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Die Zwangsarbeit

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ZwangsarbeiterInnen aus West -u. Osteuropa in Gelsenkirchen 1940-1945 

Gedenkstein auf dem Friedhof in Gelsenkirchen-Rotthausen, gestiftet 2017 von VVN/BdA GE, Gelsenzentrum e.V. und Klaus Brandt

Der 2017 von Klaus Brandt, Gelsenzentrum e.V und VVN/BdA gestiftete Gedenkstein auf dem Rotthauser Friedhof, ist den achtzehn Zwangsarbeitern gewidmet, die ebenfalls beim Grubenunglüch auf Zeche Dahlbusch am 23. August 1943 ums Leben kamen.

Diese Menschen wurden jedoch im "offiziellen" Erinnern und Gedenken über viele Jahrzehnte schlichtweg unterschlagen. Der Vorschlag von Klaus Brandt, der vor diesem Hintergrund auch den Satz: "Zu Nazizeiten zählten sie nicht zu den Kameraden. Sie galten als 'Untermenschen'" beinhaltete, wollten Stadtverwaltung und Politik jedoch nicht auf diesem Gedenkstein zulassen. Die nachfolgenden achtzehn Namen der Opfer des Grubenunglücks hat Klaus Brandt recherchiert.



IHR LEIDEN VERWEHRT
VERGESSEN
WIR VERNEIGEN UNS VOR DEN OPFERN

Gestorben am 23. August 1943
Zeche Dahlbusch

Wladimir Kljawuse *3-6-1926 in Newsutsche
Josef Mickiewicz *26-8-22 in Rabiniki Kreis Pletschtanski
Konstantin Schemko
Andrej Blisniuk
Josef Tanawski
Stepan Antoniuk *24-11-1924 in Osemo Krs. Bjelosarkow - Kiew
Anatol Jegoroff *26-1-1923 in Moscheni Kr. Rjasin
Gregor Norenko *23-3-24 Jusowka Don-Gebiet
Nikolaj Korotkow *5-5-1909
Tadäus Starczyski *8-10-1919 in Newisch Biermazize - Turak
Ilja Kosloff *20-7-1919 Krs. Smolensk
Sylvester Kosloff *2-11-1901
Blasius Machaloff *9-6-1910 in Woloros Krs. Mohilew
Wladimir Krimin *21-1-1926 in Jusowka Donezgebiet
Wladimir Mochuleff *28-10-1924
Alex Daschewski *10-5-1910
Iwan Rewjaki *20-4-1923 in Kursk
Iwan Saweljew *7-1-1909

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Bis Kriegsende mussten rund 13,5 Millionen Menschen als Kriegsgefangene, KZ-Häftlinge oder zivile Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter in Deutschland arbeiten. Das in Dormund ansässige Landesarbeitsamt Westfalen sowie das Gelsenkirchener Arbeitsamt waren für die Vermittlung von zivilen und kriegsgefangenen ausländischen Arbeitskräften in Gelsenkirchen zuständig. Sie rekrutierten selbstständig Arbeitskräfte in den Herkunftsländern oder bei den Reichsstellen, die Arbeitskräfte zuwiesen, brachten sie in Durchgangslagern unter und verteilten sie an die Arbeitsstellen.

Der Gedenkstein auf dem Friedhof in Gelsenkirchen-Horst-Süd erinnert an 884 dort bestattete russische Zwangsarbeiter. Zum Vergrößern KLICK!

Abb.: In stillem Gedenken am 8. Mai 2020 - 75. Jahrestag der Befreiung und Ende des 2. Weltkrieges. Der Gedenkstein auf dem Friedhof in Gelsenkirchen-Horst-Süd erinnert an 884 dort bestattete russische Zwangsarbeiter. Zum Vergrößern anklicken

Die zivilen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter unterlagen einem rassistischen Sonderrecht, in dem Polen und Sowjetbürger ("Ostarbeiter") die unterste Stufe einnahmen. Sie mussten überwiegend in Barackenlagern und improvisierten Unterkünften leben, wurden schlecht versorgt und waren in ihrer Bewegungsfreiheit stark eingeschränkt. Die Gestapo überwachte den "Ausländereinsatz" und ahndete jegliches abweichendes Verhalten. Vor allem bei Sabotageverdacht, Fluchtversuchen oder Verstößen gegen das Kontaktverbot mit deutschen Frauen fielen die Strafen besonders drastisch aus und konnten KZ-Haft oder auch Hinrichtung bedeuten.

Arbeitseinsatz von kriegsgefangenen Franzosen bei der Stadtverwaltung Gelsenkirchen, 1940

Abb.: Schreiben der Stadtverwaltung Gelsenkirchen an den Deutschen Gemeindetag vom 30. November 1940. Betrifft: Arbeitseinsatz von Kriegsgefangenen. Zur Unterbringung von Kriegsgefangenen wurde eigens eine "Interessengemeinschaft" gegründet, der auch die Stadtverwaltung Gelsenkirchen angehörte und eine Privatfirma federführend mit dem Abschluss entsprechender Verträge beauftragt.

Gesellschaftsverbrechen: Zwangsarbeit in Nazideutschland

Zwangsarbeit in Nazideutschland war ein Massenphänomen – vom Regime organisiert, von der Gesellschaft getragen - ein Gesellschaftsverbrechen. Der Einsatz von Zwangsarbeitern im Reich geschah vor aller Augen. Die Opfer waren nicht nur Kriegsgefangene, sondern meist Zivilisten. Viele Frauen und auch Kinder zählten zu den Opfern. 13 Millionen Zwangsarbeiter wurden ins sogenannte 'Dritte Reich' verschleppt. Etwa jede(r) Fünfte überlebte die Sklavenarbeit nicht.

Mehr als 40.000 Menschen verschiedener Nationalitäten mussten von 1940 bis 1945 für die Gelsenkirchener Kriegswirtschaft Zwangsarbeit leisten, womit sie zeitweise fast ein Drittel aller Beschäftigten in Gelsenkirchen stellten. Zumeist untergebracht in bewachten Lagern, die sich ab 1942 allmählich über das gesamte Stadtgebiet ausbreiteten, dürften sie damit das Bild der Stadt Gelsenkirchen in der Zeit des 2. Weltkrieges nicht unwesentlich geprägt haben.

In der Wahrnehmung der Kriegsgesellschaft aber spielten sie hier wie überall trotz ihrer augenfälligen Entrechtung so gut wie keine Rolle, was sich nicht ausschließlich auf Strafandrohung oder das vom Bombenkrieg bestimmte Alltagsleben zurückführen lässt. Mindestens ebenso verantwortlich für die gleichgültige Haltung vieler Deutscher zeichnet die rassistische Propaganda des NS-Staates, wodurch insbesondere die zu Tausenden nach Gelsenkirchen deportierten sowjetischen Zivilisten ("Ostarbeiter") und Kriegsgefangenen in die Kategorie "Untermenschen" fielen.

Die sogenannten "Italienischen Militärinternierten (IMI)", die ab Herbst 1943 (nach Abschluss des Waffenstillstandes zwischen Italien und den Alliierten) u.a. über das Stammlager Stalag VI F in Bocholt auf Arbeitskommandos bei den Gelsenkirchener Betrieben der Kriegsproduktion verteilt wurden, waren durch eine erbarmungslose Ausbeutung ihrer Arbeitskraft, Nahrungsmittelentzug und fehlende medizinische Betreuung teilweise sogar schlechter gestellt als die sowjetischen Kriegsgefangenen. Auf der politisch-rassistisch Diskriminierungsskala der Nationalsozialisten waren die ehemaligen Verbündeten nun plötzlich ganz weit unten angesiedelt; die deutsche Bevölkerung beschimpfte sie als "Verräter" und "Badoglios". Die rassistische Bezeichnung "Itaker" hielt sich bis weit in die 1980er Jahre.

Projektgruppe Zwangsarbeit: Errichtung eines Denkmals für Zwangsarbeitende gefordert

Ein Zwangsarbeiter wird angelernt

Unter dem Dach des Gelsenzentrum e.V. hat am 15. September 2018 eine weitere Projektgruppe ihre Arbeit aufgenommen. Diese setzt die digitale Dokumentation "NS-Zwangsarbeit in Gelsenkir- chen" auf dieser Webseite und im Social Media fort, um auf diese Weise die Lebenswege von Opfern zu würdigen und die Erinnerung an Zwangsarbeitende in der stadtgesellschaftlichen Erinnerung verankern. Damit soll die gesamte Geschichte eines lange verdrängten Verbrechens im lokalhistorischen Kontext abgebildet werden.

Die Projektgruppe Zwangsarbeit setzt sich u.a. auch mit ihrer Öffentlichkeitsarbeit für die Errich- tung Denkmals für die zwischen 1940-1945 in Gelsenkirchen Zwangsarbeitenden an zentraler Stelle bzw. die Errrichtung von Gedenkorten ein. Damit soll nicht zuletzt den unter dem NS-Regime zwangsarbeitenden Menschen symbolisch ein Teil ihrer Würde zurückgegeben werden.

Bezirksregierung: Förderung mit Heimat-Scheck

Gefördert mit Heimat-Scheck NRW

Die Arbeit der Projektgruppe Zwangsarbeit wurde 2018 vom Ministerium für Heimat, Kommunales Bau und Gleichstellung des Landes Nordrhein-Westfalen Mit einem Heimat-Scheck in Höhe von 2000 Euro gefördert.



Forschungsergebnisse Zwangsarbeit in Gelsenkirchen 1940-1945:

→ Zwangsarbeit in Gelsenkirchen 1940-1945

Zwangsarbeiter im Bombenkrieg:  

→ Zwangsarbeit: Spuren finden

→ Im Gedenken an Petrus-Gustaaf Droessaert

→ Zwangsarbeitende KZ-Gefangene: Außenlager des Konzentrationslagers Buchenwald in Gelsenkirchen

Grabstätten:

→ Grabstätten sowjetischer Kriegsgefangener und Zwangsarbeiter in Gelsenkirchen

→ Friedhofspläne Gelsenkirchen - Grabstätten Zwangsarbeiter

Erinnerungkultur:

→ Stolpersteine sollen in Gelsenkirchen an die vergessenen Kinder von Zwangsarbeiterinnen erinnern

→ Stolperschwelle soll in Gelsenkirchen an Zwangsarbeitende erinnern

→ Von der Dimension der Zwangsarbeit im lokalen Raum

Täter und Tatorte:

→ Terror im Inneren: Walter Marx (Gestapo-Außenstelle Gelsenkirchen-Buer)

→ Endphaseverbrechen in Gelsenkirchen 

Zeitzeugenschaftliche Erinnerungen, Biografien und Berichte:  

→ Pietro Farina, "Italienischer Militärinternierter (IMI)"

→ Zwangsarbeitende in Gelsenkirchen: Vera Polyakova

→ Forced labour in Gelsenkirchen: Vera Polyakova

→ Iwan Semenichin - Zur Zwangsarbeit nach Gelsenkirchen verschleppt

→ Spurensuche in Heßler - das Lager am Kanal

→ Guiseppe Banfi, "Italienischer Militärinternierter (IMI)"

→ Amedeo Mentrelli, "Italienischer Militärinternierter (IMI)"

→ Amedeo Mentrelli, "Internati Militari Italiani (IMI)"

→ Charles Ganty aus Belgien

→ Todesurteil Charles Ganty

→ Die Flucht des M.G. Peters

→ Erinnerungen von Barbara S., ehemalige "Ostarbeiterin" in Gelsenkirchen

→ Brief einer ehemaligen ukrainischen Zwangsarbeiterin

→ Zwangsarbeiterlager Hermannstrasse/Forsthaus

→ Zwangsarbeiter in Gelsenkirchen-Hassel

→ Zwangsarbeiterlager Hubertusstraße, Schalke-Nord (u.a. IMI)

→ Zwangsarbeit Dokumente und Fotos

Liste der Lager und Gebäudeunterkünfte für Zwangsarbeiter in Gelsenkirchen 1940-1945  

Auf Gelsenkirchener Friedhöfen sind etwa 3500 Zwangsarbeiter bestattet, mehr als 900 russische Zwangsarbeiter sind allein auf dem Friedhof Horst-Süd bestattet. Dort befanden sich auch die größten Zwangsarbeiterlager Gelsenkirchens, die Lager Brinkstrasse und Bruchstrasse.

→ "Ost- und Westarbeiterlager" 1940-1945 (Stand 1949, Auflistung d. Arbeitsamtes)

→ Aufstellung sämtlicher Lager und Gebäudeunterkünfte (Stand 2003)

→ Liste der Lager in Gelsenkirchen (Stand 1943)

→ Nummern der "Arbeitskommandos" in Gelsenkirchen

Stolperschwelle

Die Gelsenkirchener Stolperstein-Initiative hat im Mai 2018 die Verlegung einer Stolperschwelle vor dem Polizeipräsidium in Buer durch Bildhauer Gunter Demnig in die Wege geleitet. Von dort wurden am 28. März 1945 wurden kurz vor dem Einmarsch der Amerikaner in Gelsenkirchen-Buer 11 Zwangsarbeitende in den frühen Morgenstunden von Gestapo und Kripo aus dem Polizeigefängnis Buer geholt, barfuß über die Goldbergstraße in den Westerholter Wald getrieben und dort erschossen.

Die Stolperschwelle in Gelsenkirchen-Buer wird auch symbolhaft im Gedenken an mehr als 40.000 Männer, Frauen und Kinder aus West- und Osteuropa verlegt, die in Gelsenkirchen zwischen 1940 und 1945 als Zivilisten oder Kriegsgefangene zur Ableistung von Zwangsarbeit in der Deutschen Kriegs- wirtschaft und Rüstungsproduktion ausgenutzt und als billige Arbeitskräfte ausgebeutet worden sind. Exemplarisch soll der Text auf der Schwelle auch auf 19 unbekannte Zwangsarbeitende verweisen, für die sich der Weg in den Tod vom Polizeigefängnis nach heutigem Forschungsstand nachweisen lässt. Namenlos werden diese Toten wohl bleiben, denn Aufzeichnungen darüber, wer sie waren, fehlen.

→ Stolperschwelle soll an erlittenes Leid und Unrecht erinnern

Archiv "Zwangsarbeit 1939-1945", ein Projekt der Freien Universität Berlin

Das nationalsozialistische Deutschland schuf eines der größten Zwangsarbeits-Systeme der Geschichte. Heute können aber nur noch wenige Überlebende von ihren Erfahrungen berichten. Das Projekt "Zwangsarbeit 1939-1945" zielt auf die digitale Sicherung, Bereitstellung und Erschließung einer Sammlung von knapp 600 lebensgeschichtlichen Zeitzeugen-Interviews.

Judith Altmann kam 1944 im Alter von 20 Jahren aus dem KZ Auschwitz-Birkenau in das KZ-Außenlager Gelsenkirchen-Horst.

→ Ausschnitte aus einem Video-Interview mit Judith Altmann von 2005

Boleslław Zajączkowski aus Lódz musste im Alter von 17 Jahren in Gelsenkirchen-Rotthausen auf der Zeche Dahlbusch unter Tage Steinkohle fördern.

→ Ausschnitte aus einem Video-Interview mit Bolesław Zajączkowski von 2005

Das Gelsenberglager, ein Außenlager des KZ Buchenwald in Gelsenkirchen-Horst 

Nur wenigen Gelsenkirchenern ist bekannt, daß in unserer Stadt während der Hitler-Diktatur ein Außenlager des Konzentrationslagers Buchenwald existierte. Das Lager befand sich auf dem Betriebsgelände der heutigen BP-Raffinerie im Stadtteil Horst. Hier waren etwa 2000 ungarische Zwangsarbeiterinnen untergebracht, die unter anderem zur Trümmerbeseitigung in dem Hydrierwerk der damaligen Gelsenberg-Benzin AG eingesetzt waren. Neue Forschungsergebnisse machten eine Überarbeitung und Ergänzung des Artikels "Das Gelsenberglager" im April 2010 notwendig. Im Juni 2011 wurde ein Auszug aus einem zeitzeugenschaftlichen Interview mit Judith Altmann hinzugefügt. Sie schildert darin ihre Erinnerungen an das "Camp Gelsenkirchen" im Spätsommer 1944. Judith Altmann gehörte zu den 2000 Frauen und Mädchen, die vom KZ Auschwitz zur Zwangsarbeit nach Gelsenkirchen verschleppt wurden.

→ Das Gelsenberg-Lager, SS-Arbeitskommando Gelsenkirchen-Horst

Den Opfern vom Gelsenberg-Lager zum Gedenken  

Im Jahre 2003 übergab der damalige Oberbürgermeister Oliver Wittke der Öffentlichkeit eine Tafel mit den Namen und Geburtsdaten der ungarischen Zwangsarbeiterinnen jüdischer Herkunft, die bei den Bombenangriffen auf die Gelsenberg Benzin AG im September 1944 getötet wurden. Den Frauen und Mädchen war der Zutritt zu Bunkern und Schutzgräben verboten. Die Tafel wurde auf dem Friedhof in Gelsenkirchen-Horst Süd vor dem dortigen Mahnmal aufgestellt. Die Auflistung ist nicht vollständig, jedoch gibt sie vielen bis vor einigen Jahren noch anonymen Opfern der faschistischen Gewaltherrschaft ihre Namen zurück. Im September 2018 wurde diese Tafel erneuert. Hinzu kam eine weitere, den zeithistorischen Zusammenhang erläuternde Tafel. Die Gedenkstätte wurde mit einer → Skulptur ergänzt

Virtuelle Gedenktafel: → Den Opfern vom Gelsenberglager zum Gedenken

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Andreas Jordan, Juli 2008. Überarbeitet September 2018

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