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Fred Diament aus Gelsenkirchen


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Abschrift eines Video-Interviews mit Fred Diament

Fred Diament aus GelsenkirchenFred Diament aus Gelsenkirchen überlebte das KZ Auschwitz

Mein Name ist Fred Diament. Ich wurde im März 1924 in Gelsenkirchen, einer Bergbaustadt im Ruhrtal in Deutschland geboren. Im ganzen Gebiet gibt es Schwerindustrie. Ich bin in Deutschland aufgewachsen, bin dort 6 Jahre zum Realgymnasium gegangen. Meine Eltern waren polnische Juden, die nach dem Ersten Weltkrieg 1919 nach Deutschland kamen.

Ich wuchs in einem orthodox jüdischen Elternhaus auf, das streng koscher war. Und es gab ein sehr inniges Gemeinschaftsleben in der ostjüdischen Gemeinschaft, die weitgehend in sich abgeschlossen war, abseits von der deutsch-jüdischen Gemeinschaft. Und es gab sehr wenig sozialen Umgang zwischen den Gemeinschaften.

Eine Ausnahme bildeten wir Kinder, die wir in Deutschland aufwuchsen. Wir hatten Beziehungen an der Schule, am Gymnasium. Nur ein sehr geringer Prozentsatz der Kinder ging zum Gymnasium, weil es automatisch eine Schule für künftige Akademiker war. Nach der Abschlussprüfung ging man zwangsläufig zur Universität, um einen höheren Abschluss zu erreichen. Natürlich trafen wir da Kinder aus der deutsch-jüdischen Gemeinschaft, weil wir am Gymnasium Kontakt mit dem Rabbi der deutsch-jüdischen Gemeinschaft hatten. Wir in der ostjüdischen Gemeinschaft hatten interessanterweise keinen Rabbi, wohingegen die deutsch-jüdische Gemeinschaft einen sehr berühmten Rabbi hatte - sein Name war Dr. Galliner -, der von den Ostjuden sehr respektiert wurde. Und nicht nur in der jüdischen Gemeinschaft sondern auch in der christlichen Gemeinschaft, weil er ein Gelehrter, ein hervorragender Linguist war. Ich erinnere mich, er sprach Chinesisch und er schrieb Chinesisch. Ein außergewöhnlicher Mensch!

Es war Teil der jüdischen Tradition. Jeder in Deutschland, sowohl ostjüdische als auch deutsch-jüdische Eltern, wollte seinen Kindern eine gute Bildung zukommen lassen. Und es war möglich. Manchmal kostete das Geld, aber jede Anstrengung wurde unternommen. Die größte Unterbrechung in meiner Schulzeit war 1938 nach der "Kristallnacht". Alle jüdischen Schüler wurden von den Schulen und auch von den Universitäten rausgeworfen.Tatsächlich wurden vor 1938 interessanterweise deutsch-jüdische Studenten rausgeworfen, wohingegen jüdische Kinder und Studenten mit französischen oder polnischen Pässen, weiter studieren durften. Bis 1938. Dann wurden keine Unterschiede mehr gemacht. Jeder, der jüdische Vorfahren hatte, der als Jude identifiziert wurde, wurde rausgeworfen.

Wann erkannten die Juden die Gefahr?

1933 waren die jüdischen Familien zu Tode erschrocken. Ich erinnere mich, als Hitler putschte, die Macht übernahm, hatten wir solche Angst - wir waren 6 Kinder -, dass meine Eltern die Kinder wegschickten. Alle Kinder wurden zwei Wochen lang bei unterschiedlichen nicht jüdischen Familien versteckt. Sie hatten Angst, die Kinder nach Hause zu holen. Und wie es bei jüdischen Eltern typisch ist, sorgten sie zuerst für die Kinder. Sie kümmerten sich nicht so sehr um ihr eigenes Überleben sondern um das Überleben der Kinder. Und in dieser Zeit - ich war 1933 8 oder 9 Jahre alt - ich erinnere mich lebhaft, gab es eine Menge Opposition gegen Hitler in der nichtjüdischen Gemeinde. Sie wurden einer Gehirnwäsche unterzogen. Sie hatten auch Angst, denn die SA machte Paraden.

Und zu dieser Zeit schüchterten sie nicht nur die jüdische Bevölkerung ein, sondern die gesamte Bevölkerung. Und sie waren Rüpel. Sie übten körperliche Gewalt aus. Und ich erinnere mich auch, dass die Polizei weitgehend durch die Nazi-Partei infiltriert gewesen sein muss und nur zuschaute. Sie griff nie nie ein, wenn Gewalttaten begangen wurden.

Und zurück zur "Kristallnacht", da erwartete jeder, als die Nachricht kam, dass dieser junge Mann von Rath in Paris ermordet hatte, - wir wussten es sogar, - dass es ein Pogrom geben würde. Wieder versteckten wir uns, dieses Mal in unserem Haus, unter dem Dach, auf dem Dachboden. Und ich erinnere mich lebhaft, dass in dieser Nacht die Synagoge brannte. Wir konnten es sehen.

Ich war ungefähr 15. Und zu dieser Zeit trieben sich die beiden Gruppen, die SA mit den braunen Uniformen und die SS mit den schwarzen in den Strassen herum und jeder jüdische Betrieb, sei es ein Laden, eine Fabrik, ein Haus wurde geplündert, niedergebrannt, demoliert. Wir hatten ein Geschäft und zu der Zeit war es üblich, dass Leute im selben Gebäude in der 3. oder 4. Etage wohnten. Sie verbrannten alles, demolierten alles, die großen Glasfenster, sie schrien und grölten. Sie müssen betrunken gewesen sein. Und wir zitterten oben. Sie schlugen an jede Tür: "Gibt es Juden in diesem Haus? Wir brechen ihnen das Genick!" und was weiß ich, was sie sonst noch geschrien haben, Stunden um Stunden.

Und unser Glück war, dass der Sohn einer der Mitbewohner Mitglied bei der SS war. Und seine Eltern hatten sehr enge Beziehungen zu uns. Wir lebten in diesem Haus, ich bin in diesem Haus geboren, und sie flehten ihn an, er solle zum Fenster gehen. Sie brauchten anderthalb Stunden, bis er ans Fenster gegangen ist und gesagt hat: "Es gibt keine Juden mehr in diesem Haus, sie sind alle weg." Wer weiß, was sonst geschehen wäre, denn in der selben Nacht bei Freunden von uns, die 150 Meter entfernt lebten, da nahmen sie den Mann und die Frau und warfen sie buchstäblich aus dem Fenster. Sie wurden beide schwer verletzt, sie hatten Rückenverletzungen für ihr ganzes Leben. Innerhalb von zwei Wochen emigrierten sie. Ich denke, sie gingen nach Belgien.

Das Glück ging am 9. September zu Ende, als die Gestapo jeden ausländischen Juden festnahm. Meine Eltern waren polnische Juden, die man jahrelang als staatenlos angesehen hatte. Und nach 1938 stimmte die polnische Regierung aus irgendwelchen Gründen zu, dass alle Juden, die ursprünglich die polnische Staatsbürgerschaft gehabt hatten, wieder polnische Bürger wurden und einen polnischen Pass bekamen. Und unter diesem Vorwand wurden sie als Ausländer festgenommen. Aber sie verhafteten nicht Polen per se, sondern jüdische Polen. Und ich wurde mit meinem Vater und mit meinem älteren Bruder verhaftet.

Er war ein Jahr älter als ich. Man hielt uns 4 oder 6 Wochen im örtlichen Gefängnis fest und dann wurden wir nach Sachsenhausen geschickt. Es war eins der Hauptkonzentrationslager. Es ist auch unter dem Namen "Oranienburg" bekannt. Dieses Konzentrationslager ist 25 Kilometer von Berlin entfernt, das zu der Zeit natürlich die Hauptstadt Deutschlands war. Und interessanterweise als wir ankamen, war der Mann, der uns in Empfang nahm, der berüchtigte Kommandant von Auschwitz, Rudolf Höß. Er war zu der Zeit nur Untersturmführer. Und ich erinnere mich, als wäre es gestern gewesen... - die Parole an jedem Tor war "Arbeit macht frei", was der größte Betrug von allem war.

Wir kamen in Sachsenhausen an. Ich denke, wir waren 57 Juden im Alter von 15 - ich war der Jüngste - bis zu einem alten Mann von 67 Jahren, einem Rabbi, Rabbi Meiseles. Er war ein kleiner Mann, ein alter Mann, ein Gelehrter, ein Talmudist und Höß hielt uns eine Rede. Er verbrachte 25 Minuten mit uns und wieder war alles eine große Lüge: "Ihr werdet hier gut behandelt, ihr werdet mit Respekt behandelt, kooperiert einfach und arbeitet. Die Parole dieses Lagers ist "Arbeiten" und solange ihr arbeitet, werdet ihr mit Respekt behandelt". Und kaum war er raus, kamen die SS-Unteroffiziere und fingen an, uns zusammenzuschlagen.

Ich meine, es war ein solcher Schock. Ich war 15 Jahre alt. Als wir in dem örtlichen Gefängnis waren, behandelten sie uns wie die übrigen Gefangenen, wie die kriminellen Gefangenen und die, die in Untersuchungshaft waren. Sie gaben uns mehr oder weniger anständiges Essen, aber nichts desto weniger saßen wir die ganze Zeit in einer Zelle, was für mich eine Folter war.

In der Tat war ich auf eine gewisse Weise glücklich, nach Sachsenhausen zu kommen. Ich konnte es nicht mehr aushalten, 24 Stunden am Tag wie ein Vogel im Käfig zu sein. Das war unerträglich. Für einen Teenager war es das Schlimmste, was passieren kann. Es kam mir nicht in den Sinn, dass sie uns schließlich in ein Konzentrationslager bringen würden, obwohl Horrorgeschichten über die Konzentrationslager in Deutschland bekannt waren. Denn 1938 inhaftierten sie die deutschen Juden, nicht die polnischen Juden nach der Kristallnacht und sie hielten sie auch in den Konzentrationslagern Sachsenhausen, Dachau, Buchenwald - das waren die Konzentrationslager, Auschwitz gab es noch nicht.

Und wenn sie herauskamen, mussten sie, bevor sie entlassen wurden, ein Schriftstück unterschreiben, nichts zu sagen. Und glauben Sie es oder nicht, sie waren zu Tode erschrocken. Ich kenne niemanden, der mutig genug war, zu sagen, was ihm persönlich zugestoßen war, kein deutscher Jude. Aber gerüchteweise wurden alle Arten von Geschichten bekannt. Als Ergebnis der Tatsache, dass die deutschen Juden in den Konzentrationslagern waren, starben einige Hundert, insbesondere die alten Leute. Aber der Rest der deutschen Juden - vielleicht war es eine weltweite Hilfskampagne - ich würde sagen, dass 90 bis 95% der deutschen Juden flohen. Sie gingen sozusagen durch die nächste Tür, also zum Beispiel nach Holland mit einem Besuchervisum, oder nach Belgien. Sie wussten, sie hatten einen Vorgeschmack, von dem, was ihnen bevorstand. Wohingegen wir, die anderen Juden, es immer noch nicht akzeptieren konnten.

Es war unglaublich, dass Deutschland das fortgeschrittenste, das Land der Dichter und Denker, sie waren stolz darauf. Die Juden hatten ein hohes Ansehen genossen, trotz all der Anstrengungen Hitlers. Die gebildeten und halb gebildeten Deutschen wussten, was die Juden zur deutschen Kultur beigetragen hatten, zur Wissenschaft, Medizin, Industrie. Ich konnte es wirklich nicht glauben.

Ob meine Familie versucht hat, zu fliehen?

Wir waren eine große Familie mit 6 Kindern, wir gehörten zur oberen Mittelschicht. Meine Familie war verängstigt. Meine Eltern waren Ende 40, mein Vater war fast 50 und in einem fremden Land bei Null wieder anzufangen, ohne die Sprache zu können, mit 6 Kindern - denn es war sehr schwierig, unseren materiellen Besitz zu Bargeld zu machen: unser Geschäft war viel wert, so lange es lief, aber wenn man es veräußerte, war es wahrscheinlich nur sehr wenig wert. Und unsere Mittel, um ein neues Leben anzufangen, waren begrenzt. Meine Mutter hatte Angst. Sie war eine typische optimistische Jüdin, sie war eine unerschütterliche Optimistin. Ich erinnere mich an diese Gespräche, die sich über Monate und Jahre hinzogen: "Glaubt ihr wirklich, dass die Welt tolerieren wird, dass dieser Gefreite, dieser Verrückte mit seinen Rowdies die Macht behält. Es gab doch den Versailler Vertrag."

Aber Schritt für Schritt und immer weiter zerstörte Hitler alle Verträge. Er hielt sich nie an irgendeinen Vertrag, den seine Vorgänger unterzeichnet hatten. Doch in einem gewissen Sinn wollte ich an die Philosophie meiner Mutter glauben, denn die Vorstellung, wegzugehen, war ein Albtraum. Ich hatte auch Angst, in ein neues Land zu gehen, bei Null wieder anzufangen, denn trotz allem lebten wir ganz gut, sicher. Wir hatten ein schönes Zuhause, wir waren glücklich. Alle Kinder gingen aufs Gymnasium, was ein Privileg war, denn in Deutschland gingen nur 1,5 bis 2% aufs Gymnasium. Es wurde als ein Privileg angesehen. Wir hatten ein gut laufendes Geschäft.

Nachdem Hitler an die Macht kam, gab es eine sehr starke zionistische Bewegung. Ich würde sagen, 90% der ostjüdischen Kinder waren aktiv in der zionistischen Bewegung. Zum Beispiel mein Bruder, der Rabbi ist, war einer der Anführer der Hashomer Hatza'ir in Deutschland. Und sie waren nicht nur aktive Zionisten, sie waren auch sehr liberal, linksliberal. Abgesandte aus Israel waren sehr aktiv in Deutschland zu dieser Zeit. Sie organisierten Zellen von Leuten, die im Kibbuz leben wollten. Natürlich war es alles sehr romantisch und wir Kinder glaubten, dass wir schließlich in Israel landen würden. Aber meine Mutter hatte aus irgendwelchen Gründen eine Menge Vorbehalte, nur unter Juden zu leben. Das war interessant. Sie hatte wunderbare Beziehungen zu Christen entwickelt.

Wir hatten ein Geschäft - damit Sie den Hintergrund verstehen -, wo die Leute ihre Einrichtung kauften. Unsere Kunden waren gerade die Bergleute, das heißt die untere Mittelschicht, Arbeiter. Und meine Mutter hatte eine wunderbare Beziehung zu ihnen entwickelt, weil sie zwar nicht rechtzeitig zahlten, aber sie hatte viel Mitgefühl. Sie war eine sehr mitfühlende Frau. Sie half ihnen, auch wenn sie nicht bezahlten und sie wusste, dass sie es brauchten. Wir hatten Dinge, die man zur Grundausstattung brauchte: Handtücher, Bettwäsche, auch Kleidung von der Stange. Und sie empfand große Genugtuung, wenn sie jemandem half und schließlich fand diese Person Arbeit, denn es gab eine schrecklich hohe Arbeitslosigkeit, und bezahlte ihre Rechnung. Und sie sagte: "Ich wusste, dass dieser Mann ein anständiger Mann ist. Und der hat jede Anstrengung unternommen, um eine Einstellung zu bekommen und seine Schulden zurück zu zahlen." Sie vertraute den Menschen.

Interessanterweise war sie die Geschäftsfrau und nicht mein Vater. Bis zum Alter von 28 hat er nie gearbeitet. Er war ein Gelehrter und ohne falsche Bescheidenheit - er wusste mehr als Hunderte von Rabbinern. Er war wirklich durch und durch ein Gelehrter. Er kannte den Talmud, die Mischna, unglaublich! Und ich erinnere mich, was mir am Besten gefallen hat: Schabbes war Schabbes im eigentlichen Sinn des Wortes, was hier nur von der Superorthodoxen praktiziert wird. Wir waren die einzige Familie in Gelsenkirchen, deren Geschäft am Sabbat geschlossen war, obwohl es fast 40 % des Einkommens ausmachte. Es gab keinen Kompromiss! Und er ging mit uns drei Söhnen wie die Orgelpfeifen - er war so stolz auf uns, wenn wir fein angezogen waren - in die Synagoge und wir hatten unser Mahl und dann wurde die Thora diskutiert, über die Lesung der Woche, und er erklärte uns die Mischna dazu. Das waren Tage, die ich nie vergesse. Es war wundervoll, da erkannte man die wahre Bedeutung der Heiligkeit des Sabbats.

Also jedenfalls wir wussten, dass die Parole des Tages lautete: Raus. Und ich erinnere mich, dass mein Vater in dieser Beziehung aggressiver war, als meine Mutter. Meine Mutter hatte so viele Vorbehalte und er wollte nach Israel gehen. Wir hatten einen Onkel in Israel. Er war einer der ersten Pioniere. Er kam um 1920 oder 1921 dahin. Er arbeitete für eine der größten Baufirmen im Mittleren Osten, nicht nur in Israel. Und er heiratete ein Mädchen aus einer Familie, die im Farbengeschäft war. Und er wollte uns überreden, unser Geschäft zu Geld zu machen und in das Anilingeschäft zu investieren, eine Erfindung von IG-Farben.

Und er wollte meinen Vater bei der Weltausstellung in Paris 1936 treffen und einen Vertrag entwerfen und alles arrangieren. Aber aus irgendeinem Grunde wurde da nichts daraus. Ich erinnere mich nicht an die Gründe. Sie waren sehr enttäuscht. Das Einzige, was mein Vater versuchte: meine Mutter wollte in die USA emigrieren. Sie hatte eine Schwester, die in den USA seit dem Ersten Weltkrieg lebte. Sie stand ihrer Schwester sehr nah und sie versuchten, etwas zu arrangieren. Wir wurden registriert aber die Warteliste war 2 Jahre lang, weil wir polnische Bürger waren. Das Geburtsland, nicht das angenommene Land bestimmte die Quote. Und dann versuchte meine Mutter ihre ältesten Söhne als Studenten in die USA zu schicken.

Ich erinnere mich - mein ältester Bruder und mein anderer Bruder - Leo - waren viel aktiver als ich in der Jugendbewegung. Sie vernachlässigten die Schule und schafften die Qualifikation nicht. Ich war der Star unter uns. Ich war sehr ehrgeizig. Ich qualifizierte mich, aber ich war zu jung. Ich weiß nicht, wie sie es machte, aber meine Tante arrangierte etwas und ich wurde, obwohl ich erst 15 war, an der Columbia University angenommen. Mit welchem Status weiß ich nicht. Und dann versuchten wir ein Studentenvisum zu bekommen. Dafür fuhren wir zweimal nach Stuttgart, wo das Generalkonsulat war. Das wurde von Deutsch-Amerikanern geführt. Und sie waren unglaublich antisemitisch.

Und sie fanden einen Grund: da meine Eltern als Auswanderer registriert waren, konnte ich mich nicht für ein Studentenvisum bewerben. Sie misstrauten mir und das war das Ende der Geschichte. Schritt für Schritt wurde es immer enger. Wir konnten nicht mehr weg. Dann wollten wir nach Belgien gehen und es war auch unmöglich, denn bis 1937 konnte man ein belgisches Besuchervisum kaufen und eine Menge Juden gingen nach Belgien und auch nach Holland. Es war schwieriger nach Holland als nach Belgien. Und sie blieben dort und gingen in den Untergrund. Aber das war nicht mehr möglich zu der Zeit, als meine Mutter beschloss zu gehen. Und dann versuchten wir es sogar illegal zu arrangieren. Jemand sollte uns über die Grenze schmuggeln. Das war 1938 nach der "Kristallnacht". Dann wussten wir, dass es schlimmer wurde, dass Hitler meinte, was er sagte.

Die Familie wurde tatsächlich getrennt, als wir nach Sachsenhausen gingen. Und obwohl wir in Sachsenhausen waren, unternahm meine Mutter jede Anstrengung, um uns herauszubekommen, und interessanterweise kamen bis - ich denke - März oder April 1940 polnische Juden, die in den KZs waren, heraus. Sie machten alle möglichen Arrangements durch die Dominikanische Republik, mit gefälschten Visa und eine andere Frau, die überlebte, ging dreimal nach Berlin und machte ihren gesamten Besitz zu Geld, um die Gestapo zu bestechen.

Und was tatsächlich geschah, war eine Tragödie. Die Frau, die meine Mutter beriet und den Kontakt zur Gestapo herstellte, benutzte das Geld meiner Mutter - da sie arme Leute waren -, um ihren Ehemann herauszubekommen. Die Leute waren verzweifelt und machten alle möglichen unmoralischen Sachen. Sie schrieb uns Briefe. In Sachsenhausen, in diesem Konzentrationslager, taten die Deutschen immer noch so, als wären sie zivilisiert. Sie erlaubten uns, einmal im Monat einen Brief zu schreiben, der natürlich stark zensiert wurde und auch einmal im Monat einen Brief zu empfangen.

Und meine Mutter und zwei andere Kinder blieben immer noch in Deutschland bis 1942. Als die "Endlösung" beschlossen wurde, schickten sie alle deutschen Juden en Masse in das Ghetto nach Riga. Und viele von ihnen kamen dort um. Was uns in Sachsenhausen am Leben erhielt, war die Hoffnung - zumindest bis Mitte 1940 - dass meine Mutter daran arbeitete, ein Visum für uns zu bekommen. Es wurden ja schließlich mindestens ein oder zwei pro Woche entlassen. Es war eine solche Versuchung.

Wir bekamen in Sachsenhausen sehr wenig zu essen. Es war sehr kärglich und viele starben den Hungertod. Aber das Schlimmste war, dass sie das "Judenlager" abgetrennt hatten: es waren 5 Baracken. Und die Ironie, das Obszöne war, dass sie jeden Tag SS-Leute hereinschickten, um mit uns Sport zu machen, Fitness, Leibesertüchtigung und das war mörderisch. Was sie in Wirklichkeit machten, besonders im Winter, im Winter 1939-1940 - es war einer der kältesten Winter, an die ich mich erinnere, es waren 25 Grad unter Null - es war unglaublich kalt. es gab keine Heizung und die Leute hatten Lungenentzündungen, waren krank. Sie kamen mit 10, 15 Leuten und sie hatten die Ochsenziemer dabei und damit trieben sie die Juden aus den Baracken heraus und zwangen sie, sich in den Schnee zu legen und zu robben. Sie trampelten buchstäblich mit ihren Stiefeln auf ihnen herum und prügelten sie zu Tode. Wir waren zu der Zeit 2500 Juden. Es starben welche und Neue kamen. Transporte kamen ständig an. Und das Ergebnis von so einem Sport war jedes Mal, dass sie 10 bis 15 Leute vor aller Augen zu Tode prügelten und mindestens 30 wurden auf Bahren weggetragen, zur Krankenstation und wir sahen sie nie wieder. Es ging darum, uns zu terrorisieren. Obwohl wir alle arbeiteten.

Sie bauten ein sehr großes Werk, um Klinker herzustellen. Der Ton dafür war in dieser Gegend aus irgendeinem Grund reichlich vorhanden. Zuerst mussten wir einen Fußmarsch von einer Stunde dorthin machen. Und die Leute waren so geschwächt und unterernährt. Und dann gaben sie uns einen gestreiften Anzug, aus billigem Stoff - ich weiß nicht genau, was es war. Sie zwangen Juden, Schnee in diesen Anzug zu schaufeln. Und damit 200 Meter zu rennen und den Schnee dort auszuladen. Und wenn dieser Haufen fertig war, zwangen sie sie, den Schnee wieder dorthin zu bringen und währenddessen standen diese Bastarde, diese Mörder und schlugen die Leute zu Tode. Und jede Nacht hatten wir einen Wagen mit flacher Ladefläche, der natürlich von Gefangenen gezogen wurde, wie Tiere, und wie!

Es ging nur darum, uns zu terrorisieren, einzuschüchtern und zu zerstören. Zusätzlich dazu, dass sie uns folterten, war es einem während des Tages, wenn man keine Arbeit zugewiesen bekommen hatte, nicht erlaubt, sich zu setzen. Sie nannten es "Stehkommando". Man musste die ganze Zeit stehen, drinnen und manchmal draußen. Und wir hatten einige sehr prominente Leute aus der jüdischen Gemeinde: Produzenten, Unterhaltungskünstler, Philosophen, Professoren, und in Sachsenhausen war ein Mann mit Namen Max Steiner und jeder, der mit der Filmindustrie in Deutschland in der Weimarer Republik vertraut ist, kennt ihn.

Er war ein sehr großer Produzent und Regisseur. Er erzählte uns stundenlang, wie er Filme machte. Und die Leute hörten zu und vergaßen, was los war. Es war eine Form von Widerstand, denn das Wichtigste war, die Moral aufrecht zu erhalten. Aber ich muss sagen, es half nicht viel.

Ich würde sagen, von den insgesamt 10.000 bis 12.000, die bis 1942 in Sachsenhausen waren, mit Ausnahme von 500 oder 600, die nach Auschwitz gebracht wurden, kamen alle dort um. Wir hatten Typhusepidemien, die Leute verrotteten regelrecht. Medikation war nur zum Schein, es gab ein Krankenhaus, aber Juden wurden nicht aufgenommen. Das Einzige, was mir einfällt: die meisten Leute hatten Durchfall und bekamen Kohletabletten. Es war die Art der Hilfe, die sie bekamen. Sie gingen dahin und auf ihrem Rückweg mussten sie über den Exerzierplatz gehen. Und es gab ein anderes Gesetz in den Lagern: es war Juden nicht erlaubt zu gehen, sie mussten rennen. Sie erfanden Mittel zur Herabwürdigung. Das ist unglaublich! Einem menschlichen Wesen war es erlaubt zu gehen, aber du warst untermenschlich, du musstest rennen. Und jedes Mal, wenn das geschah - sie beobachteten das von den Türmen aus -, kamen einige von den Mördern herunter und prügelten sie zu Tode, jedes Mal, wenn man vorbeikam.

Ich war die ganze Zeit mit meinem Vater zusammen. Nun weil ich jung war, wurde ich dem so genannten Stubendienst zugeteilt. Meine Aufgabe war, die Baracke sauber zu halten. Außerdem hatte ich die Aufgabe, das Essen aus der Lagerküche zu holen.

Dabei ist mir folgende Geschichte passiert: Es muss im Winter 1940 oder 1941 - ich erinnere mich nicht genau - gewesen sein. Der SS-Küchen-Kommandant - sein Name war Hauptscharführer Rackes - stand draußen und als er das erste Mal sah, wer die schweren Fässer trug, sagte er: "Was ist das hier? Ist das ein Kindergarten?" Wir waren ungefähr 50 junge Leute um 15, 16. Ich war erst 15, sah aber aus wie 13. Ich war sehr unterentwickelt für mein Alter.

Er sagte also: "Ist das ein Kindergarten hier? Es ist ein Konzentrationslager!" Er hatte seinen eigenen Moralcode.Er sagte: "Komm her, du, Judenlümmel. Wo kommst du her?" Und ich war pfiffig und habe gemerkt, dass er aus Westfalen kam. In Deutschland hat jeder einen Akzent: es gibt einen rheinischen, einen westfälischen, einen Hamburger, einen bayrischen Akzent. Jeder hat einen Akzent. Und ich hatte die Frechheit, ihn mit westfälischem Akzent anzusprechen. Er fragte: "Wo kommst du her?" -" Ich komme aus Gelsenkirchen." - "Dann bist du also mein Landsmann. Hast du Hunger, du Judenlümmel?" - "Ja, ich verhungere." Dann schickte er mich in die Küche und sagte: "Geh und hau dir den Bauch voll."

In den Konzentrationslagern wurde die Küche normalerweise von deutschen Berufsverbrechern geführt. Aber diese Küche wurde von politischen Gefangenen geführt. Sachsenhausen war eins der wenigen größeren Konzentrationslager, wo die Infrastruktur, die interne Verwaltung mit politischen Gefangenen besetzt war. Sachsenhausen hatte 300 ehemalige Mitglieder des deutschen Parlaments als Gefangene. Sie hatten auch in Sachsenhausen prominente Kirchenführer, die den Mut gehabt hatten, sich gegen Hitler zu äußern. Leon Blum wurde in Sachsenhausen gefangen gehalten. Auf jeden Fall... er hat mich gefragt und ich bin in die Küche gegangen und ich muss gegessen haben, - na ja, ich weiß nicht - bis ich fast geplatzt bin.

Der Mann, der in der Küche arbeitete, war selbst ein Gefangener und irgendwie mochte er mich. Und ich fragte ihn: "Ich habe die Aufgabe, jeden Tag das Essen zu holen. Hätten Sie etwas dagegen... Da sind 50 junge Leute, ihr Hunger ist schlimmer und sie sind ausgemergelt und noch im Wachstum". Und glauben Sie es oder nicht, die Verbindung hielt fast ein Jahr und jeden Tag bekamen wir ein besonderes Fass - und diese Fässer waren wie 40 Gallonen-Ölfässer, fast unmöglich zu tragen - mit Extra-Nahrung und das war wahrscheinlich mehr als alles Andere der Grund, warum diese 50 Jugendlichen überlebten. Der Schlüssel war, ein bisschen mehr Essen zu bekommen.

Aber die Folter, der wir unterworfen waren, war für die SS ein Sport. Ich erinnere mich, wenn die SS kam, um diesen "Sport" zu treiben, dann versteckte ich mich unter der Baracke. Ich war klein genug. Es war nun so hoch, dass sich eine erwachsene Person nicht verstecken konnte. Ich versteckte mich, so dass ich nicht geprügelt werden konnte. Denn die SS schlug ohne Unterschied, trat Leute tot.

Es war also wesentlich, sowohl sich gegenseitig zu helfen und Solidarität zu haben als auch sich um sich selbst zu kümmern. Die Umstände waren so, dass man das Gesetz des Dschungels lernte. Schlimmer als das Gesetz des Dschungels: zuerst muss man sich selbst erhalten. Erst dann, wenn man konnte, konnte man andere Leben bewahren. Und es war nicht immer leicht, besonders wenn deine Eltern ... Ich will mal ein Beispiel geben: Mein Vater ... Als Heydrich ermordet, erschossen wurde, kam die SS und griff jeden Dritten heraus, um ihn zu töten. Einfach so. Und mein Vater war einer von ihnen. Und weil ich Beziehungen hatte, ich weiß nicht, wie sie es gemacht haben, und in letzter Sekunde. Ich wusste, es gab einen anderen Blockältesten, der auch aus Westfalen kam, und irgendwie haben sie ihn rausgekriegt. Aber es half nicht viel, weil ... Ich will Ihnen noch etwas Anderes erzählen. Sachsenhausen war das einzige Lager, wo es einen Aufstand gab, was sehr wenig bekannt ist. Bauer fand es heraus. Er rief mich an und sagte: "Sie waren in Sachsenhausen. Erinnern Sie sich, dass es da einen Aufstand gab." Und ich sagte: "Ja, es gab einen Aufstand." Er wurde organisiert aus dem Untergrund. In Sachsenhausen gab es Juden, die nicht nur aufgrund ihres Judentums gefangen waren, sondern auch, weil sie aktive Sozialisten, Kommunisten und aktive politische Anführer waren. Und sie arrangierten ...

Bevor wir nach Auschwitz geschickt wurden, ungefähr eine Woche vorher, brachte man uns mit Gewalt aus unseren normalen Baracken in dieses Desinfektionszentrum und wir wussten bereits, dass sie Experimente mit Gas machten. Ich meine, Gerüchte verbreiten sich schnell. Es gab auch russische Kriegsgefangene und so seltsam es auch klingen mag, die ersten Experimente, Leute zu vergasen, wurden nicht mit Juden sondern mit russischen Gefangenen durchgeführt. Es war 1942. Sie hatten spezielle Fahrzeuge, sie brachten die russischen Kriegsgefangenen in diese Fahrzeuge und vergifteten sie mit Kohlenmonoxid und luden sie wieder aus. Und wir wussten davon. Und als sie uns alle zum Desinfektionszentrum brachten - wir wussten nicht, dass sie uns nach Auschwitz bringen würden - sie hielten uns dort drei Tage lang, fast ohne Essen und in strenger Isolation.

Es gab 3 oder 4 SS-Kompanien innerhalb des Lagers; normalerweise war die SS draußen. Wir befürchteten das Schlimmste. Aber aus irgendeinem Grund taten sie es nicht. Es gab Gerüchte. Sie hielten uns abseits. Keinem der anderen Gefangenen war es erlaubt, Kontakt zu uns zu haben. Ich war schon drei Jahre gefangen. Wir hatten das Gefühl, es ging etwas vor sich und die Frist würde morgen ablaufen. Und so war es. Und wir beschlossen, wenn wir sterben müssen, dann wollen wir wenigstens tapfer sterben.

Jemand gab die Anweisung, ich weiß nicht, wer es war, und wie rannten alle als Horde zum Tor, um hindurch zu stürmen. Und bis heute, weiß ich nicht, was geschah, denn sie schossen nicht auf uns. Und sie schickten andere Gefangene hin, Kapos, die uns überwältigten. Und dann sprach der SS-Hauptsturmführer Schwarzhuber zu uns und sagte: "Warum habt ihr Panik bekommen? Wir wollen euch doch nicht töten. Wir wollen euch in ein anderes Lager schicken, wo sie erfahrene Arbeiter brauchen." Weil die, die Sachsenhausen überlebt haben, waren hauptsächlich Juden, die Handwerker waren. Ich beispielsweise habe behauptet, Anstreicher zu sein. Ich habe Türme angestrichen. Ein anderer war Schreiner, wieder ein anderer war Schneider. Nur die Juden, die sich dadurch auszeichneten, dass sie ein Handwerk beherrschten, entkamen den schlimmsten Arbeiten, die Leute machen mussten, wie ich sie zuvor beschrieben habe.

Die Leute wurden einfach schikaniert, gefoltert und ermordet. Wörtlich. Nicht in Gaskammern sondern sie wurden zu Tode geprügelt. Auf eine sehr unmenschliche Art und Weise. Und selbst ich wurde einmal gefasst und wurde gezwungen mich auf den so genannten Bock zu legen und bekam 25 Schläge und konnte 4 Wochen lang weder sitzen noch schlafen. Es war schrecklich. Aber im Allgemeinen würde ich sagen, weil ich jung war, und Arbeitskommandos zugewiesen wurde und mich verstecken konnte und nicht so hart arbeitete und Beziehungen im Lager hatte und ein bisschen mehr Essen bekam, das ist der Grund, warum ich überlebte.

Wir wurden alle in Viehwagons nach Auschwitz geschickt. Mein Vater und wir zwei Söhne. Mein ältester Bruder war Mitglied, einer der Anführer der Hashomer Hatza'ir. Sie haben die Geschichte gehört: 1938 als Resultat der "Kristallnacht" wiesen sie polnische Juden nach Polen aus. Und er und mein zweiter Bruder Leo, der ein Jahr älter war als ich, wurden festgenommen und ausgewiesen. Und in Polen schlossen sie sich der zionistischen Bewegung Hashomer Hatza'ir an. Sie wurden als Hashara-Zelle organisiert, als Vorbereitung auf die Auswanderung nach Israel und auf das Leben im Kibbuz.

Und dann bekamen sie gefälschte Einreisepapiere, denn die britische Regierung gab nur sehr restriktiv solche Papiere an Leute aus, die nach Palästina einreisen durften. Nur 2000 bis 2500 pro Jahr für die ganze Welt. Und es gab Hunderttausende und Millionen, die nach Palästina wollten. Nachdem sie die Papiere bekommen hatten, erlaubte ihnen die deutsche Regierung nach Deutschland für den Transit zurückzukommen. Und aus irgendwelchen Gründen, als sie für eine Woche nach Deutschland kamen, kamen die Papiere für meinen zweiten Bruder nicht an. Nur die für meinen ältesten Bruder. Und er (er hatte irgendwie ein schlechtes Gewissen, weil es sehr eigennützig war) sagte zu meinen Eltern: "Heute muss sich jeder retten, der sich retten kann. Ihr wollt nicht raus, ich habe es euch gesagt, jetzt ist es zu spät. Ich habe Papiere und ich habe das Recht, Deutschland zu verlassen." Und er ging auf illegalem Weg, denn es waren falsche Papiere.

Er ging über Jugoslawien, Rumänien, die Türkei und erreichte Palästina 1939. Dieser Bruder überlebte und der andere, der die Papiere nicht hatte, blieb bei uns. So wurden wir festgenommen. Ich erinnere mich, als wir ihn zum Hauptbahnhof brachten. Ich glaube, es war im August 1939, einige Wochen, bevor der Krieg ausbrach. Es war das erste Mal, dass wir wirklich das Gefühl hatten, vollkommen verloren zu sein und dass unser Schicksal am seidenen Faden hing. Und es dämmerte uns: Er ist raus, er kann sich vielleicht retten.

Wir sind wahrscheinlich dem Untergang geweiht. Das kam so heftig! Ich hatte das Gefühl, er hat die Familie verraten. Ich als Bruder dachte: Wie kannst du das tun? Wir sind alle in einem Boot. Wenn wir untergehen, dann alle zusammen oder wir retten uns alle. Und ich muss sagen, auf eine gewisse Weise hat er das Richtige gemacht. Denn dieser Bruder hätte bestimmt nicht überlebt. Er war der Intellektuelle in der Familie. Er ist heute ein Rabbi. Er hätte nicht überlebt, denn er hatte zwei linke Hände, wie meine Mutter sagte.

Wir haben beobachtet, dass die Intellektuellen immer als erste untergingen. Sie konnten nicht den Widerstand aufbringen, um das Unglaubliche - ich meine, die Methoden, die die Nazis in den Lagern anwandten, um deinen Willen zu zerstören, waren wissenschaftlich.

Sie müssen die neuesten Ergebnisse der gruppenpsychologischen Forschung angewandt haben. Und später fanden wir heraus - und das ist bekannt - dass Tausende von Doktoren und Professoren, Psychologen, Anthropologen, Medizinern den Nazis halfen, diese Programme umzusetzen, mit denen man in den Gefangenen einen Funken Hoffnung erhält, damit sie nicht revoltieren, und sie andererseits benutzt, solange man kann, denn sie hatten alle ihre fähigen Deutschen an die Front geschickt, mussten produzieren, denn die Kriegsproduktion ging weiter.

Und wenn sie nur für 2 oder 3 Monate zu den Kriegsanstrengungen beitragen konnten, dann hatten sie nicht richtig funktioniert. Aber dann natürlich ernährten sie sie nicht richtig in den Lagern und alle waren unterernährt. Und dann wenn man sah, dass es keine Hoffnung mehr für sie gab, dass sie verbraucht waren, dann versuchten die Nazis, schnell Schluss mit ihnen zu machen, denn es waren menschliche Wesen, die ernährt werden mussten, oder was auch immer; man versuchte, sie los zu werden.

Und hier die Intellektuellen. Zuerst wurden sie einfach auf körperliche Arbeit reduziert. Und zweitens - und ich hatte Diskussionen und Diskussionen, die Leute redeten den ganzen Tag lang, denn manchmal, wie ich vorher sagte, mussten wir drei Tage bleiben - wenn du konzentriert nur über dich nachdenkst, gibst du auf oder zerbrichst. - und sie konnten einfach nicht akzeptieren, dass menschliche Wesen auf solch ein Niveau herabsinken und anderen Menschen so unmenschliche Dinge antun konnten. Sie konnten es nicht akzeptieren.

Und sie wurden durch diese Haltung geistig und moralisch zerstört. Und ihre Widerstandskraft "verwelkte". Im Deutschen gibt es das Wort "sterben" und wenn eine Blume langsam verwelkt, gibt es das Wort "eingehen". Und sie erlaubten uns noch nicht einmal mit Würde zu sterben. Sie sagten, ihr werdet hier nicht sterben, ihr geht ein. Wie eine Blume, die vertrocknet. Sie wollten nicht, dass wir sterben, wir sollten buchstäblich austrocknen. Wegwelken. Und das geschah mit den Intellektuellen. Sie sagten immer: Wir sind eingegangen. Sie trockneten aus, sie welkten dahin, sie waren keine menschlichen Wesen mehr. Am Ende waren sie nur noch Skelette.

Ich habe mich nie als Deutscher gefühlt. Ich war mir immer dessen bewusst, dass ich Jude bin. Ich war - sogar in Auschwitz - überzeugt, dass ein Großteil der deutschen Bevölkerung gegen Hitler war. Aber sie waren so terrorisiert und wollten nicht diese schrecklichen persönlichen Opfer auf sich nehmen, Position zu beziehen, weil sie wussten, sie müssten mit ihrem Leben bezahlen und könnten die Zukunft ihrer Kinder oder Verwandten zerstören. Das ist ein Fakt, den keiner leugnen kann. Der Terror, die Einschüchterung waren unglaublich. Es ist leicht, andere Leute zu verurteilen, besonders wenn man nicht in ihrer Situation ist.

Das war auch eins der Probleme in Israel. Bis zum Eichmann-Prozess konnten sie nicht verstehen, warum es keinen aktiven Widerstand gab. Wenn man nicht unter diesen Bedingungen lebt, die außerhalb der Vorstellungskraft sind. Völlig unvorstellbar. Sie zerstörten systematisch unsere Würde, sie zerstörten systematisch unseren Selbstrespekt mit den raffiniertesten Mitteln, um uns auf ein Niveau zu reduzieren, das, wie ich immer sage, nicht "untermenschlich" sondern "untertierisch" war.

Wir kamen in Auschwitz an. In Sachsenhausen wurde niemand tätowiert. Das ist fast eine Zeremonie, wie wenn man einem Stück Vieh eine Nummer einbrennt, bevor es ins Schlachthaus geht. Es war der Sinn der Sache, die psychologische Bedeutung. Dafür wurde es von den Nazis entworfen. Nicht nur, dass man in Auschwitz seiner Identität beraubt wurde, man war kein menschliches Wesen mehr, man war eine Nummer. Man durfte nicht sagen: "Mein Name ist Fred Diament" sondern "Meine Nummer ist." Meine Kennnummer ist 69927. Wenn man sich bei einer zugewiesenen Arbeit bei der SS ausweisen musste, wenn sie dich fragten, wer du warst: "Nummer?" und mehr nicht.

Aber es war noch mehr als das. Es war praktisch aus logistischen Gründen. Aber es war auch mit Absicht gemacht, dadurch war man kein Mensch mehr, sondern nur ein Faktotum, eine Nummer. Und als dies mit uns geschah, hatte es eine solche einschüchternde Wirkung. Und wir waren die "Alten". Wir waren Veteranen. In den Lagern gab es eine Hierarchie, eine inoffizielle Hierarchie. Wer ein Jahr überlebte, war ein "kleiner" Veteran, wer 2 Jahre überlebte, ein "mittlerer" Veteran, wer 5 Jahre überlebte - also jeder, der solchen Foltern und solchen Einschüchterungen standhalten konnte, musste etwas Außergewöhnliches sein. Und sie genossen einen gewissen Respekt bei den Mitgefangenen.

Als wir in Auschwitz ankamen

Wir waren die "Alten". Und Juden, die erst vor zwei oder vier Wochen angekommen waren, sahen unsere Nummer und sagten: "Mein Gott! Wie habt ihr das geschafft?" Sie sprachen voller Ehrfurcht. Und die Tatsache, zwei oder zweieinhalb Jahre überlebt zu haben, gab einem auch - ich würde nicht sagen, eine gewisse Macht, sondern - schon ein gewisses Wissen darüber, wie man die SS austricksen konnte, ohne dass sie einen kriegen. Und das war wahrscheinlich einer der Gründe, warum einige von uns wirklich überlebten. Wir hatten unseren Verstand. Wir kannten alle Schikanen, alle Methoden, alle Tricks der Deutschen. Wir kannten das alles schon. Wir haben gelernt, dagegen zu handeln. Bis zu einem gewissen Grade war es ein geistiger Kampf.

Auf der anderen Seite. Es gab einen kleinen Zwischenfall. Nichts war sicher. Wir hatten Jobs. Ich hatte für mehrere Monate einen Job. Ich musste die Baracken putzen. Das erzählte ich schon. Das half mir, den grauenhaftesten Winter zu überstehen. Und dann kam ein neuer SS-Mann und er beschloss: "Ich will niemanden in den Baracken, keine Juden. Alle raus!" Und dann war es vorbei. Und dann wurde man bestimmten Arbeitskommandos zugewiesen und richtete sich darauf ein und dann beschlossen sie: "Keine Juden mehr in diesem Arbeitskommando. Das ist zu gut für Juden." Die Juden mussten zu einem schlechteren Kommando, sie mussten Zement tragen und auch riesige Kabel schleppen, die so schwer waren, dass man zusammenbrach. Nichts war sicher. Ständig gab es die Gefahr, dass man einem anderen Platz zugewiesen wurde und man konnte noch so gewitzt sein, bis zu einem gewissen Grade war es Glück. Oder ich würde es nicht Glück nennen, denn jemand Anderes entschied. Denn wenn ich heute zurückblicke und behaupten würde, ich war clever - es gab jemanden, der entschied, ob ich leben oder sterben sollte.

Zurück zu Auschwitz! Wir kamen in Auschwitz an und wussten - gerüchteweise, vage -, dass sie in Auschwitz Leute vergasten. Aber wir wussten nicht, wie es vor sich ging. Wer ging in die Gaskammer? Wer ging ins Lager? Und jemand machte eine Bemerkung, dass wir Glück hatten: "Die Krematorien sind heute geschlossen." Wir kamen an einem Sonntag an. Oder: "Der für die Krematorien, für die Gaskammern zuständige SS-Mann ist im Urlaub." Es ist das, was sie uns sagten. Anderenfalls hätten sie uns gleich da hinein geschickt. Es ist wahr, es ist das, was sie uns sagten. Wir wussten sofort, als wir Auschwitz erreichten, dass - so schlimm es in Sachsenhausen gewesen ist - wir wussten: Das hier ist wirklich das Ende von allem. Wir wussten das. [unverständlich] Sie entkleideten uns, völlig nackt - eine weitere Entwürdigung - und wir mussten 24 Stunden stehen bleiben.

Es war Oktober, als wir in Auschwitz ankamen. Es war noch nicht Winter, aber es war kalt. Können Sie sich vorstellen, 24 Stunden zu stehen ohne etwas zu essen oder etwas zu trinken! Und am nächsten Tag kam der berühmte Metzger von Auschwitz, Mengele - nein es war nicht Mengele, es war Schwartz, einer der Lagerleiter, nicht der Arzt, und er guckte sich unsere Körper an, wie viel Fleisch noch an den Skeletten übrig geblieben war und das (Geste) bedeutete: Ab in die Gaskammer und das (Geste): Ab ins Lager, wo man arbeitete.

Und das war die Zeit, als sie mich von meinem Vater trennten, weil er schon sehr gebrochen aussah, er war - wie alt war er? - 52. Er war total ausgemergelt. Und später wurden mein Bruder und ich - wir waren in relativ guter Verfassung - zu dem berüchtigten Buna-Lager geschickt. Das Hauptlager in Auschwitz, Auschwitz 1, war Auschwitz; Auschwitz 2 war Birkenau, wo die Krematorien und Gaskammern sowie das Frauenlager waren und Auschwitz 3 war das Buna-Lager. Die Nazis nannten es Monowitz. Und sie bauten dort den größten - und ich meine wirklich den größten - Industriekomplex von ganz Europa.

Es war ein gigantischer Komplex und manchmal arbeiteten dort 80000 Gefangene, alle aus Auschwitz. Und sie bauten die größte Fabrik für synthetisches Benzin. Schon damals hatten die Nazis die Formel entdeckt, um aus Kohle Benzin zu gewinnen und der Name Buna ist der Oberbegriff für synthetisches Gummi. Denn eine Armee ohne Autoreifen und ohne Benzin ist keine Armee. Und da arbeiteten wir.

Zuerst marschierten wir von Auschwitz in dieses Lager und dann beschlossen sie ... Das Lager gehörte der IG Farben - und hier kommt die IG Farben ins Spiel: Hand in Hand mit der SS beuteten sie die Sklavenarbeit aus und bauten ein Lager bei der Fabrik. Sie wollten die Verschwendung durch 6 bis 7 Kilometer Fußmarsch pro Tag vermeiden, was in unserem Zustand - wir waren so schwach - 2 Stunden am Morgen und 2 Stunden am Abend dauern konnte. Es gab ganz wenige Leute aus unserer Stadt: Zwei. All die Anderen starben in Sachsenhausen, oder wurden mit meinem Vater geschickt, die Älteren. Sie blieben in Auschwitz. Und nach einer Weile fand ich heraus, - ich wusste, dass mein Vater es nicht schaffen würde, besonders nachdem ihm die Gegenwart seiner beiden Söhne genommen war, die ihn am Leben hielt - er hätte sonst schon lange aufgegeben - die Tatsache, dass er 3 Jahre überlebte, war das direkte Ergebnis davon, dass er zwei Söhne bei sich hatte. Körperlich war er ganz ausgemergelt. Sie prügelten ihn buchstäblich zu Tode in Auschwitz. Wenn ich daran denke, werde ich blind vor Wut. Sie prügelten ihn buchstäblich zu Tode, diese Tiere.

- Amerkung der Übersetzer: Hier und im Folgenden ist einiges unverständlich, weil Herr Diament so aufgewühlt ist. -

Ein Freund von mir, aus meiner Stadt, der die Baracken sauber machte, weil er ein "Alter" war, traf jemanden, der mir die Geschichte erzählte. Und der war auch mit mir zusammen einer der Hauptbelastungszeugen im Auschwitzprozess. Und er sagte mir das. Er wollte mir jahrelang diese Tatsache nicht sagen, denn er wusste, wie sehr es mich treffen würde. Ich beziehe mich auf die Zeit des Auschwitzprozesses in Deutschland. Er kam mit mir und sagte mir nach einer Weile: "Ich wollte dir das nie erzählen." Denn er war ein enger Freund der Familie aus meiner Heimatstadt. Er wuchs mit uns auf. Er sagte mir, dass er buchstäblich zu Tode geprügelt wurde. Es ist das, was sie meinem Vater angetan haben.

Also, wir kamen nach Buna. Wir waren Neuankömmlinge. Obwohl ich schon ein Veteran war, waren wir in diesem Lager Neuankömmlinge. Ich wusste, der einzige Weg um zu überleben, war es, in eine gute Position zu gelangen. Und da wandte ich wieder den Trick an, wie mit einem SS-Mann und antwortete mit westfälischem Akzent. Das Stammlager Auschwitz war von 100 Berufsverbrechern gebaut worden, die Insassen in Sachsenhausen waren. Rudolf Höß wurde inzwischen erster Kommandant und er wurde mit den schlimmsten Bastarden, den schlimmsten Verbrechern Deutschlands in das Lager geschickt.

Ich hoffe, Sie wissen, dass die Deutschen alle Gefängnisse in Deutschland leerten und alle herausnahmen, die als Vergewaltiger, Mörder zu lebenslänglicher Haft verurteilt waren. Und sie wurden die Infrastruktur der neuen Lager. Sie verwalteten die Lager von Innen heraus. Und glauben Sie es oder nicht: Manchmal hatten Sie mehr Macht als ein SS-Mann. Sie hatten zu viel Macht. Ihnen wurde die Macht von der SS-Verwaltung verliehen. Man sagte ihnen auch: "Ihr könnt alles tun, um die jüdische Population im Lager zu verringern. Tötet sie, foltert sie, schlagt sie, was immer ihr wollt." Sie hatten fast absolute Macht. Diese SS-Leute aus Sachsenhausen bauten Auschwitz. Und hier kam wieder meine Verbindung, denn ich war ein "Alter" aus Sachsenhausen. Und interessanterweise fand ich jemanden, der in Sachsenhausen gewesen war. Er gab vor, mich nicht zu kennen aber ich erinnerte ihn daran, dass er ein Kapo war und ich einmal für ihn gearbeitet hatte. Aber das nutzte nichts.

Er sagte: "Hier in Auschwitz seid ihr Juden alle am Ende. Rede nicht mit mir. Selbst wenn ich dir helfen wollte, könnte ich das nicht."[Sie waren empfindsame Leute! Sie waren Mörder aber sie konnten uns nicht töten. Sie hatten ein Gewissen ... [?, Herr Diament ist sehr erregt]

Als wir in Auschwitz ankamen, merkte ich eines Tages, dass der Lagerälteste - er war der Gefangene Nummer 1, er hatte enorme Privilegien, fast wie ein Zivilist, er war der Chef der internen Administration - ein Mann war, der von seinen Stiefeln besessen war. Seine Stiefel waren wie ein Spiegel. Ich sagte: "Oh, das ist mein Metier!" Und er sprach mit einem rheinischen Akzent. Und mein Vorteil war wieder, dass ich Deutscher war, weil die meisten Insassen polnische, ungarische, tschechische, französische, usw. Juden waren. Und ich schlich um die Baracke herum, in der er seinen Privatraum hatte, und ich sah, dass jemand stundenlang seine Stiefel putzte, darauf spuckte, und eines Tages hörte ich ihn - er war anscheinend guter Laune, weil er halb betrunken war, er hatte Zugang zu Alkohol - ich fasste irgendwie Mut und sprach ihn mit rheinischem Akzent an: "Sie lieben auf Hochglanz polierte Stiefel. Ich bin der beste Stiefelputzer der Welt. Ich habe es in Sachsenhausen gelernt. Ich bin schon ein "Alter"." Er guckte mich an und er war neugierig, weil ich mit diesem Akzent sprach und sagte: "Zeig mal." Und ich wurde sein Stiefelputzer. So fing meine Karriere an.

Und so stieg ich in der Hierarchie auf und das rettete mein Leben und das Leben meines Bruders. Denn was man brauchte, war der Zugang zu ein bisschen mehr Nahrung und die Freistellung von den schlimmsten Arbeitszuweisungen. Und so wurde ich. ich putzte sein Zimmer, ich wusch seine Kleidung, ich hatte Zugang zu ein bisschen mehr Nahrung, und auf diese Weise bekam ich auch für meinen Bruder eine Arbeit innerhalb des Lagers. Er musste nicht mehr in die Buna-Fabrik gehen, wo die Leute Schikanen ausgesetzt waren und sehr sehr schwer arbeiteten. Und wenn sie einmarschierten, wurden sie geschlagen. Alle möglichen Sachen konnten geschehen, wenn man raus musste.

Und so wurde er "Baumeister". Er war ein paar Jahre älter als ich und behauptete, dass er Architekt werden wollte. Man gebrauchte jede mögliche Lüge, um vorzugeben, dass man ein Fachmann war, ein Handwerk konnte und so wurde er der "Baumeister" der Lager. Er baute alle möglichen kleinen Gebäude, reparierte Sachen usw. Aber er war in einer anderen Baracke und manchmal hatten wir sehr wenig Kontakt. In Auschwitz gab es einen sehr gut organisierten Untergrund. Der Untergrund wurde geführt von "alten" Gefangenen, von jüdischen Gefangenen, die aus Sachsenhausen, aus Buchenwald, aus Dachau kamen. Sie waren von der deutschen Regierung nicht 1938, sondern 1933 aufgrund politischer Aktivitäten eingekerkert worden. Manche von ihnen waren prominente Juden, Mitglieder des Parlaments, jüdische Kommunisten, jüdische Schriftsteller, Menschen des öffentlichen Lebens, wohl bekannte jüdische Künstler, und manche von ihnen überlisteten die SS und überlebten 6 Jahre Konzentrationslager. Das ist unglaublich.

Oder sie knüpften Kontakte zu anderen nicht-jüdischen Gefangenen, die sie respektierten und ihnen ein bisschen Protektion gaben. Und sie kamen nach Auschwitz und bildeten den Untergrund mit dem ausdrücklichen Ziel, so viele Leute zu retten, wie man retten konnte. Und ich war auch im Untergrund. Da ich im Zimmer des Lagerältesten arbeitete, hatte ich Zugang zu Informationen, die lebensnotwendig für sie waren. Denn SS-Leute höheren Ranges - nicht der Kommandant aber direkt darunter - kamen sehr oft in sein Zimmer, um Informationen auszutauschen oder ihm Instruktionen zu geben, was er zu tun hatte. Ich hatte zum Beispiel oft Informationen über geplante Selektionen. Ich gab sie an die Untergrundführer weiter. Sie hatten interessanterweise ihr Hauptquartier in der Krankenstation.

Die Krankenstation wurde von Ärzten geleitet. Sie war nicht direkt dem Lagerkommandanten unterstellt. Die SS-Ärzte waren nicht alle Mengeles. Es gab unter ihnen welche, die waren - in Anführungszeichen -"menschlicher". Sie tolerierten sie und sie waren da. Und sie schafften es, eine Menge Dinge zu organisieren, die eine Menge Leute retteten. Zum Beispiel: Wie ich schon sagte, waren am Anfang hauptsächlich Kriminelle für die Baracken verantwortlich. Sie stahlen die Nahrung, das bisschen Nahrung, das für einen Haufen von 500 Menschen ausgeteilt wurde, es gab Fälle, wo sie 20% davon stahlen. Und sie tauschten das gegen Alkohol oder machten Geschäfte mit Zivilisten, denn in diesen großen Arbeitsstätten gab es Zivilisten, polnische Zivilisten, deutsche Zivilisten.

Es gab sogar politische Gefangene, die im Lager zu Tieren wurden und folterten und mordeten. Es gab auch politische Gefangene, die sich gut benahmen. Es gab welche, die sich nach innen human benahmen, bis zum letzten Tag, was sie selbst gefährdete. Ich erinnere mich an einen Fall in Sachsenhausen, wo der zweite Lagerälteste - nicht der erste - hingerichtet wurde, weil die Kriminellen in diesem Lagen ihn beschuldigt hatten, Juden zu helfen. Er wurde gefoltert und hingerichtet. Es gab also auch gute Leute in den Lagern, die sich im gewissen Maße exponierten.

Ein interessantes Phänomen passierte mir in Auschwitz. Als die Endlösung beschlossen wurde, trieben sie alle Juden in Deutschland zusammen. Nicht nur die, die in den Lagern waren - es gab immer noch einige Juden draußen. Sie arbeiteten in Arbeitslagern, aber sie wurden halb gefangen gehalten. Und es gab zionistische Kerngruppen von jungen Leuten, die sich bis zum Jahre 42 ausbildeten - auf Bauernhöfen, sie arbeiteten auf deutschen Bauernhöfen - um nach Israel zu gehen, um dort einen Kibbuz zu errichten . Und drei von solchen Gruppen, Jungen und Mädchen zusammen, kamen nach Auschwitz; die Mädchen wurden natürlich ins Frauenlager geschickt, und die Männer kamen in unser Lager. Die Männer waren im Alter von 15 bis 17. Und zwei solcher Gruppen kamen in unser Lager, ins Bunalager.

Und es ist unglaublich: In diesem Inferno von Auschwitz, in diesem unglaublichen Dschungel, lebten sie weiter in gewissem Maße halboffiziell wie ein Kibbuz. Sie halfen einander, es gab Fälle, dass jemand, wenn einer sehr schwach, sehr krank wurde, seinen Platz einnahm, eine Woche lang unter falscher Identität zu dieser schlimmen Arbeit ging, eine andere Nummer angab, und er ging zu der leichteren Arbeit - ich meine, es gab Akte von Verständnis, von gegenseitiger Hilfe, von Mitgefühl. Es ist sehr schwer, sich vorzustellen, dass das in Auschwitz geschehen konnte, aber es geschah. Und wegen dieses gegenseitigen Verständnisses überlebte eine ziemlich große Anzahl aus jenen Gruppen. In der Tat war der Mann, der vor 2 Jahren das Welttreffen arrangierte, Ernie Michel [?], einer von denen. Er war ein guter Freund von mir; er war auch Mitglied einer Hashara-Gruppe. Eine Hashara-Gruppe ist ein Kern einer Gruppe, die sich in Landwirtschaft ausbildete, um nach Israel zu gehen. Und mir gab dies einen gewaltigen moralischen Aufschwung, weil ich, als ich zweieinhalb Jahre in Sachsenhausen war, jeden Kontakt mit irgendeiner zionistischen Gruppe verloren hatte. Die meisten Leute waren viel älter - und hier kam eine Gruppe, ich meine, buchstäblich: ein neues Feuer brannte! Und das gab mir gewaltigen Aufschwung.

Ich schloss mich der Gruppe an, und aufgrund meiner Position hatte ich die Gelegenheit, ihnen zu helfen: im Hinblick auf Nahrung, Beziehungen, um ihnen bessere Arbeiten zu verschaffen. Und auch sie, einige von diesen Leuten, waren auch Mitglieder des Untergrundes. Es gab eine Sache im Untergrund: Ganz egal, was deine politische Überzeugung war, man bekriegte sich nicht zwischen den Kommunisten, den Zionisten, den Leuten vom "Bund", wem auch immer. Sie alle arbeiteten zusammen, denn so viel begriffen sie: Es stand nur eins auf der Tagesordnung, nämlich Menschenleben zu retten, und alle Differenzen konnte man da vergessen. Unglaublich, wie sie zusammenarbeiteten! Es gab eine solche Kooperation, wie ich nie gedacht hätte, dass sie möglich wäre.

Zunächst einmal: man konnte nur ein paar retten. Sie versuchten, diejenigen zu retten, die die größte Chance zu überleben hatten, was natürlich die jungen Leute waren. Denn jeder, der in den Vierzigern war, egal, welche Hilfe er hatte, auch wenn man in einer besseren Position war, die Härte, Schikanen, die Unterernährung, es war eine Sache von Wochen oder von Monaten, dass die einen auszehrten. Sie besorgten Nahrung, und was sie auch taten, war: sie manipulierten die SS und desinformierten sie manchmal: "Hier sind Kapos, hier sind Blockälteste, obwohl sie vorgeben, zu tun, was die SS von ihnen verlangt, ist ihre Moral fragwürdig: sie stehlen, sie haben Kontakt mit Zivilisten, sie bestechen Leute." Und das wurde von der SS nicht akzeptiert. Sie hatten ihre eigene Moral.

Andererseits, selbst der Lagerälteste, wo ich arbeitete - übrigens wurde der erste, für den ich die Stiefel polierte, später betrunken erwischt, und er wurde eliminiert, und dann kam ein anderer Mann, und er war ein Krimineller, aber er war ein Krimineller von der Art - ich denke, er war einer, der Unterschlagungen begangen hatte, vielleicht war er außerdem noch ein Vergewaltiger, aber er hatte wenigstens ein gewisses Intelligenzniveau - man stellt sich vor, Kriminelle, das sind Tiere, richtig? Dieser Mann hatte interessanterweise einen ethischen Code - die Kriminellen hatten auch einen ethischen Code.

Quod licet Jovi, non licet bovi - das bedeutet: was dem Jupiter erlaubt ist, ist dem Schwein nicht erlaubt [stimmt nicht: ist dem Ochsen, dem Rindvieh nicht erlaubt!]. Ihm selbst war es erlaubt zu stehlen, denn er war Nummer eins, es war ihm erlaubt, illegale Geschäfte zu betreiben, zu bestechen, ihm war es erlaubt, die SS-Leute illegal zu bestechen, damit sie ihn nach draußen ließen, wo er dann Freundinnen hatte, ihm war es erlaubt, in die Küche zu gehen und das feinste Essen für sich selbst zu stehlen, für sich selbst zu kochen, was auch immer. Keinem anderen war es erlaubt. Aber er war Nummer eins, er war Gott.

Und wir manipulierten ihn soweit- und ich war sehr effektiv dabei -, dass er ihnen sagte, dass sie die schlimmsten von den SS-Leuten, die Dienst taten, beseitigen müssten, Kapos von den Arbeitskommandos, die für die Baracken zuständig waren, und wir appellierten an seinen Gerechtigkeitssinn: "Sieh mal, was die tun!" Und wir waren erfolgreich. Und dann sagte ich ihm natürlich: "Wenn Sie mir nicht glauben, fragen Sie die Leute im Untergrund!" (Er wusste nicht, dass sie im Untergrund waren, aber er wusste, dass sie "Alte" waren, dass sie Veteranen waren, dass sie intelligent waren, er hatte eine Art Respekt vor diesen Leuten.) Und wir waren sehr erfolgreich darin, buchstäblich Situationen zu schaffen, in denen sie sich verstrickten, und sie kamen in Arrest, und sie wurden eliminiert. Das gleiche machte der Untergrund mit SS-Leuten. Wir stellten ihnen Fallen. Es gab auch Sabotage, aber nichts Ernsthaftes. Ich meine, das führte zu einer Verzögerung von 4 oder 5 Monaten. Sabotageakte kamen ständig vor, aber es gab genug Aufsicht. Da waren zehntausende von Zivilisten; sie beobachteten einen, während man arbeitete. Und nur sehr selten wurden Lagerinsassen sehr sensiblen Arbeitsplätzen zugewiesen, sie machten meist die Drecksarbeit, mit Ausnahme von einigen, die über besondere Kenntnisse verfügten, Schweißer zum Beispiel, was auch eine ungesunde Arbeit war, weil, wenn man ohne Maske schweißte.

Sie teilten jüdische Leute zu, und nach drei Monaten waren sie so ausgezehrt, dass [unverständlich]. Der Untergrund sorgte auch dafür, dass Information ins Lager gelangte. Wie kann man die Moral am Leben halten? Denn das deutsche Radio. Sie grölten ins Lager mit großen Lautsprechern: wir haben dies besiegt, wir haben das besiegt, die russische Armee ist gänzlich vernichtet, die französische Armee. Alles Lügen! Dasselbe machten sie mit den Deutschen. Und wenn das so ist, [unverständlich], oder welchen Sinn hat es, Widerstand zu leisten? Zu leiden?

Denn jeden Tag, egal, wie gut die Position war, die man hatte, war es Leiden. Es war unnötig. Also ist es eines der Mittel, um die Moral lebendig zu halten, die Wahrheit zu sagen. Information. Nun, es gab Insassen, die die Baracken saubermachen mussten und die Höfe [?] der SS. Und da waren Radioapparate. Und obwohl sie nicht so angebracht waren, dass die Leute, die da saubermachten, leichten Zugang dazu hatten, fanden sie nach einer Weile heraus, wie sie Zugang bekommen konnten. Wenn irgend jemand dabei gefasst worden wäre, wie er ausländische Sendungen hörte, bedeutete das nicht nur sicheren Tod - man war berechtigt, ihn auf der Stelle zu erschießen.

Es gab keinen Prozess, man wurde nicht suspendiert, man tötete ihn einfach, das war alles. Und es gelang ihnen, Informationen in die Lager zu bekommen, und sogar, Informationen von einem Lager zum anderen zu übermitteln, was auch wichtig war, denn es war auch eine Form des geistigen Widerstandes: Wenn du eine Schwester oder eine Mutter hattest oder einen Sohn, und du weißt, ihr seid beide am Leben, das war etwas, wofür es sich zu leben lohnte. Und wie konnte man kommunizieren? Das machte man durch Bestechung, durch alle Arten von Intrigen, und darin waren sie sehr gut, weil sie Veteranen, "Alte" waren.

Was mit meinem Geist geschah, als ich Leo sterben sehen musste, und meine Freunde? O.k., das war wirklich eines der verheerendsten Dinge, die mir zustießen. Mich hat sogar mein Gewissen geplagt: Wie war es möglich, dass er getötet wurde, und ich ...?

Ende 1944, als es durch Informationen ins Lager gelangte, war es bereits bekannt, dass die Nazis den Krieg verlieren, es ist eine Frage - es ist ein Wettlauf mit der Zeit: Wer wird überleben? In einem Satz war das das Wesen des Kampfes. Und der Untergrund verfügte über vertrauliches Wissen (indem sie auf alle möglichen Weisen die Offiziere infiltriert hatten), dass die SS detaillierte Pläne aus Berlin hatte, im Falle eines plötzlichen Rückzugs das Lager zu zerstören, alle Gefangenen zu töten und keine Spuren, keine Beweise zu hinterlassen. Das waren feststehende Anweisungen. Und, da wir wussten, was die Nazis taten, mussten wir es als offensichtlich wahr annehmen. Es gab keinen Zweifel, dass sie wirklich beabsichtigten, das zu tun.

Man hat gefragt, warum der Untergrund nicht vorher Massenausbrüche organisierte. Wer hatte das Recht zu entscheiden, dass wir bereit sind, 5000 Gefangene zu opfern, um 50 zu retten? Dies war eine moralische Entscheidung, die zu treffen niemand das Recht hatte. Offensichtlich, wenn wir einen Massenausbruch versucht hätten, was wahrscheinlich nicht leicht war, was man aber hätte ausführen können, zweifelte niemand daran, dass die Mehrheit vernichtet worden wäre, und dann, als Bestrafung, der Rest auch vernichtet worden wäre. Wer hatte das Recht, diese Entscheidung zu treffen? Vielleicht wären drei entkommen. Aber auf der anderen Seite, wenn der Tod sicher ist - das hat wirklich auch den Aufstand in Warschau verursacht. Nachdem sie begriffen, dass wir alle dazu bestimmt waren, in die Vernichtungslager zu gehen - lasst uns ehrenhaft sterben! Die gleiche Entscheidung wurde vom Untergrund im Lager getroffen.

Und mein Bruder Leo und zwei andere, die sehr aktiv im Untergrund waren, seine Freunde, wurden dazu bestimmt, aus dem Lager auszubrechen, und Kontakt mit Partisanen aufzunehmen. Partisanen, Guerillakämpfer. Denn gegen Ende 44 hörten wir schon, wie nachts geschossen wurde. Wir wussten, das mussten die Aktivitäten von Partisanen sein. Sie wurden sehr mutig, denn je näher die Front kam, desto mehr Gelegenheit hatten sie, Nachschub zu bekommen, Munition, was auch immer, und sie ließen der SS schon keine Ruhe mehr.

Um aus dem Lager herauszukommen, war der Plan, einen Kurzschluss im elektrischen Draht, der das Lager umgab, auszulösen. Und wie konnte das erreicht werden? Es gab einen Lagerelektriker, und er war ein polnischer Gefangener, ein politischer polnischer Gefangener, nicht einfach ein polnischer Gefangener, der war ein Sozialist oder ein Kommunist, ich weiß nicht. Ein Mann, der Überzeugungen hatte und ein Mitglied des Untergrunds war. Und in letzter Minute, in der Nacht vor dem Auftrag, hatte er Zweifel, oder er bekam kalte Füße, bekam Angst. Er vertraute sich dem Mann an, einem polnischen Arzt, der für die Krankenbaracken zuständig war - er war der inoffizielle Anführer der polnischen Gemeinschaft; es gab ungefähr 700 polnische Gefangene im Lager -, und erzählte ihm davon.

Und dieser Mann, der Älteste, war dafür bekannt, dass er antisemitisch war. Er hasste die Deutschen leidenschaftlich, er hasste die Juden leidenschaftlich, interessanterweise. Beide Seiten hasste er. Und er ging geradewegs zum SS-Kommandanten und erzählte ihm davon, und mein Bruder und seine Freunde wurden sofort festgenommen und sofort in den Folterbunker in Auschwitz gebracht, weil sie sich vorstellen konnten, dass nicht drei allein darin einbezogen sein konnten, und man wollte wissen, wer sonst noch beteiligt war. Und es bestand eine ungeheure Gefahr, dass sie unter der Folter - nicht jeder kann der Folter widerstehen - Namen von anderen preisgeben könnten.

Interessanterweise wurde kein anderer festgenommen. Und wir wussten (es gab genug Kommunikation), dass sie schwer gefoltert wurden. Und es war auch offenkundig, als man sie zurückbrachte. Sie waren dort ungefähr fünf Wochen in Auschwitz, würde ich sagen, dann brachten sie sie eines Nachts alle drei zurück, und sie planten, sie öffentlich hinzurichten, wieder um zu demoralisieren, zu terrorisieren; niemand sollte so etwas versuchen, denn sie waren schon sehr nervös, die Deutschen waren sehr unsicher in Bezug auf ihre Moral. Denn ich habe keinerlei Zweifel, dass alle von ihnen wussten, dass der Krieg verloren ist, und jeder war darauf aus zu überleben, und jeder wusste, die SS waren so verstrickt, dass sie genauso gut die Drecksarbeit bis zum Ende machen konnten.

Also bauten sie in der Nacht drei riesige Galgen auf dem Appellgelände, wo jeden Morgen alle Insassen sein mussten, um gezählt zu werden - jeden Morgen wurden wir wie Tiere gezählt, wie Vieh -, dann brachten sie die drei, damit sie exekutiert würden. Als wir sie sahen - man kannte sie gut, jedermann im Lager wusste, wer sie waren -, kamen sie geradewegs zum Galgen, und die SS brachten zwei Kompanien mit schweren Maschinengewehren, auf das Lager gerichtet, damit es niemand auch nur wagen würde - sie hätten das Lager innerhalb von Minuten vernichten können - es auch nur wagen würde aufzubegehren.

Und dann, als sie einfach aufrecht zum Galgen gingen, und bevor man ihnen die Schlinge umlegte, hoben sie alle ihre Hand, und jeder rief uns zu, und es gab ein Echo, jeder konnte das hören, ich denke, ungefähr 12 bis 14000 Gefangene, als sie riefen: "Wir sind die Letzten! Erhebt das Haupt! Verliert nicht eure Moral! Dies ist das letzte Schauspiel! Ihr werdet überleben, und lasst euch hiervon nicht zerstören!" Dann starben sie. Die SS konnte es nicht glauben. Dies war so ungewöhnlich, es war einer der sehr seltenen Fälle von dramatischem Heroismus, von: trotz allem sind wir immer noch menschliche Wesen, sie haben unseren Geist noch nicht zerstört! Es dauerte fast dreißig Sekunden, sie wussten nicht, was sie tun sollten. Sie waren einfach völlig verblüfft. Und dann schließlich fing sich der Hauptsturmführer Schwarz und sagte: "Hängt sie!" Und dann zwangen sie das ganze Lager, dort vorbeizugehen, wo sie hingen. Nun, ich war nicht auf dem Appellgelände, meine Freunde arrangierten es, dass ich nicht da zu sein brauchte. Aber ich fühlte, dass ich dort sein sollte, und ich - von einer Baracke aus, ganz in der Nähe - ich wollte dort sein. Weil ich dort sein wollte, als mein Bruder gehängt wurde. Und nachdem dies geschah, hatte ich solche, ich meine, Schuldgefühle, dass ich ihn nicht sah. Es gab keine Abschiede von ihm, von meinem Vater, von Leo, nichts. Und ich hatte einfach solche Schuldgefühle.

Es gab noch etwas anderes. Nur durch meine Beziehungen wurde ich gerettet. Denn, wenn sie gewusst hätten, dass Leo Diament einen Bruder hatte, hätten sie nicht eine Sekunde gezögert, ob ich nun dabei war oder nicht. Tatsache ist, dass ich nicht einmal wusste, dass ihnen dieser Auftrag zugewiesen worden war. Es war so streng geheim, außer ihnen wussten vielleicht zwei Leute davon. All die Informationen bekam ich nachher, warum sie gehängt wurden und all das. Denn vorher, je weniger Leute davon wussten, desto weniger Gefahr gab es, offensichtlich. Und ich wurde in ein anderes Lager überstellt, denn schließlich hätte die SS, die Bürokratie, herausgefunden, dass er einen Bruder hatte, und wie man sagt: aus den Augen, aus dem Sinn. Das rettete also mein Leben.

Ich war in einem anderen Lager, Gleiwitz, das auch ein Lager war, ähnlich wie unser Lager, ein Auschwitzlager, sie arbeiteten in einer anderen Fabrik. Lassen sie mich erzählen, wie ich aus Auschwitz entkam. Normalerweise wäre ich nicht mehr am Leben. Ich nahm am Todesmarsch teil. Am 18. Januar wurde Auschwitz evakuiert. Ungefähr 70000 Gefangene waren noch am Leben. Und man lud sie auf Züge, in Gleiwitz, und meine Gruppe kam zu spät, und plötzlich schoss eine russische Patrouille der Vorhut, eine Panzerpatrouille, mit Gewehren auf den Bahnhof. Und man gab den Befehl, wer aufgeladen ist, ab damit, und ungefähr 15000 mussten marschieren, und ich gehörte zu diesem Kommando.

Fred Diament nach der BefreiungFred Diament aus Gelsenkirchen, nach der Befreiung 1945

Und wir marschierten zwei Monate lang bis nach Deutschland hinein, in einem der kältesten Winter, ohne Lebensmittel, ohne Kleidung, und ich kam an einen Punkt, wo mein Gewicht, ich denke ungefähr 57 Kilo war, nein, 37 Kilo, ungefähr 80 Pounds oder so etwas. Ich war ein Skelett, und ich wusste, es ist eine Frage von Tagen, bis ich zusammenbrechen werde.

Und eines Nachts erreichten wir ein Städtchen nahe der tschechischen Grenze, und nachts gab es einen Angriff, einen Luftangriff, und es muss wohl einen Volltreffer im Generator gegeben haben. Und ungefähr 60 Sekunden lang gab es einen Stromausfall, und ich lief einfach los. Ich weiß nicht, woher ich den Mut hatte, ich lief los, und das ist die Geschichte an sich, und ich überlebte, so habe ich überlebt, ansonsten wäre ich heute nicht am Leben.

Nach dem Krieg ging ich nach Hause, um als erstes nach meiner Familie zu sehen, und ich fand heraus, dass niemand am Leben war. So weit es mich betraf, war niemand am Leben. Später fand ich dann Elly. Aufgrund von Gerüchten. Aber was ich tat, war, dass ich unverzüglich Gruppen finden wollte, die nach Israel gehen wollten, und ich fand eine Gruppe. So kam ich nach Israel.

Deutsche Übersetzung und Abschrift eines Video-Interviews mit Fred Diament, erstellt von Marie-Cecile Duclercq und Harald Gerunde.

Portrait of witness Fred Diamant belongs to collection: Yad Vashem Photo Archive.
Credit: Yad Vashem, Name of submitter: Yad Vashem
Archival Signature: 3883/2100

Frankfurt, Germany, Witness Fredi Diamant after liberation, 1945 belongs to collection: Yad Vashem Photo Archive. Places: FRANKFURT,GERMANY, Credit: Yad Vashem, Name of submitter: Yad Vashem
Archival Signature: 3883/2103

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Andreas Jordan, Dezember 2007

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