Abbildung 1: Alexander Kolosovskij beim Zeitzeugengespräch in Gelsenkirchen
Kolosovskij war im Dezember 1942 in deutsche Kriegsgefangenschaft geraten und zum Zwangsarbeits- einsatz nach Deutschland ver- schleppt worden. Zunächst musste er in den Drahtwerken in Hamm Zwangsarbeit leisten.
Nach einem Bombenangriff konnte Kolosovskij zusammen mit einem Freund fliehen. Die Gestapo verei- telte jedoch die weitere Flucht, verhaftete die beiden Zwangsarbei- ter und verbrachte sie zunächst in das Stammlager nach Münster und dann in das so genanntes "Arbeitserziehungslager Ohrbeck" im Augustaschacht. Von dort wurde Kolosovskij zum Zwangsarbeits- einsatz weiter nach Gelsenkirchen verschleppt. Unsere Anfrage beim hiesige Institut für Stadtgeschichte (ISG) hatte bereits im Vorfeld ergeben, dass keinerlei Unterlagen oder Hinweise im Stadtarchiv - Alexander Kolosovskij betreffend - erhalten sind. Bei seinem Besuch am Freitag erzählte der rüstige alte Herr dann von der Zeit, die er als Zwangsarbeiter in Gelsenkirchen verbringen musste.
An dem Zeitzeugengespräch, dass beim "Geschichtskreis Wilhelmine-Victoria" in einem kleinen Raum in einem Betriebsgebäude der ehemaligen Zeche in Heßler stattfand, nahm auch eine Vertreterin des gemeinnützigen Vereins Gelsenzentrum e.V. teil. Die Gruppe aus Osnabrück hatte für das Gespräch und die nachfolgende Ortsbegehung und Spurensuche eigens eine Dolmetscherin mitgebracht - Alexander Kolosovskij spricht kein Deutsch.
Das Lager am Kanal
Abbildung 2: Unterhalb des Hafens Hibernia (Zeche Wilhelmine-Victoria) befand sich das "Lager am Kanal"; unten links das Zwangsarbeiterlager Sandberg- strasse/Am Sandberg
Alexander Kolosovskij berichtet:
"Wir nannten das Lager, in dem wir damals lebten, "Lager am Kanal", weil unsere Baracken direkt am Kanal lagen. Da standen nur unsere Baracken, sonst war das ganze Territorium leer. Wenn ich aus dem Fenster meiner Baracke schaute, konnte ich in rund 100-200 Meter Entfernung den Kanal sehen, den ich jedoch nie überquert habe.
Zuerst war ich bei der Eisenbahn, später in der Kohlenwäsche. Dort habe ich tagsüber gearbeitet, im Schacht wurde in drei Schichten gearbeitet, aber unter der Erde war ich nie. In der Kohlenwäsche habe ich mit zwei Deutschen und einem Franzosen gearbeitet. Die Deutschen waren Schweißer, denen musste ich bei ihrer Arbeit helfen. Wenn wir gut und schnell gearbeitet haben, hatten wir nichts zu befürchten. Bei Diebstählen jedoch drohten uns harte Strafen. In Gelsenkirchen war es nicht so streng wie in Hamm. In Gelsenkirchen trugen wir auch kein Abzeichen, in Hamm war das Pflicht. Nach einem Bombenangriff, bei dem der Schacht nicht zerstört wurde, mussten wir Trümmer wegräumen. Nach meiner Erinnerung führten 15 Gleise zum Schacht und zwei Gleise zum Bahnhof. Der Schacht war unweit der kleinen Häuschen, wo die Bergarbeiter wohnten.
Da gab es einen Bauern, sein Hof lag etwa dreihundert Meter von unserem Lager entfernt. Der Bauer hatte 27 Ha Land, Kühe und Schweine. Für etwa zwei Monate habe ich dort in der Landwirtschaft gearbeitet. Sein Name war "Bucking" oder so ähnlich, einer seiner Söhne hieß Hans. Der Bauer war schon sehr alt, er war sehr gut zu mir, gab mir auch zu Essen. An eine Begebenheit kann ich mich besonders gut erinnern: Der Bauer sah mich barfüßig und fragte mich, wo denn meine Holzschuhe seien. Ich antwortete ihm, dass sie verbrannt sind. Daraufhin schenkte er mir ein Paar neue Schuhe. Als einer der Aufseher meine neuen Schuhe sah, wollte er wissen, wo ich die gestohlen habe. Ich beteuerte, dass der Bauer mir die Schuhe geschenkt habe. Der Aufseher aber glaubte mir kein Wort und schleppte mich zu dem Bauern, der bestätigte, dass er mir die Schuhe geschenkt hatte.
Im Frühjahr 1945 wurde unser Lager nach einem Bombenangriff evakuiert. Die Aufseher passten nicht mehr so genau auf, und uns gelang die Flucht. Ich ging zu dem Bauern, wo ich unterkam. Wir mussten aber wieder zurück in das Lager. Unser Essen bekamen wir dann von den Amerikanern. Einige Zeit später kam ein russischer Offizier in das Lager und schrieb uns auf eine Liste. Sie brachten uns in die russische Zone. Ich musste danach noch fünf Jahre bei der russischen Armee bleiben, bevor ich endgültig wieder nach Hause durfte".
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