(Erklärung Vermerk "Verstorben": Nach Misshandlung oder Verwundung verstorben)Tabelle aus "Kapp-Putsch und Märzrevolution 1920 (III), Totenliste der Märzgefallenen aus dem Rheinisch-Westfälischen Industriegebiet" von Günter Gleising und Anke Pfromm, RuhrEcho Verlag Bochum, 2010. Mit freundlicher Genehmigung.Der Kapp-Lüttwitz-Putsch und der Ruhrkrieg 1920In Berlin drohte ein rechtsgerichteter Putsch unter General von Lüttwitz und dem ostpreußischen Generallandschaftsdirektor Wolfgang Kapp gegen die demokratisch gewählte Regierung, die Errungenschaften der Weimarer Republik zunichte zu machen. Als Antwort auf diesen sogenannten Kapp-Lüttwitz-Putsch sammelte sich im Ruhrgebiet ein großer Teil der revolutionären Kräfte innerhalb der Arbeiterschaft. In den größeren Orten des Ruhrgebietes übernahmen spontan gebildete lokale "Vollzugsräte" die politische Macht. Sie wurden meist von der USPD dominiert, aber auch die KPD war vertreten. Schon unmittelbar nach Bekanntwerden der Ereignisse in Berlin begannen sich die politisch erregten Arbeiter unter Führung lokaler Vollzugsräte aus Sozialdemokraten, Linkssozialisten und Kommunisten zu bewaffnen und Milizen zu bilden. Im Ruhrgebiet kam es am 13. März 1920 zu ersten Demonstrationen, so zum Beispiel mit 20.000 Menschen in Bochum. Gleichzeitig zum Kapp-Putsch fand am 14. März 1920 in Elberfeld ein Treffen von Vertretern von KPD, USPD und SPD statt. Die linken Arbeiterparteien beschlossen spontan ein Bündnis gegen die Putschisten. SPD, USPD und KPD verfassten einen gemeinsamen Aufruf zur "Erringung der politischen Macht durch die Diktatur des Proletariats". In Folge dieser Erklärung und im Rahmen des Generalstreiks versuchten einige Arbeiter im regionalen Maßstab die Regierungsgewalt zu übernehmen. In den größeren Orten des Ruhrgebietes übernahmen spontan gebildete lokale "Vollzugsräte" die politische Macht. Sie wurden meist von der USPD dominiert, die KPD war ebenfalls mit dabei. Aber auch die anarchosyndikalistische Freie Arbeiter-Union Deutschlands (FAUD) war vertreten. Arbeiterwehren wurden aufgestellt, die die Städte kontrollierten. Am 15. März gelang ihnen in Herdecke die Überwältigung einer zahlenmäßig unterlegenen Abteilung des Freikorps Lichtschlag. Von diesem Erfolg ermutigt bildete sich binnen kurzem eine größere Arbeiterstreitmacht von etwa 50.000 bis 80.000 Mann. Am 16. März hatte diese so genannte "Rote Ruhrarmee" Dortmund erobert, und nur wenige Tage später kontrollierte sie nahezu das gesamte Ruhrgebiet. Der Kommandierende General des Wehrkreiskommando VII in Münster, Generalleutnant von Watter, verweigerte bis zum 16. März eine öffentliche Erklärung zugunsten der alten Regierung. Die Zentrumspresse, SPD und DDP verurteilten dagegen das Umsturzunternehmen in ersten Reaktionen als unrechtmäßig und verbrecherisch. In vielen Städten, wie in Münster, folgten Arbeiter, Angestellte und auch Teile der Beamtenschaft dem Aufruf von SPD und Freien Gewerkschaften zum Generalstreik. Die größte Zustimmung für den Streikaufruf gab es im Ruhrgebiet, das schon seit Monaten immer wieder von sozialen und politischen Unruhen erfasst wurde. Weite Teile der Ruhrarbeiterschaft waren tief enttäuscht über die Ergebnisse der Revolution, die nicht zu einer sozialistischen Staats- und Gesellschaftsordnung geführt hatte. Hinzu kam großer Hass auf die Freikorps, deren sich die sozialdemokratische Reichsregierung im Frühjahr 1919 im Kampf gegen linke Aufstandsversuche bediente. Zunächst wurde ein Generalstreik gegen die Putschisten ausgerufen, dann am 13. März 1920 die 50.000 Mann starke "Rote Ruhrarmee" gebildet, der es gelang, binnen kürzester Zeit die bewaffneten Ordnungskräfte im Revier zu besiegen. Diese sogenannte "Märzrevolution" - die größte bewaffnete Arbeiteraktion, die es in Deutschland je gab - nährte, wie schon die Münchner Räterepublik, die Angst des Bürgertums vor dem Bolschewismus. Die Reichsregierung versuchte vergeblich durch die Zusage politischer Reformen und einer Amnestie die Selbstauflösung der "Roten Ruhrarmee" zu erreichen. Nachdem die Verhandlungen gescheitert waren, kam es zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen, als die Regierung Reichswehr- und Freikorpsvewrbände am 2. April 1920 ins Ruhrgebiet beorderte, die dann nach heftigen Kämpfen den Aufstand niederschlugen. Eine führende Rolle spielte hierbei der Kommandierende General von Watter. Sein Stab führte im Auftrag der Reichsregierung von Münster aus den Bürgerkrieg im Ruhrgebiet, bei dem Verbände von Reichswehr und Freikorps die "Rote Ruhrarmee" im Ruhrgebiet niederwarfen. Die Reichswehr ließ sich bereitwillig einsetzen, ging es doch gegen die "Bolschewisten", nicht gegen "Kameraden". Die Greueltaten der Regierungstruppen übertrafen bei weitem die Ausschreitungen der Roten Ruhrarmee. Wer bei seiner Festnahme bewaffnet war, wurde sofort erschossen - auch Verwundete. Am 3. April musste Reichspräsident Ebert die Standgerichte wieder verbieten, um das Schlimmste zu verhüten. Erst am 12. April untersagte General von Watter seinen Soldaten "gesetzwidriges Verhalten" Der "Roten Ruhrarmee", deren Stärke aus den später abgegebenen Gewehren auf etwa 50.000 Angehörige geschätzt wurde, gelang es, binnen kürzester Zeit die bewaffneten Ordnungskräfte im Ruhrrevier zu besiegen. Am 17. März 1920 griffen Einheiten der Roten Ruhrarmee bei Wetter eine Vorhut des Freikorps Lichtschlag unter Hauptmann Hasenclever an, der sich auf Nachfrage als Anhänger der neuen Kapp-Regierung zu erkennen gegeben hatte. Sie erbeuteten die Geschütze, nahmen 600 Freikorpsangehörige gefangen und besetzten Dortmund. Am 20. März 1920 bildete sich in Essen der Zentralrat der Arbeiterräte, die in Teilen des Ruhrgebiets die Macht übernahmen. Auch in Hagen gab es eine Zentrale. Dem Ultimatum der ins Amt zurückgekehrten Regierung, bis zum 30. März bzw. 2. April Streik und Aufstand aufzugeben, kamen die Arbeiterräte nicht nach. Der Versuch, den Konflikt auf dem Verhandlungsweg im sogenannten Bielefelder Abkommen beizulegen, scheiterte letztlich am eigenmächtigen Vorgehen des regionalen Militärbefehlshabers Oskar von Watter. Die Folge war die erneute Proklamation eines Generalstreiks. Daran beteiligten sich mehr als 300.000 Bergarbeiter (rund 75 Prozent der Belegschaften). Am 2. April 1920 marschierten Reichswehreinheiten auf Befehl der SPD-geführten Regierung ins Ruhrgebiet ein, um den Aufstand niederzuschlagen. Bezeichnenderweise befanden sich darunter auch Freikorps-Einheiten, die noch einige Tage zuvor den Kapp-Lüttwitz-Putsch unterstützt hatten, wie etwa die 3. Marine-Brigade des Wilfried von Loewenfeld. Der Antisemit und erklärte Faschist Loewenfeld war persönlich verantwortlich für den Beschuss der Stadt Bottrop am 3. und 4. April 1920 mit Mörsern, Granaten und Maschinengewehren. Er war als Chef des Freikorps Loewenfeld verantwortlich für die durch seine Männer begangenen Morde, nicht nur die in Bottrop und Kirchhellen begangenen, sondern auch die beim Einsatz in Oberschlesien und Berlin. Auch das Freikorps Loewenfeld zeigte u.a. auf seinen in Bottrop einrückenden Fahrzeugen bereits 1920 Hakenkreuze.
Mit Rückendeckung der Reichsregierung wurde der Ruhraufstand von General Watter von Norden her niedergeschlagen. Sein Stab führte im Auftrag der Reichsregierung von Münster aus den Bürgerkrieg im Ruhrgebiet, bei dem Verbände von Reichswehr und Freikorps die "Rote Ruhrarmee" im Ruhrgebiet niederwarfen. Es erfolgten Todesurteile sowie Massenerschießungen. Wer bei Festnahme bewaffnet war, wurde erschossen – auch Verletzte. Am 3. April 1920 ließ Reichspräsident Friedrich Ebert die Standgerichte wieder verbieten, um das Schlimmste zu verhüten. Erst am 12. April 1920 untersagte General von Watter seinen Soldaten "gesetzwidriges Verhalten". Das Freikorps Epp, das am 6. April 1920 in Dortmund einmarschierte, war an der Niederschlagung des dortigen Aufstands beteiligt - vier Tage zuvor hatten sie bei Pelkum zwischen Bergkamen und Hamm nach einem Gefecht mit den Arbeitern mehrere Verwundete und zehn Sanitäterinnen der "Roten Ruhrarmee" sowie weitere Aufständische "auf der Flucht" erschossen. In der "Schlacht bei Pelkum" starben insgesamt 79 Kämpfer der "Roten Ruhrarmee". Erst an der Ruhr machte die Reichswehr halt, weil die britischen Besatzungstruppen wegen Verletzung des Friedensvertrages von Versailles mit der Besetzung des Bergischen Landes drohten. Der Kapp-Lüttwitz-Putsch unterm Hakenkreuz
Der Aufruf zum GeneralstreikAbb.: Aufruf zum Generalstreik vom 13. März 1920 durch den Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund (ADGB) und die Arbeitsgemeinschaft freier Angestelltenverbände (AfA). Verantwortlich für den Aufruf zeichneten die beiden Gewerkschaftsfunktionäre Carl Legien und Siegfried Aufhäuser.Die Reichswehr unter Generaloberst Hans von Seeckt schützte während dieser Putschtage die legale Regierung nicht. Unter seinem berüchtigten Motto - "Reichswehr schießt nicht auf Reichswehr" verhielten sich die Kräfte des Heeres eher abwartend. Deshalb konnte der Kapp-Lüttwitz-Putsch nur durch einen Generalstreik in Deutschland bezwungen werden, ausgerufen durch den Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund. Dieser einzigartige politische Generalstreik, der die gesamte Wirtschaft und das öffentliche Leben in Deutschland lahm legte, zwang die Putschisten nach wenigen Tagen zur Aufgabe und Flucht nach Schweden. Es gibt keinen Zweifel daran, dass dieser Generalstreik die Republik damals gerettet hat. Der GeneralstreikDer Streik, der mit ungeheurer Wucht gegen den Militärputsch einsetzte, war der einzige politische Generalstreik in der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, der diesen Namen wirklich verdient. Er ist ein Meilenstein in der demokratischen Tradition Deutschlands. Aber auch hier muß man sich vor Illusionen und Mythen hüten. Vor allem eine Partei ist es, die keine historische Berechtigung hat, sich den Generalstreik von 1920 als Ruhmestitel anzuheften: die SPD. Sie tut das allerdings bis heute und beruft sich dafür auf folgenden Aufruf:
Abb.: SPD-Flugblatt von 1920Dieser Text mit seiner Anlehnung an das Kommunistische Manifest war unterzeichnet von den SPD-Ministern der Reichsregierung und von Otto Wels namens des SPD-Parteivorstandes. Nun ist zunächst mehr als zweifelhaft, ob die Minister diesen Text überhaupt verfaßt und unterzeichnet haben, bevor sie sich in die Autos setzten, um vor den Putschisten aus Berlin zu fliehen. Vermutlich stammt der Text aus der Feder des Pressechefs der Reichskanzlei. Vor allem aber haben die SPD-Minister sich wiederholt öffentlich von ihm distanziert. Als sie aus Berlin zunächst nach Dresden, dann von Dresden weiter nach Stuttgart flohen, wurden sie von Generälen, die den Generalstreik bekämpften, wegen dieses Textes zur Rede gestellt. Dasselbe geschah dann telefonisch von General von Watter in Münster, der für das rheinischwestfälische Industriegebiet zuständig war. Jedesmal haben die SPD-Minister, voran Reichswehrminister Noske, beteuert, sie hätten mit diesem Aufruf nichts zu tun und mißbilligten den Inhalt. Diese Konfrontation und die weitere Erfahrung von 1920, daß ein Generalstreik, einmal in Gang gesetzt, eine radikalisierende Eigendynamik entfaltete, fuhr dann der SPD-Führung für alle Zeiten in die Knochen. Machen wir uns klar, was das heißt: totale Arbeitsniederlegung und Stillstand aller Produktion und Zirkulation gegen putschendes Militär, das eine vorzügliche Verpflegung erhielt. Es gab Militärs, die diese Situation wie ein Experiment erlebten, wobei wir noch einmal bedenken müssen, daß es damals noch kaum historische Erfahrungen mit Militärputschen gab. Ein Offizier der Marinebrigade Ehrhardt, der Kerntruppe der Putschisten in Berlin, schrieb ein Jahr später:
Zum Kalkül der Putschisten gehörte, die Industriearbeiterschaft von den agrarischen Regionen aus notfalls auszuhungern. Es gab Arbeiterführer, die die begrenzte Reichweite des Generalstreiks erkannten und das Kalkül der Putschisten erahnten. Hagen war eine der wenigen Großstädte, die zum Zeitpunkt des Putsches ohne militärische Besatzung waren, was General von Watter in Münster dann schleunigst zu korrigieren versuchte. Hier forderte am Nachmittag des Putschtages ein USPD-Führer in einer Konferenz, man müsse den bewaffneten Widerstand organisieren, und er begründete dies damit, daß "ein Generalstreik auf lange Frist unmöglich ist und letzten Endes doch zum Siege der Reaktion führen muß." Für diese Auffassung fand er eine Mehrheit, ein Ausgangspunkt für den Aufstand im Ruhrgebiet. Andernorts waren die Parteifunktionäre vielfach bedenklich und zögernd. Aber entscheidend war das Handeln der Arbeiter. Landauf, landab ertönte ein einziger Ruf nach Waffen als Antwort auf die Nachricht vom Putsch in Berlin. Waffenlager wurden ausgehoben, Bürgerwehren, Kriegervereine usw. entwaffnet, mit den ersten Waffen traten die Arbeiter dem Militär entgegen, nicht nur im mittleren Ruhrgebiet, sondern auch im südlichen Teil des Ruhrgebiets, im Märkischen -, im Münster -, im Bergischen Land, im Großraum Wesel, in Mitteldeutschland um Halle und Merseburg, in Teilen von Sachsen, Thüringen, Brandenburg, Mecklenburg und Pommern. Erhardt Lucas - Erster Teil eines Aufsatzes von 1990, erschienen in "Schwarzer Faden"Nach dem offiziellen Streikende am 20. März 1920 gab sich die Arbeiterschaft im Ruhrgebiet mit dem Rücktritt der Putschisten nicht zufrieden. Da die Freikorps durch den wieder an die Macht zurückgekehrten SPD-Reichskanzler Friedrich Ebert nicht entwaffnet wurden, bildete sich innerhalb kurzer Zeit im Ruhrgebiet eine selbstorganisierte bewaffnete "Rote Ruhrarmee". Sie wollte verhindern, dass Freikorps und reguläre Reichswehrtruppen ins Ruhrgebiet einmarschieren, was ihnen aber letztlich nicht gelingen konnte.
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Der Flugplatz Gelsenkirchen-Essen-Rotthausen um 1920. Die auf dem Flughafen Gelsenkirchen-Essen-Rotthausen beheimateten Condor-Flugzeugwerke durften laut Versailler Vertrag keine Flugzeuge oder Flugzeugteile mehr herstellen und standen somit vor dem Bankrott. Auf dem Condor-Gelände gab es einige Gebäude, darunter auch ehemalige Flugzeughallen. Obwohl der Flughafen zu diesem Zeitpunkt noch zur selbstständigen Gemeinde Rotthausen und polizeilich zum Gebiet des 17. Essener-Polizeireviers Katernberg gehörte, kaufte die Stadt Gelsenkirchen von den Condor-Werken einen Teil der nicht mehr genutzten Gebäude und stellte diese der "Grünen" Sicherheitspolizei als provisorische Unterkünfte zur Verfügung. Hier lagerte die Sicherheitspolizei auch schwere Waffen, wie Maschinengewehre und Minenwerfer. Bild links: ISG Fotosammlung, 11679. Rechts: Postkarte aus den 20er Jahren. Repro Gelsenzentrum e.V. |
Im Gegensatz zu den Sicherheitspolizisten konnten die Ordnungspolizisten, die weiterhin den Dienst auf ihren Polizeiwachen versahen, weitgehend normal weiterarbeiten. Ihnen schlug in dieser Phase weitaus weniger Aggressivität entgegen, was wohl vor allem daran lag, dass sich die "Blaue" Ordnungspolizei ganz im Gegensatz zu allen anderen bewaffneten Truppen der Weimarer Republik schon zu Beginn des Kapp-Putsches klar für die alte Regierung ausgesprochen hatte. Dadurch gewann die "Blaue" Polizei gerade bei der Arbeiterschaft erheblich an Ansehen zurück. Hinzu kam, dass die älteren, ruhigeren und erfahrenen Ordnungspolizisten ein weitaus besseres Verhältnis zur Zivilbevölkerung unterhielten als die fremden oft aggressiv auftretenden Doppelstreife gehenden jungen Sicherheitspolizisten.
Auch noch zu diesem Zeitpunkt hätte für die Sicherheitspolizei grundsätzlich die Möglichkeit bestanden, die Arbeiter gewähren zu lassen, wenn nicht sogar sie zu unterstützen. Schließlich übernahmen diese mit der Verteidigung der Republik gegen Feinde von Innen eine der wichtigsten Aufgaben der Sipo. Auf der anderen Seite war den Sicherheitspolizisten bewusst, dass eine Unterstützung der Arbeiter eine Auseinandersetzung mit den Freikorps zur Folge gehabt hätte.
Für die meisten Sicherheitspolizisten, vom Weltkrieg geprägt und oftmals selbst noch in Kriegervereinen tätig und dem Militär freundschaftlich verbunden, war es viel einfacher, gegen das alte Feindbild des Bolschewismus zu kämpfen. Die politische, soziale und emotionale Kluft zwischen Arbeitern und den "Grünen" Sicherheitspolizisten sowie "Weißen" Freikorpssoldaten blieb unüberwindlich.
Die Arbeiter waren der Sipo gegenüber zwar grundsätzlich misstrauisch eingestellt, mit einem Kampf gegen sie rechneten sie jedoch zunächst nicht. Die Bekenntnisse der Sipostäbe in Münster und Berlin zum Putsch waren nicht in die Öffentlichkeit gedrungen. Ganz im Gegenteil hatten sich Teile der Essener und Gelsenkirchener Sicherheitspolizei zur Republik bekannt. Außerdem hatte man das Beispiel der Bochumer Sicherheitspolizei vor Augen, die zu diesem Zeitpunkt noch gemeinsam mit Arbeitern den Sicherheitsdienst verrichtete und auch nicht gegen andere bewaffnete Arbeiter vorgegangen war.
Arnold Meinberg, Führer der Dortmunder KPD und wichtiger Organisator innerhalb der "Roten Ruhrarmee" stellte später fest: "Mit einem Kampf um Essen hatten wir ... nicht gerechnet. Essen sollte nur der Aufmarschplatz zum Angriff auf den Kappisten Hauptmann Schulz sein. In tollster Naivität gab man ... den Befehl, sich in Essen an bestimmten Plätzen zu sammeln und von dort nach Mülheim zu marschieren."
Am 17. März traf eine etwa 200 Mann starke Arbeitertruppe, die auf weitere Verstärkung aus dem östlichen und südlichen Ruhrgebiet wartete, in Westenfeld bei Wattenscheid mit der Abteilung Westphal der Sicherheitspolizei Gelsenkirchen zusammen. Was dann genau geschah, ist nicht mehr zu rekonstruieren, aber aus der Reaktion der Arbeiter ist zu ersehen, dass die Gelsenkirchener Sicherheitspolizisten nicht gewillt waren, diese weiter nach Mülheim ziehen zu lassen. Daraufhin erging aus Wattenscheid ein Ultimatum an Polizeipräsident zur Nieden, das den waffenlosen Abzug der Sipo aus Wattenscheid bis 13 Uhr und den Rücktritt zur Niedens forderte. Auf Bitten von Wattenscheider Bürgern kam es um 16 Uhr noch einmal zu Verhandlungen zwischen zur Nieden und Westphal auf der einen und Vertretern der Arbeiterschaft auf der anderen Seite.
Zur Nieden bot den Rückzug der Sicherheitspolizei bei gleichzeitigem Rückzug der Arbeiter aus dem Landkreis Gelsenkirchen an. Danach sollte die Ordnungspolizei zusammen mit unbewaffneten Arbeitern die Aufgaben der Sipo übernehmen. Eine Antwort erfolgte nicht mehr. Denn während die Verhandlungen noch andauerten, waren weitere bewaffnete Arbeiter nach Westenfeld gekommen, so dass sich dort nun etwa 2.000 Mann aufhielten. Die Arbeiterschaft lehnte im Bewusstsein ihrer Stärke das Angebot des Polizeipräsidenten ab und marschierte gegen 21 Uhr in Wattenscheid ein, traf dort aber nur noch auf die sich zurückziehende Nachhut der Sipo. Am Stadtrand von Wattenscheid fielen die ersten Schüsse, die zwei Polizisten leicht verletzten. Damit war die Sicherheitspolizei in den bewaffneten Kampf gegen die Arbeiterschaft eingetreten.
Kaum in Gelsenkirchen angekommen, bat Polizeipräsident zur Nieden mehrfach in Münster um Verstärkung, da ein Kampf mit seinen wenigen Leuten aussichtslos war. Das in Münster für Gelsenkirchen zuständige Abschnittskommando I lehnte ab, da man eine Zersplitterung der Kräfte vermeiden wollte, aber auch weil es mittlerweile unmöglich war, Truppen nach Gelsenkirchen zu schaffen, denn die Arbeiter hatten die Gleisverbindungen besetzt. Nachdem Unterstützung nicht gewährt werden konnte, bat zur Nieden seine Leute nach Essen zurückziehen zu dürfen. Münster stimmte zu und um 4 Uhr nachts floh die Sicherheitspolizei auf LKWs aus Essen, wobei sie große Mengen an Waffen auf dem Flugplatz Rotthausen zurücklassen musste. In Essen angekommen, wurde die Sicherheitspolizei notdürftig in den ehemaligen Lazarett-Baracken im nordwestlich der Innenstadt gelegenen Segeroth einquartiert, in denen auch schon die 1. Essener Hundertschaft stationiert war. Vermutlich sollte die große Anzahl von Polizisten die Arbeiter des Segeroths ruhigstellen und gegebenenfalls schnelle Zugriffsmöglichkeit bieten, denn dieses Arbeiterviertel in Essen galt als "Brutstätte des Kommunismus".
Nachdem die Sicherheitspolizei aus Gelsenkirchen abgezogen war, wurde in Gelsenkirchen ein Aktionsausschuss aus je drei Mitgliedern der drei sozialistischen Parteien gebildet. Diese bildeten als erstes eine Sicherheitswehr, die ausschließlich aus Kommunisten und Mitgliedern der USPD bestand und in der die Kommunisten die Mehrheit besaßen. Die Sicherheitswehr war 400 bis 600 Mann stark und stützte sich auf die Ordnungspolizei, mit deren Hilfe sie auch den Sicherheitsdienst versah. Erst als die Situation ab dem 29. März eskalierte, übernahm die Sicherheitswehr alleine den Sicherheitsdienst. Tätlichkeiten gegen die Ordnungspolizisten gab es aber auch in dieser Phase nicht.
Die gesamte Gelsenkirchener Sicherheitspolizei wurde dem Kommando des Essener Sicherheitspolizeioffiziers Major Wulff unterstellt. Dieser befahl, am nächsten Morgen 50 Mann der Essener technischen Hundertschaft unter Hauptmann von Oelsnitz nach Gelsenkirchen zu fahren und die zurückgelassenen Waffen zu holen. Wenig später schickte er noch 3 LKWs mit Gelsenkirchener Sicherheitspolizei hinterher, um die Essener Kollegen abzusichern. Die Essener erreichten gegen 11.30 Uhr den Flughafen und überraschten die nur 12 Mann starke Wachmannschaft, die dort am Morgen vom Gelsenkirchener Aktionsausschuss postiert worden war. Es kam zu einem kurzen Feuergefecht bei dem einer der Posten, ein Lehrer, getötet wurde. Dann konnten die Waffen nach Essen abtransportiert werden. Für die Arbeiterschaft bedeutete dies einen herben Rückschlag, da auf dem Flugplatz auch schwere Waffen lagerten, an denen es ganz besonders mangelte.
Der Gelsenkirchener Aktionsausschuss sandte eine Delegation zum Essener Polizeipräsidenten Melcher mit der Bitte, keine weiteren Angriffe auf Gelsenkirchen zu unternehmen. Da Melcher vom Wehrkreiskom- mando in Münster mit Zustimmung des Reichsund preußischen Staatskommissars Severing den Befehl erhalten hatte, "Essen um jeden Preis zu halten", kam es ihm auf die Konzentration seiner Kräfte an, so dass er bedenkenlos zustimmen konnte.
Gleichzeitig baten die Arbeiter um Rücksendung der Gelsenkirchener Sicherheitspolizisten, damit sie, wie auch in Bochum, zusammen mit Arbeitern ihren Dienst versehen könnten. Es gibt zwei verschiedene Deutungen für diese überraschende Forderung. Unwahrscheinlicher ist die Vermutung, die in der Forderung ein Indiz dafür sieht, dass die Arbeiterfunktionäre wohl gegen den Kapp-Lüttwitz-Putsch, nicht aber gegen legale Truppen kämpfen wollten. Wahrscheinlicher ist, dass diese Bitte der Versuch war, an die Waffen der Sicherheitspolizei zu gelangen.
Der Ruhrkrieg von 1920 war die letzte der großen Massenbewegungen, in denen die Arbeiterschaft noch einmal versuchte, die Forderungen aus der Zeit der Novemberrevolution umzusetzen und die Demokratisierung des Landes nach ihren Vorstellungen voranzutreiben. Die Konfliktbereitschaft der Arbeiter ließ anschließend mehr und mehr nach, bis sie in der Kohlenabsatzkrise, die im Anschluss an die Ruhrbesetzung 1924 folgte, völlig versiegte. Die negativen Erfahrungen mit Unternehmern, Militär und Staat und der Vertrauensverlust gegenüber den politischen Parteien, besonders gegenüber der MSPD, spalteten die Arbeiterschaft. Dies führte nicht nur zu einer Schwächung der Arbeiterschaft insgesamt, sondern, wie schon an den Wahlergebnissen zur Reichstagswahl 1920 abzulesen, auch zu einer Verlagerung der innenpolitischen Kräfte zugunsten radikalerer Parteien, die bis zum Ende der Weimarer Republik nicht mehr behoben werden konnte. [...]
In Essen erhielt der Polizeipräsident der Sicherheitspolizei (Sipo), Kurt Melcher, am 18. März 1920 vom Wehrkreiskommandanten Generalleutnant Freiherr von Watter den Befehl, die Stadt vor den heranrückenden Arbeiterschaften zu verteidigen. Die Einheiten der "Roten Ruhrarmee" marschierten von Gelsenkirchen und Wattenscheid kommend über Kray und Steele sowie über Katernberg und Stoppenberg in Richtung der Essener Innenstadt ein und hatten bereits am 19. März die Innenstadt besetzt. Wegen dieser Übermacht gab die Sicherheitspolizei ihren sinnlos schließlich gewordenen Kampf auf.
Am 15. März werden bei Ausschreitungen vor dem Essener Rathaus fünf Menschen getötet und siebzehn verletzt. Auf den Zechen beginnt der von der alten Regierung geforderte Aufstand. Am 18. März 1920 eroberte die "Rote Ruhrarmee" über Katernberg und Stoppenberg, Essen und besetzen das Rathaus und Teile der Stadt. In der Folge kam es auch in Essen zu Kämpfen, wobei neben den Kampfhandlungen an der Hauptpost vor allem die blutige Auseinandersetzung um den Wasserturm am Steeler Berg bekannt wurde. Dort kämpften am 19. März 1920 Angehörige der Reichswehr- und Freikorpsverbände gegen eine Abteilung der "Roten Ruhrarmee". Am Morgen des gleichen Tages wurde das Essener Rathaus mit Minenwerfern beschossen.
Nur die Besatzung des Wasserturms, bestehend aus 24 Mann der Einwohnerwehr und 22 Mann Sicherheitspolizei hielten ihre Stellung gegen die Arbeiter. Am Misstrauen dieser Turmbesatzung scheiterte der telefonische Versuch des Polizeirates Exner, sie zur Aufgabe zu bewegen. Gegen 17 Uhr jedoch zeigten die Besatzer des Erdgeschosses die weiße Fahne, was diejenigen im Obergeschoss aber nicht mitbekamen. Die herannahenden Arbeiter deuteten die weiße Fahne als Kapitulation und bestiegen die Freitreppe des Wasserturms. Daraufhin wurden sie von den Besatzern des Obergeschosses beschossen und mit Handgranaten beworfen. Dennoch gelang den erbitterten Arbeitern nach zwei Versuchen die Erstürmung des Turms. Elf Verteidiger des Wasserturms starben teilweise bei diesen Kämpfen und teilweise danach. Zeugenaussagen zufolge sollen die gefangenen Besatzer in Einzelfällen von Arbeitern vor Gewalttaten geschützt worden sein.
Bei einem Prozess vom 10. Februar bis 11. März 1921 vor dem Schwurgericht Essen wurden 15 Angeklagte der ehemaligen Ruhrarmee-Angehörigen nach insgesamt 23 Verhandlungstagen freigesprochen. Alle hatten sie bekundet, daß sie sich der Arbeiterarmee angeschlossen hätten, um "die für gefährdet gehaltene deutsche Republik vor den Kappleuten zu schützen". Am 10. Verhandlungstag setzte der Gerichtsvorsitzende die Prozeßbeteiligten davon in Kenntnis, "daß das Gericht die Behauptung als wahr unterstellt, daß die Angeklagten das Bewußtsein gehabt haben mögen, für den Schutz der Reichsverfassung eingetreten zu sein, als sie am 19. März letzten Jahres die Stadt Essen in Besitz nahmen und den Wasserturm eroberten." (Anlage zur Chronik der Stadt Essen 1921, Seite 107)
Der Bürgerkrieg forderte in Stoppenberg beim Kampf um die Villa von Dr. Kondring, zwischen der Sicherheitspolizei und der "Roten Ruhrarmee" mehr als 150 Tote unter den Arbeitern und viele Verletzte.
[...] Am 18. März rückten die Arbeitermassen, die sich zuvor in der Umgebung von Wattenscheid gesammelt hatten, über Gelsenkirchen nach Essen-Stoppenberg und Essen-Katernberg vor. Am Stoppenberger Rathaus trafen erste Arbeitereinheiten auf etwa 30 Mann der 1. Essener Hundertschaft unter Hauptmann Bredt, die auf zwei LKWs verteilt den Vormarsch beobachten sollte. Die zahlenmäßig unterlegenen Sicherheitspolizisten zogen sich nach stundenlangen Kämpfen vom Rathaus zum Haus des Chefarztes Dr. Kondring zurück, das aufgrund seiner exponierten Lage ideal für die Verteidigung war. Nachdem ein Versuch, die eingeschlossenen Sicherheitspolizisten durch eine Hundertschaft zu befreien, gescheitert war, ergaben sich die Verteidiger schließlich am 19. März um 8 Uhr morgens der Übermacht der Arbeiter, deren Vormarsch auf Essen in der Zwischenzeit weiter gegangen war.
Die "Schlacht um Stoppenberg" oder "Der Kampf um die Villa Kondring" ist eines von mehreren Beispielen im Ruhrkrieg, das zeigt, wie Ereignisse von nationalen und nationalsozialistischen Apologeten beeinflusst und zu wahren Heldenepen verklärt wurden, in denen vor allem die Heldenhaftigkeit der national gesinnten Verteidiger und die bestialische Grausamkeit der bolschewistischen Arbeiter betont wurden. Im Gegensatz zu diesen teilweise noch immer existierenden Legenden, zu denen auch gehört, dass die gesamte Besatzung der Villa Kondring getötet worden sei, sah die Realität anders aus. Einen Beweis liefert dabei der Bericht Hauptmann Bredts, des zu Beginn der Kampfhandlungen angeschossenen Kommandeurs der in Stoppenberg kämpfenden Sipo-Abteilung.
Tatsächlich wurde der erste der sich ergebenden Polizisten von den wütenden Arbeitern erschlagen - ein deutliches Zeichen für den Hass, mit dem dieser Bürgerkrieg betrieben wurde. Hier wurde dieser Hass vermutlich noch zusätzlich angestachelt, da wenige Stunden vorher die zum Ersatz der eingeschlossenen Sipos entsandte Hundertschaft verwundete Arbeiter in einer Stoppenberger Schule erschlagen hatte.
Ein Befehl General von Watters vom 22. März 1920 gibt einen weiteren Hinweis, mit welcher Rücksichtslosigkeit die Kämpfe geführt wurden: "Verhandelt wird nicht. Solange eine militärische Operation im Gange ist, darf sie auch nicht durch den meist zur Nachgiebigkeit neigenden Einspruch regierungstreuer Zivilisten beeinträchtigt werden.[...] In jedem Bewaffneten ist der Feind zu sehen. Unbewaffnete Massen haben ebenfalls auf der Straße nichts zu suchen. Sie müssen durch Feuer zersprengt werden, ehe sie an die Truppe herankommen."
In Stoppenberg eskalierte die Situation dann aber nicht weiter. Wie Bredt im Weiteren angibt und was sich auch mit einer im Essener Stadtarchiv erhaltenen Zeugenaussage deckt, verhinderten besonnene Arbeiter weitere Ausschreitungen. [...]
Die letzten gescheiterten Abwehr- kämpfe der "Roten Ruhrarmee" in Essen gegen Reichswehr und Freikorps werden von an der Kanalbrücke zwischen Karnap und Altenessen schildert. Auf der Karnaper Seite des Kanals rückte die Reichswehr vor, auf der Altenessener ging die Rote Ruhrarmee in Abwehrstellung. Bei den Kämpfen wurden die Brücken über den Kanal und anliegende Häuser beschädigt. Nach den heftigen Kämpfen mit der "Roten Ruhrarmee" am Kanal besetzen die Regierungstruppen die Stadt, im Rathaushof erschiessen sie am 7. April zwei Essener Arbeiter ohne ein Gerichtsverfahren, weil man sie "irrtümlich" für Spione gehalten hatte.
Zitat aus einer Rede von Uli Borchers, VVN/BdA Bochum, gehalten am 28. März 2010 zum Gedenken an die Niederschlagung des Kapp-Putsches:
[...] Nach dem Scheitern des Kapp-Putsches gab es erneut erhebliche Differenzen darüber, wie zukünftig Attacken auf die Republik verhindert werden können:
Unter ihrer Führung bildete sich im Ruhrgebiet die "Rote Ruhrarmee". Ca. 100.00 Mann setzten sich zur Wehr, errangen militärische Erfolge und vertrieben Reichswehreinheiten aus Dortmund, Essen, Mühlheim, Duisburg, Hamborn. Carl Severing, der sozialdemokratische Reichskommissar für Rheinland-Westfalen, forderte die "Rote Ruhrarmee" auf, sich aufzulösen und die Waffen abzugeben. Im Gegenzug wurde zugesichert, die Reichswehr nicht ins Ruhrgebiet einmarschieren zu lassen. Unter einem Vorwand, zumindest mit einer fragwürdigen Begründung, wurde dieses Versprechen gebrochen und die Reichswehr marschierte ins Ruhrgebiet ein. Unter Führung der KPD wurde erneut zu Generalstreik und bewaffnetem Widerstand aufgerufen. Die militärische Überlegenheit der Reichswehr einerseits und die Isoliertheit der "Roten Ruhrarmee" andererseits führte in die Niederlage, die "Rote Ruhrarmee" wurde zerschlagen. Reichswehr und Freikorps nahmen fürchterliche Rache: neben den Toten aus den Kämpfen gab es zahlreiche "standrechtliche" Erschießungen.(...) Wer war Gewinner, wer waren die Verlierer?Die Entscheidungen der SPD-Reichsregierung hatten fatale Konsequenzen. Es wurden genau diejenigen militärischen Kräfte gegen die kämpfenden Arbeiter im Ruhrgebiet eingesetzt, die nur wenige Tage zuvor am Kapp-Putsch direkt beteiligt waren oder mit dem Putsch sympathisiert hatten. Warum konnte dies so geschehen? Es waren die politischen Forderungen der "Roten Ruhrarmee", die der Reichsregierung nicht passten. Es waren die SPD-eigenen politischen Vorstellungen von Ruhe und Ordnung, vom Aufbau einer parlamentarischen Demokratie, die unvereinbar waren mit der Existenz von bewaffneten Arbeitern und einer starken KPD. Die Reichsregierung sicherte sich zwar ihre Macht durch den Einsatz der Reichswehr, eine Bestrafung der am Kapp-Putsch Beteiligten war unter diesen Bedingungen völlig undenkbar. Emil Julius Gumbel schreibt dazu in "Verschwörer", 1924, Neuauflage Fischer TB 1984, S. 61): Die folgende Tabelle zeigt, wie das Verfahren gegen 540 Offiziere, die am Kapp-Putsch beteiligt waren, eingestellt wurde (...).Dies konnte von den Kapp nahestehenden Kreisen mit Recht als Ermunterung angesehen werden. Sie hatten nur zu einem noch nicht ganz zeitgemäßen Mittel gegriffen. Es galt ihr Werk zunächst mit legalen Mitteln fortzusetzen, den durch die Niederschlagung des Kapp-Putsches zerstörten Apparat wieder instand zu setzen. Um dann mit anders gearteten Mitteln das selbe Ziel, die Zerstörung der Republik, fortzusetzen. Zu den Gewinnern gehörte das Militär. Die Reichswehr festigte mit den Aktionen gegen die kämpfenden Arbeiter ihren Status in der Weimarer Republik und blieb dennoch durch und durch monarchistisch, nationalistisch und antidemokratisch. In Verbindung mit den Freikorps blieb die Reichswehr bis zur Machtübertragung an die Nationalsozialisten ein Unsicherheitsfaktor. Verlierer in dieser Auseinandersetzung waren die kämpfenden Arbeiter und ihre Familien im Ruhrgebiet. Sie waren zur Verteidigung der Republik im März in den Generalstreik getreten und wurden im April von denen verfolgt, gejagt, getötet, gegen die sich ihr erfolgreicher Generalstreik gerichtet hatte. Ihr Verdienst ist es, mit letzter Konsequenz bis zur Aufgabe des eigenen Lebens gekämpft zu haben. Ihr Verdienst ist es, den größten bewaffneten Aufstand der deutschen Arbeiterbewegung gewagt zu haben für die demokratische und sozialistische Erneuerung Deutschlands. Sie wollten mit ihrem bewaffneten Widerstand auch die Ergebnisse der Novemberrevolution von 1918/19 verteidigen. Der größte Verdienst der Arbeiterbewegung besteht allerdings darin, dass ihr bewaffneter Kampf 1920 eine Militärdiktatur verhindert hat. |
Der deutsche Historiker Erhard Lucas schrieb dazu:
Ende März 1920 war unter den Aufständischen bis auf kleine Minderheiten die Erkenntnis allgemein, daß die Bewegung abgebrochen werden müsse; von einer einzigen Region aus, und war sie im Rahmen der deutschen Gesamtwirtschaft auch noch so wichtig, ließen sich die politischen Verhältnisse im Deutschen Reich nicht verändern. Die Selbstauflösung der Aufstandsbewegung lag zum Greifen nahe.
Diese Möglichkeit wurde jedoch sowohl von der Reichsregierung als auch von der Reichswehr ausgeschlagen und zerstört. Die Regierung entschied sich für den militärischen Einmarsch ins Industriegebiet und zwar - was besonders folgenreich war - für den Einmarsch sämtlicher Truppen, die im ganzen Reich irgendwie verfügbar waren. Darunter waren nicht wenige Freikorps und andere Truppeneinheiten, die den Militärputsch zuvor mitgetragen hatten.
Es war von der Reichsregierung ein fast unbegreiflicher Zynismus, aber auch ein Ausdruck geringer Selbstachtung, diese Truppen noch einmal in Dienst zu nehmen, vor denen sie vor wenigen Tagen hatte fliehen und um ihre Existenz kämpfen müssen. Zynisch war diese Entscheidung gegenüber denen, die Opfer des militärischen Einsatzes werden würden, denn es war genau bekannt, welche Brutalitäten von diesen Truppen zu erwarten waren.
Die Truppenkommandeure vor Ort verschärften die Situation noch zusätzlich dadurch, daß sie selbst die von der Regierung und von Carl Severing gesetzten letzten Fristen für die Waffenabgabe ignorierten. Sie handelten nach der Devise: mit Roten wird nicht verhandelt, Abmachungen sind von vornherein null und nichtig. Das konkrete Vorgehen war also bestimmt von der Annahme eines rechtsfreien Raumes und von der Vogelfreierklärung des Gegners.
Als am 17. März 1920 der Kapp-Lüttwitz-Putsch im Reich zusammenbrach, kämpften die Arbeiter weiter. Aus dem Abwehrkampf gegen den Rechtsputsch wurde jetzt eine linke Aufstandsbewegung, in der die radikalen Kräfte die Oberhand gewonnen hatten. Sie riefen zum Sturz der Regierung auf und wollten die Errichtung einer Rätediktatur erzwingen. Am 23./24. März unternahm der SPD-Politiker Carl Severing im Auftrag der Reichs- und der preußischen Regierung in Bielefeld den Versuch, in Verhandlungen mit Vertretern der Aufständischen zu einer politischen Lösung des Konflikts zu gelangen.
Die Mehrzahl der kämpfenden Arbeiter lehnte das so genannte Bielefelder Abkommen vom 24. März ab. Daraufhin erteilte die Reichsregierung Anfang April General von Watter den Befehl zum Einmarsch ins Aufstandsgebiet. Die Militäraktion stützte sich auf reguläre Reichsverbände und Freikorpseinheiten, von denen einige als republikfeindlich gelten mussten. Dabei gingen die Regierungstruppen vielerorts mit rücksichtsloser Härte und Brutalität vor. Das letzte Gefecht des "Ruhrkriegs" fand am 6. April in Gelsenkirchen statt und markierte die vollständige Niederlage der aufständischen Ruhrarbeiterschaft.
So endete die Aufstandsbewegung 1920 nicht in einer allgemeinen freiwilligen Abgabe der Waffen, sondern in einem Massenmord an der Arbeiterschaft der "Roten Ruhrarmee".
→ Online: Hans Marchwitza - Sturm auf Essen, (1930), Kapitel 6.
Andreas Jordan, Juli 2010. Editiert Januar 2020 |