrw2000.de/weimar/rote_ruhrarmee.htm
http://www.lwl.org/westfaelische-geschichte/portal/Internet/haupt.php?urlNeu=
http://www.saloon-la-realidad.com/christophschaeferprojekte/auslaufendesrot/rote_ruhr.htm

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Andreas Jordan, Juli 2010. Editiert Januar 2020

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