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Online-Redaktion | 9. Oktober 2024 | Gelsenzentrum e.V. Gelsenkirchen
Drei Stolpersteine erinnerten seit 2020 an der Bergmannstraße 37 in Gelsenkirchen-Ückendorf an die während der NS-Zeit verfolgte → Familie Hermann Springer. Nun haben bisher Unbekannte einen der Stolpersteine mutwillig zerstört. Wir haben Strafantrag gestellt, die Polizei ermittelt.
Beauftragte des Städtischen Bauhofes sicherten die drei Stolpersteine am Montagnachmittag, die Verlegestelle wurde temporär mit einfachen Pflastersteinen aufgefüllt. Die Projektgruppe Stolpersteine Gelsenkirchen hat die kleinen Denkmale bis zu deren Neuverlegung in Verwahrung genommen.
Eingehende Spenden werden in Abstimmung mit dem Verein Gelsenzentrum e.V. und dessen Projektgruppe Stolpersteine Gelsenkirchen genutzt, um den Stolperstein alsbald zu ersetzen. Nicht benötigte Spenden werden der Projektgruppe Stolpersteine Gelsenkirchen Verfügung gestellt, um die Erinnerungsarbeit im Rahmen des Stolpersteinprojektes in Gelsenkirchen zu unterstützen.
Historisches Adressbuch kehrt nach Horst zurück
Online-Redaktion | 25. Juli 2024 | Gelsenzentrum e.V. Gelsenkirchen
Historische Adressbücher sind auch sozialgeschichtlich wichtige und spannende Zeitzeugnisse. Ein guterhaltenes Exemplar aus dem Jahr 1934 fand jetzt seinen Weg zurück nach Gelsenkirchen-Horst - Sitz des als gemeinnützig anerkannten Vereins Gelsenzentrum e.V..
Laut eingestempelten Eigentumsnachweis gehörte der Wälzer einst dem Wirt des damaligen "Emscherschlößchens", Johann Rommeswinkel. Das Lokal existiert heute nicht mehr, jedoch ist das Gebäude erhalten geblieben. Genutzt wird das Eckhaus an der Straße Zum Bauverein/Fischerstr. heute vorwiegend zu Wohnzwecken. Wir freuen uns sehr über diesen bedeutenden, überaus seltenen Neuzugang in unserer Bibliothek.
Wir trauern um Juri Zemski
Andreas Jordan | 16. Juli 2024 | Gelsenzentrum e.V. Gelsenkirchen
Der jüdische Kantor Juri Zemski ist im Alter von 63 Jahren am Freitag (12. Juli 2024) in seiner Wahlheimat Gelsenkirchen verstorben.
Der am 11. Dezember 1961 in Odessa geborene Tenor mit ukrainischen Wurzeln und freischaffende jüdische Vorbeter war uns und dem Projekt Stolpersteine in Gelsenkirchen seit vielen Jahren freundschaftlich verbunden. Seine liebenswerte Art, seine große Hilfsbereitschaft und sein Sinn für Humor werden uns sehr fehlen. Als Kantor nahm Juri Zemski seit 15 Jahren aktiv an den Stolpersteinverlegungen in Gelsenkirchen teil, vielen Menschen wird auch seine unvergleichliche Stimme in Erinnerung bleiben. Wir werden ihm für alle Zeit ein ehrendes Andenken bewahren. Unser tiefes Mitgefühl gilt seiner Familie und allen Angehörigen; möge das Gedenken an ihn ein Segen für uns alle sein. Baruch Dayan Ha‘Emet.
Kunst und Erinnerung: 15 Jahre Stolpersteine in Gelsenkirchen
Online-Redaktion | 6. Juli 2024 | Gelsenzentrum e.V. Gelsenkirchen
Seit 15 Jahren gibt es sie auch in Gelsenkirchen: Gunter Demnigs Kunstprojekt für Europa - die Stolpersteine, dass größte dezentrale Mahnmal der Welt. Es ist nicht sein einzigstes Werk, jedoch das bekannteste. Bildhauer Demnig hat die Idee der Stolpersteine Anfang der 1990er Jahre ersonnen, gemeinsam mit seinem Team und lokalen Initiativen hat er mittlerweile rund 106.000 Stolpersteine zu Ehren der von den Nazis in Deutschland und Europa verfolgten, verschleppten, in den Suizid getriebenen und ermordeten Menschen verlegt. Menschen, denen eine rechtzeitige Flucht aus Nazi-Deutschland gelungen ist, werden dabei ebenso wenig ausgeschlossen wie verfolgte Menschen, die den NS-Terror überleben konnten.
Die Stolpersteine für → Simon und Frieda Neudorf an der Markenstraße 19 wurden am 13. Juli 2009 mit Zustimmung des Sohnes → Herman Neudorf sel. A. verlegt - es waren die ersten in Gelsenkirchen verlegten Stolpersteine. Die Stolpersteine finden sich heute überall im Stadtgebiet Gelsenkirchens, zumeist genau dort, wo Menschen wohnten, die in der NS-Zeit verfolgt und in der Vielzahl ermordet wurden.
In unserer Stadt erinnern mittlerweile → 350 der kleinen Denkmale sowie eine Stolperschwelle an NS-Opfer. Während Stolpersteine personenbezogene Erinnerungsorte sind und in der Regel an den letzten freiwilligen Wohnorten der verfolgten Personen verlegt werden, sind Stolperschwellen gruppenbezogene Erinnerungsorte für Opfer der Nazi-Zeit. In Gelsenkirchen wird die Verlegung von Stolpersteinen seit mehr als 15 Jahren von dem als gemeinnützig anerkannten Verein Gelsenzentrum e.V. geplant und koordiniert, um die Archiv-Recherche und Erstellung lebensgeschichtlicher Dokumentation kümmert sich die unter dem Dach des Vereins agierende Projektgruppe Stolpersteine Gelsenkirchen. "Bei den Patinnen und Paten der einzelnen Stolpersteine möchten wir uns herzlich dafür bedanken, dass sie mit ihren Spenden einen mutigen Beitrag zur Sichtbarmachung des düstersten Kapitel unserer Stadtgeschichte geleistet haben" sagt Projektleiter Andreas Jordan.
"Die Bereitschaft, mit Spenden die Patenschaft für die Stolpersteine zu übernehmen, verdient Respekt und Anerkennung. Je mehr Menschen dieses Projekt unterstützen, umso mehr Stolpersteine können verlegt werden".
Die Projektgruppe Stolpersteine in Gelsenkirchen ist kein städtisches Projekt, sondern wird von zivilgesellschaftlichen Engagement getragen. Die Finanzierung der Stolpersteine sowie die der Arbeit der Projektgruppe erfolgt nicht über Steuergelder, sondern ausschließlich durch Spenden. Wenn ihnen das Projekt Stolpersteine am Herzen liegt, freuen wir uns über ihre Unterstützung: Wer künftige Stolperstein-Verlegungen finanziell unterstützen möchte, kann an das Konto „Stolpersteine Gelsenkirchen“ bei der Sparkasse Gelsenkirchen mit der IBAN DE79 4205 0001 0132 0159 27 spenden, Verwendungszweck „Spende Stolpersteine“. Auf Wunsch stellen wir eine Spendenquittung aus.
Erinnerungskultur: Stolpersteine bringen Namen und Lebensgeschichten zurück
Online-Redaktion | 20. Juni 2024 | Gelsenzentrum e.V. Gelsenkirchen
Abb.: Karl Schönebergs Name ist auf die Schalker Meile zurückgekehrt (Foto: Projektgruppe Stolpersteine Gelsenkirchen)
Die Nazis wollten die Menschen vernichten und selbst die Erinnerung an sie auslöschen, Gunter Demnigs Stolpersteine kehren diesen Prozess um und holen die Namen zurück - dorthin, wo die verfolgten Menschen einst Ihre Lebensmittelpunkte hatten.
Im Rahmen einer Gemeinschaftsverlegung verlegte die Projektgruppe Stolpersteine Gelsenkirchen (am → 18. Juni) fünf neue Stolpersteine im Stadtgebiet Gelsenkirchens. Vorausgegangen war eine Gemeinschaftsverlegung von Stolpersteinen am (am → 7. Mai). Es folgte gemeinsam mit Bildhauer Gunter Demnig eine Stolpersteinverlegung (am → 6. Juni). Damit haben die diesjährigen Verlegeaktionen der kleinen Denkmale ihren Abschluss gefunden, 350 Stolpersteine sowie eine Stolperschwelle gibt es jetzt in Gelsenkirchen.
Fortgesetzt wird Gunter Demnigs Stolpersteinprojekt in unserer Stadt mit neuen Verlegungen im Sommer 2025, u.a. mit Beteiligung und Mitwirkung mehrerer Schulklassen.
Schwieriges Erbe: Nazi-Kunst im öffentlichen Raum
Online-Redaktion | 23. Mai 2024 | Gelsenzentrum e.V. Gelsenkirchen
Abb.: Die "Olympia" wurde 1958 im Goldbergpark Buer aufgestellt. (Foto: Stadtarchiv Gelsenkirchen)
Im Zuge Umbau des Busbahnhofs in Buer wurde die von Fritz Klimsch 1936 geschaffene Bronzearbeit "Olympia" 2016 von ihrem Sockel geholt und in einem städtischen Depot eingelagert. Die Olympia aus Buer soll der Nachguss einer Skulptur sein, die Klimsch 1936 für ein Militärlazarett in Magdeburg schuf. Die nicht unumstrittene Skulptur - von der Stadt Gelsenkirchen von der Kölner Galerie Abel angekauft - wurde im September 1958 im Goldbergpark aufgestellt. Seit 1990 steht die "Olympia" unter Denkmalschutz.
Die Nazis schätzten das Werk von Fritz Klimsch sehr, er war einer der wichtigsten Künstler des NS-Regimes. Klimsch gehörte wie bspw. Arno Breker zu den Lieblingskünstlern von Adolf Hitler. Eine weitere "Olympia" stand im Garten der Reichskanzlei. Klimsch war 1937-1944 in der „Großen Deutschen Kunstausstellung“ der Nationalsozialisten in München mit 20 Objekten prominent vertreten. Ehrungen erhielt er in dier NS-Zeit mit der Ernennung zum Reichskultursenator, durch die Verleihung der Goethe-Medaille sowie mit der Aufnahme in die „Liste der Unsterblichen“ und in die "Gottbegnadetenliste".
Folgen die politischen Gremien nun einem gemeinsamer Antrag von SPD, CDU, Grünen und FDP - dieser steht für die nächste Sitzungen des Auschuss für Kultur, Tourismus und urbane Szene sowie der Bezirksvertretung Nord auf der Tagesordnung - soll die zwischenzeitlich restaurierte Skulptur wieder am ursprünglichen Platz nahe dem Rathaus Buer aufgestellt werden. Jedoch soll auf einen Sockel und damit auf eine nicht angemessene Erhöhung verzichtet werden. Gleichwohl soll das Werk von Klimsch didaktisch-kritisch auf verschiedene Weise - auch am Aufstellungsort - kommentiert werden.
Auch wenn die Nazikunst ein schwieriges Erbe darstellt, müssen wir uns ihr auch in Gelsenkirchen immer wieder aufs Neue stellen. Sie zu dämonisieren spielt Alten wie Neuen Rechten nur in die Hände. So scheint die vorgeschlagene neuerliche Aufstellung der "Olympia" in der heutigen Zeit ein wegweisender Schritt zur Entmystifizierung zu sein.
Bochum: Bundesweit erste Stolperschwelle für verfolgte Homosexuelle
Andreas Jordan | 23. Mai 2024 | Gelsenzentrum e.V. Gelsenkirchen
Am Freitag, den 7. Juni 2024 um 9 Uhr wird in Bochum, Viktoriastraße 8-10 / Husemannplatz erstmals in Deutschland eine Stolperschwelle für verfolgte Homosexuelle verlegt. Bildhauer Gunter Demnig wird die Schwelle selbst verlegen.
Ort der Verlegung: Neubau des Husemannkarree (vor dem Eingang Woolworth), hier stand während der NS-Zeit der Gebäudekomplex aus Amts- und Landgericht und Staatsanwaltschaft. Weitere Informationen → hier.
Online-Redaktion | 17. Mai 2024 | Gelsenzentrum Gelsenkirchen
Bisher Unbekannte haben in der Gelsenkirchener Von-Der-Recke-Straße vier Stolpersteine zum Andenken an im Nationalsozialismus verfolgte Gelsenkirchener Juden offenbar gezielt geschändet. Empörte Anwohner entdeckten die Tat und informierten die hiesige Stolperstein-Initiative. Vor Ort angekommen war dann festzustellen, dass die Stolpersteine massiv mit Farbe beschmiert und auf diese Weise die Namen und Daten auf den Stolpersteinen unkenntlich gemacht worden sind.
Die hinzugerufene Polizei und der Staatsschutz dokumentierten die Schändung und nahmen eine Strafanzeige auf. Unmittelbar danach begannen Mitglieder der Projektgruppe Stolpersteine mit der Reinigung der Mahnmale. "Eine unbegreifliche, abscheuliche Tat, weil die Namen der Holocaustopfer erneut ausgelöscht worden sind" sagt Andreas Jordan, Projektleiter der Stolperstein-Initiative in Gelsenkirchen. Die Stolpersteine konnten nur mit erheblichem Aufwand gereinigt werden und so ein würdiges Erscheinungsbild wiederhergestellt werden.
Die vier Stolpersteine erinnern vor dem Haus Von-Der-Recke-Straße 10 seit Oktober 2012 an Selig Uscher Krämer, seine Frau Perla sowie deren Kinder Max und Charlotte. Seit nunmehr 15 Jahren verlegt die Projektgruppe Stolpersteine Gelsenkirchen zumeist gemeinsam mit Bildhauer Gunter Demnig - dem Erfinder der Stolpersteine - die kleinen Denkmale in Gelsenkirchen. Es war das erste Mal, dass in Gelsenkirchen Stolpersteine gezielt geschändet wurden.
+ + + Update 17. Mai 20224: Die Polizei sucht nun Zeugen und bittet um Hinweise unter den Telefonnummern 0209 365 8501 oder 0209 365 8240.
Geschichtsorte: Acht neue Stolpersteine in Gelsenkirchen würdigen NS-Opfer
Andreas Jordan | 13. Mai 2024 | Gelsenzentrum Gelsenkirchen
Abb: Stolpersteinverlegung für Familie Ignaz Wieselmann in Gelsenkirchen mit der Gesamtschule Buer-Mitte
Die Klänge aus dem Saxophon - Luca spielte ein Musikstück aus dem Film 'Schindlers Liste' - schlossen die gestrige (7.5.) Stolpersteinverlegung in Buer atmosphärisch ab, es flossen bei einigen der Teilnehmenden Tränen.
Gemeinsam mit den Schüler*innen der AG Spurensucher und einem Geschichtskurs - beide von der Gesamtschule Buer-Mitte - und Gästen aus dem nachbarschaftlichen Umfeld verlegten wir heute vor dem Haus Luggendelle 26 fünf Stolpersteine für die Familie Wieselmann. Unter dem NS-Gewaltregime wurden Ignaz Wieselmann und seine Frau Adele im KZ Majdanek, Tochter Hildegard im deutsch besetzten Polen ermordet. Diese drei Familienmitglieder waren zuvor nach Polen abgeschoben worden. Den Töchtern Elfriede und Helene gelang die frühzeitige Flucht nach Palästina.
Lehrer Julian Berendes hatte mit seinem Geschichtskurs Lebens- und Leidenswege der Familie Wieselmann recherchiert und gemeinsam mit den Schülern auch eine Sammelaktion mit verschiedenen Aktivitäten gestartet - so konnten vier der Stolpersteine finanziert werden, eine Patenschaft war bereits zuvor anderweitig vergeben worden.
Abb: Stolpersteinverlegung für Familie Alfred Heymann
Todesurteil wegen 'Diebstahl einer Kartoffel'
Im Beisein der eigens aus den USA angereisten Ellen Marcus und den Stolpersteinpaten Irene Mihalic (MdB), Markus Töns (MdB) und Cristoph Klug, der den terminlich in Berlin gebundenen Bundesjustizminister Marco Buschmann vertrat, verlegten wir heute im Rahmen einer Gemeinschaftsverlegung Stolpersteine für Familie Alfred Heymann vor dem Haus Liboriusstr. 100 in Gelsenkirchen. Familie Heymann wurde am 27. Januar 1942 von Gelsenkirchen nach Riga deportiert. Alfred Heymann wurde in der Folge im Ghetto Riga ermordet, Tochter Hannelore wurde wegen dem 'Diebstahl einer Kartoffel' im Zentralgefängnis Riga ermordet, ihre Mutter Grete starb einen gewaltsamen Tod im KZ Stutthof.
Abraham Matuszak: „Für mich ist der 8. Mai ein Freudenfest, weil ich befreit worden bin.“
Andreas Jordan | 29. April 2024 | Gelsenzentrum Gelsenkirchen
Am 8. Mai 1945 endete der Zweite Weltkrieg in Europa mit der bedingungslosen Kapitulation der Deutschen Wehrmacht und der Befreiung vom Nationalsozialismus. Der Krieg hatte Millionen von Toten gefordert mit einem ungeahnten Ausmaß an Zerstörung, Massenvernichtung, Kriegsverbrechen, Verfolgung oder Zwangsumsiedlung durch das nationalsozialistische Verbrecherregime.
Anlässlich des 40. Jahrestages der Kapitulation kam am 8. Mai 1985 der Gelsenkirchener Stadtrat zu eine Sondersitzung zusammen. Einer der Redner war der Gelsenkirchener Holocaust-Überlebende Abraham Matuszak, der seine Befreiung am 8. Mai 1945 erlebte:
Abb: Abraham Matuszak starb 1996 in Gelsenkirchen.
Liebe Anwesende,
ich heiße Abraham Matuszak, bin Jude. Ich wurde im September 1939 verhaftet. Über die Gründe, das Warum, Wieso, Weshalb, zu sprechen, würde zu weit führen. Über das Zuchthaus Hamm kam ich nach Sachsenhausen. Das war eines der ersten Konzentrationslager. Die Einlieferung traf die Häftlinge, besonders uns Juden, völlig unvorbereitet. Was uns erwartete, will ich nur im Telegrammstil schildern, sonst nimmt es zuviel Zeit in Anspruch.
Es war grausam — allein schon durch das Tor zu gehen mit der Aufschrift „Arbeit macht frei"! Eines Tages hieß es: Blocksperre, d. h. es durfte kein Häftling aus den Blocks heraus. Wir — das waren die „alten" Häftlinge — wußten schon immer, was geschehen würde, aber dieses Mal konnten wir nicht erfahren, was der Grund für die Blocksperre war.
Am nächsten Morgen haben wir es erlebt. Zehntausend junge russische Kriegsgefangene waren eingeliefert worden. Das konnten wir nicht begreifen — Kriegsgefangene in einem Konzentrationslager — das gab es doch sonst nicht . . . Ich war einem Kommando zugeteilt, das etwas aufbauen mußte, aber wir wußten nicht, was es war. Später stellte sich heraus: es waren die sogenannten Genickschußanlagen. Zehntausend junge russische Kriegsgefangene sind durch Genickschuß getötet und danach verbrannt worden. Der Gestank aus den Kaminen war unerträglich. Hoffnung kam auf, als es nach einigen Tagen hieß, es geht ein Kommando nach Neuengamme/Hamburg. Wir wußten, was Neuengamme war — im Vergleich zu Sachsenhausen ein Paradies. Aber wir wurden enttäuscht. Wir kamen nicht nach Neuengamme, sondern nach Großrosen. Dort war es mit Abstand noch schrecklicher als in Auschwitz. Die Menschen, die dort in den Steinbrüchen zu Tode kamen, konnten gar nicht so schnell durch neue Transporte aufgefüllt werden.
Ich persönlich hatte Glück durch einen Oberkapo, der Gelsenkirchener war. Durch ihn wurde ich verschont. Unser Lagerführer war der spätere Kommandant von Majdanek, Anton Tumann. Das war kein Mensch, das war eine Bestie in Menschengestalt. Schließlich hieß es: wir kommen nach Auschwitz. Das war uns schon ein Begriff. Am 28. Oktober 1942 sind wir dann dorthin gekommen. Es war bitterkalt, wogegen die KZ-Kleidung, die die meisten von Ihnen ja schon einmal auf Abbildungen gesehen haben werden, natürlich keinen Schutz bot. Man verfrachtete uns in den berüchtigten Todesblock 11. Hier wurden uns Nummer eintätowiert.
1944 wurden wir zur Hinrichtung von drei jüdischen Häftlingen geführt — es mußte immer das gesamte Lager dabei sein —, die versucht hatten zu flüchten und von Häftlingen verraten worden waren. Als sie oben unter dem Galgen standen, ich werde es nie vergessen, rief der eine uns zu: „Kopf hoch, Kameraden, wir sind die letzten!" Der zweite rief: „Es lebe die Freiheit". Und jetzt kommt das Tragischste: der dritte — es war ein Gelsenkirchener, den ich schon als Säugling gekannt hatte — konnte nichts mehr sagen, man hatte schon die Klappe weggezogen. Die drei blieben den ganzen Tag hängen, und alle mußten daran vorbeimarschieren.
Am 15. Januar 1945 begann die russische Großoffensive bei Barranov. Wir lagen ungefähr 30 Kilometer südlich davon, so daß wir den Kanonendonner schon hören konnten. Wir fragten uns: werden wir das überleben? Würden sie in letzter Minute noch das mit uns machen, was sie mit den anderen vorher gemacht hatten?
Am 18. Januar 1945 sind wir evakuiert worden, 10.000 Häftlinge. Jetzt begann der berüchtigte Todesmarsch von Auschwitz. Ich kann guten Gewissens sagen: die sechs Jahre KZ — mit 24 Jahren kam ich rein, mit 30 Jahren kam ich wieder raus — waren nicht so schlimm wie der Auschwitzer Todesmarsch, jeden Tag vierzig bis fünzig Kilometer weit, bei grimmiger Kälte in Holzpantinen und ohne Essen. Als wir schließlich in Gleiwitz ankamen, sollten wir in Eisenbahnwaggons nach Großrosen gebracht werden. Ich dachte: „Großrosen kennst du, das hast du mit aufgebaut, da kann dir nicht viel passieren." Aber es sollte anders kommen.
Der Vorderteil des Zuges wurde abgehängt, der ging nach Buchenwald, und der hintere Teil, in dem ich mich befand, blieb stehen. Wir hörten die Gefechtsfeuer der Russen. In der Nacht waren es bestimmt minus 20 Grad Celsius, die wir in der dünnen Kleidung im offen Waggon, zusammengepfercht wie die Heringe, verbringen mußten, so daß man sich nicht ein bißchen bewegen konnte. Morgens um sieben Uhr öffnete die SS die Türen — heraus fielen steifgefrorene Tote. Die Überlebenden mußten antreten zum Marsch in den Wald von Gleiwitz.
Die „alten" Häftlinge marschierten vorne, diejenigen, die noch nicht lange gefangen waren, marschierten hinten. Da niemand wußte, was bevorstand, entstand eine Panik: die einen drängten nach vorn, die anderen zurück. Wir glaubten, daß wir im Wald von Gleiwitz liquidiert werden sollten. Und in der Tat: die SS springt zur Seite und beginnt mit ihrem mörderischen Maschinengewehrfeuer. Hunderte bleiben in den Wäldern liegen. Dann ging der Marsch weiter, durch die Straßen, durch die Städte, der Weg war übersät mit Leichen. Endlich kamen wir dann mit ein paar übriggebliebenen Skeletten in Prag an, in der Gegend zwischen Prag und Brünn. Und da wurden wir, genau am 8. Mai 1945, am Tag der Kapitulation, morgens um fünf Uhr, von den Russen befreit.
Die Alliierten haben mich nach Holland gebracht. Ich wog nur noch 75 Pfund. In Holland habe ich zwei Jahre unter ständiger ärztlicher Aufsicht von nichts anderem leben können als Diätkost und Milch. Bis 1963 war ich noch arbeitsunfähig geschrieben, dann fing ich bei der Stadt Gelsenkirchen an. Aber ich war immer noch nicht voll belastbar. Für mich ist der 8. Mai ein Freudenfest, weil ich befreit worden bin.
Foto und Redemanuskript aus dem Nachlass Abraham Matuszak. Wir danken Hendryk Matuszak, der uns Unterlagen und Fotos aus dem Nachlass seines Vaters Abraham zur Verfügung gestellt hat.
FC Schalke übernimmt Patenschaften im Rahmen des Projekts Stolpersteine Gelsenkirchen
Online-Redaktion | 15. April 2024 | Gelsenzentrum Gelsenkirchen
Abb: Seit April 2013 erinnert ein Stolperstein an Juda Rosenberg
Bisher erinnert in Gelsenkirchen an der Ringstraße 48 ein Stolperstein an Juda Rosenberg, nun können drei weitere Stolpersteine für dessen Eltern Feibisch und Chana sowie Bruder Josef an gleicher Stelle verlegt werden.
Die Patenschaft und die damit einhergehende Finanzierung für diese drei Stolpersteine hat der FC Schalke 04 übernommen. Die Recherchen zu den Lebens- und Leidenswegen hat der FC Schalke 04 durchgeführt und bereits abgeschlossen, im nächsten Jahr sollen die Stolpersteine in Gelsenkirchen an der Ringstraße 48 verlegt werden.
Antisemitismus im Spiegel der NS-Presse: Friedel Vogelsang und Gustav Heidt am Pranger
Andreas Jordan | 26. März 2024 | Gelsenzentrum Gelsenkirchen
Abb: Weil die Gelsenkirchener Unternehmerin Friedel Vogelsang weiter mit jüdischen Geschäftspartnern zusammenarbeitete, wurde sie 1935 öffentlich an den Pranger gestellt. Die NS-Presse beschimpfte sie als "Judendirne". (National-Zeitung vom 22. August 1935)
Abschrift des kompletten Artikels aus der National-Zeitung:
"Gelsenkirchen. Schon lange erregte das sonderbare Geschäftsgebaren der Inhaberin des Hutgeschäftes Vogelsang, Gelsenkirchen-Schalke, König-Wilhelm-Straße 44 bei der deutschdenkenden Bevölkerung berechtigtes Ärgernis. Nicht nur, daß Fräulein Friedel Vogelsang bereits jahrelang seit Bestehen ihres Geschäftes ihre Waren von Juden bezieht, sondern die Tatsache, daß diese artvergessene Judendirne fortwährend auch "nähere" Beziehungen zu den Juden unterhält, rief die berechtigte Erregung der Bevölkerung hervor.
Bis zum Jahre 1932 wohnte Friedel Vogelsang bei dem Malermeister Schuler in der König-Wilhelm-Straße 43. Durch die fortwährenden Besuche der Juden in der Wohnung der Vogelsang, die oft bis spät in die Nacht dauerten und bei denen es lustig herging, sah sich Schuler1932 veranlaßt, der Vogelsang die Wohnung zu kündigen, nicht etwa die unpünktliche Zahlung der Miete - im Gegenteil, pünktlich sandte ein Jude aus Ulm. zu dem die Vogelsang "nähere" Beziehungen unterhielt, postwendend das Geld - bewog Schuler zu der Kündigung, sondern daß widerliche Gebaren der jüdischen Besucher und der Vogelsang insbesondere. Die Vogelsang zog dann gegenüber in das Haus König-Wilhelm-Straße 44, indem sie auch ihr Hutgeschäft neu eröffnete.
Vor einigen Tagen kehrte Friedel Vogelsang aus ihrem Urlaub, den sie mit ihrem jüdischen Liebhaber in der Schweiz verbrachte, wieder nach Gelsenkirchen zurück. Schon gleich fanden sich wieder jüdische Hutgroßhändler in ihrem Laden ein, um ein "kleines" Geschäftchen zu tätigen. Als nun am gestrigen Nachmittag der Kölner Jude Gustav Heidt mit schweren Koffern beladen in dem Geschäft der Vogelsang erschien, sammelte sich auf der König-Wilhelm-Straße eine erregte Volksmenge an, die laut ihren Unwillen über das provozierende Verhalten des Juden und der Vogelsang kundgab. Durch die andauernden Rufe aufgeschreckt, zeigte sich schon nach kurzer Zeit der Jude mit der Vogelsang in der Türe, um schnell sein Heil in der Flucht zu suchen. Obschon die Bevölkerung maßloss erbittert war, verhielt sie sich so diszipliniert, daß dem Juden auch nicht ein Haar gekrümmt wurde. In seiner ihm angeborenen Feigheit wagte der Jude Heidt aber nicht, allein zu verschwinden, vielmehr bat er den inzwischen erschienenen Polizeibeamten um Schutz, der ihn dann auch zur eigenen Sicherheit in Schutzhaft nahm. Dieser Fall beweist wieder einmal eindeutig, daß die deutschdenkende Bevölkerung Gelsenkirchens es nicht mehr duldet,daß Juden in Gelsenkirchen weiter ihren Raibach machen und arische Geschäfte sie auch noch unterstützen.
Die Entschuldigung der Vogelsang, daß sich die Hutbranche restlos in jüdischen Händen wäre, ist so dummdreist, daß sich ein näheres Eingehen darauf erübrigt. Allen auswärtigen Juden aber, die heute noch glauben, in unserer Stadt ihre Geschäfte machen zu können, diene dieser Fall als dringende Warnung, Gelsenkirchen zukünftig mit ihren Besuchen zu verschonen, es könnte ja sein, daß es ihnen genau so wie ihrem Rassegenossen Heidt ergehen würde."
Gustav Heidt wurde am 7. Dezember 1941 ab Köln in das Ghetto Riga deportiert, am 1. Oktober 1944 weiter nach KZ Stutthoff verschleppt. Er gehörte nicht zu den Überlebenden. Über den weiteren Lebensweg der Friedel Vogelsang ist bisher nichts bekannt.
Die damalige König-Wilhelm-Strasse in Gelsenkirchen Schalke-Nord war ein Teilstück der heutigen Kurt-Schumacher-Strasse (Zwischen Schalker Markt und Caubstrasse - wird heute auch als "Schalker Meile" bezeichnet).
(Foto des Artikels in: Gelsenkirchen im Nationalsozialismus, Katalog zur Dauerausstellung, S. 143; Hrsg. Daniel Schmidt, Schriftenreihe des Instituts für Stadtgeschichte - Materialien, Band 12. Essen, 2017.)
81. Jahrestag: Deportation der Gelsenkirchener Sinti und Lovara nach Auschwitz-Birkenau
Andreas Jordan | 1. März 2024 | Gelsenzentrum Gelsenkirchen
Abb: Deportation von Sinti in Asperg, Mai 1940
Am 9. März 1943 wurden die in Gelsenkirchen in einem kommunalen Internierungslager an der damaligen Reginenstraße (Ückendorf) zwangsweise lebenden deutschen Sinti und Lovara zusammengetrieben. Mit dem Ziel ihrer Ermordung wurden die Menschen über Bochum (Nordbahnhof) in das so genannte "Zigeunerlager" Auschwitz-Birkenau deportiert. In den so genannten "Hauptbüchern" des "Zigeunerlagers" ist die Ankunft der aus Gelsenkirchen verschleppten Angehörigen der Minderheit am 13. März 1943 festgehalten. Die Lebenswege von 164 Kindern, Frauen und Männern endeten mit der Ermordung in Auschwitz-Birkenau und 48 mit unbekanntem Schicksal im Lagerkomplex Auschwitz. Bei 31 als „Zigeuner“ verfolgten Menschen mit Lebensmittelpunkt in Gelsenkirchen konnte eine Deportation nach Polen im Mai 1940 nachgewiesen werden, fünf weitere Menschen, ebenfalls Angehörige der Minderheit, wurden in anderen Lagern des so genannten "Dritten Reiches" ermordet. → Digitales Gedenkbuch Gelsenzentrum, Teil II
Wo wirst du sein, wenn die Deportationen beginnen?
Online-Redaktion | 16. Januar 2024 | Gelsenzentrum Gelsenkirchen
Wo wirst Du sein, wenn die Deportationen beginnen? Der nachfolgende Text von Sabine Asgodom „Wo wirst du sein, wenn sie sie holen?“ lässt uns fragend zurück:
Wo wirst du sein, wenn sie sie holen?
Wirst du die Liste der Kinder in deiner Klasse schreiben, die abtransportiert werden sollen? Und beflissentlich die Namen abhaken, damit sie wirklich alle erwischen? Oder wirst du selbst den Bus fahren, der sie wegbringt?
Wo wirst du sein, wenn sich deine Nachbarn still vergiften, weil eine Deportation mehr Angst macht als der Tod? Wirst du deine Freunde anrufen, dass eine schöne Wohnung freigeworden ist, voll möbliert?
Wo wirst du sein, wenn sie deine Patienten holen, die endlich die Betten auf deiner Station freimachen müssen? Und wenn die Pflegekräfte mit den fremden Namen gleich mitgehen? Wirst du die Maschinen ausstellen für solche, für die sich ein Transport gar nicht mehr lohnt?
Wo wirst du sein, wenn weinende Mütter und Kinder aus den Flüchtlingsunterkünften getrieben werden? Wirst du heimlich das kleine Stoffkaninchen aufheben?
Wo wirst du sein, wenn deine Erntehelfer nicht kommen? Wer pflückt deine Gurken? Wirst du sie selbst unterpflügen?
Wo wirst du sein, wenn die dunkelhäutigen Kinder aus deiner Kita verschwunden sind? Wirst du ihre kleinen Hausschuhe in Mülltüten stecken, und die bunten Trinkflaschen und ihre Matschhosen? Und dann gründlich durchwischen?
Wo wirst du sein, wenn deine Kollegen mit Migrationshintergrund ihren Arbeitsplatz räumen müssen? Wirst du ihnen noch alles Gute wünschen? Und ihre Arbeit dann mitmachen? Oder die Sozialschmarotzer, die man dir zuweist, einarbeiten?
Wo wirst du sein, wenn alle Dönerbuden geschlossen sind, und alle Sushi-Roller deportiert? Freust du dich auf die deutschen Kneipen mit Bratwurst und Sauerkraut?
Wirst du nur die Schüsse hören, die den sich wehrenden jungen Männern aus den Containern gelten, oder wirst du sie selbst abgeben? Weil man sich ja den Anweisungen nicht widersetzen kann, weißt du, wir konnten als Einzelne ja nichts tun?
Wo wirst du sein, wenn dein Name auf einer Liste erscheint von Menschen, die diese Flüchtlinge einst auch noch unterstützt haben? Die sich in Migranten verliebt haben, ja, sie in ihre deutschen Familien aufgenommen haben? Wirst du deine nicht-arischen Enkelkinder mal in Nordafrika besuchen?
Was wird aus dir werden?
Keiner von uns wird ungeschoren davonkommen.
Gelsenkirchen: Internationaler Holocaust-Gedenktag und Jahrestag der Deportation nach Riga
Online-Redaktion | 16. Januar 2024 | Gelsenzentrum Gelsenkirchen
Der 27. Januar ist in Gelsenkirchen ein besonderer Gedenktag. Am 27. Januar 1945 befreiten sowjetische Soldaten die letzten noch im Vernichtungslager Auschwitz verbliebenen Überlebenden. Bereits am 27. Januar 1942 fand die erste Deportation jüdischer Männer, Frauen und Kinder aus Gelsenkirchen und weiteren umliegenden Städten in das Ghetto Riga statt. Zu diesem Zweck hatten die Nazis in der damaligen Ausstellungshalle am Wildenbruchplatz eigens ein temporäres 'Judensammellager' eingerichtet. In Deutschland wird seit 1996 am 27. Januar an die Opfer der NS-Gewaltherrschaft erinnert. 2005 erklärten die Vereinten Nationen diesen Tag zum Internationalen Holocaust-Gedenktag.
Auschwitz ist das Synonym für den Massenmord der Nazis an Juden, Sinti und Roma und anderen Verfolgten. Auschwitz ist Ausdruck des Rassenwahns und das Kainsmal der deutschen Geschichte. Der 27. Januar, der Tag der Befreiung von Auschwitz, ist daher kein Feiertag im üblichen Sinn. Er ist ein "DenkTag": Gedenken und Nachdenken über die Vergangenheit schaffen Orientierung für die Zukunft. Die beste Versicherung gegen Völkerhass, Totalitarismus, Faschismus und Nationalsozialismus ist und bleibt die Erinnerung an und die aktive Auseinandersetzung mit der Geschichte. In Gelsenkirchen wird am 27. Januar der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz 1945 gedacht, zudem der Deportation jüdischer Menschen von Gelsenkirchen nach Riga, die drei Jahre zuvor am 27. Januar 1942 vom NS-Terrorregime nicht zuletzt mit Hilfe der örtlichen Stadtverwaltung durchgeführt wurde.
Stolpersteine: Geschichte berührt Gegenwart
Online-Redaktion | 11. Januar 2024 | Gelsenzentrum Gelsenkirchen
Jeder einzelne Stolperstein spricht zu uns. Vor uns entfaltet sich ein ganzes Leben, ein Leben voller Glücksmomente, voller Sorgen und Schmerz, das zumeist in einem gewaltsamen Tod oder Vertreibung endete. Jeder einzelne dieser kleinen Stolpersteine, 10 mal 10 Zentimeter im Quadrat, ist ein Ort geschichteter Zeit und spannt seine Flügel weit, dringt in unser Auge ein und erzählt uns eine Geschichte - sobald wir dazu bereit sind. Gelsenkirchen wird auch 2024 erinnert. Still. Leise. Unaufdringlich. Im Frühsommer 2024 mittels 31 neuer Stolpersteine im Stadtgebiet. Auf diese Weise werden weitere Geschichtsorte in Gelsenkirchen sichtbar gemacht.
Schon jetzt können weitere Stolperstein-Patenschaften übernommen werden, denn Gunter Demnigs Projekt Stolpersteine wird auch 2025 und darüber hinaus seine Fortsetzung in Gelsenkirchen finden.
Geschichtsorte in der Nachbarschaft - Stiften auch sie einen Stolperstein
Die Stolpersteinverlegungen 2024 in Gelsenkirchen finden zweimal als Gemeinschaftsverlegung statt, zu einer weiteren Verlegeaktion kommt Bildhauer Gunter Demnig persönlich nach Gelsenkirchen. 2024 werden wir in Summe 31 neue Stolpersteine in unserer Stadt verlegen.
( Änderungen vorbehalten. Wir bitten Teilnehmende, ein Zeitfenster von +/- 15 Minuten zu allen o. g. Uhrzeiten einzuplanen.)
Gedenkveranstaltung im Herzen der Stadt: Kinder waren die wehrlosesten Opfer
Online-Redaktion | 25. September 2023 | Gelsenzentrum Gelsenkirchen
Am Samstag (23.9.) fand auf dem Rosa-Böhmer-Platz in Gelsenkirchen eine städtische Gedenkveranstaltung anlässlich des 80. Jahrestages der Deportation Gelsenkirchener Sinti in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau statt. Der Rosa-Böhmer-Platz im Herzen der Stadt Gelsenkirchen wurde auf eine Anregung aus der Bürgerschaft 2020 nach dem Sinti-Mädchen Rosa Böhmer benannt und erinnert damit stellvertretend an die Verfolgung und Ermordung von Sinti und Roma in der Nazi-Zeit.
Der Musiker Karl Böhmer und seine Frau Anna, in Gelsenkirchen ansässige deutsche Sinti, lebten seit 1930 in einer Wohnung an der Bergmannstraße in Ückendorf. 1930 wurde Sonia Böhmer, 1931 ihre Schwester Elisabeth geboren. Am 21. November 1931 heirateten Karl und Anna in Gelsenkirchen. Anna Böhmer brachte sieben weitere Kinder zur Welt, 1933 werden Rosa, 1935 Willy, 1937 Karl, 1938 Marie, 1939 Sophie, 1940 Albert und 1942 Werner geboren. Niemand aus der Familie Böhmer hat in der Folge Rassenwahn und Vernichtungswille der Nazis überlebt.
Bürgerantrag: Tafel soll exemplarisch an Ghettohaus Augustastr. 7 erinnern
Andreas Jordan | 16. August 2023 | Gelsenzentrum Gelsenkirchen
In den Ghettohäusern, so genannte ‚Judenhäuser‘ mussten Jüdinnen*Juden auf engstem Raum mit anderen Menschen zusammenleben. Sie wurden entweder gezwungen, von ihrem eigenen Haus aus in ein ‚Judenhaus‘ umzuziehen, oder sie mussten in ihrem eigenen Haus andere jüdische Familien aufnehmen. Ihr Haus wurde somit zu einem ‚Judenhaus‘ umfunktioniert. Am damaligen Standort eines der Gelsenkirchener Ghettohäuser an der Augustastr. 7 soll exemplarisch eine Erinnerungstafel errichtet werden. Eine dahingehende Anregung haben wir heute der Gelsenkirchener Oberbürgermeisterin übermittelt:
Sehr geehrte Frau Welge,
im Rahmen eines Bürgerantrags (§ 24 GO NRW) rege ich an, in Höhe der Kreuzung Weber-/ Augustastraße eine Erinnerungstafel
„Ghettohäuser in Gelsenkirchen 1939-1945“ zu errichten.
Begründung:
Auch Gelsenkirchen war unter der Gewaltherrschaft des Nationalsozialismus ab dem Jahr 1939 von einem Netz von innerstädtischen Ghettohäusern - so genannter 'Judenhäuser' - überzogen. Auf dem heute als „Parkplatz WEKA-Karee“ genutzen Grundstück stand das Haus Augustastrasse 7, von der damaligen NS-Stadtverwaltung zu einem der Gelsenkirchener Ghettohäuser erklärt.
In das Haus Augustastrasse 7 wurden seit 1939 mehr und mehr Menschen zwangseingewiesen, die unter stetig steigenden antisemitsichen Verfolgungsdruck ihre Wohnungen haben verlassen müssen. Ihres früheren sozialen Umfeldes beraubt, mussten die Jüdinnen und Juden einen Großteil ihrer Habe und ihres Mobiliars veräußern und fortan auf sehr beengtem Raum leben, teilweise mit mehreren Familien in einer Wohnung. Die Konzentrierung der Jüdinnen und Juden in diesen Zwangsunterkünften wurde von der Gestapo angeordnet, in enger Kooperation mit der städtischen Verwaltung, die sich auch um die Neuvermietung der frei gewordenen Wohnungen an nichtjüdische Deutsche kümmerte.
Als eines der Gelsenkirchener Ghettohäuser wurde es zu ihrem völlig überbelegten, letzten Wohnort vor den Deportationen von
Gelsenkirchen nach Riga, Warschau, Theresienstadt und in das Zwangsarbeitslager Elben bei Kassel – von den aus diesem Haus deportierten Menschen hat kaum jemand den unbedingten Vernichtungswillen des NS-Terrorregimes überlebt.
Mit der Erinnerungstafel soll exemplarisch am damaligen Unrechtsort Augustastr. 7 für alle Bürger*Innen zugänglich an geschehenes Unrecht und die Schicksale der dort im NS aus rassistischen Gründen zwangsweise untergebrachten Menschen erinnert werden. Dies kann nur in der Verbindung von Vergangenheit und Gegenwart geschehen, indem wir nachfolgenden Generationen vor Augen führen, welch
wertvolles und unersetzliches Gut ein freies und selbstbestimmtes Leben ist.
+ + + UPDATE 9/2023: Zwischenzeitlich hat die Stadtverwaltung Gelsenkirchen den Eingang der Anregung bestätigt und zuständigkeitshalber an das hiesige Institut für Stadtgeschichte zur weiteren Bearbeitung weitergeleitet.
+ + + UPDATE 4/2024: Der Anregung wurde von Seiten der politischen Gremien nicht gefolgt. Eine (exemplarische) Erinnerungsortetafel „Ghettohäuser in Gelsenkirchen 1939-1945“ an der Augustastraße 7 wird als nicht notwendig errachtet.
Gelsenkirchen: Die vergessenen Kinder von Zwangsarbeiterinnen
Andreas Jordan | 15. Juni 2023 | Gelsenzentrum Gelsenkirchen
„Die Würde kommt mit dem Namen des Menschen zurück. Ich finde, wir haben also die Verantwortung, dass wir die Namen den Menschen zurückgeben. Diese Kinder, die wirklich gelitten haben, bis sie zu Tode kamen, dass sie ihren Namen zurückbekommen und ihre Würde damit. (Margot Löhr)
Abb.: Stolpersteine erinnern in Hamburg an ermordete Kinder von Zwangsarbeiterinnen. (Foto: Gesche-M. Cordes)
Unter den Millionen Zwangsarbeitern, die im Zweiten Weltkrieg ins Deutsche Reich verschleppt wurden, waren auch viele junge Frauen. Für die Nazis waren sie Menschenmaterial: Verschleppte Frauen aus Polen und der Sowjetunion, die in deutschen Privathaushalten, Firmen und Fabriken zwangsarbeiten mussten. Manche von ihnen waren schon bei der Verschleppung schwanger, andere wurden es in Deutschland. Aus deutscher Sicht zählte nur die Arbeitskraft der Frauen; Kinder waren weder vorgesehen noch erwünscht.
Abb.: Lili starb einige Tage vor ihrem ersten Geburtstag. (Sterbeurkunde Lili Beresa, Arolsen Archives)
Also wurden solche "Fälle" systematisch geregelt. In speziellen Lagern wie beispielsweise das Entbindungs- und Abtreibungslager Waltrop-Holthausen (Westfalen) wurden die Frauen zur Abtreibung gezwungen oder mussten unter primitivsten Bedingungen ihre Kinder zur Welt bringen. Die Bedingungen für die dort geborenen Kinder wurden so gestaltet, dass ein großer Teil der Säuglinge vor Vollendung des ersten Lebensjahres starb. Andere wurden anhand "rassischer" Kriterien überprüft und dann entsprechend ihrer Qualifizierung als "gut-" oder "schlechtrassisch" eingeteilt und ihren Müttern weggenommen - die "gutrassigen" sollten in besonderen Heimen als Deutsche erzogen werden. Die meisten der in Waltrop-Holthausen geborenen Kinder erlitten ein anderes Schicksal, sie starben schon bald nach der Geburt an
Krankheiten oder an bewusst herbeigeführter Unterernährung. Auch in Gelsenkirchener Lagern wurden Kinder geboren, exemplarisch sei hier die Zememtfabrik Ostermann genannt.
Die lästigen Schwangeren und ihre "schlechtrassischen" Säuglinge
Auf kaum einem Gebiet zeigte sich die rassischtische Perversität der Nationalsozialisten und ihrer zahlreichen Helfershelfer derart, wie in der Behandlung der schwangeren Zwangsarbeiterinnen und ihrer Säuglinge. Die Schwächung der "biologischen Volkskraft der slawischen Völker im Osten" war ein wesentliches Ziel Hitlers und seiner SS-Schergen, dokumentiert in Reden und Programmen. "Das, was in den Völkern an gutem Blut unserer Art vorhanden ist, werden wir uns holen, indem wir ihnen, wenn notwendig, die Kinder rauben und sie bei uns großziehen",- hatte Himmler am 4.10.1943 verkündet, begleitet von zahlreichen Erlassen zur Behandlung schwangerer Polinnen und Ostarbeiterinnen und ihrer Kinder. Unfd als beim vormarsch in die Sowjetunion nicht alles so lief, wie Hitler sich das in seinem wahn gedacht hatte, ließ er über Bormann wissen; das er sofort Maßnahmen wünschte:
"1: um zu verhüten, daß von deutschen Militär- und Zivilangehörigen mit fremdvölkischen Frauen Kinder gezeugt werden.
2. um weiteren Verbreitung der Geschlechtskrankheiten zu begegnen und
3. um die Kinderzahl der einheimischen Bevölkerung selbst herabzudrücken."
Aber da der Gummimangel eine großzügige Verteilung von Kondomen verhinderte, blieb alles, wie es war.
Keine Deutsche und kein Deutscher konnte vor dem Elend der Zwangsarbeiter die Augen verschließen, doch nach 1945 wollte auch davon niemand "etwas gewusst" haben. Umso wichtiger ist heute, diese lange verschwiegenen Schicksale wieder zu vergegenwärtigen. Rund dreißig dieser vergessenen Kinder lassen sich derzeit in Gelsenkirchen nachweisen, die Recherchen sind jedoch noch nicht abgeschlossen. Wir wollen schon bald mit Stolpersteinen an diese Opfer in unserer Stadt erinnern. Es werden noch weitere Stolpersteinpat*Innen gesucht.
Antisemitische NS-Propaganda: Bahnhofstraße, "Jerusalemer Straße" und wieder Bahnhofstraße
Andreas Jordan | 6. Juni 2023 | Gelsenzentrum Gelsenkirchen
Stolpersteine auf der Bahnhofstraße erinnern an jüdische Familien und Kaufleute wie Gompertz, Alsberg oder Goldblum, die von den Nationalsozialisten verfolgt, vertrieben, deportiert oder ermordet wurden. Ein großer Teil der Geschäftsinhaber auf der Bahnhofstraße war bis in die späten 1930er Jahre jüdische Kaufleute. Oftmals zogen "arische" Geschäftsleute erhebliche Vorteile aus der Judenverfolgung zu Zeiten des NS-Regimes und profitierten von der so genannten „Arisierung“ der Geschäfte ebenso wie vom - ebenfalls staatlich legimitierten - Raub des Grundbesitzes jüdischer Hauseigentümer. Viele dieser "Volksgenossen" und NSDAP-Mitglieder grenzten sich auch ab, indem sie für sich als „christliches Geschäft“ warben. Im NS-Jargon wurde die Bahnhofstraße sogar als „Jerusalemer Straße“ bezeichnet, ein Zeitungsartikel aus dem Jahr 1941 erklärt die Bahnhofstraße als "jetzt wieder judenrein".
Abschrift des vorstehenden Zeitungsartikels (Westfälischer Beobachter/Gelsenkirchener Zeitung) vom 10. September 1941:
Bahnhofstraße, "Jerusalemer Straße" und wieder Bahnhofstraße
Gelsenkirchens Mittelpunkt im Wandel der letzten hundert Jahre / Der jüdische Spuk ist verflogen
Vor hundert Jahren war die Bahnhofstraße nur ein Fußweg, auf dem das Vieh zur Hude auf dem Wiehagen getrieben wurde. Um 1850 wurde der Weg dann mit einem Kopfsteinpflaster versehen. Trotz des Anschlusses an die Köln-Mindener Bahn war von einer hebung des Verkehrs in Gelsenkirchen wenig zu spüren. Erst die 1857 beginnende Kohlenförderung auf der ersten heimischen Zeche "Hibernia" brachte allmählich den Aufschwung. Bald entstanden dann hier auch die ersten Häuser, errichtet von Handwerkern, die sich selbstständig machten und Gewerbetreibenden.
Als erstes Haus entstand das des Gutsbesitzers Strunk. Gleichen Alters ist wohl kaum noch eines vorhanden. Das älteste Haus soll das Wernersche Haus sein. Von den in den 60er bis 70er Jahren erbauten Häusern stehen aber noch eine ganze Anzahl, so am Neumarkt, dann hier auf der Armin- bis zur Beskenstraße stehenden niedriegen Häuser. Auf der anderen Seite sind es hier neben Ehape stehenden Häuser, dann Bierhaus Loh, vom Dorff- und Stauder-Haus.
Um 1885 waren auf der Bahnhofstraße sämtliche Handwerker vertreten, Bäcker und Konditoren waren Risse, Hollwik und Lauter, Metzger waren Rust und Heitger, Schneider Drechmann und Pothmann, Schuhmacher Lückesmeier und Groß-Albenhausen, Installateure waren Nürenbörger und Herrmann, Kürschner Hinkefeld, Pfordte, dann Uhrmacher Schmitz, Goldarbeiter Dadder u. Bäumer, Friseure Kittel, Ortwein und Czichon, Photographen Voss und Juppen. Die älteren Leser werden sich an ferner noch an die arischen Geschäfte erinnern: Möbelhaus Schäfer, Tapetenhaus Ziegler und Jansen, Feinkost Speckmann. Eichmann, Winkeliere, Wolf und Winterberg. Glebsattel und Springorum Hatten Porzellan und Haushaltswaren, Gebrüder Schauerte hatten Textilien. Zigarrenhändler waren Altenberndt, Schönwasser und Reidick. Dann Schnaps- und Weinhandlungen Stegemann, Kochs und Pokorny, Hüte führten Hermann vom Berge und Brinkmann. Nennen wir noch die Wirtschaften von Thiel, später Rosendahl, Hotel Feller, Loh, Wittinghof und Risse, an der anderen Seite Baumeister, C.W. Dickmann, Spahn, W. Dickmann, Rust und Becher, so haben wir die Bahnhofstraße noch beinahe judenrein.
Doch nach und nach kamen der Rothschild, der Weinberg, Isidor Scherbel, Salli Schleimer und Gebrüder Haase, dann Lehmann Wolf, der Krawattenmacher und Nathan Wolf, der in Wodka machte, "Welthaus" David Marx und Leo Leibholz. Und als dann alle die Brüder sich etablierten, die Brüder Cohn, Rolski, Alsberg, David, die Geschwister Elias, der Carsch und Manfred Hamm, da war aus der Bahnhofstraße allmählich die "Jerusalemer Straße" geworden. Nach dem rapiden Aufschwung als Folge der Industrialisierung hatten sich die Juden hier schon früh festgesetzt. An dem Milliardensegen des gewonnenen Krieges 1870-71 hatten sie auch schon ihren Anteil. Nach den Gründerjahren kam dann der unvermeidbare Rückschlag. 1879 hatten Handel und Gewerbe ihren tiefsten Stand erreicht. Aber Anfang der 80er Jahre war die Krise überwunden. Aus allen Zonen kamen Arbeitswillige, Polen, Kroaten und Italiener, die meisten aber aus dem deutschen Osten. Ihnen folgten, als wenn die Ghettos sie ausgespien hätten, "unsere Lait". Kamen sie etwa, um mitzuschaffen und zu werken, um mit Fäustel und Hacke die schwarzen Diamanten loszubrechen, am Schweißofen und Walzenstraßen das rotglühende Eisen zu verarbeiten?
Weit gefehlt, diese Schmarotzer, die noch nie und nirgends Werte geschaffen, taten es auch hier nicht. Aber sie witterten hier, wo so viele Menschen zusammenströmten, "e Geschäft". Eine Anzahl ging mit dem Bauchladen, andere fingen an mit Lumpen, alten Kleidern, Säcken zu handeln. Hatten sie erstmal einen winzigen Laden eröffnet, so saßen sie, zähe wie sie einmal waren, bald fest dazwischen. Mit ihrem Geschrei "Billig, billig!" fingen sie die harmlosen Käufer ein, die, die den Laden einmal betreten, kamen ungeschoren nicht wieder heraus.
Man kann an der jüdischen Invasion nicht vorrübergehen, wenn man die Entwicklung unserer Hauptstraße schildern will. Mit Mitteln, die der ehrbare Kaufmann nicht anwenden kann und will, hatten sie bald den ganzen Handel, namentlich der Textil- und Schuhbranche an sich gerissen. Betrogen sie nicht den Käufer, dann den Lieferanten, vielleicht auch alle beide. Auch damals schon sind Männer aufgestanden, wie Rosendahl, Hermann vom Berge und Hannecken, die Front machetn gegen diese Parasiten, aber sie fanden keine Unterstützung bei Staat und Behörden, da der Jude sich schon überall zuviel Einfluss verschafft hatte. Und es wäre in deutschen Landen genau so gekommen wie in USA und den anderen judenhörigen Ländern, wenn nicht in letzter Stunde ein Stärkerer aufgestanden wäre, der ihre Pläne zunichte gemacht. Auf die jetzt wieder judenreine Bahnhofstraße läßt der Einheimische nichts kommen. Er schätzt sie als eine der schönsten, gradlinigen Geschäftsstraßen der ganzen Umgebung, sie ist die Zentrale, der Knotenpunkt, kurz "die Stadt".
Gelsenkirchen: Ehrung von Architekt Josef Franke im öffentlichen Raum?
Andreas Jordan | 12. Mai 2023 | Gelsenzentrum Gelsenkirchen
Bisher fanden dahingehende Vorschläge in den politischen Gremien keine Mehrheit. Das soll sich nach dem Wunsch der CDU-Altstadt bald ändern.
Anlässlich des anstehenden 80. Todestages von Franke am 16. Januar 2024 könnte es eine Ehrung in Form einer Straßen- bzw. Platzbenennung nach Franke geben - das wünscht sich der Stadtverordnete und Vorsitzender der CDU-Altstadt, Frank Oehlert. Die Verwaltung soll nach Meinung von Oehlert einen entsprechenden Vorschlag in die Bezirksvertretung Mitte einbringen. Doch ist Josef Franke eine Person, die mit einer Platz- bzw. Straßenbenennung im öffentlichen Raum geehrt werden sollte?
Abb.: Der Ehrenhof beim Hüttenwerk Schalker Verein, hier fanden regelmäßig NS-Aufmärsche und Propagandaveranstaltungen statt.
Nach einer unstrittig reichhaltigen und architektonisch prägenden Schaffensphase bis Ende der 1920er Jahre stellte Franke seine Dienste ab 1933 auch dem NS-Regime und Rüstungsbetrieben zur Verfügung. So baute er u.a. ab 1936 eine Arbeitersiedlung für die Gelsenberg Benzin AG, gestaltete 1937 den 'Ehrenhof' für die im ersten Weltkrieg gefallenen Werksangehörigen beim Hüttenwerk Schalker Verein. Im so genannten 'Ehrenhof' wurde ein 'Kriegerdenkmal' von Hubert Nietsch in Form einer sechs Meter hohen Stele aus Granitquadern aufgestellt, an der ein fünf Meter hohes gusseisernes, steil aufgerichtetes und lorbeerumkränztes Schwert angebracht wurde. Auch der NS-affine Nietsch profitierte von Aufträgen des NS-Regimes. In der Gesamtdarstellung entsprachen 'Kriegerdenkmal' und 'Ehrenhof' dem NS-Architektur- und Kunstverständnis, im so genannten 'Ehrenhof' fanden regelmäßig Aufmärsche und NS-Propagandaveranstaltungen statt.
Abb.: Jüdische Zwangsarbeiter in Amsterdam (Symbolfoto, Joods Historisch Museum)
Während des zweiten Weltkrieges nahm Josef Franke vornehmlich Aufträge des NS-Regimes zur Errichtung von Hochbunkern und Splittergräben an, darunter auch die Hochbunker An der Friedweide in Horst, an der Bochumer Str. in Ückendorf und an der damaligen 'Karl-Laforce-Straße' (Heutige Arminstr.). Diese Hochbunker wurden zwischen 1941 bis 1944 erbaut. Aufgrund des kriegsbedingten Baustoff- und Arbeitskräftemangels konnten in ganz Deutschland bis Ende 1941 nur 839 Bunker mit ca. 400.000 Schutzplätzen fertiggestellt werden. Hierzu wurden in enger Absprache mit den Arbeitsämtern und dem Generalbeauftragten für den Arbeitseinsatz oftmals von bauausführenden Firmen französische und belgische Kriegsgefangene als Zwangsarbeiter eingesetzt, das war in Gelsenkirchen nicht anders. Auch kann bisher nicht sicher ausgeschlossen werden, das Juden im so genannten "Geschlossenen Arbeitseinsatz" zwangsweise bei Erdarbeiten für diese Bunkerfundamente eingesetzt worden sind.
War Franke ein überzeugter Nazi? Ein Mitläufer? Ein Karrierist? Nach der Befreiung Stellung dazu nehmen oder sich möglicherweise distanzieren konnte er sich nicht mehr: am 16. Januar 1944 starb Josef Franke 67jährig an einem Schlaganfall. Eine klare Antwort darauf gibt auch sein rein fachliches Wirken nicht, jedoch zeigt dieses deutlich Josef Frankes Verstrickungen in das Nazi-Regime, die eine Ehrung als Namensgeber im öffentlichen Raum ausschließen sollten.
Deportation von Sinti und Roma im Mai 1940: Von Köln nach Polen verschleppt
Andreas Jordan | 9. Mai 2023 | Gelsenzentrum Gelsenkirchen
Die Deportationen im Mai 1940 waren die erste Verschleppungsaktion der deutschen Faschisten, bei der systematisch und familienweise Sinti und Roma aus Deutschland in das deutsch besetzte Polen deportiert wurden. Aus den Kriminalpolizeileitstellen-Bezirken in Hamburg, Bremen, Köln, Düsseldorf, Hannover, Stuttgart und Frankfurt am Main sollten insgesamt 2.500 Sinti und Roma zwangsweise "umgesiedelt" werden. Dazu wurden in Hamburg, Köln und Asperg so genannte "Sammellager" eingerichtet.
Für Köln war die "in Deutz am Rheinufer gelegene Messe (…) als Sammelplatz gewählt worden, weil sie genügend Platz für Hunderte von Menschen bot, leicht zu bewachen war und verkehrsgünstig lag: Nur wenige Meter entfernt befand sich der Bahnhof Deutz-Tief, von dem die Deportationszüge abfuhren."
Die Nazis in Köln wollten alle Sinti und Lovara aus dem Regierungsbezirk Köln "entfernen", hierzu wurden die Angehörigen der Minderheit bereits ab 1935 in Internierungslagern zusammengetrieben. Am 16. Mai 1940 wurden diese Lager von Polizei, Wehrmacht, SS und lokalen Hilfskräften, darunter auch städtische Mitarbeiter, aufgelöst und alle dort lebenden Menschen in die Messehallen nach Köln-Deutz gebracht. Im Laufe der folgenden Tage trafen hier weitere, zuvor noch "frei" in Köln lebende, nach der NS-Rassenideologie als "Zigeuner" definierte Menschen sowie Transporte aus Herne, Düsseldorf, Wuppertal, Wanne-Eickel, Aachen, Koblenz, Gelsenkirchen, Krefeld und Duisburg in Deutz ein. Am 21. Mai 1940 wurden dann etwa 1000 Menschen mit der Reichsbahn zumeist in östliche KZ im besetzten Polen deportiert, wo die meisten der Verschleppten von den Nazis ermordet wurden.
Abb.: Der Bildhauer Gunter Demnig legte 1990 eine Spur der Erinnerungen, um die Deportation von über 1.000 Sinti und Lovara in Köln nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Hierzu zog er eine rote Linie, bzw. Schriftspur von dem ehemaligen Lager in Köln – Bickendorf bis zum Messegelände Köln-Deutz. Die Spur, die Gunter Demnig als Spur der Erinnerungen gezogen hatte, besteht heute an einigen Stellen aus einem beständigen Schriftband im Boden.
Unter den Menschen, die im Rahmen der so genannten "Maideportation" im Mai 1940 aus dem regionalen Sammellager auf dem Gelände der Kölner Messe nach Polen verschleppt wurden, befanden sich auch die Familien Rosina Lehmann, die Familie Rosenberg, das Paar Malla Müller und Josef Wernicke, die Familien Michael Wernicke und Johann Wernicke. Sie alle haben zuvor längere Zeit in Gelsenkirchen gelebt. Den → vollständigen Artikel lesen
8. Mai 1945: Tag des Kriegsendes
Andreas Jordan | 3. Mai 2023 (Repost) | Gelsenzentrum Gelsenkirchen
In den Tagen nach dem 28. März 1945 überschritten US-Truppen die nördliche Stadtgrenze von Gelsenkirchen und rückten auf das Stadtzentrum zu. Am Karfreitag 1945 ging in Buer und Horst der 2. Weltkrieg zu Ende, amerikanische Truppen besetzten den Stadtnorden. Am 10. April 1945 hatten sie die gesamte Stadt befreit, in Gelsenkirchen ruhten die Waffen. Am 8. Mai 1945 endete mit der vollständigen Kapitulation der deutschen Wehrmacht der zweite Weltkrieg in Europa.
Stadtchronik Gelsenkirchen, Eintrag für die 19. Woche vom Sonntag, 6. Mai, bis Samstag, 12. Mai:
Am Montag, dem 7. Mai, um 2.41 Uhr morgens erfolgte die bedingungslose Kapitulation der deutschen Truppen. Die Übergabeerklärung hatte folgenden Wortlaut:
"Wir, die unterzeichneten Bevollmächtigten des Oberkommandos der Wehrmacht, übergeben hiermit bedingungslos alle Land-, See- und Luftstreitkräfte, die sich zur Zeit unter deutschem Oberbefehl befinden, dem Oberbefehlshaber der alliierten Streitkräfte und gleichzeitig dem Sowjet-Kommando. Das Oberkommando der Wehrmacht wird sofort Befehl erteilen, an alle deutschen Heeres-, Flotten- und Luftstreitkräfte und an alle Streitkräfte unter deutscher Kontrolle, alle aktiven Kampfhandlungen am 8. Mai, 24.01 Uhr mitteleuropäischer Zeit einzustellen und in ihren Stellungen zu verbleiben, wo sie sich zur Zeit befinden. Kein Schiff, Fahrzeug oder Flugzeug darf versenkt oder zerstört werden, kein Schaden ihrer Ladung, Maschinerie oder Ausrüstung zugefügt werden. Das Oberkommando der Wehrmacht wird gleichzeitig Befehl an die betreffenden Befehlsstellen erteilen, daß alle weiteren Befehle, die von dem Oberkommandierenden der alliierten Streitkräfte und von dem Sowjet-Kommando kommen, befolgt und durchgeführt werden. Diese militärische Kapitulation ist ohne Einfluß und wird ersetzt durch die allgemeinen Kapitulationsbestimmungen, die von oder im Namen der Vereinten Nationen Deutschland und den deutschen Streitkräften gegeben werden."
Diese Übergabeerklärung wurde in Berlin durch Generalfeldmarschall Keitel als Bevollmächtigtem des Oberkommandos der Wehrmacht, zusammen mit Generaladmiral von Friedeberg und Luftwaffengeneral von Stumpff unterzeichnet. Die Kapitulation wurde auf alliierter Seite entgegengenommen von Marschall Schukov für die Sowjetunion und Luftmarschall Tedder für Großbritannien und die Vereinigten Staaten; der amerikanische General Spaatz und der französische General de Tassigny waren dabei anwesend.
Die Zeremonie der Übergabe war sehr kurz. Schukov und Tedder, als Bevollmächtigte der Alliierten im Osten und im Westen, legten den deutschen Bevollmächtigten die Frage vor: "Sie haben die Kapitulationsurkunde gelesen? Sie kennen ihren Inhalt? Und Sie erklären sich bereit, sie zu unterzeichnen?" Eine kurze Pause des Schweigens folgte; dann sagte Generalfeldmarschall Keitel leise: "Ja, ich bin bereit!" Die abschließenden Kapitulationsverhandlungen fanden in einem kleinen Schulgebäude in Reims statt, das als Hauptquartier General Eisenhower diente. Dabei waren anwesend: für die USA und Großbritannien General Bedell Smith, der Stabschef General Eisenhowers, für die Sowjetunion General Susloparoff, für Frankreich General Francois Sevez, für Deutschland Generaloberst Jodl, der Generalstabschef der Wehrmacht. Am gleichen Morgen verlas der deutsche Außenminister Schwerin von Krosigk über den Flensburger Sender, den einzigen Rundfunksender, der sich noch in deutscher Hand befand, folgende Erklärung: "Das Oberkommando der Wehrmacht hat heute dem Befehl des Großadmirals Dönitz gemäß die bedingungslose Waffenstreckung aller kämpfenden deutschen Truppen erklärt. Deutschland ist gezwungen zu kapitulieren wegen des völligen Zusammenbruchs aller seiner Streitkräfte". Diese endgültige Kapitulation bildete den Schlusspunkt einer Reihe von Teilkapitulationen, die mit dem Tage der Vereinigung der amerikanischen 1. Armee mit den Russen bei Torgau begonnen hatten.
Dieser Vereinigung war schnell das Treffen der amerikanischen 9. Armee mit den Russen bei Wittenberg gefolgt, die Vereinigung der Engländer mit den Russen bei Wismar, die Vereinigung der Neuseeländer mit den Jugoslaven bei Monfalcone in Nordost-Italien und schließlich die Vereinigung der von Bayern nach Süden vorstoßenden amerikanischen 7. Armee mit der von Nord-Italien nach Norden marschierenden amerikanischen 5. Armee am Brennerpaß.
(Quellen: Stadtchronik Gelsenkirchen für das Jahr 1945, S. 91-92.
Foto: Als erstes freies Blatt – ohne NS-Propaganda – konnten die Aachener Nachrichten mit dem Titel „Der Krieg ist aus!“ die bedingungslose Kapitulation am 8. Mai 1945 vermelden. Außer den Aachener Nachrichten verkündeten von Deutschlands Zeitungen an diesem Tag nur noch die Flensburger Nachrichten die Kapitulation)
Erinnerungsaktion am Jahrestag des Kriegsendes - putzbereite Unterstützer:Innen gesucht
Auch in diesem Jahr ruft der Gelsenzentrum e.V. auf, rund um den 8. Mai die bisher in Gelsenkirchen verlegten Stolpersteine zu putzen. Seit mehr als zehn Jahren beteiligt sich der gemeinnützige Verein Gelsenzentrum e.V .mit seiner Projektgruppe Stolpersteine Gelsenkirchen an dem Kunstprojekt des Bildhauers Gunter Demnig. Seine in den Gehweg eingelassenen kleinen Gedenktafeln, die sogenannten Stolpersteine, erinnern an Lebens- und Leidenswege der Menschen, die dort in den Häusern gelebt haben und in der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt, geflohen, deportiert, ermordet, oder in den Suizid getrieben wurden. Inzwischen sind von Gelsenzentrum gemeinsam mit Bildhauer Demnig 319 Stolpersteine sowie eine Stolperschwelle in Gelsenkirchen verlegt worden. Unser Verein betreut und organisiert in enger Kooperation mit der Stiftung-Spuren-Gunter Demnig nicht nur die Verlegung der Steine, sondern kümmert sich auch um Pflege und Erhalt. Wer sich in diesem Jahr an der Stolperstein-Putzaktion beteiligen möchte, kann das gerne auch eigeninitiativ tun. Infos per Mail: a.jordan (ätt)gelsenzentrum.de.
Historischer Rückblick: Die Bahnhofstraße in Gelsenkirchen
Andreas Jordan | 2. Mai 2023 | Gelsenzentrum Gelsenkirchen
Zu den Gewerbebetrieben an der Gelsenkirchener Bahnhofstraße in den 1930er Jahren (im Volksmund seinerzeit auch abschätzig "Jerusalemer Straße" genannt) zählten die nachfolgend genannten Geschäfte und Praxen, deren Inhaber Juden waren. Zumeist waren diese Geschäftsleute auch Eigentümer der jeweiligen Immobilien.
Das weckte nicht zuletzt bei den konkurierenden "arischen" Gewerbetreibenden oftmals Begehrlichkeiten, nicht wenige Angehörige der NS-Beutegemeinschaft konnten im Zuge des staatlich legitimierten Raubes - von den Nazis "Arisierungen" genannt - "günstig" Geschäfte und Immobilien jüdischer Alteigentümer zu Spottpreisen "übernehmen" - neben Parteigenossen auch Stadtverwaltung und Geldinstitute wie die Sparkasse. Die vormaligen jüdischen Inhaber nebst ihrer Familien wurden zur Flucht gedrängt bzw. gezwungen. Nicht allen gelang es jedoch,
Nazi-Deutschland rechtzeitig zu verlassen, diese Menschen wurden deportiert und zumeist in Ghettos oder Konzentrationslagern ermordet.
Jüdische Inhaber - Geschäfte an der Gelsenkirchener Bahnhofstraße:
Moritz Groß, Schuhe. Bahnhofstrasse Nr. 13
Erich Neuwald, Konfitüren. Bahnhofstrasse Nr. 14
Markus Cohen, Konfektion. Bahnhofstrasse Nr. 19
Salomon Großmann, Hüte. Bahnhofstrasse Nr. 20
Gompertz GmbH, Pelz u. Mode. Bahnhofstrasse Nr. 22
B. Windmüller, Feinkost. Bahnhofstrasse Nr. 23
Ella Wimpfheimer, Textilwaren. Bahnhofstrasse Nr. 33
Theodor Löwenstein & Co, Putz u. Modewaren. Bahnhofstrasse Nr. 33
Bamberger, Manufakturwaren- und Konfektionshandlung. Bahnhofstrasse Nr. 35
Isidor Wollenberg, Konfektion. Bahnhofstrasse Nr. 36
Josef Stamm, Putz u. Modewaren. Bahnhofstrasse Nr. 38
Hugo Broch, Möbel. Bahnhofstrasse Nr. 40a
Eisig Halpern, Wäsche. Bahnhofstrasse Nr. 42
Dr. Hugo Alexander, Hautarzt. Bahnhofstrasse Nr. 42
Gustav Carsch & Co GmbH, Damen u. Herren Konfektion. Bahnhofstrasse Nr. 48-52
Appelrath & Cüpper GmbH, Damenkonfektion. Bahnhofstrasse Nr. 49
Friedrich Winter, Weißware. Bahnhofstrasse Nr. 54
Gebr. Alsberg, Kaufhaus. Bahnhofstrasse Nr. 55-65
Gebrüder Goldblum, Herren Konfektion. Bahnhofstrasse Nr. 62
Fritz Goldschmidt, Tabakwaren. Bahnhofstrasse Nr. 71
Hermann Oppenheimer, Konfektion. Bahnhofstrasse Nr. 76
Otto Samson, Schuhhaus. Bahnhofstrasse Nr. 78
Leopold Mosbach, Manufakturwaren. Bahnhofstrasse Nr. 80
Leo Toppermann, Schneider. Bahnhofstrasse Nr. 80
Jenny Boley, Herrenartikel. Bahnhofstrasse Nr. 85
Eintrag in der Gelsenkirchener Stadtchronik, 18. Oktober 1936: [... Wie die National-Zeitung mitteilt, sind in letzter Zeit wieder zwei grosse jüdische Geschäfte an der Bahnhofstrasse in arischen Besitz übergegangen. Die National-Zeitung schreibt: "Die repräsentativen Geschäftsräume des Schuhjuden Gross hat das Porzellanhaus Kettgen übernommen, während der Möbeljude Broch in der Glaspassage dem arischen Möbelhändler Heiland gewichen ist. Damit ist ein weiterer erfolgreicher Schritt zur "Entjudung" der Bahnhofstrasse getan worden, der um so mehr zu bergrüßen ist, als diese größte Geschäftsstraße unserer Vaterstadt nicht zu Unrecht als ihr Aushängeschild angesehen werden kann". ...]
Zum Tod von Herman D. Neudorf
Andreas Jordan | 30. April 2023 | Gelsenzentrum Gelsenkirchen
Im Alter von 97 Jahren verstarb Herman D. Neudorf am 26. April 2023 in seiner Wahlheimat Hallandale Beach (Florida).
Herman Neudorf wurde 1925 in Gelsenkirchen (Horst-Emscher) geboren. Seine Eltern Simon und Frieda wurden im Holocaust von den Nazis ermordet, er überlebte eine siebenjährige Odysee durch Unrechtsorte und Lager der Nazis. Im April 1945 gelang ihm auf einem Todesmarsch aus dem KZ Buchenwald die Flucht.
Vorrübergehend kehrte er dann in sein Geburtstadt Gelsenkirchen zurück. Nach einem folgenden zweijährigen Aufenthalt in Bolivien emigrierte er in die USA und fand dort eine neue Heimat. Er heiratete Bella Neudorf (Verstorben 2005) und hatte mit ihr drei Söhne, Dr. Steven, Dr. Howard und Leslie Neudorf. Die letzten rund dreißig Jahre lebte Herman in Hallandale Beach, Florida. Er stand unserem Verein Gelsenzentrum e.V. viele Jahre beratend und unterstützend zur Seite. Persönlich verband uns eine langjährige Freundschaft. Herman wird einen festen Platz in unseren Herzen haben. Spurensuche in Gelsen- kirchen-Horst: Lebensstationen: Anfang und Ende einer Odysee
Mai 1933: Nazis verbrennen Bücher verfemter Autorinnen und Autoren
Online-Redaktion | 24. April 2023 | Gelsenzentrum Gelsenkirchen
Am 10. Mai 1933 beginnen die Nazis die Kampagne "Wider den undeutschen Geist". Tausende Bücher vor allem jüdischer Autoren, aber auch anderer politisch unliebsamer Schriftsteller, werden verboten und in fast allen deutschen Universitätsstädten öffentlich verbrannt. Darunter waren u.a. Werke von Bertolt Brecht, Lion Feuchtwanger, Sigmund Freud, Erich Kästner, Irmgard Keun, Heinrich Mann, Erich Mühsam, Erich Maria Remarque, Anna Seghers, Ernst Toller, Kurt Tucholsky, Arnold und Stefan Zweig. Bis in den Juni hinein dauern die Aktionen an, die von sogenannten "Feuersprüchen" begleitet werden, in denen nacheinander jeweils ein Rufer einzelne Autoren verunglimpfte. Auch in Gelsenkirchen werden Bücher jüdischer und anderer verfemter Autorinnen und Autoren verbrannt - hier zunächst im Heizungskeller der städtischen Bücherei.
Die Bücherverbrennungen sind ein erster Triumph für die NS-Politik der "Gleichschaltung" und Unterdrückung der freien Meinung. Zugleich sind sie Höhepunkt der Kampagne "Wider den undeutschen Geist" mit der die vom NS-Studentenbund dominierte Deutsche Studentenschaft ab März 1933 begann, jüdische und politisch missliebige Schriftsteller zu verfolgen - viele dieser Autoren prägen heute unser Bild von der Literatur der Weimarer Republik.
Heinrich Heine, dessen Schriften die Nationalsozialisten ebenfalls verbieten ließen, legte bereits 1820 seinem Protagonisten Hassan in dem Trauerspiel "Almansor" eine düstere Prophezeiung in den Mund: "Das war ein Vorspiel nur. Dort, wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen." Diese Worte sollten sich in Deutschland und in den ab September 1939 von der deutschen Wehrmacht besetzten Gebieten nur wenige Jahre nach 1933 bewahrheiten.
Die Gelsenkirchener Allgemeine Zeitung schreibt in ihrer Ausgabe vom 23. Mai 1933 u.a. : "Reinigungsprozeß in der Stadtbücherei - Mit der Säuberung der Bibliotheksbestände der Gelsenkirchener Stadtbücherei und ihrer Filiale im Goldberghaus Buer ist bereits begonnen worden. Die Büchereibestände werden zuerst einer genauen und gründlichen Durchsicht auf undeutsche, marxistische, zersetzende und unsittliche Literatur unterzogen. Die inkriminierte Literatur soll rücksichtslos entfernt und zur Verhütung weiteren Unheils vernichtet werden. Die Besetzung des beauftragten Ausschusses bietet die volle Gewähr dafür, daß in Zukunft das öffentliche Volksbüchereiwesen der Stadt nach rein christlich-nationalen Gesichtspunkten aufgebaut sein wird."
Die "Buersche Volkszeitung" vom 7. November 1934 gab dann die Paraphrase einer Ansprache von Stadtrat Paul Große-Boymanns wieder, die er zur Feierstunde der "Woche des Deutschen Buches" in Buer gehalten hatte und in der er sich zur bisherigen Bibliothekspolitik wie folgt äußerte: „Als im vorigen Jahr die Reinigung der öffentlichen Büchereien vorgenommen worden sei, da habe man namentlich in der Gelsenkirchener Stadtbücherei erheblich weniger dagegen in der Buerschen Stadtbücherei - feststellen können, mit wieviel Erfolg die marxistisch-kommunistisch-bolschewistische Weltanschauung auch bereits in die Bestände des öffentlichen Büchereiwesens eingedrungen war. Alles zersetzende Schrifttum sei damals den Weg ins Feuer gegangen."
Dabei hatte man in Gelsenkirchen relativ rasch die pathetische, an den Bücherverbrennungen in Deutschlands Universitätsstädten orientierte Beseitigung unliebsamer Bücher im Heizungskeller der Bücherei aufgegeben und war zu einer kostengünstigeren Art der Büchervernichtung übergegangen. Der Büchereiausschuss hatte am 23. November 1933 beschlossen, die ausgesonderten Werke zunächst "unbrauchbar" zu machen und dann als Altpapier zu verkaufen.
NS-Zeit: Deportation der in "Mischehe" lebenden Gelsenkirchener Bürgerinnen und Bürger
Andreas Jordan | 13. April 2023 | Gelsenzentrum Gelsenkirchen
In "Mischehen" zwischen Juden und "Ariern" galt in der NS-Zeit für jüdische Ehepartner und Kinder längere Zeit ein spezieller "Schutz". Aufgrund ihrer Verbindung zur "Volksgemeinschaft" nahm das NS-Regime sie bis Herbst 1944 von zentralen Verfolgungsmaßnahmen, Deportation und Vernichtung aus. Im Sprachgebrauch der Nationalsozialisten galten sie daher als "privilegiert". Dennoch war die sogenannte Mischehe keine Garantie für ein Überleben.
Besonders auf "arische" Frauen aus "Mischehen" wurde sehr großer Druck ausgeübt sich scheiden zu lassen.Vor allem lokale Behörden gingen immer radikaler gegen diese Verbindungen vor. Viele Betroffene - wie auch deren ebenfalls ausgegrenzte und kriminalisierte Kinder - verloren dadurch nicht nur ihre Existenzgrundlage, sondern auch ihre Freiheit. Da die Regelungen zu den "Mischehefamilien" jedoch als "Geheime Reichssache" eingestuft waren, konnten deren Mitglieder nie wissen, durch welche Faktoren ihr Leben tatsächlich geschützt wurde. Weil die meisten Menschen dieser Verfolgtengruppe ihrer Ermordung im Holocaust entkamen, wurden sie viele Jahrzehnte nicht als rassisch Verfolgte wahrgenommen. Sie haben überlebt, waren jedoch traumatisiert.
Unser digitales Gedenkbuch Teil VII verzeichnet nun auch die Namen der Menschen, die im September 1944 nach Zeitz (Sammellager), Oberloquitz (Arbeitslager) bzw. Elben (Zwangsarbeitslager) u. andere Orte deportiert wurden - weil sie in sogenannter 'Mischehe' lebten.
Ghettohäuser: Mythos von der ahnungslosen Ausgrenzungsgesellschaft
Andreas Jordan | 31. März 2023 | Gelsenzentrum Gelsenkirchen
Abb.: Interaktive Stadtkarte: Verortung Gelsenkirchener Ghettohäuser, mit einem KLICK auf die Grafik gelangen Sie zur Karte.
Nachweisen lassen sich in Gelsenkirchen rund 40 dieser kleinräumigen, innerstädtischen Gettos, davon 6 mit einer Belegungsstärke von mehr als zwanzig Menschen. Ghettohäuser ("Judenhäuser") befanden sich in Gelsenkirchen an verschiedenen Orten. Die Zwangsumzüge fanden vor aller Augen statt, ebenso der Abtransport der von Deportationen betroffenen Menschen zum temporären "Judensammellager" in der damaligen Ausstellungshalle am Wildenbruchplatz. Die so genannten "Judenhäuser" waren die letzte Stufe nationalsozialistischer Ausgrenzung und Entrechtung jüdischer Mitbürger u.a. auch in Gelsenkirchen vor der Deportation in Ghettos und Vernichtungslager.
Gelsenkirchen: 38 neue Stolpersteine erinnern an Ausgrenzung, Verfolgung und Vernichtung
Online-Redaktion | 17. März 2023 | Gelsenzentrum Gelsenkirchen
Um die Erinnerung an Opfer des NS-Regimes wachzuhalten, haben wir gemeinsam mit Bildhauer Gunter Demnig am Montag (6.3.) weitere 30 Stolpersteine an zehn Orten im Gelsenkirchener Stadtgebiet verlegt. Im Gepäck hatte Demnig weitere acht Stolpersteine, die im Zuge einer Gruppenverlegung von uns eingesetzt werden sollten.
Rund 20 Nachfahren der Familie Matuszak waren eigens am nachfolgenden Sonntag (12.3.) nach Gelsenkirchen gereist, um hier an der Stolpersteinverlegung für die von den Nazis ermordeten Familienangehörigen teilzunehmen. Vor dem Haus Bismarckstraße 56 wurden sieben Stolpersteine für Mitglieder der Familie Matuszakim Rahmen einer Gruppenverlegung von Andreas Jordan (Gelsenzentrum e.V.) in das vom Bauhof vorbereitete Gehwegpflaster eingesetzt. Zuvor wurde bereits ein Stolperstein in Gelsenkirchen-Horst für den belgischen Zwangsarbeiter Petrus Gustav Droessaert verlegt.
Abb.: Gelsenkirchen: 38 neue Stolpersteine erinnern an Ausgrenzung, Verfolgung und Vernichtung. Gelsenzentrum e.V. setzt seit 14 Jahren mit einer Projektgruppe das Kunstprojekt Stolpersteine von Gunter Demnig in Gelsenkirchen um. Bisher wurden so eine Stolperschwelle und 319 Stolpersteine an verschiedenen Stellen in Gelsenkirchen verlegt.
Peri Hirsch: Kamm dem Museum of Jewish Heritage New York als Schenkung überlassen
Andreas Jordan | 27. Januar 2023 | Gelsenzentrum Gelsenkirchen
Abb.: Peri Hirsch: "Der Kamm bedeutet mir sehr viel. Ich war ein junges Mädchen, gerade 14 Jahre alt, und arbeitete in der Metallfabrik, und als unsere Haare nach der Rasur in Auschwitz wieder zu wachsen begannen, beschloss ich, nachts heimlich einen Kamm herzustellen."
Die Holocaust-Überlebende Peri Hirsch fertigte diesen Kamm aus Aluminium und Draht in Sömmerda, einem Außenlager des KZ Buchenwald.
Peri wurde am 10. März 1930 in Ruscova, Rumänien, geboren. Ursprünglich hieß sie Pepi Pollack und wuchs in einem modernen orthodoxen Haushalt auf. Nachdem die Nazis 1944 Ruscova besetzt hatten, wurde Peri in ein nahe gelegenes Ghetto geschickt. Später wurde sie nach Auschwitz-Birkenau, dann nach Gelsenkirchen und schließlich nach Sömmerda verschleppt. Sie überlebte einen Todesmarsch und wurde in Deutschland befreit. Der größte Teil von Peris Familie, einschließlich ihrer Eltern und sechs Schwestern, wurde im Holocaust ermordet. Nur Peri und ihre beiden Brüder überlebten. Peri emigrierte schließlich in die USA und ließ sich in New York nieder. Sie heiratete, bekam drei Kinder und hat heute viele Enkelkinder, bald wird Peri Urgroßmutter.
Im Alter von 14 Jahren wurde Peri Hirsch zusammen mit rund 2000 jüdischen Mädchen und Frauen zur Ableistung von Zwangsarbeit von Auschwitz nach Gelsenkirchen verschleppt. 1944 waren die Schwestern Blanca, Olga und Peri im KZ-Außenlager Buchenwald beim Hydrierwerk Gelsenberg-Benzin AG, in Gelsenkirchen-Horst untergebracht. Bei einem Bombenangriff auf die Poroduktionsanlagen der Gelsenberg Benzin AG suchten die drei verzweifelt nach einem Schutz - vergeblich. Den Jüdinnen war der Zutritt zu Bunkern und Schutzräumen verboten. Olga wurde tödlich verletzt, Blanca schwer. Sie kam ins St. Josef-Hospital, wo Peri Hirsch ihre Schwester zum letzten Mal sah, bevor sie selber nach Sömmerda (Thüringen) in ein andere KZ-Aussenlager deportiert wurde. → Mehr erfahren.
Internationaler Holocaust-Gedenktag und Jahrestag der Deportation Gelsenkirchen - Riga
Andreas Jordan | 27. Januar 2023 | Gelsenzentrum Gelsenkirchen
Heute, am 27. Januar, wird an die Opfer des Nationalsozialismus gedacht. Der Tag wurde anlässlich der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau durch die sowjetische Armee am 27. Januar 1945 gewählt. In Deutschland wird seit 1996 an diesem Tag an die Opfer der NS-Herrschaft erinnert. 2005 erklärten die Vereinten Nationen ihn zum Internationalen Holocaust-Gedenktag.
In Gelsenkirchen ist der 27. Januar ein zweifacher Gedenktag: Es wird der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz 1945 gedacht, zudem der Deportation jüdischer Menschen von Gelsenkirchen nach Riga, die drei Jahre zuvor am 27. Januar 1942 vom NS-Terrorregime nicht zuletzt mit Hilfe der örtlichen Stadtverwaltung durchgeführt wurde.
Dieses Jahr wird beim offiziellen Gedenken des Bundestags erstmals auch an die queeren Opfer des Nationalsozialismus gedacht. Die Aufarbeitung der Verfolgung von Menschen aufgrund ihrer (vermeintlichen) sexuellen oder geschlechtlichen Identität hat erst spät begonnen. Etwa der Paragraf, auf dessen Grundlage Homosexuelle Männer verfolgt und ermordet wurden, wurde erst 1994 aus dem Strafgesetzbuch gestrichen.
KZ Auschwitz-Birkenau
Vor 78 Jahren wurde das KZ von der Roten Armee befreit. Es war das größte deutsche Konzentrations- und Vernichtungslager während des Nationalsozialismus und lag im heutigen Polen. Dort wurden mehr als eine Million Menschen in Gaskammern, bei grausamen medizinischen Experimenten und durch unmenschliche Zwangsarbeit ermordet.
Die Befreiung
Kurz vor der Befreiung und der erwartbaren Niederlage gegen die Sowjetunion versuchten die Nazis ihre grausamen Taten zu vertuschen, zerstörten Gaskammern und weitere Beweise. In einer einzigen Nacht ermordeten sie 10.000 Menschen und zwangen Zehntausende zu „Todesmärschen“ nach Westen zu anderen KZs. Die schwächsten Gefangenen wurden zurückgelassen. Die Soldaten der Roten Armee fanden etwa 7.5000 Menschen in einem lebensbedrohlichen Zustand vor.
Verfolgte und Opfer des Nationalsozialismus
Etwa 17 Millionen Menschen wurden Opfer der wahnhaften NS-Ideologie. Antisemitismus war ein grundlegendes Element davon, Jüdinnen und Juden wurden zum Feindbild schlechthin erklärt. Rund sechs Millionen Jüdinnen_Juden wurden im Nationalsozialismus ermordet. Aufgrund der NS-Rassentheorie wurden auch Sinti und Roma, Slawen, Schwarze Menschen vertrieben, ermordet und deportiert, ebenso wurden Homosexuelle, psychisch Kranke, Menschen mit Behinderung, arme Menschen, straffällige Personen, politische Gegner, sowie religiöse Gemeinschaften, wie die Zeugen Jehovas, im NS-Regime verfolgt, inhaftiert und ermordet.
Holocaust: Abraham Matuszak stand auf Schindlers Liste
Andreas Jordan | 25. Januar 2023 | Gelsenzentrum Gelsenkirchen
Abraham Matuszak stand als KZ-Gefangener in seinem Leben auf vielen Listen, eine hat ihm das Leben gerettet: Schindlers Liste. Der gebürtig aus Kalisz/Polen stammende und in Gelsenkirchen lebende Abraham Matuszak hatte das Glück, einer der so genannten "Schindler-Juden" zu sein.
Matuszak wollte sich im Juli 1939 im neu gegründete, so genannte Hachschara-Kibbuz Paderborn, Grüner Weg auf ein Leben in Palästina vorbereiten. Doch die Nazis waren schneller. Nach dem deutschen Überfall auf Polen am 1. September 1939 wurde Abraham Matuszak am 10. September 1939 als "feindlicher Ausländer" in Paderborn verhaftet, zunächst im dortigen Gerichtsgefängnis, dann im Polizeigefängnis Hamm inhaftiert und im Februar 1940 nach Sachsenhausen deportiert, wo er als Zugang am 3. Februar 1940 registriert wird. Er wird dann in das KZ Groß-Rosen überstellt, kommt in das Aussenlager Geppersdorf. Bei einer Selektion von arbeitsunfähigen Häftlingen, die zur "Sonderbehandlung 14f13" in die Heil- und Plegeanstalt Bernburg a. d. Saale überstellt wurden, gilt er als "voll arbeitsfähig" und entkommt so der geplanten Ermordung in der Tötungsanstalt Bernburg.
Am 16. Oktober 1942 wird Abraham Matuszak in das KZ Auschwitz überstellt. Am 11. April 1945 wird er als Zugang im Kdo. Brünnlitz (Oskar Schindlers Fabrik) registriert, wird auf der geschlechtergetrennten Version der Häftlingsliste des KZ Groß-Rosen / Kdo. Brünnlitz v. 18. April 1945 geführt. Am 8. Mai 1945 wird Abraham Matuszak im Arbeitslager Brünnlitz (Das Lager stand unter Kontrolle des KZ Groß-Rosen) befreit. 1946 kehrte er nach Gelsenkirchen zurück, hier starb Abraham "Abbi" Matuszak am 6. Juni 1996.
Neue Stolpersteine im März: Ein Stein. Ein Name. Ein Mensch.
Andreas Jordan | 10. Januar 2023 | Gelsenzentrum Gelsenkirchen
In der Gelsenkirchener Stadtgesellschaft hat Gunter Demnigs Kunstprojekt Stolpersteine mittlerweile eine breite, anschlußfähige Akzeptanz erfahren. Stolpersteine sind dauerhafte Zeichen der Gelsenkirchener Erinnerungskultur geworden - sie sind durch ihre unaufdringliche Präsenz integraler Bestandteil des täglichen Lebens. Die kleinen Lernorte sollen nicht zuletzt auch darauf aufmerksam machen, wozu Ausgrenzung, Rassenhass, Fremdenfeindlichkeit und Dehumanisierung letztendlich führen können.
Umgesetzt wird Demnigs Kunstprojekt für Europa in Gelsenkirchen durch den gemeinnützigen Verein Gelsenzentrum e.V. - gemeinsam mit der Projektgruppe Stolpersteine Gelsenkirchen.
Das ist kein städtisches Projekt, sondern wird von zivilgesellschaftlichen Engagement einiger Gelsenkirchener Bürger*Innen umgesetzt. Die Finanzierung der Stolpersteine sowie die der Arbeit der Projektgruppe erfolgt nicht über Steuergelder, sondern ausschließlich durch Spenden. Die nächste Verlegung von Stolpersteinen in Gelsenkirchen findet am Montag, 6. März 2023 statt:
(Wir bitten Interessierte, ein Zeitfenster von etwa +/- 20 Minuten zu den genannten Uhrzeiten einzuplanen. Es gelten bei den kleinen Verlegezeremonien die jeweils aktuellen Corona-Richtlinien.)
Netto-Spendenaktion ist beendet - Gelsenzentrum e.V. sagt Danke für 578,73 Euro
Andreas Jordan | 2. Januar 2023 | Gelsenzentrum Gelsenkirchen
Das Ergebnis der Netto-Spendenaktion steht fest, der Spendenbetrag ist bereits auf unserem Konto eingegangen. Gelsenzentrum e.V. bedankt sich bei allen Spenderinnen und Spendern, die uns in den beiden Netto-Filialen in Gelsenkirchen-Horst ihre Pfandbons bzw. durch aufrunden des jeweiligen Einkaufsbetrages auf den nächsten 10-Cent-Betrag insgesamt 423,24 Euro gespendet haben.
Netto hat diese Spende dann zusätzlich mit 146,49 € auf eine Gesamtspende von 578,73 € aufgerundet. Wir freuen uns und sind sehr dankbar, mit der Spendensumme werden wir unsere erinnerungskulturellen Bildungsangebote für die jüngeren Generationen gezielt weiter ausbauen können. Netto hat uns bereits eingeladen, in 2023 erneut an der regionalen Spendenaktion "Bring dich ein für deinen Verein" teilzunehmen.
Völkermord an Sinti und Roma: 80. Jahrestag des „Auschwitz-Erlasses“
Andreas Jordan | 15. Dezember 2022 | Gelsenzentrum Gelsenkirchen
„Ich habe Angst, Auschwitz könnte nur schlafen“
Zitat: Ceija Stojka (1933 – 2013). Sie war eine österreichische Schriftstellerin und Künstlerin. Sie gehörte den Lovara-Roma an und überlebte als Kind drei nationalsozialistische Konzentrationslager.
Vor 80 Jahren, am 16. Dezember 1942, ordnete Heinrich Himmler (Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei) die Deportation aller Sinti und Roma aus dem „Deutschen Reich“ in das Konzentrationslager Auschwitz an. Mit diesem sogenannten „Auschwitz-Erlass“ begann die Deportation von 23.000 Sinti und Roma aus elf Ländern Europas in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau.
Der Völkermord an Sinti, Roma und anderen Fahrenden begann jedoch nicht erst mit den Deportationen nach Auschwitz. Bereits im Mai 1940 wurde eine große Zahl Sinti und Roma in das so genannte „Generalgouvernement“ deportiert. Unter diesen Menschen befanden sich auch zahlreiche Familien, die zuvor lange in Gelsenkirchen gelebt hatten. Sie waren, um den Schikanen von Kriminalpolizei, städtischen Dienststellen und der SA in Gelsenkirchen zu entkommen, nach Köln gegangen und lebten dort in einem Lager in Köln-Bickendorf. Dieses Lager war bereits 1934 erbaut und im April 1935 fertiggestellt worden.
Zielsetzung des Terrorregimes war – wie auch in Gelsenkirchen bei Einrichtung der (Zwangs)-Lagerplätze bzw. Internierungslager an der Cranger Straße und dann der Reginenstraße – die konzentrierte, systematische Unterbringung und Überwachung dieser Bevölkerungsgruppe fernab des Stadtzentrums. Damit wollte das NS-Gewaltregime auch seine Stigmatisierung dieser Ethnie als „am äußersten Rand der Gesellschaft stehend“ hervorheben. Unter den Menschen, die aus dem Sammellager auf dem Gelände der Kölner Messe bereits im Mai 1940 nach Polen verschleppten worden sind, waren auch die Familien Rosina Lehmann, die Familie Rosenberg, das Paar Malla Müller und Josef Wernicke, die Familie Michael Wernicke und die Familie Johann Wernicke. Sie alle haben zuvor längere Zeit in Gelsenkirchen gelebt.
März 1943 – Deportation der Gelsenkirchener Sinti u. Lovara nach Auschwitz-Birkenau
Die Organisation und praktische Durchführung der Deportation der Gelsenkirchener „Zigeuner“ nach Auschwitz-Birkenau oblag der staatlichen Kriminalpolizei, und hier dann der Kriminalpolizeistelle Recklinghausen mit ihrer Kriminal-Inspektion III Gelsenkirchen. Zur Aus- und Durchführung wurden weitere Dienststellen der verschiedenen Verfolgungsbehörden hinzugezogen.
Nazi-Vergangenheit: Karl Wessel - Braune Flecken auf weißer Weste
Andreas Jordan | 23. November 2022 | Gelsenzentrum Gelsenkirchen
In der heutigen Lokalausgabe der WAZ Gelsenkirchen ist ein Artikel zum 100jährigen Geburtstag des Familienbetriebs 'Wessel-Gruppe' zu finden (Bezahlschranke). Darin heißt es u.a.:
"(...) Wegbereiter und entscheidender Impulsgeber für den Erfolg war Karl Wessel, Poschmanns Großvater. Der erkannte in den 1940er-Jahren das zunehmende Bedürfnis nach Verpflegung und Beherbergung für Kriegsversehrte und Kriegswitwen und leitete daraufhin die Transformation von Großgastronomie zum Reha-Spezialisten ein. Der gelernte Bäcker organisierte „durch Anmietung von kleineren Pensionen Kurzurlaube“, wie Poschmann sich erinnert. In den Anfängen noch in einem weitgehend schlichten Rahmen – Zimmer, Verpflegung, viel mehr auch nicht. Aber: Die Idee zündete. Aus ihr entsprang wenig später die Karl Wessel GmbH mit mehreren Kurheimen in Deutschland, die als Vorreiter der späteren Kurkliniken galten. Für diese Pionierleistung und seine Verdienste im sozialen Bereich erhielt Karl Wessel 1971 das Bundesverdienstkreuz. (...)"
Was jedoch nur noch wenigen Menschen bekannt ist: Hauptsächlich mit der Ausbeutung von Kriegsgefangenen und Zwangsarbeiter*Innen im so genannten "Dritten Reich" legte Firmengründer und Kriegsgewinnler Karl Wessel den finanziellen Grundstock für ein umfangreiches Firmengeflecht und ein daraus resultierendes, beträchtliches Vermögen. Wie so oft im jungen Nachkriegsdeutschland fiel auch dieser Umstand dem kollektiven Verdrängen und Vergessen anheim. Möglicherweise bietet das Firmenjubiläum den Nachfahren einen Anreiz, sich eimal mit der NS-Geschichte des Begründers Karl Wessel näher zu befassen - soweit noch nicht geschehen. Mehr erfahren: Die Dabeigewesenen - Gelsenkirchen 1933–1945
Sein Name kehrt zurück: Fritz Stein ist nicht länger nur der Rosa-Winkel Häftling mit Nr. 25182
Andreas Jordan | 15. November 2022 | Gelsenzentrum Gelsenkirchen
Am 9. November 2022 wurde in Wismar ein Stolperstein zur Würdigung von Fritz Stein verlegt, der als Homosexueller verfolgt und verurteilt wurde und im KZ Auschwitz ermordet wurde.
Fritz Stein wurde im Siegerland im südlichen Westfalen (NRW) geboren, sein letzter freiwilliger Wohnort war in Wismar an der Ostsee. Dort wurde der Stolperstein verlegt. Anwesend waren bei der Verlegung auch Verwandte von Fritz Stein: der Neffe und die Großnichte Dorothee Stähler. Die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, Frau Manuela Schwesig, hat die Patenschaft für den Stolperstein übernommen. Mit der Würdigung durch Bericht und Stolperstein erhält Fritz Stein seinen Namen zurück, ist nicht länger nur der Rosa-Winkel Häftling mit Nr. 25182.
Der Bochumer Diplom-Psychologe Jürgen Wenke hat zu den Lebens- und Leidenswegen von Kurt Koch recherchiert, ein ausführlicher Forschungsbericht (PDF) steht auf Jürgen Wenkes Webseite zum Download bereit.
Was geschah in der Pogromwoche im November 1938 in Gelsenkirchen?
Andreas Jordan | 4. November 2022 | Gelsenzentrum Gelsenkirchen
Auch in diesem Jahr finden an vielen Orten in Deutschland Veranstaltungen zum Gedenken an jüdische Bürgerinnen und Bürger statt, die in den Tagen und Nächten vom 7. bis 16. November 1938 Opfer der rassistisch motivierten Gewalttaten gegen Leib, Leben und Eigentum wurden. Die Pogromwoche im November 1938 erinnert gleichwohl auch an die NS-Verbrechen, die vorausgingen und an die, die diesem Datum folgten sollten.
Doch nur noch wenigen Menschen ist bekannt, was sich in der Pogromwoche im November 1938 in Gelsenkirchen zugetragen hat. In der jüngeren Nachkriegszeit blieb es bei diesem einen erfolglosen Versuch, die von Angehörigen der Ausgrenzungsgesellschaft in Gelsenkirchen während der Pogromwoche begangenen Verbrechen juristisch aufzuarbeiten. Mehr erfahren: Die Novemberpogrome 1938 in Gelsenkirchen
Kunstprojekt Stolpersteine: Bildhauer Gunter Demnig wird heute 75
Andreas Jordan | 27. Oktober 2022 | Gelsenzentrum Gelsenkirchen
Gunter Demnig hat die Stolpersteine erdacht, das wohl größte dezentrale Mahnmal der Welt. Es ist nicht sein einzigestes Werk, jedoch das bekannteste. Seit fast 30 Jahren verlegt der Bildhauer die von ihm ersonnenen Stolpersteine zu Ehren der von den Nazis in Europa verfolgten, verschleppten, in den Suizid getriebenen und ermordeten Menschen - zumeist vor deren ehemaligen Wohnhäusern. Menschen, denen eine rechtzeitige Flucht aus Nazi-Deutschland gelungen ist, werden dabei ebenso wenig ausgeschlossen wie verfolgte Menschen, die den NS-Terror überleben konnten. Heute wird Gunter Demnig 75 Jahre alt. An Aufhören denkt Bildhauer und Spurenleger Demnig jedoch nicht: im Juni 2023 will er den 100.000 Stolperstein verlegen. Wir danken dir für die Schöpfung der Stolpersteine und für die lange gute Zusammenarbeit. Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, lieber Gunter!
Ausweisungen: Die so genannte "Polenaktion" im Oktober 1938
Andreas Jordan | 26. Oktober 2022 | Gelsenzentrum Gelsenkirchen
Zwischen dem 27. und 29. Oktober 1938 wiesen die Nationalsozialisten gewaltsam 17.000 Jüdinnen und Juden über die Grenze nach Polen aus. Davon betroffen waren auch rund 80 jüdische Menschen jeden Alters in Gelsenkirchen, die am 28. Oktober von der Schutzpolizei verhaftet und in Abschiebehaft genommen wurden. 1939 fand die Ausweisungsaktion eine weitere Fortsetzung. Die so genannte „Polenaktion“ war die
erste organisierte Massenausweisung aus dem Deutschen Reich – vor Beginn der systematischen Deportationen ab 1941.
Der Verbleib der in Bentschen (Zbaszyn) internierten Menschen hing von verschiedenen Faktoren ab. Konnten sie Bentschen nicht auf irgendeinem Wege vorzeitig verlassen, verblieben sie dort bis zur allmählichen Auflösung des Lagers im Sommer 1939. Vielen anderen indes gelang es nicht mehr rechtzeitig vor dem deutschen Überfall, aus Polen zu fliehen. Sie wurden in der Folge während der Zeit der deutschen Besatzung in die Vernichtungslager verschleppt und dort ermordet. Darunter auch fast alle der aus Gelsenkirchen abgeschobenen Menschen. Mehr erfahren: Die so genannten "Polen-Aktion" 1938
Zilli Schmidt, mutige Kämpferin für Gerechtigkeit und gegen das Vergessen ist gestorben
Redaktion | 21. Oktober 2022 | Gelsenzentrum Gelsenkirchen
Wir trauern um die deutsche Sinteza Zilli Schmidt, eine Jahrhundertzeugin. Sie ist heute im Alter von 98 Jahren von uns gegangen. Wir drücken ihrer Familie unser tiefstes Beileid aus. Zilli Schmidt ging nicht unerwartet und dennoch ist ihr Tod zutiefst schmerzhaft. Nicht nur als eine der letzten Überlebenden des Völkermords an den Sinti und Roma Europas hinterlässt sie eine tiefe Lücke.
Zilli Schmidt wird 1924 in Thüringen geboren und wächst in einer – wie sie stets betonte – glücklichen Familie von Instrumentenhändlern und Wanderkinobetreibern auf. Im Juni 1942 wird Zilli Schmidt in das Konzentrationslager Lety in Böhmen überstellt. Sie flieht, wird erneut verhaftet und im März 1943 in das "Zigeunerfamilienlager" in Auschwitz-Birkenau deportiert. In der Nacht des 2. August 1944 ermordet die SS ihre vierjährige Tochter Gretel, die Eltern, die Schwester mit fünf Kindern und weitere Verwandte in Gaskammern. Am selben Tag war Zilli Schmidt zur Zwangsarbeit nach Ravensbrück verschleppt worden. Auch aus diesem Lager flieht sie. Nach Kriegsende findet sie nur ihre beiden Brüder wieder. Erst in den 2010er Jahren beginnt sie, außerhalb ihrer Familie über ihr Leben zu sprechen: "Unsere Menschen sollen nicht vergessen werden! Ich will, dass die Welt erfährt, was mit den Sinti passiert ist. Ich will, dass sie wissen, wie das ist, weiterzumachen, wenn man alles verloren hat, was einem lieb war."
Ihr Mut, ihre Stärke und ihr Wille zu Kämpfen, ihre Bereitschaft andere zu unterstützen und nicht zuletzt ihr Humor machen sie zu einem unvergesslichen Vorbild. Ihre Warnung vor dem erstarkenden Rechtsextremismus hallt nach. »Ich kämpfe, bis ich meine Augen zumache und bei meinem Herren bin«, wiederholte Zilli Schmidt immer wieder. Möge Gott gut auf Zilli aufpassen. Wir behalten sie in liebevoller Erinnerung. Liebste Zilli, Du lebst in unseren Herzen und Gedanken für immer weiter. Wir werden Deine Lebensbotschaft weitertragen und die Erinnerung an Dich wach halten. Mögest Du in Frieden ruhen. Mer dikhamen.
Zeitzeuge: Wir trauern um Fred Alexander
Andreas Jordan | 10. Oktober 2022 | Gelsenzentrum Gelsenkirchen
Uns erreichte die traurige Nachricht, dass Fred Alexander am 1. August 2022 93jährig in New York gestorben ist. Der 1928 in Gelsenkirchen geborene Fritz Alexander konnte mit einem der Kindertransporte aus Nazi-Deutschland gerettet werden, seinen Eltern wie auch seiner Schwester gelang ebenfalls die rettende Flucht - zunächst nach England.
Fritz, der sich seither Fred nannte, wurde nach dem Schul- und Universitätsabschluss Ingenieur. Mit seiner zwischenzeitlich verstorbenen Frau und zwei Söhnen lebte er in New York. Im Ruhestand betätigte sich Fred Alexander noch längere Zeit ehrenamtlich als "Big Apple Greeter". Die Big Apple Greeter in New York sind eine Non-Profit Organisation, freiwillige New Yorker bieten Stadtführungen für Touristen an. Dabei handelt es sich nicht um professionelle Tourguides, sondern um Menschen 'wie du und ich', die einfach gerne ihr New York und ihre Nachbarschaft zeigen möchten. Die Touren bot Fred in letzter Zeit mehr an, seiner Wahlheimat New York City ist er jedoch bis zu seinem Tod treu geblieben.
Im Sommer letzten Jahres haben wir in Gelsenkirchen - nicht zuletzt auf Fred Alexanders Wunsch hin - Stolpersteine für ihn und seine Familie verlegt. Wir standen noch im regen Dialog, Fred Alexander wird uns fehlen und unvergessen bleiben.
Gelsenkirchen: Weitere Stolpersteine für NS-Opfer geplant
Andreas Jordan | 30. September 2022 | Gelsenzentrum Gelsenkirchen
Stolpersteine sind kleine Denkmale für Menschen, die während der Zeit des Nationalsozialismus aus unterschiedlichen Gründen verfolgt wurden. Sie werden vor den ehemaligen Wohnhäusern verlegt, in denen die Menschen vor ihrer Flucht oder Verhaftung lebten. Damit erinnern sie individuell an das Schicksal der Verfolgten und werfen gleichzeitig Fragen nach Täter- und Mittäterschaft auf.
Auch wenn es in jüngerer Zeit in der Außenwirkung etwas ruhiger um das Projekt Stolpersteine in Gelsenkirchen war - hinter den Kulissen hat unsere Projektgruppe Stolpersteine fleißig gearbeitet: Die nächste Verlegung der kleinen Denkmale in Gelsenkirchen findet am Montag, den 6. März 2023 statt. An diesem Tag kommt Bildhauer Gunter Demnig einmal mehr nach Gelsenkirchen, gemeinsam wollen wir dann auf Wunsch von Stolperstein-Pat:innen an 10 Verlegeorten 32 neue Stolpersteine in das Pflaster Gelsenkirchener Gehwege einlassen.
Desweiteren wird Bildhauer Demnig fünf weitere Stolpersteine mitbringen, die wir dann im März selber an zwei Orten in Gelsenkirchen verlegen werden - an dem Tag wird Gunter Demnig dann nicht persönlich vor Ort sein.
Das Projekt der Stolpersteine beruht auf bürgerschaftlichem Engagement. Ein Stolperstein kann dann verlegt werden, wenn Einzelne oder Gruppen eine kostenpflichtige Patenschaft übernehmen. Neben Einzelpersonen, Firmen und Vereinen übernehmen auch Gelsenkirchener Schulen regelmäßig Patenschaften für neue Stolpersteine. Die Initiative, einen Stolperstein verlegen zu lassen, geht jedoch auch häufig von Angehörigen und Nachfahren der ehemaligen Gelsenkirchener Bürger:innen aus.
September 1944: Letzte Deportation aus Gelsenkirchen
Andreas Jordan | 19. September 2022 | Gelsenzentrum
In "Mischehen" zwischen Juden und "Ariern" galt in der NS-Zeit für jüdische Ehepartner und Kinder längere Zeit ein spezieller "Schutz". Weil die meisten von ihnen dem Holocaust entkamen, wurden sie lange nicht als verfolgte Gruppe wahrgenommen. So wurde auch Margarethe Meyer 1944 von der Gestapo verhaftet, weil sie Jüdin war und in "Mischehe" lebte
Gemeinsam mit 35 weiteren jüdischen oder wie die Nazis es nannten "jüdisch versippten" Menschen in Gelsenkirchen wurde sie im Rahmen im Rahmen einer von Himmler angeordneten "Sonderaktion J" am 19. September 1944 in den frühen Morgenstunden von der Gestapo in ihrer Wohnung verhaftet, zunächst in das Gelsenkirchener Polizeigefängnis gebracht und dann von dort nach Kassel deportiert. Endgültiger Zielort des Transportes war das Frauenlager Elben der 'Organisation Todt' (OT) im Landkreis Wolfhagen bei Kassel, Deckname "Saphir". Margarethe Meyers nichtjüdischer Ehemann Heinrich blieb allein zurück, er wurde im April 1945 vom "Volkssturm" auf der Straße in Gelsenkirchen erschossen. Für das Ehepaar Meyer haben wir in 2022 Stolpersteine in Gelsenkirchen verlegt.
Gedenken: Todesmarsch von Fuhlsbüttel nach Kiel
Andreas Jordan | 8. September 2022 | Gelsenzentrum
Auch das Polizeigefängnis Fuhlsbüttel sollte gegen Ende des Krieges aufgelöst werden. Minderbelastete Häftlinge sollten entlassen werden, schwerbelastete Fälle kamen in das Auffanglager Neuengamme. Die restlichen 800 Häftlinge, Juden, Zwangsarbeiter aus verschiedenen Ländern und Menschen des politischen Widerstands, schickte die SS auf den Weg nach Kiel - knapp 650 von ihnen zu Fuß. Am 12. April brachen vier Gefangenenzüge im Abstand von jeweils einer Stunde nacheinander auf. Die Marschverpflegung war kärglich, die Schuhe der Marschierenden fast alle völlig kaputt. Unter den KZ-Gefangenen auf dem Todesmarsch befand sich auch das Ehepaar Hermann und Flora Voosen aus Gelsenkirchen.
Endstation im Arbeitserziehungslager Nordmark
Der Weg führte über Kaltenkirchen, Bad Bramstedt, Wittorferfeld und Bordesholm. Unterwegs wurden immer wieder Gefangene, die versuchten zu fliehen oder einfach nicht mehr weiter konnten, erschossen. Andere starben an Entbehrung oder Krankheit. Nach dreieinhalb Tagen Fußmarsch erreichten die Gefangenen das Arbeitserziehungslager Nordmark in Kiel. In den zwei Wochen bis zum Kriegsende wurden noch knapp 100 weitere Häftlinge im Lager erschossen. Kurz vor dem Eintreffen der Alliierten ergriffen die Wachleute die Flucht und überließen die letzten Überlebenden sich selbst.
Der Weg führte über Kaltenkirchen, Bad Bramstedt, Wittorferfeld und Bordesholm. Unterwegs wurden immer wieder Gefangene, die versuchten zu fliehen oder einfach nicht mehr weiter konnten, erschossen. Andere starben an Entbehrung oder Krankheit. Nach dreieinhalb Tagen Fußmarsch erreichten die Gefangenen das Arbeitserziehungslager Nordmark in Kiel. In den zwei Wochen bis zum Kriegsende wurden noch knapp 100 weitere Häftlinge im Lager erschossen. Kurz vor dem Eintreffen der Alliierten ergriffen die Wachleute die Flucht und überließen die letzten Überlebenden sich selbst.
Der Gelsenkirchener Herrmann Voosen schrieb nach seiner Befreiung einen Brief, darin erwähnt er auch den Todesmarsch nach Kiel: "Wir wurden dann auf einem kleinen Kohlenschlepper zurück nach Deutschland gebracht. Welches Schicksal würde uns nun erwarten? Alle waren deprimiert. Das Armeebekleidungsamt suchte uns zu beruhigen und machte viele Versprechungen. Aber wir kannten die Nazis und misstrauten ihnen. Und wir hatten sie richtig eingeschätzt. Am 24. Februar 1945 brachten sie uns nach Hamburg und wurden dort sofort der GESTAPO übergeben, die uns ins Gefängnis von Fuhlsbüttel warf. Wir verbrachten unsere Zeit mit extrem harter Arbeit, hungrig, und dem Terror von den unaufhörlichen Bombenangriffen von fliegenden Festungen, denen wir ohne jeglichen Schutz ausgesetzt waren. Wir wurden von den Frauen getrennt. Am 11. April wurde das Gefängnis geräumt.
Wir alle, einschließlich der Frauen, mußten ungefähr 60 Meilen nach Kiel marschieren. Am 14. April erreichten wir das Arbeits- und Ausbildungslager von Kiel-Russee (Arbeitserziehungslager Nordmark). Es war ein Vernichtungslager. Täglich verhungerten Menschen, wurden erschossen oder durch Spritzen getötet, und täglich kamen die Bombenangriffe dazu, denen wir auch dort schutzlos ausgeliefert waren. Unzureichende Zuteilung von Lebensmitteln, Ungeziefer überall, Holzbetten ohne Auflagen, keine Decken oder Laken. Gleich in den ersten Tagen verhungerten die ersten unserer Gruppe. Wir wären alle in den nächsten Wochen gestorben, aber ein Wunder passierte: das Schwedische Rote Kreuz kam und rettete uns aus der Hölle.
Nun sind wir wieder frei. Während der letzten vier Wochen wurden wir sehr gut behandelt. Wir haben sogar angefangen, uns auch körperlich wieder zu erholen. Aber wie sieht unsere Zukunft aus? Wir sind Deutsche und staatenlos. Für uns ältere Leute sehe ich keine Zukunft."
An das Ehepaar Voosen und Tochter Matel sollen Stolpersteine in Gelsenkirchen erinnern, wir suchen zur Finanzierung der kleinen Denkmale noch Stolperstein-Pat:innen.
Gelsenkirchen-Erle: Folterkeller unter dem SA-Sturmlokal Terboven
Andreas Jordan | 6. September 2022 | Gelsenzentrum
Sturmabteilung (SA) - Parteiarmee der NSDAP
Die nationalsozialistische Bewegung unterhielt seit 1920 einen Ordnerdienst zur gewaltsamen Auseinandersetzung mit politischen Gegnern bei Saal- und Straßenschlachten. Aus bewährten Mitgliedern dieses Schlägertrupps entstand im November 1921 die braun uniformierte "Sturmabteilung" (SA). Bis zu ihrem vorübergehenden Verbot nach dem gescheiterten Hitler-Putsch vom 9. November 1923 wurde die SA von rechtsradikalen Offizieren der Freikorps ausgebildet. Während des "Ruhrkampfes" wurde sie von der Reichswehr in die Landesverteidigung einbezogen.
Ab 1925 wurde die SA wieder aufgebaut und diente der NSDAP als Anlauf- und Sammelpunkt der verarmten und entwurzelten Massen, insbesondere für Jugendliche und junge Erwachsene. Sie widmete sich der "Eroberung der Straße" durch Terror. In der Endzeit der Weimarer Republik trug sie zum allgemeinen Klima der Angst und Unsicherheit bei, so dass sich Hitler erfolgreich als Garant der alten Ordnung darstellen konnte.
Nach der Machtübernahme wurde die SA als Hilfspolizei eingesetzt. Sie entfesselte dabei eine Welle blutigen Terrors gegen politische Gegner und unterhielt eigene Gefängnisse und Konzentrationslager. Auch an gewaltsamen antijüdischen Aktivitäten war sie beteiligt. Allerdings wurde die SA, die mehr als vier Millionen Mitglieder zählte, der Führung der NSDAP und konkurrierenden Machtgruppen wie Wehrmacht und SS bald zu mächtig.
1934 wurde ein angeblicher Staatstreich ihrer Führung ("Röhm-Putsch") blutig niedergeschlagen und die SA weitgehend entmachtet. Fortan diente sie vor allem der vormilitärischen Ausbildung von Jugendlichen und veranstaltete Sammlungen. Eine vorübergehende Rückkehr zu ihrer alten terroristischen Aufgabe war ihre Teilnahme am Novemberpogrom von 1938. Gegen Ende des 2. Weltkrieges diente die SA als Reserve bei der Bildung des "Volkssturms". (Vgl.: http://www.museenkoeln.de/ )
Mitten in vielen Städten richteten die Nazis bereits kurz nach der Machtübergabe 1933 Folterstätten ein. Denn ihre Gegner - wie auch die, die es werden konnten - sollten genau wissen, was ihnen drohte. Der frühe nationalsozialistische Terror sollte vor aller Augen stattfinden, so auch in Gelsenkirchen.
So folterten die braunen Barbaren nicht nur im berüchtigten "Zimmer 71" im Buerschen Rathaus politsch missliebige Personen, sondern Menschen wurden auch an weiteren Orten, Behörden u. Dienststellen gequält und misshandelt: So auch im Keller der von der SA als so genanntes "Sturmlokal" gewählten Gaststätte Terboven an der Cranger Straße 206. In diesem Folterkeller malträtierten SA-Terrorknechte im Herbst des Jahres 1933 mehr als einhundertvierzig politische Gegner (vornehmlich Kommunisten), um so u.a. an Geständnisse bzw. Informationen zu gelangen. 1947 wurden die Haupttäter in einem Strafprozess zu Gefängnisstrafen verurteilt: Fünf Jahre für Erich Pukrop, dreieinhalb Jahre für Wilhelm Pukrop, eineinhalb Jahre für Wilhelm Badorrek, ein Jahr drei Monate für Heinrich Engel und sechs Monate für Josef Kempowski, zwölf weitere beschuldigte SA-Aktivisten wurden freigesprochen.
Abb.: Der Eintrag in der Stadtchronik Gelsenkirchen verweist auf den so genannten "Pukrop-Prozess" im Jahr 1947 (Foto: Stadtchronik Geslenkirchen, ISG).
Netto ‘Vereinsspende’ 2022: Jetzt für Gelsenzentrum e.V. ‘aufrunden’ oder ‘Pfand spenden’
Redaktion | 5. September 2022 | Gelsenzentrum
Schon gesehen? In den Netto-Filialen in Gelsenkirchen-Horst (Strundenstraße 4 und Fischerstraße 86A) kann ab heute 05.09 bis 03.12.2022 für unseren Verein Gelsenzentrum e.V. gespendet werden. Runde einfach den Betrag an der Kasse auf oder spende direkt am Leergutautomat per Knopfdruck deinen Pfandbon.
Die an den folgenden Tagen eingegangen Spendengelder werden durch Netto für jeden Spendenpartner verdoppelt: Montag 19.09., Samstag 15.10. u. Freitag 04.11.
Ein kleiner Betrag für dich – eine große Hilfe für unseren Verein.
Mit seiner regionalen Spendenaktion „Bring dich ein für deinen Verein“ ermöglicht der Netto Marken-Discount seinen Kundinnen und Kunden Vereine aus ihrer Umgebung bei jedem Einkauf zu unterstützen. Insgesamt nehmen mehr als 1500 Vereine an der Netto-Spendenaktion teil. Im sechswöchigen Aktionszeitraum erhalten die ausgewählten Vereine die Kundenspenden der nächstgelegenen Filiale(n).
Rathaus Buer: Stadt will Text der Erinnerungsortetafel aktualisieren
Andreas Jordan | 2. September 2022 | Gelsenzentrum
Jüngst hatten wir auf die damalige SA-Folterstätte im Rathaus Buer hingewiesen und die Errichtung eines entsprechenden Gedenk- und Erinnerungsortes angeregt. Auf der Sitzung der Bezirksvertretung Gelsenkirchen-Nord am 1. September 2022 im Rathaus Buer wurde den Lokalpolitiker*Innen vom Leiter des Instituts für Stadtgeschichte dieses dunles Kapitel der Gelsenkirchener Stadtgeschichte erläutert. Entsprechend bestürzt und betroffen zeigten sich die meisten Teilnehmer*innen der Sitzung. Die Stadt Gelsenkirchen will nun die bereits am Rathaus Buer angebrachte Infotafel entsprechend ergänzen und aktualisieren. Auch die Lokalpresse griff das Thema auf: Dunkles Kapitel in der Geschichte des Buerschen Rathauses
Beginn des Zweiten Weltkriegs - Deutscher Überfall auf Polen am 1. September 1939
Mit dem Bombenangriff auf Wieluń und dem Beschuss polnischer Befestigungen auf der Westerplatte am 01.09.1939 startete der Überfall der deutschen Wehrmacht auf Polen. Damit begann der sechs Jahre dauernde Zweite Weltkrieg, der schätzungsweise zwischen 60 und 80 Millionen Todesopfer forderte.
Reichskanzler Adolf Hitler gab den Angriff auf Polen als Verteidigungsaktion aus. Angeblich hätten polnische Soldaten den Rundfunksender Gleiwitz, im heutigen Gliwice, überfallen. Tatsächlich hatte die SS (Schutzstaffel) den Vorfall inszeniert. Frankreich und Großbritannien forderten den Rückzug der deutschen Soldaten aus Polen innerhalb von zwei Tagen. Hitler ließ das Ultimatum verstreichen. Der deutsche "Blitzkrieg" zwang Polen innerhalb von vier Wochen in die Knie. Es war der Beginn eines weitaus größeren, barbarischen Krieges, der bald weite Teile der Welt ergriff und der unfassbares Leid über die Menschen bringen sollte. In Deutschland wird der 1. September alljährlich als „Antikriegstag“ begangen.
Zimmer 71: Die NS-Folterstätte im Rathaus Buer
Andreas Jordan | 26. August 2022 | Gelsenzentrum
In Zeiten des Terrors, wenn es den Herrschenden darum geht, ein Klima von Bedrohung und Willkür zu erzeugen, sind perverse Gewalttäter wie beispielsweise Hugo König aus Gelsenkirchen-Buer gradezu gefragt: jener Typus, der zunächst in der SA (Sturmabteilung, Parteiarmee der NSDAP) eine Heimat fand, in deren Uniform er ungestraft politisch missliebige Mitbürger zusammenschlagen und quälen konnte.
Der verurteilte Haupttäter Hugo König aus Buer nennt im gegen ihn 1947 geführten Strafprozess wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit pp. die 'offizielle' Bezeichnung der Gelsenkirchener Folterstätte während seiner "Tätigkeit" dort : "Exekutivstelle der SA, Buer - Rathaus, Zimmer 71" (SA-Sturmbann III u. IV). Wie uns das Institut für Stadtgeschichte Gelsenkirchen (ISG) jüngst auf Nachfrage mitteilte, befinden sich im Stadtarchiv keinerlei weitere Unterlagen bzw. Informationen zu dieser Folterstätte und den damit verbundenen Ereignissen im Zimmer 71.
Gleichwohl dürfte auch diese Folterstätte im Rathaus Buer seinerzeit in weiten Teilen der Bevölkerung bekannt gewesen sein, nicht zuletzt durch wieder entlassene Opfer, die über ihre 'Behandlung' dort zwar nichts erzählen durften, es aber vermutlich trotzdem im Familien- und Freundeskreis taten. Auch die sichtbaren Verletzungen, die viele der zumeist willkürlich Verhafteten davontrugen, sprachen für sich. Gerade auf die Angst vieler Menschen vor Verfolgung, Inhaftierung und Misshandlung zielte die Strategie der Nationalsozialisten ab, die ihre Gegner und deren Familien und Freunde einschüchtern wollten, um die eigene herrschende Position weiter zu festigen und Widerstand zu beseitigen.
Die Bezirksvertretung Gelsenkirchen-Nord will die historischen Bedeutung der Folterstätte Zimmer 71 auf der nächsten Sitzung am 1. September 2022 erörtern. Hintergund ist die von uns angeregte Errichtung eines entsprechenden Erinnerungs- bzw. Lernortes.
Quelle Zeitungsartikel: Westfälische Rundschau vom 14. Juni 1947, in "Gelsenkirchen im Nationalsozialismus: Katalog zur Dauerausstellung der Dokumentationsstätte Gelsenkirchen (Schriftenreihe des Instituts für Stadtgeschichte (ISG) - Materialien, Bd.12), 1. Auflage, August 2017, S. 248"
Die Namen folgender, im Rathaus Gelsenkirchen-Buer im Jahr 1933 von SA und SS-Angehörigen im Zimmer 71 gequälten und misshandelten politisch Andersdenkenden und Regimegegner sind bekannt:
1. Fall Willi Ruschinski
Der Zeuge Ruschinski wurde im Sommer 1933 von der Gestapo mit einem Brief zum Zimmer 71 geschickt. Dort wurde er über einen Tisch geworfen und, nachdem man ihm einen Mantel über den Kopf geworfen hatte, von 5 Personen, unter denen sich der Angeschuldigte König befand, bis zur Besinnungslosigeit mit Gummiknüppeln geschlagen.
2. Fall Gustav Wiechert
Der Zeuge Wiechert wurde am 23.11.1933 von drei SA-Männern aus seiner Wohnung geholt und zum Zimmer 71, von dort zum Polizeigefängnis gebracht. Hier wurde er von mehreren Personen über einen Tisch geworfen und so mit Gummiknüppeln zugerichtet, das er 14 Tage nur auf dem Bauch liegen konnte. Der Angeschuldigte König hat sich an der Misshandlung beteiligt.
3. Fall Paul Fischer
Der Zeuge Fischer wurde am 3.11.1933 zu einer Vernehmung auf Zimmer 71 bestellt. Da er die Beschuldigungen abstritt, wurde er von mehreren Personen aber einen Tisch geworfen und mit Gummiknüppeln besinnnungslos geschlagen. Als er nach einem Wasserguss wieder zu sich kam, begann die Misshandlung in derselben Weise von neuem. Der Angeschuldigte König war daran massgeblich beteiligt.
4. Fall Rudolf Puls
Der Zeuge Puls wurde am 3.11.1933 von zwei SA-Männern festgenommen und zum Zimer 71 gebracht. Hier befanden sich etwa sechs Personen, darunter der Angeschuldigte Hugo König. Da der Zeuge gegen seine Festnahne protestierte, wurde er wie in den Fällen 1-3 besinnungslos geschlagen.
5. Fall Hermann Drechsel
Der Zeuge Drechsel wurde Mitte Oktober 1933 von drei SA-Männern festgenommen und zum Zimmer 71 gebracht, wo er Angaben über kommunistische Funktionäre machen sollte. Da er sich weigerte, wurde er in Abständen zwei Stunden lang in der geschilderten Weise mit Totschlägern und Gummiküppeln misshandelt. Der Hauptbeteiligte war der Angeschuldigte.
6. Fall Franz Lech
Anfang Oktober 1933 drang der Angeschuldigte mit drei SA-Männern in die Wohnung des Zeugen Lech ein und durchsuchten sie nach Waffen und Schriften. Einer der SA-Männer versetzte dem Zeugen mit einem Gummiküppel vier Schläge über Kopf und Schulter.
7. Fall Gustav Siebert
Anfang Oktober 1933 durchsuchte der Angeschuldigte mit drei SS-Männern die Wohnung des Zeugen Siebert nach Schusswaffen. Hierbei wurde dieser von allen vieren mit Gummiknüppeln besinngslos geschlagen.
8. Fall Wilhelm Kolozeizick
Der Zeuge Kolozeizick wurde Ende Oktober 1933 aus seiner Wohnung geholt und zum Zimmer 71 gebracht. Da er keine Aussage machte, wurde er mit Gummiknüppeln bis zur Bewusstlosigkeit geschlagen An der Misshandlung hat sich der Angeschuldigte Hugo König beteiligt.
9. Fall Johann Balzer
Nach dem Reichtagsbrand 1933 wurde der Zeuge Balzer von der Gestapo in Buer vernommen. Da er Fragen nicht beantwortete, wurde er von dem Angeschuldigten König und zwei SA-Männern mit Gummiknüppeln niedergeschlagen.
10. Fall Eduard Schuler
Der Zeuge wurde Anfang Oktober 1933 aus seiner Wohnung geholt und zur Vernehmung zum Zimmer 71 gebracht. Als er keine Aussage machte, wurde er mit Gummiknüppeln geschlagen. Während der Misshandlung kam der Angeschuldigte Hugo König ins Zimmer und beteiligte sich daran.
11. Fall Otto Hellwig
Der Zeuge Hellwig wurde im März oder April 1934 von dem Angeschuldigten und mehreren SA-Männern aus dem Bett geholt und zur Vernehmung zum Hotel Würzburger Hofbräu* gebracht. Hier wurde er über einen Bock gelegt und mit Gummiknüppeln misshandelt. Der Angeschuldigte König hat sich hierbei besonders hervorgetan.
Die vorstehende Auflistung der Fälle ist zu finden in: LAV NRW, Abt. Rheinland, Rep. 0105 Nr. 262 ./. Kaufmann Hugo König aus Gelsenkirchen-Buer wegen Misshandlung von Kommunisten, Aktenzeichen: 29 KLs 5/47
* Im Fall von Otto Hellwig weicht der Tatort ab, Hellwig wurde nach eigenen Angaben von der SA im Hotel Monopol, Springestraße in Gelsenkirchen-Buer (Würzburger Hofbräu) gefoltert.)
Vgl. auch: Website der Stolpersteine Gelsenkirchen, 'Die Dabeigewesenen': Hugo König
2. August: Europäischer Holocaust-Gedenktag für Sinti und Roma
Andreas Jordan | 2. August 2022 | Gelsenzentrum
Die Nacht vom 2. auf den 3. August 1944 wurde zum "entsetzlichen Höhepunkt" der rassistischen Verfolgung von Sinti und Roma. Die SS löst das so ganannte "Familienlager" im deutschen Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau auf und trieb 4300 schreiende und weinende Menschen in den Tod, ein Schreckenstag des Völkermords an Sinti und Roma, dem Porajmos. Seit 2015 wird am 2. August der rund 500.000 Sinti und Roma gedacht, die dem Völkermord in der NS-Zeit zum Opfer fielen. Zugleich sind diese unfassbaren Verbrechen eine Mahnung, sich dem heute wieder verstärkt um sich greifenden Antiziganismus entschlossen entgegenzustellen.
Den unter nationalsozialistischer Terrorherrschaft aus Gelsenkirchen deportierten und in den Vernichtungslagern ermordeten Sinti, Lovara und Roma gewidmet: Digitales Gedenkbuch Gelsenkirchen, Teil II
80. Jahrestag der Deportation von Gelsenkirchen nach KZ Theresienstadt
Andreas Jordan | 28. Juli 2022 | Gelsenzentrum Gelsenkirchen
Die Deportationsliste nennt 44 Namen von überwiegend alten bzw. kriegsversehrten jüdischen Menschen mit Lebensmittelpunkt in Gelsenkirchen, die am 31. Juli 1942 von Gelsenkirchen über Münster in das KZ Theresienstadt deportiert wurden. Von den aus Gelsenkirchen mit diesem Transport deportierten Menschen erlebten nur vier Personen ihre Befreiung.
Ein Deportationszug der Reichsbahn fuhr am 31. Juli 1942 ab Gelsenkirchen, sein Zielort: das KZ Theresienstadt (heute: Terezin/Tschechische Republik) in Nordböhmen. An den Haltepunkten in verschiedenen Städten wurden auf dem Weg weitere Menschen in den Zug gezwungen. Insgesamt befanden sich schließlich 901 Menschen jüdischer Herkunft in dem Transportzug XI/1, der am 1. August 1942 das KZ Theresienstadt erreichte. Von diesen 901 Menschen sind 835 umgekommen, viele starben bereits im KZ Theresienstadt in Folge der unmenschlichen Haftbedingungen. Die verbliebenen wurden mit Folgetransporten in die deutschen Vernichtungslager Treblinka, Auschwitz und Malý Trostinec verschleppt und dort ermordet. Mehr erfahren.
Zum Tod von Gabriela Schwartz Heilbraun
Andreas Jordan | 21. Juli 2022 | Gelsenzentrum Gelsenkirchen
Abb.: Gabriela Schwartz Heilbraun sel. A.
Zu Hause, umgeben von Liebe und Zuneigung, ist Gabriela "Gitta" Schwartz Heilbraun in den frühen Morgenstunden des Mittwochs, 20.7. auf natürliche und schmerzlose Weise von uns gegangen. Gitta lebte seit mehr als 50 Jahren in Brasilien. Ihr Leben war geprägt von Kampf, Widerstandskraft und Überwindung und zeugte von einem unerschütterlichen Charakter und einer Willenskraft, die Generationen inspirierte.
Gabriela Schwartz Heilbraun, genannt Gitta wurde am 2. März 1928 in Satu Mare an der Grenze zu Ungarn geboren. Im Mai 1944 wurde sie mit ihrer Familie in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert. Dort wurde ihr die Gefangennummer 12647 als Zeichen der Entmenschlichung auf den Unterarm tätowiert. Zunächst von Auschwitz nach Gelsenkirchen zur Ableistung von Zwangsarbeit im KZ-Außenlager in Horst (Gelsenberg Benzin AG) verschleppt, führte ihr weiterer Leidensweg in das KZ-Außenlager Sömmerda und von dort auf einen der "Todesmärsche".
Im Fall von Gitta Schwartz Heilbraun war es ein Todesmarsch in Richtung ehemalige Tschechoslowakei, 30 Kilometer am Tag, mit Schnee bis zu den Knien, Hunger, Schwäche, Krankheit und endlos scheinendes Morden. Wer nicht mehr weiter konnte, wurde von der SS erschoßen. "Die Leute schliefen in Scheunen, weil wir die Tschechen als Verbündete hatten", sagt Gitta. "Eines Tages, als wir die Türen öffneten, sahen wir die russischen Soldaten, die kamen, um uns zu befreien."
Gitta, sei dir sicher, dein Andenken wird bei all denen weiterleben, die dich verzaubert, mit dir gelernt und gelebt haben. Immerhin es wird immer welche geben, die in der Dunkelheit leuchten.
NS-Zeit: Folterstätte im Rathaus Buer
Andreas Jordan | 6.Juli 2022 | Gelsenzentrum Gelsenkirchen
Nach der Machtübertragung an Adolf Hitler und der Machtergreifung der Nazis entstanden in Deutschland frühe Folterstätten und Konzentrationslager. Eine solche Folterstätte wurde 1933 im Rathaus Gelsenkirchen-Buer eingerichtet.
Es war das berüchtigte Zimmer 71, von SS und SA zur Folterung und Erpressung von Geständnissen politischer
Gegner genutzt. Ein kahles Zimmer mit einem Tisch, darauf eine Schreibmaschine, vor dem Tisch ein Prügelbock, und an der Wand hängend Gummischläuche aller Größen waren der Schauplatz unzähliger Quälereien. Ein nach dem Krieg angeklagter Täter sagte im gegen ihn geführten Prozess aus: "Die Prügelei ging am laufenden Band" und "es wurde ziemlich fest geschlagen".
Die Anklage legte ihm zur Last, im Jahre 1933 in mindestens 11 Fällen politische Gegner unmenschlich misshandelt und geschlagen zu haben. 11 Zeugen, die noch 1947 an den Folgen dieser Mißhandlungen litten, belasteten den Angeklagten erheblich. Der ehemalige SS-Mann wurde schließlich wegen schwerer Körperverletzung in 6 Fällen; §§ 223 und 223a StGB, in Verbindung mit Gesetz Nr. 10 des Alliierten Kontrollrates in Deutschland (Verbrechen gegen den Frieden oder die Menschlichkeit) zu dreieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt.
Abb.: Das Rathaus in Gelsenkirchen-Buer, um 1944. Im Gebäude befand sich eine NS-Folterstätte.
Folterstätte der Nazis nicht erinnerungswürdig?
Der Turm des Buerer Rathauses wird seit mehr als 15 Jahren alljährlich am 30. November anlässlich des Aktionstages „Cities for Life” in grünes Licht getaucht, ein weithin sichtbares Zeichen für den Respekt des Lebens und der Menschenwürde - gegen Todesstrafe und Folter. Die am Rathaus im Rahmen des Projektes "Erinnerungsorte" angebrachte Tafel hingegen thematisiert die Existenz der Folterstätte nicht, lediglich ein Satz streift die 12 Jahre währende Zeit des NS-Terrorregimes: "1933 zerstörten hier die Nationalsozialisten die kommunale Stadtverwaltung." Es ist höchste Zeit, an diesen Gelsenkirchener Tatort von Naziverbrechen beispielsweise mit einer passend gestalteten Infotafel zu erinnern.
Sozialwerk St. Georg: Gebäude in Gelsenkirchen nach Jürgen Sommerfeld benannt
Andreas Jordan | 1.Juli 2022 | Gelsenzentrum Gelsenkirchen
Abb.: Das Namensschild am ‚Neubau‘ wurde am Mittwoch feierlich enthüllt. Adrian van Eyk (Geschäftsführung Sozialwerk St. Georg) und Familie Sommerfeld.
Das Sozialwerk St. Georg an der Gelsenkirchener Emscherstraße hatte zur offiziellen, feierlichen Namensgebung eingeladen. Der bisher namenlose Werkstatt-Neubau trägt jetzt einen Namen: Manufaktur Jürgen Sommerfeld. Im Rahmen einer offiziellen Feier wurde am Mittwoch die Namenstafel am Werkstattgebäude enthüllt.
Jürgen Sommerfeld war ein Kind mit Behinderung aus Gelsenkirchen, das zur Zeit des Nationalsozialismus der Euthanasie zum Opfer gefallen ist. Jürgen Sommerfeld durfte nicht leben, ohne jeden moralischen Skrupel wurde der kleine Junge im Rahmen der so genannten „Kindereuthanasie“ vom NS-Gewaltregime ‚gestorben‘. Er war gerade zweieinhalb Jahre alt, als er als Kind mit Behinderung am 20. Juli 1943 in die so genannte „Kinderfachabteilung“ der Provinzialheilanstalt Aplerbeck in Dortmund aufgenommen wurde. Am 9. August 1943 ist das Kind tot, gestorben angeblich an „Kreislaufschwäche“, so steht es auf dem Totenschein. Der Vater machte sich daraufhin mit einem Pferdefuhrwerk auf den Weg nach Dortmund-Aplerbeck und holte den Leichnam ab. Jürgen Sommerfeld wurde in Gelsenkirchen-Schalke auf dem evangelischen Friedhof „Am Rosenhügel“ beigesetzt.
Seit dem 11. Juni erinnert in Gelsenkirchen bereits ein Stolperstein an Jürgen Sommerfeld. Der als gemeinnützig anerkannte Gelsenkirchener Geschichtsverein Gelsenzentrum e.V. hatte sich im Vorfeld in Absprache mit Angehörigen der Familie Sommerfeld auf den Verlegort Emscherstr. 41 vor dem Sozialwerk St. Georg verständigt, da Jürgen Sommerfeld neben einem Stolperstein dort weitere ehrende Erinnerung erfahren sollte.
Schon seit 2016 plante das Sozialwerk St. Georg, den Neubau, in dem Menschen mit Schwerstmehrfachbehinderung arbeiten, stellvertretend nach einem Menschen zu benennen, der während des Nationalsozialismus der so genannten ‚Euthanasie‘ zum Opfer gefallen ist. So konnten wir im Frühjahr diesen Jahres dem Sozialwerk Jürgen Sommerfeld als Namensgeber vorschlagen und den Kontakt zu Angehörigen herstellen. Familie Sommerfeld war einverstanden, so stand der Namensgebung nichts im Weg. Der Gebäudename ‚Manufaktur Jürgen Sommerfeld‘ in Gelsenkirchen erinnert stellvertretend an alle Menschen mit Behinderungen, die während des Nationalsozialismus den staatlich angeordneten Patientenmorden („Euthanasie“) zum Opfer gefallen sind.
Abb.: Heilerziehungspfleger Oliver Kolpatzik, Marcel Jähner und Christa Sommerfeld enthüllten am Mittwoch (29.6.) die Namenstafel am Werkstattgebäude. Marcel Jähner ist ein Mensch mit hohem Assistenzbedarf – er arbeitet in dem Werkstattgebäude, das in Gelsenkirchen nun an Jürgen Sommerfeld erinnert.
Gelsenkirchen: Andreas Jordan - Botschafter Stolpersteine NRW
Redaktion | 22. Juni 2022 | Gelsenzentrum Gelsenkirchen
Etwa 15.000 Stolpersteine gibt es in NRW. Einer davon liegt in Gelsenkirchen und erinnert an das 1933 geborene Sinti-Mädchen Rosa Böhmer. Rosa ist 1942 von den Nazis ermordet worden. Die WDR-App "Stolpersteine NRW" hilft, die Erinnerung an sie und ihre Familie aufrecht zu erhalten. Unterstützt wird die Botschafter*innen-Kampagne des WDR auch von Andreas Jordan, langjähriger Projektleiter der Stolperstein-Initiative in Gelsenkirchen.
Die neue, innovative App „Stolpersteine NRW – Gegen das Vergessen“ des WDR macht auch die derzeit mehr als 280 Schicksale hinter den Gelsenkirchener Stolpersteinen digital erlebbar. Die App ist für die beiden Plattformen iOS und Android kostenlos verfügbar und kann dann auf dem üblichen Weg über die so genannten “Stores” heruntergeladen werden. Eine Version für den Desktop-Browser ist ebenfalls nutzbar. Mehr über Rosa Böhmer und ihre Familie erfahren
Blitzaktion von Jehovas Zeugen durch einen „Offenen Brief“ vor 85 Jahren
Andreas Jordan | 20. Juni 2022 | Gelsenzentrum Gelsenkirchen
Eine Opfergruppe des Nationalsozialismus, welche wenig in der öffentlichen Wahrnehmung vorkommen, sind die als "Bibelforscher" verfolgten Zeugen Jehovas.
Am 20. Juni 2022 jährt sich das Datum einer konzertierten reichsweiten Protestaktion von Jehovas Zeugen gegen das damalige NS-Regime zum 85. Mal. Bei dieser Kampagne im Jahr 1937 wurden an einem Tag Zehntausende von Exemplaren des sogenannten „Offenen Briefes“ in ganz Deutschland verteilt. Darin beschrieben Jehovas Zeugen deutlich die brutalen Verfolgungspraktiken der Nationalsozialisten – unter genauer Nennung von Namen und Orten – sowie die grausamen Zustände in den Gefängnissen, Zuchthäusern und Konzentrationslagern.
Abb.: Heinrich Dickmann und seine Frau Änne (Foto: Jehovas Zeugen, Archiv Zentraleuropa)
Zur Zeit des Nationalsozialismus gab es in Deutschland und den von den Nationalsozialisten besetzten Gebieten etwa 35.000 Zeugen Jehovas. Während des NS-Regimes wurden viele Angehörige dieser Religionsgemeinschaft, die u. a. den „Deutschen Gruß“ und den Wehrdienst verweigerten, inhaftiert und in Konzentrationslager deportiert. Ein Beispiel dafür ist der Zeuge Jehovas Heinrich Dickmann aus Dinslaken. Bereits 1935 wurde er wegen Verweigerung des Hitlergrußes verhaftet. Nach seiner Freilassung organisierte Dickmann die Verteilung des „Offenen Briefes“ in seiner Heimat und wurde dafür zehn Tage später wieder verhaftet. Zwischen 1939 und 1945 war Dickmann in den Konzentrationslagern Sachsenhausen, Niederhagen (Wewelsburg), Buchenwald und Ravensbrück inhaftiert. Er überlebte, musste jedoch mitansehen, wie sein Bruder August im September 1939 im KZ Sachsenhausen als erster Kriegsdienstverweigerer öffentlich hingerichtet wurde. Insgesamt kamen etwa 1.600 Zeugen Jehovas bei der NS-Verfolgung ums Leben.
Mit der Aufklärung über den verbrecherischen Charakter des NS-Staats durch diese und andere Flugblattaktionen habe sich die Glaubensgemeinschaft auch über die Verteidigung ihrer Interessen hinaus gegen das Unrechtregime engagiert, äußerte der Antisemitismusforscher Professor Dr. Wolfgang Benz. Historiker:innen sprechen von Mut, Haltung und Zivilcourage, die Jehovas Zeugen mit ihren Flugblattaktionen bewiesen haben. Die Historikerin Dr. Elke Imberger bezeichnete die Flugblattaktion vom 20. Juni 1937 auch aufgrund ihrer deutschlandweiten Umsetzung an einem Tag als „spektakulär“: „Während der ganzen NS-Zeit gab es in Deutschland keine andere Widerstandsorganisation, die eine vergleichbare Initiative durchführte.“ Die Historikerin Sabine Schalm erklärte in einem Radiointerview, dass sie die Flugblattaktion und auch das Thema Widerstand von Jehovas Zeugen im Nationalsozialismus heute für ein wichtiges Thema halte. Mit einem neuen Mahnmal will die Bundesregierung künftig an die NS-Opfer unter den Zeugen Jehovas erinnern.
In Russland wiederholt sich aktuell unterdessen teilweise die Geschichte nach dem Motto „Vorwärts in die Vergangenheit!“. Kurz vor dem Verbot der Religionsgemeinschaft dort wandten sich Jehovas Zeugen aus der ganzen Welt im Frühjahr 2017 in einer Briefaktion an die russische Regierung. Seitdem informieren Jehovas Zeugen die Öffentlichkeit regelmäßig über die Missachtung grundlegender Menschenrechte in Russland – durch Pressemitteilungen und durch Berichte auf ihrer offiziellen in über 1.000 Sprachen verfügbaren Website.
Auch in Gelsenkirchen wurden Menschen aufgrund Ihrer Zugehörigkeit zu den Zeugen Jehovas angeklagt, verurteilt und oftmals nach Verbüßung der verhängten Strafe in so genannte "Schutzhaft" genommen. Einige starben dort, andere wurden zum Tode verurteilt und hingerichtet. In Gelsenkirchen erinnern vier Stolpersteine an in der NS-Zeit verfolgte Menschen, die der Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas angehörten.
Stolperstein und Stele: Ehrendes Gedenken für Jürgen Sommerfeld
Andreas Jordan | 13. Juni 2022 | Gelsenzentrum Gelsenkirchen
Jürgen Sommerfeld durfte nicht leben, ohne jeden moralischen Skrupel wurde der kleine Junge im Rahmen der so genannten "Kindereuthanasie" vom NS-Gewaltregime 'gestorben'. Er war gerade zweieinhalb Jahre alt, als er als Kind mit Behinderung am 20. Juli 1943 in die so genannte "Kinderfachabteilung" der Provinzialheilanstalt Aplerbeck in Dortmund aufgenommen wurde. Am 9. August 1943 ist das Kind tot, gestorben angeblich an "Kreislaufschwäche", so steht es auf dem Totenschein.
Jetzt erinnert in Gelsenkirchen ein Stolperstein an Jürgen Sommerfeld. Gleichwohl hatten wir uns im Vorfeld in Absprache mit Angehörigen auf den Verlegort Emscherstr. 41 vor dem Sozialwerk St. Georg verständigt, da Jürgen Sommerfeld neben einem Stolperstein eine weitere ehrende Erinnerung erfahren sollte : Schon länger plante das Sozialwerk, ein Gebäude stellvertretend nach einem Menschen zu benennen, der während des Nationalsozialismus der so genannten 'Euthanasie' zum Opfer gefallen ist. So konnten wir im Frühjahr diesen Jahres Jürgen Sommerfeld vorschlagen und den Kontakt zu Angehörigen herstellen. Im Zuge der Stolpersteinverlegung am Samstag wurde am Verlegeort auch eine Gedenkstele enthüllt, die offizielle Benennung des Gebäudes findet Ende Juni statt.
Erinnerungskultur: 18 weitere Stolpersteine werden in Gelsenkirchen verlegt
Pressemitteilung | 29. Mai 2022 | Gelsenzentrum Gelsenkirchen
Bildhauer Gunter Demnig kommt am Samstag, 11. Juni 2022 nach Gelsenkirchen, um hier gemeinsam mit Gästen, einer Schüler*:innengruppe der Gesamtschule Berger Feld sowie weiteren Stolpersteinpat *innen ab 14.30 Uhr an mehreren Orten im Stadtgebiet weitere Stolpersteine zu verlegen. Damit werden Lebens- und Leidenswege von Menschen greifbar, die zwischen 1933-1945 aus rassistischen Motiven ermordet, ausgegrenzt oder vertrieben wurden. Sie können ebenso an überlebende Verfolgte erinnern. Demnigs Stolpersteine machen uns bewusst, wohin jede menschenverachtende rassistische Ideologie und Ausgrenzung führen kann. Inzwischen gibt es Stolpersteine in mehr als 25 europäischen Ländern. Allein in Deutschland wurden nach Angaben des Initiators Demnig etwa 90.000 dieser Gedenksteine im Boden verlegt. Im Gelsenkirchener Stadtgebiet wurden seit 2009 zufolge der hiesigen Projektgruppe Stolpersteine (Gelsenzentrum e.V.) bisher 265 Stolpersteine verlegt, insgesamt 18 neue kommen nun Dank des Engagements vieler Menschen hinzu.
Bei dem Projekt „Stolpersteine“ handelt es sich um ein Kunstprojekt für Europa von Bildhauer Gunter Demnig, das die Erinnerung an Opfer der Nationalsozialisten lebendig erhält. Dazu gehören Menschen, die in der NS-Zeit stigmatisiert, verfolgt, deportiert, ermordet oder in die Flucht bzw. den Suizid getrieben wurden. Stolpersteine sind 10 x 10 x 10 cm große Betonquader, in deren Oberläche eine Messingplatte verankert ist. Auf diese Oberfläche werden mit Schlagbuchstaben die Namen und Daten von Menschen eingeprägt, die während der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt und zumeist ermordet wurden. Das Besondere an diesem Projekt ist, dass diese kleinen Erinnerungsmale genau an den Orten verlegt werden, an denen die Menschen vor ihrer Flucht oder Verhaftung freiwillig lebten. Damit wird individuell an Verfolgte erinnert, doch es werden gleichwohl auch Fragen nach der Täter- und Mittäterschaft aufgeworfen, indem der Ausgangspunkt der nationalsozialistischen Verfolgung an den ehemaligen Wohnorten deutlich markiert wird.
"Bei den Patinnen und Paten der einzelnen Stolpersteine möchten wir uns herzlich dafür bedanken, dass sie mit ihren Spenden einen mutigen Beitrag zur Sichtbarmachung des düstersten Kapitel unserer Stadtgeschichte geleistet haben". sagt Andreas Jordan, der mit seinem Team die Recherchen und Verlegungen von Stolpersteinen in Gelsenkirchen koordiniert. Wer künftige Stolperstein-Verlegungen finanziell unterstützen möchte, kann an das Konto „Stolpersteine Gelsenkirchen“ bei der Sparkasse Gelsenkirchen mit der IBAN DE79 4205 0001 0132 0159 27 spenden. Der Verwendungszweck ist „Spende Stolpersteine“. Informationen über das Projekt und biografische Skizzen über die Menschen, an die in Gelsenkirchen Stolpersteine erinnern per Mail über a.jordan@gelsenzentrum.de oder im Internet auf www.stolpersteine-gelsenkirchen.de. Interessierte sind herzlich zur Teilnahme an den Stolpersteinverlegungen eingeladen.
(Wir bitten Interessierte, ein Zeitfenster von +/- 20 Minuten zu den genannten Uhrzeiten einzuplanen. Es gelten bei den kleinen Verlegezeremonien die jeweils aktuellen Corona-Richtlinien.)
Die Rahmenveranstaltungen der diesjährigen Stolpersteinverlegungen in Gelsenkirchen werden von der Landesregierung Nordrhein-Westfalen aus dem Förderpogramm "2000 x 1000 € für das Engagement" gefördert.
Redaktion | 20. Mai 2022 | Gelsenzentrum Gelsenkirchen
Mit dem neuen, digitalen Gedenkbuch hat die Mahn- und Gedenkstätte bislang 2633 jüdische Opfer des Holocausts aus Düsseldorf unsterblich gemacht. Das Projekt ist nicht abgeschlossen, sondern geht immer weiter. Mit den Erkenntnissen wird die Zahl der Namen der Männer, Frauen und Kinder wachsen. Im Internet steht seit Mittwoch (18.5.) weit mehr als bloß eine weiter Namensliste des Grauens. Denn für 401 gequälte, widerrechtlich verschleppte und getötete Düsseldorfer*Innen gibt es bereits eine komplette Biographie – einschließlich historischer Fotos und Dokumente. Und Querverweise auf die Düsseldorfer Adressen. Und die Stolpersteine – soweit im Pflaster der Landeshauptstadt als Mahnmal versenkt. Zum Gedenkbuch Düsseldorf
NS-Verbrechen: Gebot der Gerechtigkeit erforderte Verurteilung
Redaktion | 12. Mai 2022 | Gelsenzentrum Gelsenkirchen
Seit 2011 erinnern in Gelsenkirchen zwei Stolpersteine an den Widerständler Erich Lange - der eine am letzten selbstgewählten Wohnort in der Schwanenstraße, ein weiterer am Rundhöfchen, dem Ort seines gewaltsamen Todes in der Gelsenkirchener Altstadt.
Erich Lange war zunächst Mitglied der so genannten Schutzstaffel der NSDAP. Er stellte sich jedoch noch vor der Machtübergabe gegen die Nationalsozialisten, wurde Mitglied der KPD und des "Kampfbundes gegen den Faschismus". In den Augen der Nazis war Erich Lange somit ein "Verräter an der nationalen Sache".
Am 23. März 1933 titelte die Gelsenkirchener Allgemeine Zeitung "Kommunistischer Funktionär erschossen" - das Opfer war Erich Lange. Der Schütze, ein SS-Mann, will in Notwehr geschossen haben. Mehr war bisher über das Verbrechen bisher nicht bekannt, beim Institut für Stadtgeschichte Gelsenkirchen (ISG) fanden sich keine Archivalien zur Person oder dem Schicksal von Erich Lange.
Jüngst stieß Historiker Andreas Jordan (Gelsenzentrum e.V.) bei Recherchen zur Verfolgung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit in NRW zwischen 1946-1949 jedoch auf eine Archivsignatur, die auf ein Strafverfahren vor dem Schwurgericht Essen gegen zwei SS-Angehörige hinwies, die einen ehemaligen Kameraden auf offener Straße in Gelsenkirchen erschossen hatten. Schnell stand fest, das es sich bei den Angeklagten um die Personen handelt, die 1933 Erich Lange getötet hatten. Die nun erfolgte Auswertung der Akte aus dem Bundesarchiv bringt mehr Licht in eines der Verbechen in der frühen Phase der NS-Gewaltherrschaft in Gelsenkirchen.
Während ihrer Zugehörigkeit zur SS hatten die beiden Angeklagten Erich Schneider und Wilhelm Dudek im Sommer 1932 Erich Lange kennengelernt. Lange war ebenfalls Mitglied der SS und gehörte wie die Angeklagten dem selben SS-Sturm an. Lange trat jedoch im November 1932 wieder aus der SS aus und wurde Mitglied der KPD. Das war den Angeklagten bekannt.
In der Nacht vom 21. auf den 22. März 1933 suchten die Angeklagten in SS-Uniform gemeinsam mit anderen SS-Männern die Wirtschaft "Stadtkeller" in der Gelsenkirchener Altstadt auf. Beide trugen eine Pistole. Kurze Zeit später betrat auch Erich Lange das Lokal. Es dauerte nicht lange, da kam es zu einem Wortwechsel zwischen den Angeklagten und Erich Lange, der in eine Schlägerei mündete. Die Angeklagten Schneider und Dudek schlugen mit ihren Koppeln auf Erich Lange ein, bis dieser aus dem Lokal floh. Der Angeklagte Dudek verfolgte ihm mit zwei weiteren uniformierten Männern. Sie holten Erich Lange in Höhe des Hotels "Monopol" in der Nähe der "Hubertusbar" ein und schlugen erneut massiv auf ihn ein, sodass er laut um Hilfe schrie. Als Lange dann loslief, um den Schlägen zu entgehen, gab Dudek aus einer Entfernung von etwa 2-3 Metern drei Schüsse aus der Dienstpistole auf ihn ab. Von Kugeln getroffen fiel Erich Lange zu Boden. Das geschah gegen 5.10 Uhr. Die Verfolger suchten das Weite, ohne sich weiter um Lange zu kümmern.
Als sich kurz nach dem Vorfall der Zeuge Funke dem Tatort näherte, traf er mit mehreren SA-Männern zusammen. Diesen teilte er seine soeben gemachte Beobachtung mit, Lange sei von einem SS oder SA-Mann erschossen worden. Diese entgegneten, das seien keine Uniformierten gewesen. Funke musste mit zur Polizeiwache, dort wurde er von Kriminalkommisar Tenholt vernommen. Funke konnte gegen 8 Uhr gehen, er ist in dieser Angelenheit nicht wieder verhört worden.
Nach dem letzten Schuss erschien der sich auf dem Weg zur Arbeit befindliche Zeuge Pruschinski am Tatort und konnte nur noch - wie zuvor Funke - den Tod des Erich Lange feststellen. Ein auftauchender SS-Mann mit gezogener Pistole forderte den Zeugen mit den Worten "Was ist den hier los, mach das du wegkommst, lass das Schwein liegen" auf, zu verschwinden.
Am nächsten Morgen mussten die beiden Angeklagten zur Sturmbann-Dienststelle kommen. Dudek schilderte den Sachverhalt. Daraufhin ordnete der Leiter der Dienststelle Schulz mit den Worten "Wir müssen die Sache drehen" an, das der Angeklagte Schneider als Hilfsbeamter der Polizei Lange erschossen habe, weil dieser sich seiner Festnahme durch Flucht habe entziehen wollen. Schneider sollte die Tat auf sich nehmen, hatte dann jedoch zunächst Bedenken, das Vernehmungsprotokoll zu unter- schreiben, da er sich einer Tötung bezichtigte. Doch ihm wurde sofort versichert, das es bei dieser einen Vernehmung bleiben werde und er nichts zu befürchten habe.
Vater des Opfers brachte Nachkriegsprozess ins Rollen
Tatsächlich sind dann keine weiteren Ermittlungen getätigt worden, der nun Mitangeklagte Dudek ist seinerzeit nicht verhört worden. Nach dem Krieg wurde auf die Anzeige des Vaters von Erich Lange am 19. Juni 1948 ein Verfahren gegen die mutmaßlichen Täter Dudek und Schneider eingeleitet.
In der Verhandlung stellte das Schwurgericht fest, das sich der Angeklagte Schneider der gefährlichen Körperverletzung, der Angeklagte Dudek der vorsätzlichen Tötung sowie der gefährlichen Körperverletzung schuldig gemacht haben. Obwohl zu diesem Zeitpunkt bereits verjährt, war zu prüfen, ob auf Grund der Verordnung zur Beseitigung nationalsozialisticher Eingriffe in die Strafrechtspflege vom 23. Mai 1947 noch eine Betrafung möglich war. Diese Frage hat das Schwurgericht Essen in der Verhandlung vom 21. September 1949 bejaht, denn dass das Verbrechen der Tötung auch nach 16 Jahren eine Sühne verlangt, erfordere das Gebot der Gerechtigkeit. Schneider wurde erstinstanzlich zu zwei Monaten Gefängnis, Dudek zu vier Jahren Gefängnis verurteilt.
Gegen das Urteil legte Schneiders Rechtsanwalt wie auch die Staatsanwaltschaft Revision ein. Im Januar 1950 ergeht ein Beschluss des I. Strafsenats des Obersten Gerichtshofes für die britische Zone, das Verfahren - soweit es Erich Schneider betrifft - einzustellen. Der Revision Dudeks wird stattgegeben und das Verfahren an das Schwurgericht Essen zurückverwiesen. Im April 1950 wird Wilhelm Dudek erneut vom Schwurgericht des Landgerichts Essen wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit in Tateinheit mit Totschlag und gefährlicher Körperverletzung zu einer Gefängnisstrafe von vier Jahren verurteilt.
8. Mai: Virtuelle Kerzen für NS-Opfer entzünden
Andreas Jordan | 7. Mai 2022 | Gelsenzentrum Gelsenkirchen
Eine neue WDR-App macht die rund 15.000 Schicksale hinter Stolpersteinen in Nordrhein-Westfalen erlebbar. Gezielt können Nutzer:Innen etwa nach Stadt oder Opfergruppe suchen. Zudem kann jedem einzelnen der Opfer durch das virtuelle Anzünden von Kerzen gedacht werden. Eine interaktive Karte zeigt alle derzeitig verlegten Stolpersteine in NRW.
Bei den Stolpersteinen handelt es sich um ein Projekt des Bildhauers Gunter Demnig. Jeder Stein erinnert an einen Menschen, der von der NS-Diktatur verfolgt, ermordet oder in den Suizid getrieben wurde. Dazu werden auch in Gelsenkirchen seit 2009 kleine Messingtafeln in den Boden eingelassen, zu finden sind sie etwa vor früheren Wohnhäusern oder Geschäften von NS-Verfolgten Menschen aller Opfergruppen. Das WDR-Projekt soll nach Angaben des Senders alle rund 15.000 Stolpersteine in NRW auffindbar und digital zugänglich machen, die es mittlerweile gibt. Es richtet sich auch stark an jüngeres Publikum. Mit „Stolpersteine NRW“ macht der Westdeutsche Rundfunk die Lebensgeschichten dieser Menschen digital zugänglich – Die App ist für die beiden Plattformen iOS und Android kostenlos verfügbar und kann dann auf dem üblichen Weg über die so genannten “Stores” heruntergeladen werden, für daheim über den Desktop-Browser
Gelsenkirchen: Straßenbenennung nach Ernst Papies nicht in Sicht
Andreas Jordan | 4. Mai 2022 | Gelsenzentrum
Auf unsere Nachfrage und der damit verbundenen Bitte um Sachstandsmitteilung vom April 2022 teilt uns die Stadtverwaltung Gelsenkirchen nun mit: "Selbstverständlich wird Ihre Anregung weiterhin als Vorschlag seitens der Verwaltung berücksichtigt. Derzeit ist allerdings keine Straße in Gelsenkirchen für eine Neubenennung vorgesehen, bei der Ihre Anregung zum jetzigen Zeitpunkt eine Anwendung im Benennungsverfahren finden kann. Sobald Ihre Anregung in einem zukünftigen Benennungsverfahren aufgegriffen wird, werden wir Sie darüber entsprechend informieren." Jens Marian, ein Großneffe von Ernst Papies, würde eine zeitnahe Benennung ebenfalls sehr begrüßen. Bleibt zu hoffen, dass unsere Anregung nicht für weitere Jahre in den Verwaltungsschubladen liegen bleibt, so wie in vergleichbaren Fällen in der Vergangenheit bereits geschehen. Bisher erinnert seit August 2015 in Gelsenkirchen-Erle zumindest ein Stolperstein an Ernst Papies.
Repost v. 27. Juni 2020: Das hiesige Institut für Stadtgeschichte (ISG) hat ein Geschichtsbild zu Ernst Paies erstellt und kam zu dem Ergebnis, das "es bedenkenswert ist, stellvertretend für andere oder auch eingebunden in die Geschichte anderer verfolgter homosexueller Bürger der Stadt angemessen an Ernst Papies zu erinnern." Vorausgegangen war die Anregung nach § 24 GO NRW, eine Straße in Gelsenkirchen nach Ernst Papies zu benennen, die der Bochumer Dipl.- Psychologe Jürgen Wenke und Andreas Jordan (Gelsenzentrum e.V.) gemeinsam an die Stadt gerichtet hatten. Jürgen Wenke hatte zuvor umfassende Forschungen zu den Lebens- und Leidenswegen von Ernst Papies durchgeführt: Dokumentation Ernst Papies. Wie die Stadtverwaltung jetzt mitteilte, steht aktuell in Gelsenkirchen keine Straße für eine Neubenennung zur Verfügung, doch sobald eine Straße zur Benennung ansteht, wird die Verwaltung eine Bennung nach Ernst Papies vorschlagen und den entsprechenden Gremien zur Beschlussfassung vorlegen. Der homosexuelle Ernst Papies wurde in der NS-Zeit mehrfach nach § 175 verurteilt und eingesperrt, überlebte die Konzentrationslager Buchenwald, Mauthausen und Auschwitz und brachte danach noch die Kraft auf, in der jungen Bundesrepublik Anträge auf Wiedergutmachung und Entschädigung zu stellen - jedoch vergeblich. Die Streichung des Paragraphen 175 im Jahr 1994 hat Ernst Papies noch erlebt, doch das im Sommer 2017 verabschiedete Gesetz zur Rehabilitierung der nach § 175 verurteilten homosexuellen Männer kam für Ernst Papies zu spät - da war er bereits seit zehn Jahren tot."
Wir erinnern an die Deportation von Gelsenkirchen nach Warschau vor 80 Jahren
Andreas Jordan | 26. März 2022 | Gelsenzentrum Gelsenkirchen
Am 31. März 1942 rollte ein weiterer "Sammeltransport" mit jüdischen Kindern, Frauen und Männern ab Gelsenkirchen "in den Osten". Bestimmungsort der Menschenfracht war zunächst das Ghetto Warschau im deutsch besetzten Polen. Planmäßig um 12:12 Uhr verließ der ab Gelsenkirchen eingesetzte Transportzug der Deutschen Reichsbahn mit dem Kürzel "Da 6" am 31. März 1942 mit 52 Gelsenkirchener Juden die Stadt. Ein Waggon war für das Begleitkommando der Schutzpolizei bestimmt. In Bielefeld wurden weitere 326, in Hannover 500 und in Braunschweig 116 jüdische Menschen in den Zug gezwungen. Am Morgen des 2. April 1942 erreichte der Zug das Warschauer Ghetto. Von den aus Gelsenkirchen mit diesem Menschentransport deportierten Juden hat niemand seine Befreiung erlebt. Ihre Namen sind überliefert, so wird beispielsweise mit Gunter Demnigs Stolpersteinen in Gelsenkirchen an von den Nazis zumeist im War- schauer Ghetto ermordeten Menschen erinnert.
Abb.: Unter den im März 1942 nach Warschau deportierten Menschen befanden sich auch Angehörige der Familie Rosenbaum. Vor dem Haus Heinrichplatz 1 in Gelsenkirchen - dem letzten selbst gewählten Wohnort - erinnern Stolpersteine an Familie Siegfried Rosenbaum sowie an die in Theresienstadt ermordete Schwiegermutter Esther Lippers.
Hunger, Kälte, Krankheiten: Im Warschauer Ghetto herrscht das Grauen
Im Warschauer Ghetto finden die Deportierten grauenvolle Zustände vor. Auf drei Quadratkilometern sind hier etwa 400.000 Menschen eingesperrt, zeitweise auch mehr. Sie sind von einer drei Meter hohen, 18 Kilometer langen und mit Stacheldraht bewehrten Mauer umgeben und werden von der Polizei streng überwacht. Die Neuankömmlinge werden auf die übervollen Wohnquartiere verteilt, in denen die Menschen mit sieben bis acht Personen in einem Zimmer leben. Viele "dürfen" zwar arbeiten, auch außerhalb des Ghettos. Vor allem Fabriken, die für die Wehrmacht produzieren, profitieren von den billigen Zwangsarbeitern. Doch die deutschen Behörden haben deren Tod einkalkuliert. Brutal terrorisieren sie die Eingesperrten. Das Essen ist knapp. Die offizielle Monatsration reicht nur für wenige Tage. Es gibt kein Fleisch, keine Fette, kaum Gemüse. Wegen der Enge auf den Straßen und in den Häusern breiten sich Fleckfieber, Typhus und Tuberkulose aus.
Nachts hört man das Stöhnen der Sterbenden. Der spätere Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki, der das Ghetto zusammen mit seiner Frau überlebt hat, berichtet in seiner Autobiografie: "Am Straßenrand lagen, vor allem in den Morgenstunden, die mit alten Zeitungen nur notdürftig bedeckten Leichen jener, die an Entkräftung oder Hunger gestorben waren und für deren Beerdigung niemand die Kosten tragen wollte." (Marcel Reich-Ranicki, "Mein Leben", 1999). 80.000 Menschen sterben an Unterernährung und Krankheiten, erfrieren im Winter in den ungeheizten Wohnungen, werden von den Besatzern ermordet.
Warschauer Ghetto wird auch Ort der Selbsthilfe
Die Eingesperrten gründen Fürsorgekomitees, richten Suppenküchen, Krankenhäuser und Altersheime ein und veranstalten Kleidersammlungen. Es gibt Schulunterricht für Kinder. Künstler geben Konzerte, treten bei Lesungen und Theateraufführungen auf, um die Menschen abzulenken und Lebensmut zu vermitteln. Der Historiker Emanuel Ringelblum gründet im Untergrund ein Archiv, das schon damals Aufzeichnungen und Berichte sammelt. Heute gibt es zahlreiche Bücher, die das Leben und Sterben im Ghetto Warschau dokumentieren.
Gedenken: 18 weitere Stolpersteine werden in Gelsenkirchen verlegt
Andreas Jordan | 10. März 2022 | Gelsenzentrum Gelsenkirchen
Die Stolperstein-Verlegung 2022 haben wir bereits lange vor Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine geplant, nun sollen am Samstag, den 11. Juni von Bildhauer Gunter Demnig weitere Stolpersteine in Gelsenkirchen verlegt werden.
Am Dienstag, 14. Juni folgen dann an zwei Orten in Gelsenkirchen so genannte Gemeinschaftsverlegungen, die wir in Absprache mit Gunter Demnig selbst ausführen. Die Terminangabe muss unter dem Vorbehalt der aktuellen Entwicklungen in der Ukraine genannt werden.
(Wir bitten Interessierte, ein Zeitfenster von +/- 20 Minuten zu den genannten Uhrzeiten einzuplanen. Es gelten bei den kleinen Verlegezeremonien die jeweils aktuellen Corona-Richtlinien.)
Die Rahmenveranstaltungen der diesjährigen Stolpersteinverlegungen in Gelsenkirchen werden von der Landesregierung Nordrhein-Westfalen aus dem Förderpogramm "2000 x 1000 € für das Engagement" gefördert.
Gedenken an den 79. Jahrestag der Deportation Gelsenkirchener Sinti nach Auschwitz
Andreas Jordan | 9. März 2022 | Gelsenzentrum
Am 9. März 2022 jährt sich zum 79. Mal die Deportation von Frauen und Mädchen sowie von Männern und Jungen aus dem sogenannten „Zigeunerlager“ (Städtisches Internierungslager) an der damaligen Reginenstraße in Gelsenkirchen (Ückendorf) über Bochum (Nordbahnhof) das deutsche Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Wir gedenken den unter der NS-Tyrannei Ermordeten, Gequälten, Verfolgten und Entrechteten.
Abb. : Ort des NS-Terrors - Internierungslager Reginenstraße in Gelsenkirchen, etwa 1940. Im Hintergrund die Kokerei Alma. Das Foto stammt aus einer Fotoserie der "Rassehygienischen Forschungstelle" (RHF), es zeigt eine vorgebliche Lebenssituation zeitgenössischer Sinti und Roma, in Szene gesetzt von den "Rassebiologen" der RHF. Das die Aufnahme in einem Internierungslager entstand, ist für den Betrachter nicht ersichtlich. Diese Art von Propaganda-Fotos sollten nicht zuletzt die menschenverachtende NS-Darstellung des "Zigeunerlebens" unterstreichen.
Holocaust: Gedenktafel in Gelsenkirchen erinnert an Deportation von Juden nach Riga
Redaktion | 21. Februar 2022 | Gelsenzentrum
An diesem 27. Januar wurden auch Max, Therese und Klara Höchster von Gelsenkirchen in das Ghetto Riga deportiert. Die von der Deportation betroffenen Menschen wussten nicht, was sie am Bestimmungsort erwarten sollte. Einige Wochen vor der Deportation hatten die Betroffenen bereits Briefe erhalten, darin wurde den Empfängern verschleiernd mitgeteilt, dass sie zur "Evakuierung in den Osten" eingeteilt sind und sich an einem bestimmten Tag mit dem erlaubten Gepäck für den Transport bereit zu halten haben.
Die Menschen glaubten zu diesem Zeitpunkt noch an einen Arbeitseinsatz im Osten, wurde doch in den Briefen detailliert aufgelistet, welche Ausrüstungsgegenstände mitzunehmen sind: Schlafanzug, Nacht- hemd, Socken, Pullover, Hosen, Hemden, Krawatten, warme Kleidung, Nähzeug, Rasierzeug, Bettzeug, Medikamente und Verpflegung. Arbeit im Osten, daran glaubte man. Denn Arbeit bedeutet Brot, und Brot bedeutet Leben, bedeutet Überleben, so dachten die meisten. Niemand konnte sich zu diesem Zeitpunkt vorstellen, dass das alles nur Lug und Trug war, perfider Teil eines bereits gefassten Mordplans, den die Nazis "Endlösung" nannten.
Noch kurz vor der Deportation hatte Max Höchster noch bei der Firma Röhrscheid in Gelsenkirchen im Glauben an einen Neuanfang als Klempner am Bestimmungsort Handwerkszeug und Material eingekauft. Die Waggons mit den wenigen Habseligkeiten der Verschleppten wurden jedoch bereits in Hannover ab- gehängt und haben den Bestimmungsort Riga nie erreicht. Die wenigsten der Verschleppten dieser und weiterer Deportationen rassisch verfolgter Menschen aus Gelsenkirchen (31.3.1942 Ghetto Warschau, 31.7.1942 Ghetto Theresienstadt, 9.3.1943 Auschwitz-Birkenau, 19.9.1944 Frauenlager Elben) erlebten ihre Befreiung und kehrten zunächst nach Gelsenkirchen zurück, um hier auf mögliche Überlebende aus der eigenen Familie bzw. dem Freundes- bzw. Bekanntenkreis zu treffen. Der weitaus größere Teil der deportierten Menschen wurde jedoch von den Nazis und ihren Schergen ermordet.
Abb.: Gedenkort Wildenbruchplatz. Die Errichtung dieses Gedenk- und Erinnerungsortes geht auf einen bereits 2014 gestellten Bürgerantrag (§24 Gemeindeordnung NRW) zurück. Warum die Stadtverwaltung Gelsenkirchen bis zur Realisierung der Erinnerungstafel acht Jahre brauchte bleibt ebenso im Dunkeln, wie der Grund für das Verschweigen des initiierenden Bürgerantrages. (Für Tafeltext, grafische Gestaltung und untere Werbezeile zeichnet die Stadtverwaltung Gelsenkirchen verantwortlich.)
Holocaustforschung: Silten Preis 2022
Redaktion | 14. Februar 2022 | Gelsenzentrum
Der Silten Preis wird 2022 erstmals auf Initiative des Bremer Geschichtsvereins Lastoria e.V. zur Erinnerung an die Holocaustüberlebende Ruth Gabriele S. Silten und ihre Angehörigen ausgelobt. Schülerinnen, Schüler und Studierende, die sich mit lokalen, regionalen, internationalen oder biografischen Aspekten der Geschichte des Holocaust befassen, können sich darum bewerben oder dafür nominiert werden. Das Familienunternehmen Dräger, Lübeck, unterstützt den Silten Preis.
Wer kann sich um den Preis bewerben?
Einzelne Bewerberinnen und Bewerber und Gruppen im Schul- oder Studienalter, die sich 2020/2021/2022 mit Holocaustforschung be- schäftigt haben, können sich um den Silten Preis bewerben. Eine niederländisch-
deutsche Jury entscheidet über die Vergabe. Anmeldeschluss ist am 31. März 2022. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Kontakt und weitere Informationen hier.
Dortmunder Lokalpolitiker: Der Name "Gustav Knepper" darf keine Verwendung finden
Redaktion | 31. Januar 2022 | Gelsenzentrum
Mit der Sprengung des stillgelegten Steinkohlekraftwerks „Gustav Knepper“ zwischen Dortmund und Castrop-Rauxel im Februar 2019 verschwand nicht nur eine markante Landmarke, sondern auch deren Name. Das
war mehr als überfällig, denn Gustav Knepper war bereits vor 1933 Anhänger des Nationalsozialismus, wurde vom NS-Terrorregime zum "Wehrwirtschaftsführer" ernannt und 1944 mit dem „Ritterkreuz des Kriegsverdienstordens mit Schwertern“ bedacht. Knepper war während seiner Tätigkeit u.a verantwortlich für den Zwangsarbeitseinsatz tausender Menschen bei der Gelsenkirchener Bergwerks-AG. Über Jahrzehnte war Knepper als Namensgeber denkbar ungeeignet, doch hatte sich bis dato fast niemand dafür interessiert.
Eine Haltestelle der Linie 361 der Straßenbahn Herne-Castrop-Rauxel Gmbh (HCR) trug jedoch noch die Bezeichnung "Kraftwerk Knepper". Mit der Sprengung wurde das Fortwirken des ehemaligen "Wehrwirtschaftsführers" Gustav Knepper als Namengeber für das Kraftwerk beendet, die Haltestelle wurde dann erst auf unser Betreiben hin zum 1. Juli 2019 aufgehoben.
Unsere seinerzeit geäußerte Befürchtung, das der Name „Gustav Knepper“ am ehemaligen Kraftwerksstandort im Rahmen der zukünftigen Nutzung der Fläche wieder auftaucht, hat sich augenscheinlich als begründet erwiesen. Denn nun hat die SPD-Fraktion in der Bezirksvertretung Dortmund-Mengede einen Antrag an die Stadtverwaltung Dortmund auf den Weg gebracht, der Gustav Kneppers Wirken für den NS-Terrorstaat thematisiert, verbunden mit der Forderung, "in der weiteren Planung des Bauvorhabens auf den Namen „Gustav Knepper“ zu verzichten, ebenso fordert die Fraktion im Antrag: "Bei der zukünftigen Nutzung des Geländes darf der Name keine Verwendung finden." Weiterhin heißt es darin: "Auf der Schachtanlage und bei dem Bau des Kraftwerks wurden Zwangsarbeiter eingesetzt. An die brutale, menschenverachtende Ausbeutung dieser Menschen muss auf dem fertiggestellten Gelände in angemessener Weise, z. B durch eine Stolperschwelle oder eine Gedenktafel, erinnert werden."
In der jüngeren Vergangenheit reagierte die BP GmbH auf den Vorstoß von Gelsenzentrum e.V. und änderte auf ihrem Werksgelände in Gelsenkirchen-Horst Straßennamen. Dort waren Werksstraßen nach Kirdorf, Vögler und Knepper benannt - allesamt frühe Förderer und Unterstützer Hitlers und spätere NS-Wirtschaftsverbrecher. Auch auf diesem Werksgelände (Frühere Gelsenberg-Benzin-AG) befanden sich zwischen 1940-1945 mehrere Zwangsarbeiterlager sowie ein Aussenlager des KZ Buchenwald.
27. Januar: Internationaler Holocaust-Gedenktag
Redaktion | 26. Januar 2022 | Gelsenzentrum
Auschwitz ist das Synonym für den Massenmord der Nazis an Juden, Sinti und Roma und anderen Verfolgten. Auschwitz ist Ausdruck des Rassenwahns und das Kainsmal der deutschen Geschichte. Der 27. Januar, der Tag der Befreiung von Auschwitz, ist daher kein Feiertag im üblichen Sinn. Er ist ein "DenkTag": Gedenken und Nachdenken über die Vergangenheit schaffen Orientierung für die Zukunft. Die beste Versicherung gegen Völkerhass, Totalitarismus, Faschismus und Nationalsozialismus ist und bleibt die Erinnerung an und die aktive Auseinandersetzung mit der Geschichte. In Gelsenkirchen ist der 27. Januar ein zweifacher Gedenktag: Es wird der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz 1945 gedacht, zudem der Deportation jüdischer Menschen von Gelsenkirchen nach Riga, die drei Jahre zuvor am 27. Januar 1942 vom NS-Terrorregime mit Hilfe der örtlichen Stadtverwaltung durchgeführt wurde.
Opfer des NS-Regimes: Die Erinnerung lebt in digitalen Stolpersteinen
Redaktion | 22. Januar 2022 | Gelsenzentrum
Der Westdeutsche Rundfunk (WDR) hat am Freitagabend das digitale Angebot „Stolpersteine NRW“ gestartet, das als App im Smartphone und auch über den Browser in PC und Laptop kostenlos genutzt werden kann. Es umfasst eine interaktive Karte, Texte, historische Fotos, mehr als 200 Graphic Stories und etwa Hundert kurze Hörspiele zu den mehr als 15.000 in Nordrhein-Westfalen verlegten Stolpersteinen, die an die Opfer des Nationalsozialismus erinnern. Die in Gelsenkirchen bisher verlegten Stolpersteine sind ebenfalls erfasst worden - das ist nicht zuletzt dem unermüdlichen, vielfältigen Engagement unserer Projektgruppe "Stolpersteine Gelsenkirchen" zu verdanken.
WDR-Intendant Tom Buhrow nannte „Stolpersteine NRW“ ein Beispiel für öffentlich-rechtliche Angebote mit echtem gesellschaftlichen Mehrwert. Es sei überdies eine gute Gelegenheit, „ganz hautnah zu zeigen“, mit welcher Innovationskraft digitale Medien eingesetzt werden könnten. Das digitale Projekt solle „vor allem Jüngeren auf ganz neue Art ermöglichen, sich mit dem Lebens- und Leidensweg“ der Opfer des Nationalsozialismus auseinanderzusetzen.
Die Idee zu den Stolpersteinen hatte der Künstler Gunter Demnig vor rund 30 Jahren. Er hat dem WDR seinen Aktenbestand zugänglich gemacht, mehr als 10.000 Dokumente. Mit dem Ergebnis des Projekts ist Demnig sehr zufrieden: "Ich bin fasziniert von dem, was da entstanden ist. Besonders gelungen finde ich, dass ein pädagogisches Konzept mit eingebaut wurde mit der Absicht, sich an junge Menschen, an Schülerinnen und Schüler zu wenden. Das wird ein ganz anderer, neuer Geschichtsunterricht. Die App und die Website werden es leichter machen, in dieses Thema einzusteigen. Ich bin dem WDR sehr dankbar für das Engagement und für das gelungene Projekt.
Projekt nur möglich durch Unterstützung vor Ort
Demnig ist es wichtig, auf die Hilfe vor Ort, etwa durch Einzelpersonen oder Initiativen, hinzuweisen. Ohne sie gäbe es die Stolpersteine in der Form nicht. Das gilt auch für das WDR-Projekt: Mit Expert: innen aus mehr als 200 nordrhein-westfälischen Kommunen, Initiativen und Aktionsbündnissen wurden Archive durchforstet, historische Dokumente gesichtet, Berichte von Überlebenden ausgewertet und Quellen abgeglichen. All das floss in eine Datenbank ein. Die ist seit Projektbeginn stark gewachsen – und wird das weiter tun. Denn der WDR wird Stolpersteine NRW auch künftig pflegen und erweitern.
80. Jahrestag der Wannsee-Konferenz: Teilnehmer Dr. Alfred Meyer - seine politische Karriere begann in Gelsenkirchen
Redaktion | 9. Januar 2022 | Gelsenzentrum
Der Große Wannsee in Berlin, eine schöne Villa an einem kalten Januartag, Teilnehmer aus verschiedenen Himmelsrichtungen reisen an, zu einer "Konferenz mit anschließendem Frühstück". Geladen hatte Reinhard Heydrich, Chef der berüchtigten Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes (SD). Am Ende steht ein Protokoll, das festhält, was bei dem Treffen besprochen wurde. Eigentlich ein ganz normaler Vorgang, so möchte man zunächst meinen.
Zu jener unfassbaren "Normalität" passt die Zusammensetzung der konferierenden Runde. Es saßen keine blutrünstigen Nazi-Psychopaten am Tisch. Sie waren gebildet, viele von ihnen promoviert, Familienväter, aus der Mitte der Gesellschaft. Die wenigen, bereits "erprobten" Massenmörder aus den Reihen der SS, die mit dabeisaßen, wirkten fast schon wie Außenseiter zwischen den Teilnehmern aus der Verwaltung und den Ministerien. Und doch waren sich alle Akteure in einem Ziel einig: Der planmäßige Massenmord 11 Millionen von Menschen - längst höheren Ortes beschlossen - sollte bürokratisch und organsisatorisch unter Hinblick auf die "Zusammenarbeit" ihrer Behörden besprochen werden.
Ranghöchster Teilnehmer der Konferenz war Dr. Alfred Meyer, dessen politische Karriere in Gelsenkirchen begann. Meyer liebte den öffentlichen Auftritt, die Zeitungen berichteten ständig über seine Reden und Auftritte. Er trug die mörderische Rassenideologie des NS-Terrorstaates vordergründig in die Bevölkerung "seines" Gaus Westfalen-Nord, die auch in Gelsenkirchen auf fruchtbaren Boden fiel. Er war ein Multiplikator, ein "Influencer" seiner Zeit.
Alfred Meyer arbeitete zunächst als kaufmännischer Angestellter und studierte Rechts- und Staatswissenschaften sowie Nationalökonomie. 1922 promovierte er zum Dr. rer. pol. 1923 bis 1930 war er juristischer Referent auf der Zeche Graf Bismarck in Gelsenkirchen. Am 1. April 1928 trat er der NSDAP bei und wurde sogleich Ortsgruppenleiter der Partei in Gelsenkirchen. Im November 1929 wurde er als einziges NSDAP-Mitglied in den Rat der Stadt Gelsenkirchen gewählt. 1929/30 stieg er zum Leiter des Bezirks Emscher-Lippe auf. Im September 1930 zog er als Abgeordneter in den Reichstag ein.
Abb.: An erster Stelle auf der Teilnehmerliste steht Gauleiter Dr. Alfred Meyer, er war ranghöchster Teilnehmer der Wannsee-Konferenz.
Zur Wannsee-Konferenz war Meyer eingeladen, weil im Verwaltungsgebiet seines Ministeriums bereits die so genannten "Einsatzgruppen" der SS und des SD mit Wissen und Unterstützung Meyers wüteten. Der "Holocaust durch Kugeln", wie die systematischen Massenerschießungen durch die Einsatzgruppen auch bezeichnet werden, erreichte nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion unfassbare Dimensionen. Auch viele Gelsenkirchener Männer gehörten den mobilen Kommandos der "Einsatzgruppen" und den Polizeibataillonen an. Sie erschossen Männer, Frauen, Kinder – Tag für Tag, gehorsam und beflissen, als sei es normale Arbeit. Wenn sie im "Heimaturlaub" für kurze Zeit zu ihren Familien nach Gelsenkirchen zurückkehrten, zeigten sie sich dort zumeist als als liebevolle Familienväter und treusorgende Ehemänner. Zurück in ihre Einsatzgebieten nahmen sie ihre mörderiche Tätigkeit umgehend wieder auf.
In Wannsee forderte Meyer, "gewisse vorbereitende Arbeiten" jeweils an Ort und Stelle durchzuführen, ohne jedoch die Bevölkerung zu beunruhigen. Das Leben des Verwaltungsmassenmörders Alfred Meyer, dessen politische Karriere in Gelsenkirchen begann, endete im April 1945. Im Alter von 53 Jahren soll der von den Alliierten gesuchte Kriegsverbrecher bei Hessisch Oldendorf Selbstmord begangen haben.
Gelsenkirchen: Stolperschwelle für Opfer von Zwangssterilisation und Krankenmord
Andreas Jordan | 8. Januar 2022 | Gelsenzentrum
Die Januarausgabe des Stadtmagazins 'isso' ist erschienen, darin auch zwei Beiträge mit Bezug zu unserer Gedenk- und Erinnerungsarbeit. Der Focus beider Artikel richtet sich dabei auf die NS-Krankemorde (NS-Tarnbezeichnung T4, eu- phemistisch Euthanasie" genannte Mordaktion an Patienten in "Heil- und Pflegeanstalten"). Zum einen wird exemplarisch an das Schicksal des Mädchens Astrid "Iri" Steiner aus Gelsenkirchen, die der NS-"Euthanasie" zum Opfer gefallen ist erinnert. Für Astrid haben wir bereits einen Stolperstein an der Polsumerstraße
verlegt. Der andere Beitrag thematisiert die Schaffung eines Erinnerungsortes an einem der Täterorte Gelsenkirchens in Form einer Stolperschwelle für Opfer von Zwangssterilisation und Krankenmord - verbunden mit einem Spendenaufruf.
'Leider muss ich Ihnen mitteilen, das ihre Tochter Astrid heute plötzlich verstorben ist'. Über das Schicksal des Mädchens Astrid "Iri" Steiner - Jetzt online lesen.
Eine Stolperschwelle für Opfer von Zwangssterilisation und Krankenmord - Schaffung eines Erinnerungsortes im öffentlichen Raum der Stadt Gelsenkirchen
- Jetzt online lesen.
Vestischer Ehrenbürger Rolf Abrahamsohn im Alter von 96 Jahren verstorben
Andreas Jordan | 24. Dezember 2021 | Gelsenzentrum
Wir sind traurig, unser Freund und Ehrenmitglied Rolf Abrahamsohn ist in der letzten Nacht gestorben. Baruch Dayan HaEmet - Möge die Erinnerung an ihn ein Segen sein.
Auch Rolf Abrahamsohn war unter den jüdischen Menschen, die am 27. Januar 1942 von Gelsenkirchen in das Ghetto Riga deportiert wurde. Mit viel Glück überlebte Rolf den Holocaust. Eigentlich wollte Rolf Abrahamsohn nach seiner Befrei- ung nach Palästina gehen. Als er jedoch erfuhr, dass er unter Umständen von den Engländern auf Zypern interniert werden könnte, entschied er sich, in Deutschland zu bleiben: „Die Jahre im KZ und im Arbeitslager waren doch genug, nie wieder wollte ich eingesperrt sein, und so blieb ich in Marl“.
Zeit seines Lebens lag es Rolf Abrahmsohn besonders am Herzen, junge Menschen von dem zu berichten, was er während der Nazidiktatur am eigenen Leib erleben musste. Vor einigen Jahren ist er unserer Einladung gefolgt und hat unter anderem im Gelsenkirchener Gauß-Gymnasium einen berührenden zeitzeugenschaftlichen Vortrag gehalten, Videomitschnitt: "Ich weiß noch alles... und das ist das Schlimme daran"
Gelsenkirchen: 80 Jahre Riga-Deportation
Andreas Jordan | 5. Dezember 2021 | Gelsenzentrum
2022 jährt sich die Deportation jüdischer Menschen von Gelsenkirchen nach Riga in Lettland, damals ein Teil des "Reichskommissariats Ostland", zum 80. Mal. Am 27. Januar 1942 rollte der erste "Sammeltransport" mit jüdischen Kindern, Frauen und Männern von Gelsenkirchen Richtung Osten. Bestimmungsort der Menschenfracht war das Ghetto Riga. Etwa 420 jüdische Menschen - davon rund 340 aus Gelsenkir- chen - wurden zunächst in die zum "Sammellager" umfunktionierten Ausstellungshalle am Wildenbruchplatz unter unmenschlichen Bedingungen eingepfercht. Auch Juden aus umliegenden Revierstädten wie bspw. Recklinghausen wurden eigens für diese Deportation nach Gelsenkirchen transportiert.
Auf dem Weg nach Riga wurden weitere Menschen an verschiedenen Haltepunkten - u.a. in Dortmund und Hannover - in den Zug gezwungen. Der Deportationszug der Deutschen Reichsbahn erreichte schließlich mit etwa 1000 Menschen am 1. Februar 1942 Riga in Lettland. Der überwiegende Teil der aus Gelsenkirchen und anderen Städten am 27. Januar verschleppten Juden wurden in der Folgezeit im Ghetto Riga oder in Konzentrationslagern ermordet. Zu den wenigen, die oftmals als Einzige ihrer Familien den Holocaust überlebt haben, gehört auch der im damaligen Horst-Emscher geborene Herman Neudorf.
Der 96jährige Herman Neudorf, heute in den USA lebend, erinnert sich:
"Am 20. Dezember 1941 erhielten wir von der Gestapo, Staatspolizeistelle Gelsenkirchen, die erste Aufforderung: "Sie haben sich auf einen Transport zum Arbeitseinsatz nach dem Osten vorzubereiten. An Gepäck darf 10 Reichsmark mitgenommen werden. Die Fahrtkosten sind selbst zu entrichten" - natürlich einfache Fahrt, eine Rückfahrt war ja nicht vorgesehen. Vorbereitungen wurden von Seiten der zur Deportation bestimmten jüdischen Einwohnern Gelsenkirchens getroffen. Medikamente, Winterkleidung, warme Decken und so weiter beschafft. Am 20. Januar 1942 kommt wieder ein Schreiben: "Sie haben sich zum Transport nach dem Osten in den nächsten drei Tagen bereitzuhalten." Nun war es also soweit.
An einem Januarmorgen um 10 Uhr morgens wurden wir dann von der Gestapo aus dem sogenannten "Judenhaus" an der Markenstraße in Horst abgeholt und in einen Autobus verfrachtet, mit je einem Koffer. In Handumdrehen sammelte sich um den Bus eine Anzahl Schulkinder. Auf ihre neugierige Frage, wohin wir fahren, antwortete der Gestapo-Chauffeur: "Zur Erholung in ein Sanatorium." Am Wildenbruchplatz schliefen wir eine Nacht wie Tiere in Stroh am Boden. Frühmorgens am folgenden Tag wurden wir verladen. Es war der 27. Januar 1942. Aber diese Mörder wussten zu gut, wohin unsere Fahrt führen sollte. Hoher Schnee mit ca. 25 Grad Kälte. Ein Personenzug stand am Güterbahnhof Gelsenkirchen für uns bereit. Ungeheizt. Am Ende des Zuges wurden drei Wagen mit unseren Koffern, Verpflegung und Küchengeräten angehängt. Dann fuhren wir ab. Türen natürlich abgeschlossen. Vor Hannover erfuhren wir, daß die letzten Wagen angeblich "heißgelaufen" waren und abgehängt werden mussten. Nun besaßen wir nur noch das, was wir am Leibe trugen. es war eine lange Fahrt durch Ostpreußen, Litauen, Lettland. Aborte verstopft, die Abteilwände mit einer Eisschicht überzogen.
Am 1. Februar erreichten wir unsere neue "Heimat", der Transport hielt am Bahnhof Skirotava im südlichen Teil der Stadt Riga. Auf uns warteten schon SS-Leute in dicken Pelzmänteln. Sie trieben uns mit Schlägen, Beschimpfungen und Gebrüll aus dem Zug. Die Glieder waren noch starr vor Kälte. Zum Teil mit LKW oder zu Fuß ging es ab. Ungefähr drei Stunden Marsch. Lettische Wachen hüteten uns sorgfältig und rissen einigen gute Kleidungsstücke vom Leibe herunter. Ein mit Stacheldraht umgebener Stadtteil tauchte auf. Personen mit gelben "Judensternen" konnte ich erkennen. Das war also das Rigaer Ghetto, das uns allen ewig in Erinnerung bleiben sollte. Oft wundert man sich selbst, dass man diese schrecklichen Jahre, die noch folgen sollten, überhaupt überleben konnte." Hermann Neudorf erlebte seine Befreiung im April 1945 auf einem Todesmarsch aus dem KZ Buchenwald in Richtung KZ Dachau. Lebensgeschichtliche Erinnerungen von Herman Neudorf: Das war Riga...
Deutsches Riga-Komitee: Ein Städtebündnis für das Erinnern und Gedenken an die Deportation von Jüdinnen und Juden
„Nach unbekannt“ notierten die Einwohnermeldeämter damals, wenn jüdische Familien ab Herbst 1941 zwangsdeportiert wurden. Eines jener Ziele hieß Riga. Im besetzten Lettland begann 1941 die menschenverachtende „Endlösung“. Mehr als 25 000 Männer, Frauen und Kinder aus deutschen Städten wurden dorthin verschleppt, gequält und ermordet. Wer nicht schon auf dem Transport verdurstet, erstickt oder vor Erschöpfung zusammengebrochen war, landete im Ghetto von Riga, im Jungfernhof oder im Konzentrationslager Kaiserwald. Die Toten wurden zu Zehntausenden namenlos in den Wäldern von Rumbula und Bikernieki verscharrt. Fast wäre die Erinnerung an diese Schicksale für immer erloschen. Erst in den letzten Jahrzehnten ist es – zumindest teilweise – gelungen die verbliebenen Spuren und Zeugnisse wie ein Mosaik zusammenzutragen und so ein würdiges Andenken an diese Menschen zu ermöglichen.
Dazu soll auch die Rubrik „Schicksale“ auf der neu geschaffenen Homepage des Riga-Komitee beitragen. Die gezeigten Materialien dazu kommen aus einzelnen Mitgliedsstädten. Auch Gelsenkirchen ist Mitglied im Riga-Komitee und so konnten wir uns mit Beiträgen zu den Lebens- und Leidenswegen von Herman Neudorf, Max Schloss, Elli Kamm und Jeanette Wolff einbringen. Unser Dank gilt dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V., Deutsches Riga-Komitee für die Möglichkeit, unsere Beiträge auch dort zu veröffentlichen und so auf diese Weise dem Vergessen entgegenzuwirken. Mehr erfahren: Riga-Komitee: Einzelschicksale
Bild-Vortrag mit Jürgen Wenke in Bochum: „Er ging nicht durch den Kamin.“
Andreas Jordan | 22. November 2021 | Gelsenzentrum
Veranstaltungshinweis Bochum: Die Aufarbeitung der Verfolgung von schwulen Männern in Deutschland, insbesondere in der NS-Zeit, hat bis heute noch viel zu wenig Aufmerksamkeit gefunden. In einem Bildvortrag mit aktuellen und historischen Fotos und Originaldokumenten aus der NS-Zeit und beispielhaft anhand des kurzen Lebensweg eines Bochumer Bürgers und Bergmannes zeigt der Forscher und Biograph Jürgen Wenke, was Verfolgung konkret für die Betroffenen und ihre Familien bedeutete. Außerdem werden zeitgeschichtliche Zusammenhänge aufgezeigt und der aktuelle Stand der Verfolgtenwürdigung 75 Jahre nach Ende der NS-Zeit.
Ort: Stadtarchiv Bochum, Wittener Straße 47 | Datum: 1. Dezember 2021 | Zeit: 19 Uhr | Kostenfrei
Weitere Infos, auch zu den Bedingungen der Teilnahme (Corona-Pandemie): Stadtarchiv - Bochumer Zentrum für Stadtgeschichte
Jahrestag: Gedenken und Erinnern an Opfer der Pogromwoche 1938
Andreas Jordan | 4. November 2021 | Gelsenzentrum
Auch in diesem Jahr finden an vielen Orten in Deutschland Veranstaltungen zum Gedenken an jüdische Bürgerinnen und Bürger statt, die in den Tagen und Nächten vom 7. bis 16. November 1938 Opfer rassistisch motivierter Gewalttaten gegen Leib, Leben und Eigentum wurden.
Der Höhepunkt der vom NS-Gewaltregime initiierten Ausschreitungen fand in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 statt, im kollektiven Gedächnis als so genannte "Reichskristallnacht" oder auch im neueren Sprachgebrauch als "Reichspogromnacht" verankert. Der Begriff "Reichspogromnacht" wiederum ist eine nach 1945 konstruierte Bezeichnung im Nazi-Jargon, und deshalb vollkommen unmöglich: Bei den Nazis wurde alles, was erhöht sein sollte, mit dem Zusatz "Reich" versehen. Pogromwoche bzw. Novemberpogrome sind daher die geeigneteren Bezeichnungen.
Der als gemeinnützig anerkannte Verein Gelsenzentrum e.V. ruft Bürgerinnen und Bürger zur Teilnahme an den Kundgebungen und Veranstaltungen demokratischer Organisation und Gruppierungen zur Erinnerung und zum Gedenken an Menschen auf, die 1938 Opfer der Novemberpogrome wurden. Jeder von uns ist gefordert, sich entschlossen gegen jede Form von Rassismus, Hetze, Gewalt, Ausgrenzung und Diskriminierung stellen. Die Pogromwoche im November 1938 erinnert gleichwohl auch an die NS-Verbrechen, die vorausgingen und an die, die diesem Datum folgten. Weitere Informationen bietet nachfolgend verlinkte Dokumentation auf unserer Internetpräsenz: Schaufenster Stadtgeschichte - Die Pogromwoche vom November 1938 in Gelsenkirchen
"Wer vor der Vergangenheit die Augen verschließt, wird blind für die Gegenwart. Wer sich der Unmenschlichkeit nicht erinnern will, der wird wieder anfällig für neue Ansteckungsgefahren."
(Richard von Weizsäcker)
Bürgerantrag von 2014 wird endlich umgesetzt: Wildenbruchplatz soll Gedenkort werden
Redaktion | 1. November 2021 | Gelsenzentrum
Die damalige Ausstellungshalle am Wildenbruchplatz wurde 1942 von NS-Gewaltregime zum temporären "Judensammellager" umfunktioniert. Mehrere hundert jüdische Menschen aus Gelsenkirchen wie auch aus umliegenden Revierstädten wurden dort für die anstehende Deportation in das Ghetto Riga unter men- schenunwürdigen Bedingungen eingepfercht. In den frühen Morgenstunden des 27. Janauar 1942 wurden die Menschen von der Ausstellungshalle zum nahegelegen Güterbahnhof getrieben und mussten dort in einen bereits wartenden Personenzug der Deutschen Reichsbahn steigen. Zielort des Menschentransportes war das Ghetto Riga in Lettland. Für die meisten der zur Deportation bestimmten Menschen eine Fahrt in einen gewaltsamen Tod, denn der gegen sie gerichtete Mordplan der Nazis war bereits gefasst. Auch ihre Fahrkarten mussten die Menschen selbst bezahlen - einfache Fahrt, eine Rückreise war nicht vorgesehen.
Abb.: Auch die lokale Presse berichtete 2014 über den Bürgerantrag, am Wildenbruchplatz einen Gedenkort zu errichten. Seit 2010 erinnert dort allein ein Stolperstein an Helene Lewek, sie entzog sich der Entwürdigung, Verfolgung und Depor- tation, in dem sie in der Ausstellungshalle die Flucht in den Tod wählte.
Die Ausstellungshalle wurde 1944 aus "Luftschutzgründen" abgerissen, der Wildenbruchplatz wurde nach dem zweiten Weltkrieg jahrzehntelang als Kirmesplatz genutzt. An das so genannte "Judensammellager" wollte sich niemand mehr erinnern. Auf dem Gelände befindet sich heute das Gebäude der Landesbehörde Straßen.NRW und die Polizeiwache Gelsenkirchen Süd.
Erstmalig 2009 öffentlich angemahnt, folgte dann nach mehrmaligen öffentlichen Anmahmen einschließlich einer Demonstration am damaligen Standort der Ausstellungshalle im Jahr 2013 ein 'offizieller' Bürgerantrag nach § 24 GO NRW. In dem an die Stadtverwaltung gerichteten Bürgerantrag – symbolisch am 27. Januar 2014 eingereicht, hatte Andreas Jordan (Gelsenzentrum e.V., Gemeinnütziger Verein für regionale Kultur- und Zeitgeschichte in Gelsenkirchen) die Errichtung eines Gedenkortes am Wildenbruchplatz angeregt. Viele Jahre schlummerte der Antrag daraufhin in den Schubladen der Stadtverwaltung. 2019 teilte uns das zuständige Institut für Stadtgeschichte (ISG) dann auf Nachfrage mit, das man "im Gesprächen mit 'potenziellen Partnern' stehe und schon bald eine entsprechende Tafel installieren könne." Das soll nunmehr am 27. Januar 2022 geschehen - zwar acht Jahre nach Antragstellung, mit Billigung der Stadtverwaltung jetzt unter der Fahne einer so genannten "Fangruppe" eines ortsansässigen, derzeitigen Zweitligisten - in der Sache dennoch zu begrüßen. "Stil schmückt sich nicht mit fremden Federn" - das wusste bereits Schriftsteller Erhard Blanck. Bei der Gelsenkirchener Stadtverwaltung scheint das hingegen eine bevorzugte Vorgehensweise zu sein.
Gelsenkirchen: Kunst im öffentlichen Raum
Redaktion | 30. September 2021 | Gelsenzentrum
Stolpersteine - Hier wohnte 1933-1945. Ein Kunstprojekt für Europa von Gunter Demnig.
Kunst im öffentlichen Raum, erlebbar rund um die Uhr, jeden Tag, ohne Einschränkung: Das Kunstprojekt "Stolpersteine für Europa" nimmt dabei alle NS-Verfolgtengruppen gleichermaßen in den Blick. Die Kulturwissenschaftlerin Dora Osborne über Gunter Demnigs Kunstprojekt gegen das Vergessen: "Die Verlegung der Stolpersteine ist ein Akt des Archivierens, des Archivierens der Geschichte, die zumeist nur noch aus Asche und Staub besteht. Die Biografien der Menschen wären niemals recherchiert worden und somit für immer verloren gewesen." So geschehen in Gelsenkirchen an bisher 266 Orten im öffentlichen Raum - davon 265 Lern- und Erinnerungsorte, verortet durch einen Stolperstein, ein Lernort wird von einer Stolperschwelle markiert.
80. Jahrestag des Massakers von Babyn Jar: Massenmord nach Dienstplan
Andreas Jordan | 29. September 2021 | Gelsenzentrum
In dieser Phase des Eroberungs- und Vernichtungskrieges gegen die Sowjetunion und des Holocaust brachten die mobilen Mordkommandos die Menschen noch auf kurzer Distanz mit Schusswaffen um, der fabrikmäßige Massenmord durch Gaseinsatz begann erst ab Anfang 1942. In Babyn Jar wurden auch nach den Massenerschießungen am 29. und 30. September 1941 weiterhin Zehntausende ermordet – Jüdinnen und Juden, Roma, Kriegsgefangene, Kranke, KommunistInnen und viele andere.
"Sie mussten sich bäuchlings auf die Leichen der Ermordeten legen und auf die Schüsse warten. Dann kam die nächste Gruppe. 36 Stunden lang kamen Menschen in Babyn Jar an und wurden ermordet." - Vor 80 Jahren erschoss ein deutsches "Sonderkommando 4a" der Einsatzgruppe C bestehend aus Waffen-SS, Wehrmacht und verschiedenen deutschen Polizeieinheiten sowie ukrainischer Hilfspolizei innerhalb von 36 Stunden in der Schlucht Babyn Jar (Kiew) fast 34.000 Männer, Frauen und Kinder. Akribisch gezählt - und in Berichten festgehalten. Ein Holocaust durch Kugeln, perfide getarnt als "Umsiedlungsaktion": ein monströs-effizient geplantes Massenverbrechen. 36 Stunden lang, rund 1000 Menschen pro Stunde, 17 in einer Minute. Im Schichtbetrieb wurden die hilflosen Opfer erschossen und anschließend im Massengrab verscharrt. Für das leibliche Wohl der Mörder in Form warmer Mahlzeiten sorgte ein eigens herbeigeschaffter Küchenwagen, laut durch die Schlucht schallende Opernmusik sollte die Todesschreie der Menschen übertönen.
Abb.: Nach ihren Mordaktionen feierten die selbsternannten Herrenmenschen und Rassekrieger sich und ihre "Erfolge" bei sogenannten "Kameradschaftsabenden" - Nach einem Massenmord gab es zumeist eine Extra-Ration Alkohol. Das Foto zeigt einen dieser "Kameradschaftsabende" des aktiv an Holocaust und Massenverbrechen von Babyn Jar beteiligten Bremer Polizeibataillons 303, aufgenommen vermutlich in Kiew 1941. (Foto: Staatsarchiv Bremen)
Zwar wurden in den Nürnberger Nachfolgeprozessen 1947/48 drei hochrangige NS-Verbrecher (Paul Blobel, Otto Rasch und Waldemar von Radetzky) wegen ihrer Verantwortung für das Massaker zur Rechenschaft gezogen; SS-Offizier Blobel wurde am 7. Juni 1951 hingerichtet. 1968 werden einige der Täter vom Landgericht Darmstadt wegen Beihilfe zum Mord verurteilt, andere freigesprochen. "Die Angeklagten saßen wie versteinert da, so als ob sie das nichts anginge", erinnert sich Peter Gehrisch, einer der Geschworenen. Trotzdem ist noch heute, 80 Jahre später, Babyn Jar nur wenigen ein Begriff.
Aus den Reihen der ebenfalls am Massaker beteiligten Wehrmacht jedoch wurde niemand juristisch belangt, wie die Historikerin Franziska Davies betont. Straffrei blieben auch die meisten Angehörigen der Sonderkommandos und der laut Davies mindestens 700 Männer in der Einsatzgruppe C, die an dem Massenmord beteiligt waren. Erst 1967/68 standen im sogenannten Callsen-Prozess in Darmstadt zehn Mitglieder des Sonderkommandos 4a vor Gericht. Drei Angeklagte wurden freigesprochen, die anderen wegen Beihilfe zum Mord – nicht aber wegen Mordes – zu Gefängnisstrafen zwischen 4 und 15 Jahren verurteilt. August Hafner, Obersturmführer und Kriminalkommissar im Sonderkommando 4a, der Mann, der die Erschießungen in Babyn Jar koordinierte, wurde 87 Jahre alt und starb 1999 in Deutschland eines natürlichen Todes. Heinrich Hannibal, SS-Brigadeführer und Generalmajor der Polizei sowie Kommandeur des Bremer Polizeibataillons 303 wurde nie für seine Kriegsverbrechen belangt, er starb 1971 im Alter von 81 Jahren ebenfalls eines natürlichen Todes.
Stadtgeschichte: Alte Wandreklame bleibt der Nachwelt erhalten
Redaktion | 19. August 2021 | Gelsenzentrum
Im Sommer des Jahres 2020 kam bei Abrissarbeiten im Gelsenkirchener Stadtteil Ückendorf überraschend an der Giebelmauer des Nachbargebäudes eine großflächige Wandreklame einer Firma Alexander zum Vorschein. Der Fund erregte weltweit Aufmerksamkeit, stammte er doch aus dem frühen 20. Jahrhundert und ist nicht zuletzt auch Zeugnis der geschäftlichen Aktivitäten jüdischer Kaufleute in Gelsenkirchen.
Jüngst wurde von der Stadtverwaltung Gelsenkirchen beschlossen, den gutachterlichen Einschätzungen der LWL-Denkmlapflege, Landschafts- und Baukultur in Westfalen zu folgen. Die politischen Gremien wurden davon in einer Mitteilungsvorlage unterrichtet, die Wandreklame wird in die Denkmalliste der Stadt Gelsenkirchen eingetragen. Dem vorausgegangen war eine Eingabe nach § 24 der Gemeindeordnung von Andreas Jordan (Gelsenzentrum), die historisch bedeutende Wandbeschriftung in geigneter Form zu erhalten.
Zwischen dem Bauherrn (GGW) und der Denkmalbehörde wurde in der Folge eine Lösung gefunden, die sich in der Mitteilungsvorlage der Stadtverwaltung wiederfindet: "(...) Die Außenwand des neuen Gebäudes wird in einem geringen Abstand zur bestehenden Brandwand des Gebäudes Bochumer Straße 165 errichtet. Ein Teil dieser neuen Wand wird mit einer Verglasung in der erforderlichen Feuerwiderstandsklasse versehen, so dass ein Fenster zu der historischen Wandinschrift im Inneren des Neubaus entsteht. In diesem Bereich befindet sich das Treppenhaus des neuen Gebäudes. In diesem Bereich werden Fotodokumente angeordnet, welche die Werbeinschrift in ihrem Zustand im Jahr 2020 dokumentiert.(...)" Auf diese Weise ist aus einer symbolischen Formulierung tatsächlich ein reales "Fenster in die Vergangenheit" entstanden - ganz so, wie es Jordan im letzten Jahr in einem Artikel formulierte.
Justizhäftlinge und KZ-Gefangene in Bombensuchkommandos
Andreas Jordan | 11. August 2021 | Gelsenzentrum
Ein an der Bessemerstraße 19 in Bochum für den Widerständler Karl Rostek verlegter Stolperstein lenkt den Blick auf eine Opfergruppe, die heute fast völlig vergessen ist: die der Justizhäftlinge. Ein entscheidender Unterschied zwischen Polizeihäftlingen und Häftlingen der Justiz bestand darin, dass bei den Gefangenen der Justiz in der Regel eine "gerichtliche Verurteilung" vorausgegangen war oder diese – im Falle der Untersuchungshäftlinge – noch ausstand.
Ende 1933 war der Bochumer KPD-Funktionär Karl Rostek in einer Widerstandsgruppe im Ruhrgebiet aktiv. Im Juli 1934 wurde auch Rostek verhaftet und wegen "Hochverrat" angeklagt. Karl Rostek wurde im Prozeß vor dem Oberlandesgericht Hamm zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt. Die meiste Zeit der Haftstrafe saß er als Justizhäftling im Zuchthaus Münser ab. Das Reichsjustizministerium hatte ab 1938 die Arbeitsverpflichtung der Inhaftierten der Gefängnisse und Zuchthäuser ausgeweitet. Arbeit in den Gefängnissen und Zuchthäusern war zwar schon während der Weimarer Republik Bestandteil des Strafvollzugs gewesen, doch veränderte sie sich mit dieser Ausweitung. Unter anderem nahm die Zahl der Arbeitskommandos außerhalb der Strafanstalten zu. Die später während des Zweiten Weltkrieges eingeführte "Arbeit" in Bombensuchkommandos gehörte dabei zu den gefährlichsten Tätigkeiten, die Justizhäftlinge verrichten mussten. Während des Bombenkriegs wurden zunächst Justizhäftlinge und später auch verstärkt Lagergefangene aus Konzentrationslagern in den so genannten Bombensuchkommandos (BSK) eingesetzt, um Langzeitzünderbomben und Blindgänger zu beseitigen. Die Gefangenen waren dafür nicht eigens ausgebildet, es gab nur eine kurze Einführung eines Feuerwerkers.
In Bochum beispielsweise wurden Gefangene aus dem KZ-Außenlager Buchenwald beim Bochumer Verein (damalige Brüllstraße, heute "Am Umweltpark") zur Freilegung von Blindgängern eingesetzt. Davon berichtete der Holocaust-Überlebende Rolf Abrahamsohn aus Marl nach seiner Befreiung: "Man führte uns mit fünf oder sechs Leuten durch Bochum, wir mussten Bomben freilegen mit zwei Spaten, einer Hacke und einer Eisenstange (...) Und einen Handfeger bekamen wir auch noch: wir mussten ja die Granaten sauberfegen, damit der Mann, der den Verschluss später abgenommen hat, seine Hand nicht schmutzig machte. Dafür gab man uns ein Stück Brot zusätzlich. Warum ließ man uns das machen? Es war ein Himmelfahrtskommando. Wir wussten ja nicht, ob die Bomben einen Zeitzünder hatten. Die SSler, die uns dahin gebracht haben, sind meistens 200 Meter auf Abstand geblieben. Aber flüchten konnten wir doch nicht. Das wäre unmöglich gewesen. Die Leute, die an uns beim Bombenentschärfen vorbei marschierten, haben uns mit Steinen beworfen - ganz schlimm."
"Sechzig Mann eingesetzt – vierundzwanzig Tote"
Im Sommer 1944 wurden rund 60 Justizhäftlinge aus dem Zuchthaus Münster auf LKW verfrachtet und ins Ruhrgebiet gebracht, darunter befand sich auch Karl Rostek. Als Standort vieler "kriegswichtiger" Betriebe war auch Gelsenkirchen zunehmend Angriffsziel alliierter Bomberverbände. Nach einem schweren Bombenangriff auf das in Gelsenkirchen-Horst gelegene Hydrierwerk der Gelsenberg Benzin AG am 12/13. Juni kam das Bombensuchkommando der Münsteraner Justizhäftlinge u.a. auch auf dem Werksgelände des Hydrierwerks zum Einsatz, denn nicht alle abgeworfenen Bomben explodierten wie vorgesehen, zahlreiche Blindgänger wie auch Bomben mit Zeitzündern mussten in mühevoller Handarbeit und unter Lebensgefahr freigelegt, abtransportiert oder vor Ort entschärft werden. Das Bombenräumkommando kam auch in den Straßen im Stadtteil Horst zum Einsatz, so fanden sich im Bereich der Schloßstraße, 'Am Weidwall' und 'An der Friedweide' viele Bombenblindgänger, bei diesen Bergungs- bzw. Entschärfungsversuchen in Horst starben neben Karl Rostek zehn Männer aus dem Kommando (Karl Atsch, Siegfried Bennedix, Franz Brodnjak, August Freiwald, Karl Gigla, Hans Hillen, Hans Muzzin, Waldemar Pelka, Wolfgang Schmidt, Paul Stachnik) und einer ihrer Bewacher, ein Strafanstaltsoberwachtmeister namens Latussek.
Der diesem Bombensuchkommando angehörende Werner Eggerath berichtete nach dem Krieg: " An einem Sonnabend wurden Namen verlesen. Heraustreten! Sechzig Gefangene wurden auf Lastwagen verladen und in ein Hydrierwerk (...) im Ruhrgebiet gebracht. (...) das Werk sollte ohne Rücksicht von Blindgängern gesäaubert werden, damit die Produktion weiterlaufen konnte. ... Karl Rostek stand zum erstenmal auf einem Blindgänger. Nach einer Viertelstunde war es aus mit ihm." Innerhalb von drei Tagen starben insgesamt 24 Gefangene aus dem Bombensuchkommando durch explodierende Bomben. Der ebenfalls diesem Kommando angehörende Josef Reuland berichtete nach dem Krieg, dass die gefährliche Arbeit den Männern keinerlei Vergünstigung einbrachte: "In bitterster Kälte, ohne Mäntel und ohne warme Unterkleider wurde das "Mittagessen" auf der Straße stehend eingenommen. Während der Fliegeralarme wurde durchgearbeitet."
2. August: Europäischer Holocaust-Gedenktag für Sinti und Roma
Andreas Jordan | 2. August 2021 | Gelsenzentrum
Die Nacht vom 2. auf den 3. August 1944 wurde zum "entsetzlichen Höhepunkt" der rassistischen Verfolgung von Sinti und Roma. Die SS löst das so ganannte "Familienlager" im deutschen Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau auf und trieb 4300 schreiende und weinende Menschen in den Tod, ein Schreckenstag des Völkermords an Sinti und Roma, dem Porajmos. Seit 2015 wird am 2. August der rund 500.000 Sinti und Roma gedacht, die dem Völkermord in der NS-Zeit zum Opfer fielen. Zugleich sind diese unfassbaren Verbrechen eine Mahnung, sich gegen den noch heute verbreiteten Antiziganismus zu stellen.
2. Weltkrieg in Gelsenkirchen-Buer: Erst überlebt und dann getötet
Andreas Jordan | 18. Juli 2021 | Gelsenzentrum
Leutnant John "Jack" Friedhaber, amerikanischer Bomberpilot, starb im November 1944 in Gelsen- kirchen. Von der Flak getroffen stürzte seine B-24 Liberator mit dem Spitznamen "Never Mrs" in Gelsenkirchen-Buer (Heege) auf einen Acker. Friedhaber konnte sich zunächst mit dem Fallschirm aus dem brennenden Flugzeug retten, wurde jedoch am Boden umweit der Absturzstelle von Gelsenkirchenern totgeprügelt.
Über 300 Deutsche wurden nach 1945 von den Alliierten wegen der sogenannten Fliegermorde vor Gericht gestellt, davon wurden über 150 der Angeklagten hingerichtet. Die weitaus größere Zahl der Verbrechen blieb jedoch ungesühnt oder gar unentdeckt. Mancher alliierte Flieger, der offiziell beim Absturz seiner Maschine oder beim Absprung tödlich verletzt worden sein soll, ist womöglich von fanatisierten Männern umgebracht worden. Es ist nach Auswertung des Quellenmaterials davon auszugehen, das es sich auch im Falle des Piloten John Friedhaber um einen Fliegermord handelt. Mehr erfahren: → Erst überlebt und dann getötet
Stadtbücherei: Vermerk im Online-Katalog sorgte für Irritation
Andreas Jordan | 13. Juli 2021 | Gelsenzentrum
Ein kleiner Vermerk im Online-Katalog der Stadtbücherei Gelsenkirchen sorgte jüngst für Iritation. Unter Titel des Buches von Erika Goldschmidt 'Vergangene Ggenwart' (Signatur "ERLEBNISSE GOL", ISBN: 978-3-8334- 8999-0) steht dort zu lesen: "NICHT ZUM AUSLEIHEN VERFÜGBAR".
Eine Stadtbücherei, die ein bestimmtes Buch aus ihrem Bestand nicht ausleiht, ist eigentlich kaum vorstellbar, dafür muss es einen Grund geben. Eine Nachfrage bei der Pressestelle der Stadt brachte schließlich Licht ins Dunkel, Pressesprecher Martin Schulmann klärte uns dahingehend auf: "Das Buch selbst befindet sich in der Präsenzbibliothek Gelsenkirchener Autoren in Gelsenkirchen-Horst und kann dort natürlich eingesehen werden. Bücher aus dem Bestand der Präsenzbibliothek werden nicht ausgeliehen, um einen weitgehend guten Zustand zu erhalten. Bücher, die sich in der Ausleihe befinden, leiden erfahrungsgemäß und müssen nach einiger Zeit ersetzt werden. Die Bücher aus dem Bereich der Gelsenkirchener Autoren sollen möglichst langfristig erhalten werden und sind daher zwar einsehbar aber nicht für die Ausleihe vorgesehen."
Esther Goldschmidt hatte nach Fertigstellung ihre Buches Patenschaften für drei Stolpersteine übernommen, die an ihre von den Nazis ermordeten Gelsenkirchener Verwandten an deren früheren Wohnort in der damaligen Theresienstraße (heute Kolpingstraße) erinnern.
Esther Bejarano ist tot
Andreas Jordan | 10. Juli 2021 | Gelsenzentrum
Esther Bejarano ist im Alter von 96 Jahren in der Nacht auf Samstag (10. Juli 2021) in ihrer Wahlheimat Hamburg verstorben.
Unser Beileid geht an ihre Familie und ihre Freunde; möge das Gedenken an sie ein Segen für uns alle sein. Baruch Dayan Ha‘Emet.
Die Tochter eines jüdischen Kantors wurde 1943 in das deutsche Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert. "Ich bekam die Nummer 41948. Namen wurden abgeschafft, wir waren nur noch Nummern", schreibt Bejarano in ihrer Autobiografie 'Erinnerungen'. Darin schildert sie die Schrecken des Alltags im Lager und wie sie durch das Frauenorchester eine Chance zum Überleben bekam. Am schlimmsten war für sie, dass das Orchester auch spielen musste, wenn neue Transporte ankamen, die direkt für die Gaskammern bestimmt waren. "Als die Menschen in den Zügen an uns vorbeifuhren und die Musik hörten, dachten sie sicher, wo Musik spielt, kann es ja so schlimm nicht sein", erinnerte sie sich. Weil ihre Großmutter Christin war, wurde sie in das KZ Ravensbrück verlegt, überlebte dort einen Todesmarsch.
Nach der Befreiung widmete die engagierte Mahnerin ihr Leben der Musik, dem Kampf gegen den Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus. Sie sei am frühen Samstagmorgen ganz friedlich eingeschlafen und habe nicht gelitten, sagte ihre enge Freundin Helga Obens, Vorstandsmitglied vom internationalen Auschwitz-Komitee. Schon am Abend habe sich abgezeichnet, dass es ihre letzten Stunden sein werden. Sie sei im Israelitischen Krankenhaus von Freunden umgeben gewesen, in den frühen Morgenstunden verstummte ihre Stimme für immer.
Zweiter Weltkrieg: Der "Zuckerhut" auf dem Schalker Markt
Andreas Jordan | 8. Juli 2021 | Gelsenzentrum
Schon bald wird auf dem Schalker Markt in Gelsenkirchen eine temporäre Kunstinstallation zu sehen sein. Was jedoch nur noch wenigen Gelsenkirchenerinnen und Gelsenkirchenern bekannt ist: an fast gleicher Stelle während des zweiten Weltkrieges stand ein anderes, letztlich ebenfalls temporäres Bauwerk. Ein im Volksmund wegen seiner Bauform als "Zuckerhut" bezeichneter Luftschutzbunker.
Dem Bombenhagel im Weltkrieg hatte der Spitzbunker auf dem Schalker Markt standgehalten, 1948 wurde er jedoch gesprengt. Die Gelsenkirchener Stadtchronik hält unter dem 27. September 1948 fest: "Nachdem in dreitägiger Arbeit 35 Bohrlöcher in den "Zuckerhut" auf dem Schalker Markt getrieben worden waren, wurde dieser Spitzbunker mit 220 Pfund Sprengstoff gesprengt; er zerfiel in vier große Blöcke." Noch längere Zeit blieb der Schutt auf dem Schalker Markt liegen, erst im März 1951 wurden die Trümmer beseitigt: "Die Wegräumung der Trümmer des gesprengten Bunkers ("Zuckerhut") auf dem Schalker Markt auf Kosten der Militärregierung wurde allseitig begrüßt. Die zerkleinerten Trümmer fanden als Packlage beim Straßenbau Verwendung." - so in der Stadtchronik 1951 nachzulesen.
Die gebürtige Schalkerin Marlies Niehues (1936-2008) erlebte als Kind alliierte Bombenangriffe in diesem Bunker auf dem Schalker Markt. Sie hat ihre Erinnerungen an den Schalker "Zuckerhut" festgehalten:
"(...) Aus diesem Grunde war für die Menschen in unserer gefährdeten Gegend schon in den ersten Kriegsjahren auf dem Schalker Markt ein Bunker gebaut worden, der "Zuckerhut", der durch seine Form und sein Baumaterial (Eisenbeton) höchste Sicherheit bot... wenn man rechtzeitig hineinkam. (...) Der Bunker konnte 500 Personen fassen, sicher waren es oft mehr. Die Zugänge waren in 3 verschiedenen Höhenlagen, etwa 120° zueinander versetzt. Der Turmkern hatte einen rechteckigen Grundriss. An den kürzeren Seiten dieses Rechteckes lagen die Zugänge zu den WCs im Turmkern und zu Kammern, in denen Geräte zum Löschen und Retten aufbewahrt wurden. An der längeren Rechteckseite außen gingen die Treppen zu den einzelnen Geschossen.
Das Turminnere glich einem Treppenhaus. Die Treppenstufen liefen durch bis zur gegenüber liegenden Wand und waren mit Bänken ausgestattet, die also wie in einem Amphitheater anstiegen. Auf den großen Podesten der verschiedenen Stockwerke standen die Bänke dagegen in einer Ebene. An den Wänden waren kleine Heizkörper, auf jedem Geschoss ein Wasserhahn mit Spülstein, ein gesichertes Lüftungssystem im ganzen Turm. Es filterte die Außenluft, bevor sie ins Innere gepumpt wurde und schützte uns so vor Giftgas.
Abb.: Dieser Hochbunker, von der Bevölkerung "Zuckerhut" genannt, stand auf dem Schalker Markt in Gelsenkirchen. Das Mädchen auf der Treppe ist die kleine Marlies Niehues. (Foto: Archiv Gelsenzentrum e.V./Marlies Niehues)
Jedes Mal spürte man beim Betreten des Bunkers seinen typischen Geruch: feucht-kühler Betonmörtel. In Augenhöhe liefen über alle Wände breite Streifen von Leuchtfarbe, daß man auch ohne Beleuchtung Umrisse der Menschen davor schemenhaft erkennen konnte. Außerdem war an den Wänden angeschrieben, wo man sich befand, also 2.OG für 2. Obergeschoss usw. Alle Außentüren waren mit Gummidichtungen abgedichtet und mit jeweils 2 Stahlhebeln verschließbar, mit einer etwa 2m langen "Gasschleuse" dazwischen, an deren anderem Ende eine ebensolche Tür war. Sie sollte uns bei Gasangriffen, aber auch vor dem tödlichen Explosions-Luftdruck schützen.
Luftalarm! So rannte denn meine Mutter los, mit mir im Kinderwagen, der in der nächtlichen Stille laut über das Straßenpflaster ratterte. Viele andere Leute hasteten mit uns zum Bunker, wenn die Sirenen losheulten. Es gab verschiedene Signale für Voralarm, Vollalarm, Akute Gefahr, Gasangriff und Entwarnung. Noch heute befällt mich ein Schrecken, wenn ich Sirenengeheul höre. Der Weg zum Schalker "Zuckerhut" ging durch stockdunkle Straßen ohne Straßenlaternen, wo alle Fenster obendrein noch verdunkelt sein mussten. "Der Feind sieht dein Licht. Verdunkeln!" hieß es bei den Nazis. Niemals wieder habe ich die Sternbilder so klar gesehen wie damals. Manchmal machten sie mir Angst mit ihren deutlich sichtbaren Sternennebeln, die wie unheilvolle Flammenzeichen am Himmel standen.
Da gab es ein unauslöschlich schlimmes Erlebnis bei einem Bombenangriff: jedes Mal bevor die Bomben fielen, der Lärm ohrenbetäubend wurde, die Erde bebte, das Licht flackerte, wir in der Dunkelheit umhergeschleudert wurden, bis wir endlich zitternd und betend und weinend in totaler Finsternis saßen, hockten, auf den Knien lagen, bevor also dieses apokalyptische Inferno über uns hereinbrach, wurden die Türen des Bunkers, jeweils 2 mit einer Schleuse dazwischen, fest zugehebelt und hermetisch verschlossen. Es bestand sonst die Gefahr, dass durch den Luftdruck der Bombenexplosionen unsere Lungen platzten. Bombeneinschläge ließen den Zuckerhut zwar schwanken - die Spitze bewegte sich bis zu einem Meter aus ihrer Normallage, entsprechend wurden wir umhergeschleudert - aber niemand, der in unserem Bunker war, ist verletzt oder getötet worden.
Ein russischer Gefangener versuchte eines Tages vor einem Angriff vergeblich, mit in den "Zuckerhut" zu schlüpfen. Er musste schutzlos draußen bleiben. Später, als der Angriff schon angefangen hatte, hörte man, wie jemand verzweifelt draußen mit den Fäusten an die eisernen Panzertüren hämmerte. Niemand öffnete, es wäre nun unser aller Tod gewesen. Dann war der Angriff vorbei, wir taumelten wie betäubt nach draußen in das Licht des Tages. Da lagen zwei tote Männer in dem von Bomben zerpflügten Erdreich. Sie hielten einander noch im Tode umarmt: der russische Kriegsgefangene und ein Deutscher. (...)
Nie habe ich damit gerechnet, den 2. Weltkrieg zu überleben, die zahllosen Angriffe mit Bomben und Luftminen, den Artilleriebeschuss, die Tiefflieger, den Einmarsch der Alliierten, den Hunger und all das Leid. Als kleines Mädchen hatte ich geglaubt, der Schrecken werde nie mehr ein Ende nehmen, werde ewig dauern. Und ganz bestimmt würde ich nicht mit dem Leben davonkommen. Auf meine ängstliche Frage: "Wann ist denn endlich der Krieg zu Ende?" antwortete mein Vater manchmal: "Es gab vor langer Zeit schon mal einen 30jährigen Krieg, und auch schon einen 100jährigen." Die sechs Kriegsjahre, die wir durchleiden mussten, waren für mich, für ein Kind, das bei Kriegsausbruch drei, bei Kriegsende gerade neun Jahre alt geworden war, länger als 100 Jahre, endlos, mein ganzes Leben, meine ganze Kindheit."
Marlies Niehues hat ihre Lebensgeschichte aufgeschrieben, nicht zuletzt als Botschaft an nachfolgende Generationen. Um davon zu erzählen, wie viel Leid und Unheil Kriege über die Menschheit bringen und dass es niemals einen "gerechten Krieg" geben kann.
Gelsenkirchen: Straße nach Baumeister Josef Franke benennen?
Andreas Jordan | 6. Juli 2021 | Gelsenzentrum
Mehrfach wurde in der Vergangenheit angeregt, eine öffentliche Straße oder einen Platz in Gelsenkirchen nach dem Architekten Josef Franke (1876-1944) zu benennen. Die jüngste Anregung dazu kommt jetzt von der Gelsenkirchener CDU (Altstadt). Doch ist Josef Franke eine Person, die mit einer Platz- bzw. Strassenbenennung im öffentlichen Raum geehrt werden sollte?
Nach einer unstrittig reichhaltigen und architektonisch prägenden Schaffensphase bis Ende der 1920er Jahre stellte Franke seine Dienste ab 1933 auch dem NS-Regime und Rüstungsbetrieben zur Verfügung. So baute er u.a. ab 1936 eine Arbeitersiedlung für die Gelsenberg Benzin AG, gestaltete 1937 den 'Ehrenhof' für die im ersten Weltkrieg gefallenen Werksangehörigen beim Hüttenwerk Schalker Verein. Im so genannten 'Ehrenhof' wurde ein 'Kriegerdenkmal' von Hubert Nietsch in Form einer sechs Meter hohen Stele aus Granitquadern aufgestellt, an der ein fünf Meter hohes gusseisernes, steil aufgerichtetes und lorbeerumkränztes Schwert angebracht wurde. Auch der NS-affine Nietsch profitierte von Aufträgen des NS-Regimes. In der Gesamtdarstellung entsprachen 'Kriegerdenkmal' und 'Ehrenhof' dem NS-Architektur- und Kunstverständnis, im so genannten 'Ehrenhof' fanden regelmäßig Aufmärsche und NS-Propagandaveranstaltungen statt.
Während des zweiten Weltkrieges nahm Josef Franke vornehmlich Aufträge des NS-Regimes zur Errichtung von Hochbunkern und Splittergräben an, darunter auch die Hochbunker An der Friedweide in Horst, an der Bochumer Str. in Ückendorf und an der damaligen 'Karl-Laforce-Straße' (Heutige Arminstr.). Diese Hochbunker wurden zwischen 1941 bis 1944 erbaut. Aufgrund des kriegsbedingten Baustoff- und Arbeitskräftemangels konnten in ganz Deutschland bis Ende 1941 nur 839 Bunker mit ca. 400.000 Schutzplätzen fertiggestellt werden. Hierzu wurden in enger Absprache mit den Arbeitsämtern und dem Generalbeauftragten für den Arbeitseinsatz oftmals von bauausführenden Firmen französische und belgische Kriegsgefangene als Zwangsarbeiter eingesetzt, das wird in Gelsenkirchen nicht anders gewesen sein. Auch kann bisher nicht sicher ausgeschlossen werden, das Juden zwangsweise im so genannten "Geschlossenen Arbeitseinsatz" beispielsweise bei Erdarbeiten für diese Bunkerfundamente eingesetzt worden sind.
War Franke ein überzeugter Nazi? Ein Mitläufer? Ein Karrierist? Nach der Befreiung Stellung dazu nehmen oder sich möglicherweise distanzieren konnte er sich nicht mehr: am 16. Januar 1944 starb Josef Franke 67jährig an einem Schlaganfall. Eine klare Antwort darauf gibt auch sein rein fachliches Wirken nicht, jedoch zeigt dieses deutlich Josef Frankes Verstrickungen in das Nazi-Regime, die eine Ehrung als Namensgeber im öffentlichen Raum ausschließen sollten.
Gelsenkirchener Geschichte: Das fast vergessene KZ vor der Haustür
Andreas Jordan | 4. Juli 2021 | Gelsenzentrum
Am 4. Juli 1944 erreichte ein Güterzug Gelsenkirchen. Nicht wirklich erwähnenswert, wenn nicht der Abfahrtort dieses Zuges das Vernichtungslager Auschwitz gewesen wäre. An Bord dieses Zuges befand sich menschliche Fracht: 2000 weibliche KZ-Gefangenene, selektiert im deutschen Vernichtungslager Auschwitz, von Nazi-Schergen zur Ableistung von Zwangsarbeit bei der Gelsenberg Benzin AG in Gelsenkirchen-Horst bestimmt.
In Auschwitz kahlgeschoren, wurden die überwiegend jungen Frauen und Mädchen in ihren groben "Kleidern", mit denen die Nazis die weiblichen KZ-Häftlinge in Auschwitz ausgestattet hatten, über die Straßen Gelsenkirchens unter Bewachung zu einem eigens errichteten Lager mit der offiziellen NS-Bezeichnung "SS-Arbeitskommando K.L. Buchenwald, Gelsenberg Benzin A.G." getrieben.
Nördlich des Linnebrinkweges befand sich am Rande des Werksgeländes der Gelsenberg Benzin A.G. das stacheldrahtumzäunte, von Wachtürmen umgebene KZ-Außenlager. Die weiblichen Gefangenen wurden dort unter unmenschlichen Bedingungen in großen Zelten untergebracht und von SS- und OT-Angehörigen bewacht. Die Arbeitskraft der Frauen wurde in zwölfstündigen Schichten vorwiegend bei Enttrümmerungs- und Aufräumarbeiten auf dem Werksgelände, Bunker- und Straßenbau in angrenzenden Stadtteilen sowie auch bei Be- und Entladetätigkeiten im Hafen Gelsenberg ausgebeutet. Den gefangenen Frauen war wie allen Zwangsarbeitenden der Zutritt zu Bunkern und Schutzräumen verboten, so dass diese Menschen dem Bombenhagel bei alliierten Luftangriffen schutzlos ausgeliefert waren. Allein im September 1944 starben mehr als 200 Frauen und Mädchen bei einem Bombenangriff auf das Horster Hydrierwerk Gelsenberg. Berichte von Zeitzeuginnen, Fakten, Fotos: - Mehr erfahren
Gemeinsam erinnern: Verlegung von Stolpersteinen in Gelsenkirchen
Andreas Jordan | 26. Juni 2021 | Gelsenzentrum
Bildhauer Gunter Deming, der die Idee der Stolpersteine in den frühen 1990er Jahren erdachte, hat seither zumeist mit eigenen Händen annähernd 90.000 Stolpersteine in 26 Ländern Europas in das Pflaster von Gehwegen eingelassen. Demnigs Stolpersteine erinnern an alle Verfolgtengruppen gleichermaßen. Am Freitagvormittag traf der Bildhauer in Ückendorf ein, an Bord seines roten Lieferwagens hatte Demnig auch die 25 neuen Stolpersteine für Gelsenkirchen. Am Knappschaftshof begann die Verlegetour durch das Stadtgebiet. Zahlreich waren dort Lehrer*innen, SchülerInnen (Klasse 8.1) und Ehemalige der Gesamtschule Berger Feld vor Ort erschienen, als am Knappschaftshof die Stolpersteine für Familie Walter Levie ins Pflaster eingelassen wurden. Hatten sie doch die Patenschaften für dieser drei Erinnerungszeichen übernommen. Die Jugendlichen gestalteten mit ihren Beiträgen die kleine Zeremonie aktiv mit. → Weiterlesen
Abb.: Drei gescheiterte Fluchtversuche aus Nazideutschland, erst ein weiterer Versuch führt nach einer vierjährigen Odysee in Sicherheit - an Elias Finger erinnert jetzt in Gelsenkirchen ein Stolperstein.
Würdiges Gedenken: In Gelsenkirchen nicht möglich?
Andreas Jordan | 12. Juni 2021 | Gelsenzentrum
Eine auf dem Essener Willy-Brandt-Platz gegenüber dem Hauptbahnhof (Haupteingang Nordseite) aufgestellte Hinweistafel erinnert an die Deportation von jüdischen Menschen in den Jahren 1941 bis 1943. Trotz mehrfacher Versuche des umtriebigen Klaus Brandt mittels Bürgeranträgen und Eingaben konnte in Gelsenkirchen bisher nicht erreicht werden, eine ähnliche Tafel vor bzw. im Gelsenkirchener Hauptbahnhof zu installieren. Zu groß war bisher die ablehnende Haltung bei den hiesigen PolitikerInnen wie auch bei der Deutschen Bahn.
Am Hinterausgang des Gelsenkirchener Hauptbahnhofes wurde zwar im Jahre 2008 eine Tafel aufgestellt, als Schnellschuss-Reaktion auf den von zivilgesellschaftlichem Engagement organisierten Aufenthalt des 'Zug der Erinnerung' , doch diese Tafel thematisiert lediglich die Deportation jüdischer Kinder. Besonders unwürdig: Die nicht an exponierter Stelle aufgestellte Tafel wird seither ständig als Urinal benutzt. So ist auch der Gestank in diesem Bereich grade in den warmen Monaten überdeutlich wahrnehmbar, wobei der stechende Geruch in meinen Augen noch das kleinere Übel ist.
Abb.: Vor aller Augen wird vor dem Hauptbahnhof in Essen an die Deportationen jüdischer Menschen erinnert.
Zahl der Lernorte wächst: Projekt Stolpersteine wird in Gelsenkirchen auch 2021 fortgesetzt
Pressemitteilung | 8. Juni 2021 | Gelsenzentrum
Seit 2009 verlegt eine Projektgruppe des Gelsenzentrum e.V. gemeinsam mit Stolperstein-Erfinder Gunter Demnig die kleinen Denkmale in Gelsenkirchen als festen Bestandteil einer nachhaltigen Erinnerungs- und Gedenkkultur, getragen von zivilgesellschaftlichem Engagement. Bildhauer Gunter Demnig sieht sein Stolperstein-Projekt als "Soziale Skulptur", in Anlehnung an den von Joseph Beuys geprägten Begriff der "sozialen Plastik". Sein Kunstprojekt "Stolpersteine für Europa" nimmt alle NS-Verfolgtengruppen gleichermaßen in den Blick.
Pressefoto: Ankündigung Stolpersteinverlegung in Gelsenkirchen 2021. Quelle: Gelsenzentrum e.V.
Das komplexe und abstrakte Wissen um die Geschichte des Holocaust wird in den Stolpersteinen sehr konkret. Die Erinnerung an jedes einzelne NS-Opfer wirkt so intensiv und nachhaltig, weil die Wahrnehmung an seinem früheren Lebensmittelpunkt – der Straße, dem Eingang zur Wohnung, dem sozialen Umfeld – erfolgt. Jeder einzelne Stolperstein steht dabei für ein Leben und symbolisiert einen Erinnerungsort, der gleichzeitig zum Lernort wird. Diese Orte bieten ohne Einschränkungen an jedem Tag rund um die Uhr die Möglichkeit, Gedenken sehr individuell und privat zum Ausdruck zu bringen. Frei ver- fügbare biografische Skizzen, die in unserem digitalen Lesesaal zum Abruf bereit stehen, ergänzen die Inschriften auf den jeweiligen Stolpersteinen.
Am 18. Juni diesen Jahres ist es soweit, dann kommt Bildhauer Gunter Demnig einmal mehr nach Gelsenkirchen. An diesem Tag werden Stolpersteine verlegt für die Familien Walter Levie (11.30, Knapp- schaftshof 1), Hermann Heymann (12.15, Karl-Meyer-Str. 29), Isidor Goldblum (13.00, Zeppelinallee 55), Siegmund Katzenstein (13.45, Schalker Str.174), Elias Finger (14.30, Im Lörenkamp 2), Dr. Hugo Alexander (15.00, Von-Der-Recke-Str. 15), Vikar Heinrich König (15.30, Husemannstr. Ecke Ahstr.). Zu beachten ist, das sich die angegebenen Uhrzeiten +/-20 Minuten verschieben können. Bei den einzelnen Verlegungen sind die gültigen Abstands- und Hygieneregeln einzuhalten.
Am Projekt beteiligen kann sich praktisch jeder, die Finanzierung der Gedenksteine erfolgt allein über Spenden. Wer für einen solchen Stolperstein die Patenschaft und damit die Finanzierung übernehmen will (pro Stein 120 Euro, auch Teilbeträge sind willkomen, diese werden von uns zu Sammelpatenschaften zusammengefasst), bekommt die nötigen Informationen per Mail a.jordan(ätt)gelsenzentrum.de oder im Internet auf unserer Projektseite www.stolpersteine-gelsenkirchen.de. Seit 2009 konnten wir so mit finazieller Unterstützung von Patinnen und Paten 238 Stolpersteine sowie eine Stolperschwelle (Sonderform der Stolpersteine) in Gelsenkirchen verlegen. Schon bald kommen so in unserer Stadt insgesamt weitere 25 der kleinen Erinnerungszeichen hinzu.
Zeit heilt nicht alle Wunden: Deportation der Gelsenkirchener Sinti und Roma am 9. März 1943
Andreas Jordan | 4. März 2021 | Gelsenzentrum
Vor 78 Jahren, am 9. März 1943, veranlasste die Gelsenkirchener Polizei auf der Basis des so genannten "Auschwitz-Erlass" von Heinrich Himmler die Deportation der sich noch im kommunalen Zwangslager an der damaligen Reginenstrasse befindlichen Gelsenkirchener Sinti in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Die allermeisten der verschleppten Menschen fielen dem unbedingten Vernichtungswillen der Nazi-Barbaren zum Opfer, nur einige wenige erlebten 1945 ihre Befreiung.
Abb.: Im Mai 1939 wurde von der Stadt Gelsenkirchen ein neuer Zwangslagerplatz für die Gelsenkirchener Sinti bestimmt. Das neu errichtete Internierungslager an der Reginenstraße, zwischen den Deutschen Eisenwerken (Schalker Verein) und der Gelsenkirchener Bergwerk-AG (GBAG) mit ihrer Zeche und Kokerei Rheinelbe/Alma gelegen. Der "Umzug" fand am 9. Juni 1939 statt. Die Wohnwagen, dreißig an der Zahl, zogen vor den Augen der Stadtgesellschaft unter behördlicher Bewachung in einer Kolonne vom vorherigen Lagerplatz an der Cranger Straße (Höhe Freibad Grimberg) quer durch die Stadt zum Lagerplatz Reginenstraße in Gelsenkirchen-Hüllen (Luthenburg). (Repro: Adressbuch Gelsenkirchen, Ausgabe 1939)
Bis heute ist die Gesamtzahl der ermordeten Kinder, Frauen und Männer der Minderheit nicht exakt zu bestimmen; der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma geht von etwa 500 000 Menschen aus, die den Mordaktionen und den grausamen Bedingungen in den Konzentrations- und Vernichtungslagern zum Opfer fielen. Doch auch nach Kriegsende setzten sich die Diskriminierung und Kriminalisierung der Angehörigen dieser Minderheit in Behörden, Schulen und Institutionen fort. Die wenigen überlebenden Sinti und Roma erfuhren weder eine Anerkennung als Opfer nationalsozialistischer Verfolgung noch erhielten sie Entschädigungsleistungen. Die Täter hingegen konnten in den allermeisten Fällen ihre Karrieren ungebrochen weiterführen - so auch in Gelsenkirchen. Auch heute noch sehen sich Sinti und Roma mit zahlreichen Vorurteilen konfrontiert.
Der 27. Januar ist für Gelsenkirchen ein Gedenktag mit doppelter Bedeutung. An diesem Tag im Jahr 1942 verließ ein Deportationszug Gelsenkirchen Richtung Riga in Lettland, drei Jahre später wurde am 27. Januar das deutsche Vernichtungslager Auschwitz von der Roten Armee befreit.
Auch in Gelsenkirchen wird anlässlich dieses Tages an die Verbrechen der nationalsozialistischen Ge- waltherrschaft erinnert und aller Opfer des Terrorregimes gedacht.
Die Erinnerung an die Deportation Gelsenkirchener Bürgerinnen und Bürger, die Befreiung von Auschwitz und alle Opfer des deutschen Faschismus halten wir lebendig, auch und grade in der Coronapandemie. Wir müssen heute mehr denn je aufzeigen, warum das Gedenken an historisches Unrecht eine Relevanz für unser Zusammenleben hier und heute hat, ob das vor dem Hintergrund der aktuellen pandemiebedingten Einschränkungen in Präsenzveranstaltungen, individuellem Gedenken oder digital geschieht, ist dabei eher zweitrangig.
Abb.: Deportation jüdischer Deutscher nach Riga. Das Foto wurde 1941 auf dem Güterbahnhof Bielefeld aufgenommen. (Foto: Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 300,11/Kriegschronik der Stadt Bielefeld, Nr. 4., S. 332)
Die auf dem Foto gezeigte Szenerie ist vergleichbar mit dem Gelsenkirchener Deportationstransport vom 27. Januar 1942. Die im temporären "Judensammellager" am Wildenbruchplatz einige Tage zuvor eingepferchten Menschen mussten am nahegelegenen Güterbahnhof in einen Personenzug der Reichsbahn einsteigen, der sie nach Riga transportieren sollte. Deutsche Juden wurden nicht mit Güterzügen aus ihren Heimatorten, sondern durchweg mit Personenzügen deportiert — nicht zuletzt, um die Opfer zu täuschen und ihnen einen "Arbeitseinsatz im Osten" vorzugaukeln. Die Fahrtkosten hatten die zur Deportation bestimmten Menschen selbst zu entrichten. Einfache Fahrt, 3. Klasse. Eine Rückfahrt war nicht vorgesehen.
Abb.: Ausstellungshalle am Wildenbruchplatz, 1942 temporäres "Judensammellager" - von dort wurden die Menschen durch Gelsenkirchens Straßen zum Güterbahnhof getrieben. (Luftbild: Stadt Gelsenkirchen, Repro A. Jordan)
An die Existenz von NS-Unrechtsorten erinnert in Gelsenkirchen zumeist nichts. Zu den Gelsenkirchener Unrechtsorten gehören die Haftstätten der NS-Justiz, dazu zählt auch das damalige Gerichtsgefängnis Buer. In diesem Gefängnis litten die verschiedensten Opfer und Opfergruppen des NS-Terrorregimes. Exemplarisch seien hier die Fälle zweier Ehepaare aus Berlin geschildert, die im September 1939 in Buer verhaftet wurden.
Im zwischen April 1902 und Februar 1904 vom Amt Buer erbauten Amtsgerichtgebäude mit seperaten Gerichtsgefängnis an der Westerholter Straße 7a waren von 1933 an neben Strafgefangenen, Untersuchungs- und 'politischen' Häftlingen, ausländischen ZwangsarbeiterInnen und gegen Kriegsende 1945 auch desertierte deutsche Soldaten inhaftiert.
Während des 2. Weltkrieges war das Gerichtsgefängnis Buer, das zumeist als Durchgangsstation für Trans- porte in Konzentrations- und Arbeitserziehungslager und andere Haftanstalten diente, völlig überbelegt. Wie in fast allen NS-Haftstätten waren auch in der Haftstätte Buer die hygienischen Verhältnisse unzumutbar und die Nahrungsmittelversorgung der inhaftierten Menschen unzureichend.
Abb.: Ehepaar Ernst und Ilse Licht aus Berlin
Im September 1939 wurde eine Gruppe von 20 Berlinern, zumeist Juden, darunter Frauen und auch zwei Kinder, im Gerichtsgefängnis Buer inhaftiert, nur eine Person aus dieser Gruppe überlebte den Holocaust: Jenny Landsberger, Dr. Egon Landsbergers nichtjüdische Ehefrau. Unter den in Buer von der Gestapo festgenommenen befand sich auch das Ehepaar Ernst und Ilse Licht. Ihren damals 11jährigen Sohn Klaus hatte das Ehepaar Licht im Dezember 1938 mit einem Kindertransport nach England retten können. Sie selbst versuchten verzweifelt, Nazi-Deutschland noch irgendwie zu verlassen, jedoch scheiterten ihre Bemühungen um ein Einreisevisum in ein anderes Land. Bereits getroffene Vorbereitungen für eine Flucht nach Holland werden durch den Beginn des Krieges hinfällig. In dieser praktisch auswegslosen Situation vetraute sich Dr. Ernst Licht auf Empfehlung eines Bekannten dem Rechtsanwalt a. D. Karl Höppe an, der vorgab, jüdischen Flüchtlingen die Einreise nach Holland wie auch den Aufenthalt dort zu ermöglichen. Allein Dr. Licht zahlt dafür an Karl Höppe ins- gesamt 3.800 Reichsmark.
Wie verabredet reiste auch das Ehepaar Licht am 19. September 1939 mit dem Zug nach Hamm in Westfalen. Von dort sollte Alfred, der Sohn des Rechtsanwaltes Höppe, die Flüchtlinge mit dem PKW über Gelsenkirchen nach Holland bringen. Am gleichen Tag gegen 15:20 Uhr Uhr geriet das Auto in Buer in eine Polizeikontrolle. Die Insassen werden wegen Verdachts der 'Kapitalflucht' und 'illegalen Grenzübertritts' verhaftet. Um 19:00 Uhr werden sie zunächst in das Polizeigefängnis Buer eingeliefert und kurze Zeit später in das Gerichtsgefängnis Gelsenkirchen Buer überstellt. Einzelne aus der Gruppe wurden einige Zeit nach der Verhaftung in das Gerichtsgefängnis Recklinghausen verlegt. Nach dem von den Verfolgungsbehörden angestrengten Strafprozess gegen Karl Höppe wurden die inhaftierten jüdischen Menschen nicht mehr als "Beweise" für seine Aktivitäten als vorgeblicher "Fluchthelfer" gebraucht und in Konzentrationslager eingewiesen.
Abb.: Brief von Ilse Licht an ihren Ehemann Ernst. Abschriften weiterer Briefe, die sich das Ehepaar Licht im Gerichtsgefängnis Buer gegenseitig schrieb, sind erhalten.
Obwohl das Verfahren gegen Ernst und Ilse Licht im Juli 1940 von der Devisenstelle wegen Geringfügigkeit eingestellt wurde, kam auch das Ehepaar Licht nicht mehr frei. Noch vor dem Verhandlungstermin wurden beide vom Gerichtsgefängnis Gelsenkirchen-Buer aus in Konzentrationslager eingewiesen: Ilse Licht am 1. Juni 1940 in das KZ Ravensbrück, von dort im März 1942 in der Tötungsanstalt Bernburg (Saale) "verlegt" und am Tag der Ankunft ermordet. Ernst Licht wurde am 9. Juni 1940 in das KZ Sachsenhausen eingewiesen. Als sein Todesdatum wird in den Akten der 15. August 1940 angegeben, Vermerk "Selbstmord".
Abb.: Am letzten selbstgewählten Wohnort in Berlin erinnern Stolpersteine an Familie Licht
Der Gruppe der verhafteten jüdischen Flüchtlinge, von denen mit einer Ausnahme niemand den Holocaust überlebte, gehörten neben dem Ehepaar Licht folgende Menschen an:
Dr. Jacques Abraham und Ehefrau Rosa geb. Kosterlitz
Emma Ochs und Tochter Anita Kaufmann
Arthur Behrendt und Ehefrau Henriette geb. Silberstein
Paul Fuß und Ehefrau Meta, geb. Opet und Tochter Irmgard
Ludwig Opet
Kurt Kirstein
Heinrich Pringsheim
Alfred Hirsekorn
Dr. Ignaz Lippmann, Ehefrau Ilse geb. Pinoff und Tochter Anneliese
Dr. Egon Landsberger und Ehefrau Jenny geb. Weichert
Jenny Landsberger: Zwangsscheidung oder Deportation in ein Konzentrationslager
Abb.: Vor dem Haus Stierstraße 5 in Berlin erinnert ein Stolperstein an Dr. Egon Landsberger.
Egon Landsbergers Ehefrau Jenny wurde nach 9 Monaten Gestapohaft schließlich entlassen, die Gestapo hatte ihr die 'Einwilligung' abgepresst, sich von ihrem jüdischen Mann scheiden zu lassen. Obwohl Jenny auch weitere Forderungen der Gestapo erfüllte, wurde Egon Landsberger jedoch in das KZ Sachsenhausen gebracht, im September 1940 in das KZ Dachau deportiert und dort am 30. Januar 1941 ermordet. Seine Frau Jenny erhielt ein Telegramm aus Dachau und konnte dort ihren toten Ehemann noch einmal sehen. In den ersten Jahren nach dem Krieg kämpfte sie für die Rückgängigmachung der Zwangsscheidung - erfolglos.
Jenny Landsberger erhielt auch keine Entschädigung für Haft und Tod ihres Mannes, das Entschädigungsamt Berlin begründete dies mit der erfolgten 'Scheidung' von Egon Landsberger. In einem letzten Brief an das Entschädigungsamt in Berlin schreibt sie sechzigjährig im Jahr 1964 abschließend, Zitat: "(...) 9 Monate Gestapohaft und jahrelange Angst haben mich müde und mutlos gemacht. (...) Ich lebe heute noch in Gedanken an ihn und es gab niemand der zu mir gehörte als er. (...) Wenn ich mich wieder hätte verhaften lassen, hätte niemand für meinen Mann handeln können. (...) Ich habe keine Nerven mehr dazu, weitere Versuche zur Rehabilitierung zu unternehmen. Es wird ja auch bald zu ende [sic] sein. Aber die Rehabilitierung hätte mir vieles erspart. Dabei ist mir nicht so wichtig, daß das Geld, was einmal meinem Mann und auch mir gehörte nun in völlig fremden Händen ist und Menschen gehört, die mir ins Gesicht sagten: Ich gebe das Geld nicht raus. Andere Frauen haben sich mit ihren Männern töten lassen. Sie brauchen meine Akten nicht mehr zu bearbeiten. Ich nehme alle Ansprüche zurück. (...) Bitte lassen Sie mir meine Ruhe, ich kann nicht mehr. Hochachtungsvoll, Jenny Landsberger
Auch Dr. Günther Loebinger, der das Ehepaar Licht nach deren Verhaftung juristisch vertrat und sich unermüdlich um ihre Freilassung bemühte (Weil die Berufsbezeichnung Rechtsanwalt „Ariern“ vorbehalten blieb, musste Loebinger sich Konsulent nennen und in seinem Briefkopf den Vermerk führen: „Konsulent / zugelassen nur zur rechtlichen Beratung und Vertretung von Juden / J.-Kennkarte: Berlin A 429165". Seine Kanzlei befand sich in Berlin-Wilmersdorf, Brandenburgische Straße 38.) gehörte nicht zu den Überlebenden, er wurde am 1. November 1944 im deutschen Vernichtungslager Auschwitz ermordet.
Mein besonderer Dank geht an Bridget King, die mir den Hinweis auf die im Gerichtsgefängnis Buer inhaftierte Flüchtlingsgruppe gab, sowie mir Einblicke in ihre Recherchearbeit erlaubte und Kopien und Fotos zur Verfügung stellte. Dr. Ernst Licht war ihr Großonkel, Ilse somit ihre Großtante.
Abb.: Das Luftbild aus dem Jahr 1952 zeigt das Amtsgericht Buer mit dem angegliederten Gerichtsgefängnis. Der alte Gebäudebestand wurde in den 1970er Jahren abgerissen, die freiwerdene Fläche neu bebaut
Erinnerungs- und Lernort schaffen
Ebenso wie vor dem im Sockelgeschoss des heutigen Polizeipräsidiums gelegene ehemalige Polizeigefängnis Buer sollte am Standort des heutigen Justizzentrums ein Erinnerungs- bzw. Lernort geschaffen werden. Denn auch in Gelsenkirchen gab es mehrere Polizei- und Gerichtsgefängnisse, von denen für viele Opfer der NS-Justiz der Weg in einen gewaltsamen Tod begann.
Wir werden einen entsprechenden Antrag in die politischen Gremien der Stadt Gelsenkirchen einbringen und darin anregen, das am neuen Justizzentrum an die Opfer der NS-Justiz erinnert wird. Denn dies kann nur in der Verbindung von Vergangenheit und Gegenwart geschehen, indem wir nachfolgenden Generationen vor Augen führen, welch wertvolles und unersetzliches Gut ein freies und selbstbestimmtes Leben in einer starken und wehrhaften Demokratie ist.
Buch-Neuerscheinung:
Wir sollten leben. Am 1. Mai 1945 von Kiel mit Weißen Bussen nach Schweden in die Freiheit
| 6. Oktober 2020 | Gelsenzentrum
Am Morgen des 1. Mai 1945 rollten weiß gestrichene und mit dem Rot-Kreuz-Emblem versehene Busse und Krankenwagen durch das Tor des 'Arbeitserziehungslagers' Kiel-Hassee. Sie gehörten zum Kontingent der von dem schwedischen Grafen Folke Bernadotte initiierten Rettungsmission, um in der Endphase des Zweiten Weltkrieges möglichst viele KZ-Häftlinge aus den Händen der SS zu befreien und nach Schweden in Sicherheit zu bringen.
Die Rettungsfahrzeuge nahmen in dem Kieler Lager 153 jüdische Häftlinge auf, Menschen, von denen die meisten eine mehrjährige Odyssee durch Ghettos und Lager durchlitten hatten. Diesem Transport und – vor allem – den damals ausgezehrten und verzweifelten Menschen widmet sich dieses Buch. Es spürt an Hand von Dokumenten und Zeitzeugenberichten den Lebensläufen der nach Schweden geretteten Holocaust-Überlebenden nach und schildert ihr Leben nach dem Überleben.
Es sind individuelle Überlebensgeschichten von Menschen, die die Hoffnung auf ihre Befreiung vom Nazi-Joch bereits aufgegeben hatten und ungläubig in die Rettungsfahrzeuge eingestiegen waren. Einer der 'Weißen Busse' steht heute in der Jerusalemer Gedenkstätte Yad Vashem, wo all jene geehrt werden, die unter Lebensgefahr Juden vor dem Naziterror retteten. → Leseprobe
Bernd Philipsen und Fred Zimmak - sein Vater Leonhard war unter den mit Weißen Bussen geretteten jüdischen Menschen - haben mit ihrem 282 Seiten starken Buch eine bemerkenswerte Dokumentation einer der größten und spektakulärsten Rettungsaktionen im Europa der 1940er Jahre vorgelegt. Unter den an diesem 1. Mai Geretteten befanden sich auch die Gelsenkirchener Hermann und Flora Voosen sowie Irene Buchheim. Der zum Autorenteam gehörende Historiker Andreas Jordan (Gelsenzentrum e.V.) hat die Lebens- und Leidenswege des Ehepaars Vossen und deren in Riga ermordeten Tochter Matel recher- chiert, die daraus entstandene Ausarbeitung ist unter dem Titel "Hermann und Flora Voosen: Der Tod war kein Unbekannter mehr" integraler Bestandteil des Buches.
+ + + Update 24. Oktober 2020: Das Unvorstellbare bekommt Namen und Gesichter. Rezension zum Buch von Bernd Philipsen/Fred Zimak (Hrsg): Wir sollten leben.
An Familie Hermann Voosen sollen schon bald am letzten selbstgewählten Wohnort in Gelsenkirchen Gunter Demnigs Stolpersteine erinnern, dafür suchen wir zur Finanzierung der kleinen Denkmale Stolperstein-Paten. Info per: Email.
Gelsenkirchen: Gedenken am Europäischen Holocaust-Gedenktag für Sinti und Roma
Andreas Jordan | 2. August 2020 | Gelsenzentrum
Anlässlich des Europäischen Holocaust-Gedenktages für Sinti und Roma am heutigen Sonntag putzten Vetreter des Gelsenzentrum e.V. und der Stolperstein-Initiative Gelsenkirchen heute die an der Bergmannstraße im Jahr 2014 verlegten Stolpersteine für die Sinti-Familie Böhmer, legten dort und am neugeschaffenen Rosa-Böhmer-Platz Rosen nieder. Wir gedenken den unter der NS-Tyrannei Ermordeten, Gequälten, Verfolgten und Entrechteten!
Am heutigen Sonntag (2. August) wird weltweit der Opfer der Sinti und Roma unter dem NS-Regime in Deutschland (1933-1945) gedacht. Bis zu 500.000 Angehörige der Minderheit sollen laut Schätzungen während des Holocaust ermordet worden sein. Dieser Tag erinnert auch an die letzten 4300 im deutschen Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau gefangenen Sinti und Roma, die in der Nacht vom 2. auf den 3. August 1944 in den Gaskammern des Lagers Auschwitz-Birkenau ermordet wurden.
Geschäftsmodell Auschwitz: Enkel des Auschwitz-Kommandanten Höß erneut verurteilt
Andreas Jordan | 27. Juli 2020 | Gelsenzentrum
Vermutlich niemand würde sich sonderlich für den mehrfach vorbestraften Rainer Höß interessieren. Wäre da nicht dessen Großvater Rudolf Höß, Kommandant des deutschen Vernichtungslagers Auschwitz, als Kriegsverbrecher 1947 zum Tode durch den Strang verurteilt und am Ort des ehemaligen Stammlagers hingerichtet. Dessen Enkel Rainer Höß (Jg. 1965) versucht seit mehr als zehn Jahren aus den Verbrechen seines Großvaters Kapital zu schlagen. Seine damit verbunden Lügen und Betrügereien brachten ihm so manche einschlägige Vorstrafe ein, in Summe: 18, darunter allein 13 wegen Betruges. Verurtei- lungen vor Zivilgerichten nicht mitgezählt.
Doch keine der Verurteilungen hat bisher dazu geführt, das Rainer Höß seinen persönlichen Lebensentwurf überdenkt oder gar nachhaltig ändert. Jüngst verurteilte ihn ein Gericht in Süddeutschland erneut, wieder hatte er zuvor einen Menschen um einen hohen Geldbetrag gebracht, angeblich um damit die Fertigstellung eines Films mit dem Titel "Der Enkel" zu finanzieren. Den Film eines serbischen Fernsehsenders gibt es tatsächlich, nur hat Rainer Höß nichts mit dessen Produktionskosten zu tun, und so sind diese rund 17.000 Euro anderweitig in den Taschen von Rainer Höß versickert.
Vor Hintergrund dieses Strafprozesses entschloss sich sein bisher eher medienscheue Bruder Kai zu seinem ersten Interview, es sei höchste Zeit, andere vor seinem Bruder Rainer zu warnen. "Ich will nur, dass er aufhört, die Menschen zu betrügen, indem er die Namen und die Asche von Millionen von Holocaust-Opfern benutzt", sagte der 58jährige Kai Höss u.a. über seinen Bruder. "Ich halte es für wichtig, dass er an einen Ort gebracht wird, der ihn dazu bringt, mit diesen Dingen aufzuhören."
Vor rund zehn Jahren versuchte Rainer Höß, auch mir gegenüber sein perfides Gespinnst aus Fantastereien und Lügen aufzubauen, versuchte u.a. an Namen und Adressen von Holocaust-Überlebenden zu gelangen. Doch zu plump waren seine untauglichen Versuche, Vertrauen aufzubauen. Es folgte zudem eine entsprechende Warnung des israelischen Journalisten Eldad Beck, Rainer Höß und dessen Geschäftsmodell betreffend.
Ich brach jeglichen Kontakt zu dem Enkel des Lagerkommandanten ab, es folgten von Höß augenscheinlich gefakte Anwaltschreiben und dergleichen mehr, verbunden mit subtilen Drohungen, Stoßrichtung: jede kritische Berichterstattung meinerseits sollte unterbleiben. Untaugliche Versuche der Einschüchterung, die unsäglichen Machenschaften des Rainer Höß müssen mit hoher Dringlichkeit einer breiten Öffentlichkeit bekannt gemacht werden. Eine Auswahl aktueller Artikel zu Rainer Höß:
31. Juli 2020. Rena Jacob im Interview mit Eldad Beck nach dessen Artikel über den Betrüger Rainer Höß in der israelischen Zeitung Israel Hayom:
Warum die Nationalsozialisten so erfolgreich waren
Der israelische Journalist Eldad Beck zieht ein Resümee...
Heute vor einer Woche veröffentlichte Israel Hayom den großen Artikel von Eldad Beck über den vorbestraften Lügner Rainer Höß, den Enkel des Kommandanten von Auschwitz, Rudolf Höß. Ich wollte wissen, wie hat die Öffentlichkeit darauf reagiert, ja welches Feedback hat ihn getroffen und welche Unterstützung hat er erfahren. Weiterlesen:
→ Rena Jacob im Interview mit Eldad Beck
11.08.2020. Der israelische Journalist Eldad Beck über die Schattenseiten von Rainer Höß, dessen Nazi-Großvater und den unkritischen Umgang der deutschen Medien mit dem Enkel. Das Interview mit Eldad Beck führte Michael Thaidigsmann. Zum Interview in der 'Jüdische Allgemeine': "Hochstapler, Lügner, Betrüger"
"Ich hoffe, dass die Rainer-Höß-Festspiele in den deutschen Medien jetzt endlich beendet werden."
Eldad Beck
Ob es zukünftig so manchem recherchierenden Medienschaffenden oder Journalisten gelingen wird, die notwendigen Informationen zur Person Rainer Höß vor einer wie auch immer gearteten Veröffentlichung zu finden, liegt wohl allein an der Sorgfalt der betreffenden Person. Dem notorischen, manipulativen Lügner und Berufsenkel Rainer Höß darf zukünftig keine öffentliche Bühne mehr geboten werden. ajo.
Gelsenkirchen: Straßenbenennung nach Ernst Papies rückt näher
Andreas Jordan | 27. Juni 2020 | Gelsenzentrum
Das hiesige Institut für Stadtgeschichte (ISG) hat ein Geschichtsbild zu Ernst Paies erstellt und kam zu dem Ergebnis, das "es bedenkenswert ist, stellvertretend für andere oder auch eingebunden in die Geschichte anderer verfolgter homosexueller Bürger der Stadt angemessen an Ernst Papies zu erinnern." Dem vorausgegangen war die Anregung nach § 24 GO NRW, eine Straße in Gelsenkirchen nach Ernst Papies zu benennen, die der Bochumer Dipl.- Psychologe Jürgen Wenke und Andreas Jordan (Gelsenzentrum e.V.) gemeinsam an die Stadt gerichtet hatten. Jürgen Wenke hatte zuvor umfassende Forschungen zu den Lebens- und Leidenswegen von Ernst Papies durchgeführt: Dokumentation Ernst Papies
Wie die Stadtverwaltung jetzt mitteilte, steht aktuell in Gelsenkirchen keine Straße für eine Neu- benennung zur Verfügung, doch sobald eine Straße zur Benennung ansteht, wird die Verwaltung eine Bennung nach Ernst Papies vorschlagen und den entsprechenden Gremien zur Beschlussfassung vorlegen.
Der homosexuelle Ernst Papies wurde in der NS-Zeit mehrfach nach § 175 verurteilt und eingesperrt, überlebte die Konzentrationslager Buchenwald, Mauthausen und Auschwitz und brachte danach noch die Kraft auf, in der jungen Bundesrepublik Anträge auf Wiedergutmachung und Entschädigung zu stellen - jedoch vergeblich. Die Streichung des Paragraphen 175 im Jahr 1994 hat Ernst Papies noch erlebt, doch das im Sommer 2017 verabschiedete Gesetz zur Rehabilitierung der nach § 175 verurteilten homosexuellen Männer kam für Ernst Papies zu spät - da war er bereits seit zehn Jahren tot.
8. Mai: Stolpersteine am Tag der Befreiung verlegt
Andreas Jordan | 14. Mai 2020 | Gelsenzentrum
Stilles Gedenken an Opfer der NS-Diktatur auf den Straßen in Gelsenkirchen: Am 8. Mai - dem 75. Jahrestag der Befreiung und Ende des Zweiten Weltkriegs hat unsere Projektgruppe Stolperteine einen Großteil der Stolpersteine in Gelsenkirchen verlegt, die wir bisher aufgrund der Corona-Krise einlagern mussten. Bildhauer Gunter Demnig hatte die 23 neuen Stolpersteine im März noch nach Gelsenkirchen gebracht, diese jedoch wegen der Corona-Beschränkungen nicht wie ursprünglich geplant verlegen können. Die Übergabe der jetzt verlegten Stolpersteine an die Öffentlichkeit mit entsprechenden Zeremonien und Gästen aus dem In- und Ausland wird vorraussichtlich im September stattfinden.
Noch schneller kann man sich jetzt über individuelle Lebens- und Leidenswege der Menschen informieren, an die bisher 238 Stolpersteine in Gelsenkirchen erinnern. Zu finden sind die Doku- mentationen über unser Digitales Gedenkbuch, Teil IV: → Stolpersteine Gelsenkirchen
Gelsenkirchen: Stolperstein-Verlegungen abgesagt
Andreas Jordan | 16. März 2020 | Gelsenzentrum
Die ursprünglich für Freitag, 20. März 2020 in Gelsenkirchen geplanten Stolperstein-Veranstaltungen finden nicht statt. Die Stadtverwal- tung hat alle Veranstaltungen in Gelsenkirchen bis auf weiteres untersagt, um so eine schnelle Ausbreitung des Corana-Virus entgegenzuwirken. Die Verlegeaktion werden wir zu einem späteren Zeitpunkt nachholen.
Stolperstein-Verlegung 2020: "Menschen - Menschen haben das getan"
Andreas Jordan | 28. Januar 2020 | Gelsenzentrum
Am Freitag, 20. März 2020 wird Bildhauer Gunter Demnig im Stadtgebiet neue Stolpersteine für Opfer des NS-Regimes in das Gehwegpflaster einlassen. Damit werden weitere Lebens- und Leidenswege von Menschen greifbar, die zwischen 1933-1945 aus rassistischen Motiven ermordet, ausgegrenzt oder vertrieben wurden. Demnigs Stolpersteine machen uns bewusst, wohin jede menschenverachtende rassistische Ideologie und Ausgrenzung führen kann.
Mehrere Gelsenkirchener Schulen sind an der diesjährigen Stolperstein-Verlegeaktion beteiligt, und so stehen die Verlegungen unter dem Motto "Menschen - Menschen haben das getan" - nach einem Zitat von Margot Friedländer. Zeugnis abzulegen über das, was Menschen angetan wurde, ist für die Holocaust-Überlebende Pflicht. Bei Ihren Vorträgen vor jüngeren Menschen ist es ihr besonders wichtig zu betonen: "Ich spreche nicht nur für die sechs Millionen Juden. Ich spreche für alle, die man unschuldig umgebracht hat, politisch Verfolgte, Homosexuelle, kleine Kinder, Roma, Sinti... Menschen haben es getan, die Menschen nicht anerkannt haben als Menschen. Und das ist etwas, was ich euch predige und sage: 'Seid Menschen'. An Schülerinnen und Schüler, denen sie begegnet, richtet sie unter Hinblick auf zunehmenden Antisemitismus, Hass und Menschenfeindlichkeit oftmals die Warnung: "So hat es damals angefangen. Seid vorsichtig!"
(Planen sie für ihre Teilnahme an den Verlegungen +/- 25 Minuten zu den genannten Uhrzeiten ein.)
"Insgesamt 215 Stolpersteine sowie eine Stolperschwelle wurden seit 2009 von Bildhauer Gunter Demnig gemeinsam mit unserer Projektgruppe in Gelsenkirchen verlegt, nun kommen an acht Orten im Stadtgebiet weitere 23 Stolpersteine hinzu. Eines haben die kleinen Mahnmale gemeinsam: Sie wurden von verschiedenen Vereinen, Institutionen und Privatpersonen gestiftet. Wir arbeiten bereits an den nachfolgenden Verlegeaktionen, es werden weiterhin Pat*innen gesucht, die mit ihrer Spende Stolpersteine oder Stolperschwellen in Gelsenkirchen finanzieren. Stolperschwellen sind eine Sonderform der Stolpersteine, sie erinnern bspw. an Opfer- gruppen oder Unrechtsorte. Gemeinsam setzen wir so ein starkes Zeichen für Respekt, Vielfalt und Demokratie" sagt Projektleiter Andreas Jordan, der Gunter Demnigs Stolperstein-Projekt 2005 in unsere Stadt gebracht hat und es seither mit der Projektgruppe Stolpersteine Gelsenkirchen konsequent umsetzt. Nähere Infos per E-Mail: a. jordan(ätt)gelsenzentrum.de
Gelsenkirchen: Aktionen zum Holocaust-Gedenktag 2020
"Ihr seid nicht schuld an dem, was war, aber verantwortlich dafür, dass es nicht mehr geschieht."*
Andreas Jordan | 20. Januar 2020 | Gelsenzentrum
Am Holocaust-Gedenktag (27. Januar) erinnern sich Menschen an das Leiden und gewaltsame Sterben von Menschen jüdischer Herkunft, von Sinti und Roma, von Homosexuellen, Zwangs- arbeitern, Zeugen Jehovas, von Menschen mit Behinderung und denjenigen, die aufgrund ihrer politischen Haltung zu Opfern des nationalsozialistischen Terrorregimes wurden.
In Gelsenkirchen will ein Aktionsbündnis (Die Partei, DKP, VVN-BdA, Jusos, DGB-Jugend, Falken und die DIE LINKE) an Tagen rund um den Holocaust-Gedenktag mit unterscheidlichen Aktivitäten Menschen sensibilisieren und auf die gesamtgesellschaftliche historische Verantwortung aufmerksam machen. Im Focus stehen dabei vornehmlich Gunter Demnigs Stolpersteine: Poliert werden sollen u.a. Stolpersteine in Buer, Horst und Schalke, die Veranstaltungsreihe der "Stolpersteingeschichten" wird fortgesetzt und eine antifaschistische Stadtrundfahrt organisiert. Am Abend des 27. Januar findet in der neuen Synagoge eine Gedenkfeier mit Podiumsdiskussion für die Opfer des Nationalsozialismus anlässlich des 75. Jahrestages der Befreiung von Auschwitz statt.
*Zitat von Max Mannheimer, Holocaust-Überlebender über „Schuld und Verantwortung“
Unsere Projektgruppe Stolpersteine Gelsenkirchen ruft alle Bürgerinnen und Bürger unserer Stadt auf, Stolpersteine in der näheren Umgebung des jeweiligen Wohnortes wieder zum Glänzen zu bringen. Eine Übersicht verlegter Stolpersteine nach Stadtbezirken, Stadtteilen und Straßen geordnet findet ihr HIER.
Ehrung: Bochum benennt Straße nach schwulen Bergmann
Abb.: Die Bochumer Straßenbenennung nach einem verfolgten schwulen Mann ist vorbildlich: Die Stadt Bochum ist nach der Stadt Dortmund nunmehr die zweite Kommune in Deutschland, die sich mittels einer Straßenbenennung dauerhaft und öffentlich gegen das Vergessen der Verfolgung von Homosexuellen während der NS-Zeit wendet und die Erinnerung an die Opfer sichtbar bewahrt.
Andreas Jordan | 20. Dezember 2019 | Gelsenzentrum
Zahlreiche Bochumer Honoratioren nahmen heute an der Straßenbenennung hinter dem neuen Bochumer Justizzentrum teil. Auch die Nichte von Hermann Hußmann und deren Schwester waren zur Straßenbenennung gekommen und begrüßten die Würdigung ihres Verwandten. "Die Würdigung Hußmanns soll gleichzeitig ein sichtbares Zeichen der Erinnerung setzen an die Ächtung, Verfolgung und Ermordung homosexueller Männer im Nationalsozialismus" so die Pressestelle der Stadt Bochum. Hermann Hußmann, geboren auf den Tag genau heute vor 111 Jahren in Bochum-Riemke, starb am 11. Mai 1943 in der damaligen Untersuchungshaftanstalt in der Bochumer ABC-Straße. Hermann Hußmann befand sich dort seit dem 9. Februar 1943 in Untersuchungshaft, Begründung: Unzucht mit Männern. Bis zu seiner Verhaftung wegen des Vorwurfes homosexueller Kontakte war er ein unbescholtener Bergmann auf der Zeche Constantin. Laut den überlieferten NS-Akten soll sich Hußmann in seiner Zelle mittels seiner Hosenträger erhängt haben.
Mit bewegenden Worten beschrieb Initiiator Jürgen Wenke heute die Lebens- und Leidenswege des Hermann Hußmann. Die anschließende offizielle Enthüllung des Straßenschildes brachte dann so ihre Tücken mit sich, hatten die Arbeiter der Stadt es doch mit der Verhüllung und deren Befestigung mehr als gut gemeint, zudem hatte niemand an eine Leiter gedacht. So besann man sich auf die vielen noch aus Kindheitstagen bekannte so genannte "Räuberleiter". Gemeinsam gelang es dann unter erheblichen Anstrengungen die Verhüllung des Straßenschildes zu entfernen.
Ein Akt nicht ohne Symbolträchtigkeit, denn in Teilen der Gesellschaft ist Homosexuellenfeindlichkeit heute noch verbreitet, in der Jugendsprache ist "Schwul" oder "Schwuchtel" beispielsweise ein häufig verwendetes Schimpfwort. Antihomosexuelle Beleidigungen, Pöbeleien und gewalttätige Übergriffe gehören auch heute noch zu den Alltagserfahrungen vieler Homosexueller. Die gegen nicht-heterosexuelle Menschen gerichtete Feindseligkeiten gehen uns alle an, denn das sind Angriffe auf die Grundwerte unserer Gesellschaft. Ein gesamtgesellschaftliches Problem, das wir nur gemeinsam angehen können - und müssen.
Gedenken: Die Novemberpogrome von 1938 in Gelsenkirchen
Abb.: Die Bahnhofstrasse 22 in Gelsenkirchen-Altstadt, am 81. Jahrestag der Pogromnacht farblich illuminiert. Im November 1938 waren es der Flammenschein der inbrandgesetzten Synagoge, der flackerndes Licht auf die Hauswände warf.
Andreas Jordan | 11. November 2019 | Gelsenzentrum
Die Pogromwoche im November 1938 war ein öffentliches Verbrechen. Eine staatlich inszenierte, bis dato singuläre Gewalt- und Terrorwelle überzog in den Tagen zwischen dem 7. und dem 16. November Deutschland, Österreich und die Tschechoslowakei. Die gegen jüdische Menschen und deren Eigentum gerichtete Gewalt fand in den meisten Orten - bis auf einige wenige Ausnahmen wie in Bad Hersfeld, den Landkreisen Fulda und Melsungen und wohl auch in Gelsenkirchen bereits am 8. November ihren Anfang und erreichtein der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 ihren schrecklichen Höhepunkt.
Abb.: Ron Gompertz polierte im November 2019 am Jahrestag der Pogromnacht die Stolpersteine vor dem Haus an Gelsenkirchener Bahnhofstrasse 22 die an seine Familie väterlicherseits erinnern und legte Blumen nieder.
Nachdem ich bereits am Morgen in Horst einige Stolpersteine geputzt hatte, traf ich mich Mittags mit Ron Gompertz in der Gelsenkirchener City, um gemeinsam die für seine Familienangehörigen verlegten Stolpersteine zu polieren. Auch Rons Großeltern Leo und Betty Gompertz, geborene Isacson, sein Vater Fritz und dessen Brüder Albert und Rolf erlebten die Pogromnacht in ihrem Haus an der Bahnhofstraße 22. Auf dem Weg zum Grillo-Gymnasium, vor dem Stolpersteine an von dort vertriebene jüdische Schüler erinnern, darunter Rons Vater und dessen Bruder, polierten wir weitere Stolpersteine in der Nachbarschaft. Ein kleiner Akt von gemeinsamer Erinnerungsarbeit, der zum Gedenken an die Pogromnacht vom November 1938 in Gelsenkirchen stattfand. Nicht allein stilles Gedenken, Andacht oder Schweigezug, sondern handfeste Arbeit im Kleinen, konkretes Einschreiten gegen das Vergessen, kniend mit Messingpolitur und Lappen.
In der Pogromnachtnacht wird Rons Vater Fritz "Fred" Gompertz, damals 14 Jahre alt, vom Geräusch berstender Glasscheiben aus dem Schlaf gerissen. "Wir waren so erschrocken, dass wir Angst hatten, aus dem Fenster zu schauen" sagte er später. Sein Vater Leo Gompertz wies die Familie an, bloß kein Licht anzumachen. Familie Gompertz versteckten sich in ihrer Wohnung in der obersten Etage ihres Hauses an der Bahnhofstraße 22 und harrte angsterfüllt der Dinge. Derweil schlugen die Nazischergen die großen Schaufensterscheiben des Pelzgeschäftes der Familie im Erdgeschoß ein und verwüsteten den Laden, warfen Waren und Einrichtungen auf die Bahnhofstraße. Die Zerstörungen wurden am 10. November teilweise noch fortgesetzt, so erschien in Gelsenkirchen Lehrer Hohnroth mit einer Gruppe von Oberschülern an der Bahnhofstraße Ecke Klosterstraße und vollendete mit den Schülern das Zerstörungswerk der vergangenen Nacht am Pelzgeschäft der Familie Gompertz. Der Familie gelang es in der Folge durch ihre Flucht das nacktes Leben zu retten. Neuer "arischer" Besitzer des Hauses wurde Wilhelm Rüter, das Haus befindet sich noch heute im Besitz der Nachfahren. Es hätte Herrn Kirsch gut zu Gesicht gestanden, zumindest in dieser Nacht auf das Lichtspektakel zu verzichten, möglicherweise als ein Zeichen für die symbolische Anerkennung großen Unrechts.
2. August: Auflösung des sogenannten „Zigeunerlagers“ in Auschwitz-Birkenau
Abb.: Europäischer Holocaust-Gedenktag für Sini und Roma am 2. August 2019
Andreas Jordan | 31. Juli 2019 | Gelsenzentrum
Der 2. August 1944 ging als Datum der Vernichtungsaktion anlässlich der Lagerauflösung des sogenannten „Zigeunerlagers" Auschwitz-Birkenau in die Geschichte ein. In jener Nacht vom 2. auf den 3. August wurden rund 3000 Sinti und Roma in den Gaskammern ermordet. Das Europäische Parlament hat 2015 den 2. August zum europäischen Holocaust-Gedenktag für die Roma und Sinti erklärt. Gleichzeitig verurteilte das Europäische Parlament „bedingungslos und unmissverständlich jede Form von Rassismus und Diskriminierung gegenüber den Roma“.
Die Nationalsozialisten verschleppten von März 1943 bis Juli 1944 23.000 Sinti und Roma aus elf Ländern Europas nach Auschwitz. Nahezu alle fanden dort den Tod. Am 2. August 1944 wurden die im Lagerabschnitt B II e des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau verbliebenen 2.900 Sinti und Roma auf Befehl des Reichssicherheitshauptamtes ermordet. Ein vorangegangener Versuch, 6.000 Sinti und Roma in die Gaskammern zu bringen, scheiterte am 16. Mai 1944 an dem Widerstand der Häftlinge. In den darauf folgenden Wochen wurden 3.000 der an dem Aufstand beteiligten Häftlinge bei Selektionen von den SS-Ärzten als „noch arbeitsfähig“ eingestuft und zur Sklavenarbeit in andere Konzentrationslager im Reichsgebiet verschleppt, nach Buchenwald, Mauthausen, Ravensbrück, Sachsenhausen und Dachau. Zurück in Auschwitz blieben 4.200-4.300 Sinti und Roma, überwiegend Kinder, deren Mütter und alte Menschen. Die SS brachte sie in der Nacht vom 2. auf den 3. August in die Gaskammern und verbrannte die Leichen in einer Grube neben dem Krematorium V.
22. Juni 1941 - Deutschland überfällt die Sowjetunion
Abb.: Zwei Wehrmachtsoldaten treiben eine Gruppe Ge- fangener vor sich her
Andreas Jordan | 22. Juni 2019 | Gelsenzentrum
Heute vor 78 Jahren begann der Vernichtungskrieg Deutschlands gegen die Sowjetunion. Der "Feldzug" im Osten war von Anfang an als ideologischer Weltanschauungs- und rassebiologischer Vernichtungskrieg konzipiert. Im Vordergrund standen die Eroberung von "Lebensraum" sowie die wirtschaftliche Ausbeutung der eroberten Gebiete und der dort lebenden Menschen als Zwangsarbeiter. Die Ermordung der jüdischen Bevölkerung und der sowjetischen Führungsschicht war von Anfang an vorgesehen.
Hinter der Front organisieren SS-Kommandos, Einsatzgruppen und -kommandos sowie verschiedenene Einheiten der Polizei insbesondere die systematische Ausrottung von Juden, Slawen, Roma und Sinti. Unzählige Pogrome und Massenerschießungen sind an der Tagesordnung, darunter auch mehr als hundertausend als "politisch untragbar" eingestuften Menschen. Der deutsche Terror geht nicht nur von der SS, SD und Polizei aus, auch die Wehrmacht ist daran beteiligt.
Rien Ditzel: Mit Fritz Rahkob in der Todeszelle
Abb.: Rien Ditzelstraat in Deventer, Niederlande. (Foto: Lotti Baumann)
Andreas Jordan | 14. Juni 2019 | Gelsenzentrum
Die kommunistischen Widerstandskämpfer Rien Ditzel aus dem niederländischen Deventer und der Gelsenkirchener Fritz Rahkob haben 1944 in Stuttgart gemeinsam mehrere Wochen in einer Todeszelle gesessen. Johan van der Veen, Historiker und Mitglied der Arbeitsgruppe “Vergessener Widerstand Deventer“, entdeckte im April 2019 im Zuge seiner Recherchen für die Biografie von Marinus Ditzel die Verbindung zwischen Fritz Rahkob und Rien Ditzel.
Fritz Rahkob wurde am 24. August 1944 dort mit dem Fallbeil ermordet, Rien Ditzel gelang bei einem alliierten Luftangriff die Flucht. Ditzels Bericht über seine Zeit mit Fritz Rahkob in der Todeszelle wurde 1947 unter dem Titel 'Todeskandidat' in der Monatsschrift 'Politiek en Cultuur' veröffentlicht, hier als PDF-Datei in deutscher Übersetzung abrufbar. In Gelsenkirchen ist in der Innenstadt ein Platz nach Fritz Rahkob benannt, an der Schalker Liebfrauenstraße erinnert ein Stolperstein an den mutigen Widerstandskämpfer Fritz Rahkob.
Im Gedenken an Hugo Höllenreiner (1933-2015)
Abb.: Hugo Höllenreiner starb am 10. Juni 2015
Andreas Jordan | 10. Juni 2019 | Gelsenzentrum
Hugo Höllenreiner war deutscher Sinto und Überlebender des Porajmos. Als Kind war Hugo Höllenreiner den grausamen und qualvollen "medizinischen" Versuchen durch KZ-Arzt Josef Mengele ausgesetzt. Hugo Höllenreiner erlebte seine Befreiung am 15. April 1945 in Bergen-Belsen, als Elfjähriger wurde er aus der KZ-Haft befreit. Über seine Erfahrungen, die er als kleiner Junge in den Konzentrationslagern hatte machen müssen, schwieg Hugo Höllenreiner fast fünfzig Jahre lang.
Wie schwer ihn die Schrecken der KZ-Haft dennoch traumatisiert haben müssen, wurde deutlich, seit er im Alter von sechzig Jahren erstmals über die Kindheit im Konzentrationslager sprach: Hugo Höllenreiner schonte seine Zuhörer nicht, detailliert und ausführlich schilderte er in Zeitzeugengesprächen die grausamen Versuche von KZ-Ärzten und die Gewalt der SS. Gleichzeitig war es ihm zeit seines Lebens ein besonderes Anliegen, das Bild seines am Aufstand des „Zigeunerlagers“ in Auschwitz beteiligten Vaters in Ehren zu halten.
Die anhaltenden Diskriminierungen und Anfeindungen, denen Hugo Höllenreiner noch in der Bundesrepublik ausgesetzt war, nahm er zum Anlass, sich noch stärker auch öffentlich für die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit einzusetzen und entschieden gegen jede Form der Ausgrenzung einzutreten. Erst spät wurde er dafür 2014 mit der Medaille „München leuchtet“ geehrt. Hugo Höllenreiner starb am 10. Juni 2015 in Ingolstadt.
Erinnerungsort im öffentlichen Raum für Opfer von Sterilisation und Krankenmord
Abb.: Auf Basis dieses Gutachtens, ausgestellt von der städtischen Medizinalrätin Dr. Maria Goetz beim Gesundheitsamt Gelsenkirchen, wurde ein kleiner Junge 1943 in der so genannten "Kinderfachabteilung" Dortmund-Aplerbeck ermordet.
Andreas Jordan | 7. Juni 2019 | Gelsenzentrum
Menschen mit unheilbarer Krankheit, mit körperlicher, geistiger oder psychischer Behinderung sprach das NS-Regime zunächst das Recht auf Fortpflanzung und in der Folge auch das Recht auf Leben ab, Begründung in der Sprache der Nazis: "Geisteskranke und Krüppel" schädigten den "gesunden Volkskörper", seien "unnütze Esser", "leere Menschenhüllen", "Minusmenschen" und "Ballastexistenzen".
Am 14. Juli 1933 wird das "Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses", das die Zwangssterilisierung "erblich kranker" Menschen vorsieht, und am 18. Oktober 1935 das "Gesetz zum Schutze der Erbgesundheit des deutschen Volkes" erlassen. Mit beiden Gesetzen haben die Nazis ihrer Idee von "Rassenhygiene", deren erklärtes Ziel es war, den deutschen "Volkskörper" zu reinigen, somit schon zuvor eine "legale" Basis geschaffen. Vor Ort war das Gesundheitsamt Gelsenkirchen maßgeblich an der Umsetzung der "Rasse- und Erbgesetze" beteiligt. Die Unterschriften von Gesundheitsamtsleiter Dr. Heinrich Hübner oder der städtischen Medizinalrätin Dr. Maria Götz kamen zumeist einem Todesurteil für die betroffenen Menschen gleich.
Den Menschen, die auf diesem Weg dem mörderischen NS-Terrorregime zum Opfer gefallen sind, soll in Gelsenkirchen schon bald eine Stolperschwelle an einem der Täterorte in Gelsenkirchen gewidmet werden. Da die Kosten für eine Stolperschwelle um ein vielfaches höher sind als für einen Stolperstein, bitten wir um Spenden. Bankverbindung: Stolpersteine Gelsenkirchen, IBAN: DE79 4205 0001 0132 0159 27, Stichwort "Stolperschwelle". Eine entsprechende Spendenbestätigung zur Vorlage beim Finanzamt wird auf Wunsch von uns ausgestellt.
Gelsenkirchen: Erste Stolperschwelle und 17 weitere Stolpersteine
Der Text auf Gelsenkirchens erster Stolperschwelle erinnert an die mehr als 40.000 Menschen aus Ländern West- und Osteuropas, die zwischen 1940-1945 zur Ableistung von Zwangsarbeit nach Gelsenkirchen verschleppt worden sind.
Andreas Jordan | 27. Mai 2019 | Gelsenzentrum
Die Stolperschwelle in Gelsenkirchen-Buer macht einen der Gelsenkirchener NS-Unrechtsorte wieder sicht- bar, denn im Polizeipräsidium befand sich neben dem Dienstsitz der Gestapo und Kripo auch ein Polizeigefängnis, ein dunkler Ort.
Waren im Gelsenkirchener Polizeigefängnis in den ersten Jahren nach der Machtübergabe an die Nazis vornehmlich Regimegegner inhaftiert, stieg die Zahl der Gefangenen in den letzten beiden Kriegsjahren um ein Vielfaches an, zumeist waren es nun Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, die dort eingesperrt und gequält wurden. Für alle dort inhaftierten waren die Zellen im Polizeigefängnis Buer ein Ort der Ungewissheit und Angst, des Hungers, der Folter und Schmerzen, von dort begann für viele Zwangsarbeitende der Weg in einen gewaltsamen Tod. → Bericht von der Stolpersteinverlegung 2019
Umbenennung: Hohoffstraße soll nicht nach Emma Rahkob benannt werden
Abb.: Frauen ermordeter Gelsenkirchener Widerstands- kämpfer aus der Zielasko-Gruppe, um 1948. In der Mitte Emma Rahkob (1898-1972)
Andreas Jordan | 5. Mai 2019 | Gelsenzentrum
Laut einer Beschlussvorlage der Stadtverwaltung für die Sitzung der Bezirksvertretung Gelsenkirchen-Süd am 4. Juni soll die Hohoffstraße den neuen Namen "Voßgraben" bekommen und nicht nach der 1972 verstorbenen NS-Widerstandskämpferin Emma Rahkob benannt werden. In der Vorlage heißt es dazu: "Nach Recherchen der Verwaltung wollte Emma Rahkob weder zu Lebzeiten noch nach ihrem Tode geehrt werden. Daher schlägt die Verwaltung vor gemäß ihrem Willen von einer Benennung nach ihr abzusehen."
Abb.: Urnen-Begräbnisstätte der Freidenker auf dem Rotthauser Friedhof. Hier haben zahlreiche Persönlichkeiten der Gelsenkirchener Arbeiterbewegung ihre letzte Ruhe gefunden haben, so auch Emma Rahkob.
Die Verwaltung nennt jedoch keine Qelle für ihre Rechercheergebnisse, auch liegt keine verifizierende Willenserklärung von Emma Rahkob vor. So findet sich ihr Name auf der Urnen-Begräbnisstätte der Ortsgruppe Gelsenkirchen des deutschen Freidenkerverbandes - eine Form der öffentlichen Ehrung. Wenn die Begründung der Verwaltung zutreffend wäre, kann davon ausgegangen werden, das Emma Rahkob zu Lebzeiten Vorkehrungen für eine anonyme Bestattung getroffen hätte. Weiter heißt es in der Beschlussvorlage an anderer Stelle: "Sofern die frühere Hohoffstraße erneut nach einer Person benannt werden soll, entspräche es der üblichen Praxis, dass durch diese Person eine klare Abgrenzung zur NS-Belastung des vorherigen Namensgebers verkörpert würde, beispielsweise durch Engagement im Widerstand oder durch ein Verfolgungsschicksal." Diese beiden Kriterien erfüllt Emma Rahkob hingegen nachweislich.
Auftakt für den Völkermord an Sinti, Lovara, Jenische und anderen Fahrenden
Abb.: Gunter Demnigs 'Spur der Erinnerung' in Köln erin- nert an die so genannte "Maideportation" 1940
Andreas Jordan | 14. Mai 2019 | Gelsenzentrum
Die Nazis wollten auch alle Siniti und Lovara aus dem Regierungsbezirk Köln "entfernen", hierzu wurden Angehörigen der Minderheit bereits ab 1935 in Sammellagern zusammengetrieben. Am 16. Mai 1940 wurden diese Lager von Polizei, Wehrmacht, SS und lokalen, auch städtischen Hilfskräften aufgelöst und alle Bewohner in die Messehallen nach Köln-Deutz gebracht. Unter den Menschen, die im Rahmen der → "Maideportation" 1940 aus dem regionalen Sammellager auf dem Gelände der Kölner Messe ins von Deutschen besetzte Polen verschleppt wurden, befanden sich auch die Familien Rosina Lehmann, die Familie Rosenberg, das Paar Malla Müller und Josef Wernicke, die Familien Michael Wernicke und Johann Wernicke. Sie alle haben zuvor längere Zeit in Gelsenkirchen gelebt.
Gelsenkirchen bekommt erste Stolperschwelle
Abb.: Die vorbereitete Verlegestelle vor dem Altbau des Polizeipräsidiums Buer
Andreas Jordan | 28. April 2019 | Gelsenzentrum
Das Polizeigefängnis Buer war einer der NS-Unrechtsorte Gelsenkirchens. In den letzten beiden Kriegsjahren stieg die Zahl der dort vielfach zu unrecht Inhaftierten um ein Vielfaches an, zumeist waren es Zwangsarbeitende. Für sie alle waren die Zellen im Polizeigefängnis Gel senkirchen-Buer ein Ort der Ungewissheit und Angst, des Hungers, der Folter und Schmerzen, für viele Menschen begann dort der Weg in den Tod. Noch Ende März 1945 wurde vom Polizeigefängnis Buer eine Gruppe Zwangsarbeiter über die Goldbergstraße zum Westerholter Wald getrieben und dort von Gestapoangehörigen erschossen. An Unrecht und das Leid all dieser Menschen wird die Stolperschwelle erinnern, die wir am 23. Mai gemeinsam mit Bildhauer Gunter Demnig vor dem Polizeipräsidium Buer in den Boden einlassen.
Die Stolperschwelle wirkt bereits vor Verlegung
Abb.: Rechtzeitig vor der Verlegung der Stolperschwelle wurde die alte Tafel ersetzt
Natürlich sind der Stadtverwaltung Gelsenkirchen und auch der Kreispolizeibehörde Gelsenkirchen unsere Recherchen und vorbereitenden Aktivitäten hinsichtlich der Stolperschwelle, die an den NS-Unrechtsort Polizeigefängnis Buer erinnern wird, nicht verborgen geblieben.
Bereits vor ihrer Verlegung wirkt die Stolperschwelle und gibt Impulse: Nicht zuletzt auf Basis unserer neuesten Forschungsergebnisse zu einem der Endphasenverbrechen des zweiten Weltkrieges in Gelsenkirchen ist der Text auf der Tafel an der alten Polizeiwache jüngst entsprechend überarbeitet und aktualisiert worden. Nun finden auch die im März 1945 im Westerholter Wald ermordeten Menschen im Tafeltext Erwähnung.
Zur Teilnahme an der Verlegung der Stolperschwelle am 23. Mai, 16.00 Uhr sind interessierte Bürgerinnen und Bürger herzlich eingeladen.
Pietro Farina hat seine Heimat nie wieder gesehen
Abb.: Pietro "Pierino" Farina
Gelsenkirchen, 17.4.2019. Im September 1943 wird der italienische Soldat → Pietro Farina von deutschen Truppen in Jugoslawien gefangengenommen und zur Zwangsarbeit nach Deutschland verschleppt. Über das Stalag VI A Hemer wird er weiter nach Gelsenkirchen gebracht, im "Arbeitskommando 213I, Kokerei Hugo" muss er Zwangsarbeit für die NS-Kriegsproduktion leisten.
Geschwächt von den unmenschliche Bedingungen der Internierung erkrankt Pietro Farina schwer und stirbt schließlich im Mai 1945 in einem Hilfskrankenhaus in Gelsenkirchen-Buer.
NS-Namensgeber: Haltestelle wird aufgehoben
Gelsenkirchen, 12.4.2019. Im Februar 2019 wurde das zwischen Dortmund und Castrop-Rauxel gelegene Steinkohlekraftwerk "Gustav Knepper" gesprengt. Damit wurde das Fortwirken des ehemaligen NS-Wehrwirtschaftsführers Gustav Knepper als Namengeber für das Kraftwerk beendet. Jedoch ist eine Haltestelle der Linie 361 der Straßenbahn Herne-Castrop-Rauxel Gmbh (HCR) noch nach dem "Kraftwerk Knepper" benannt.
Für den gemeinnützigen Verein Gelsenzentrum Grund genug, bei der HCR nachzufragen, ob man vor dem Hintergrund der NS-Belastung des Namensgebers an der Haltestellenbezeichnung festhalten will. Heute erhielt der Verein von dem Nahverkehrsunternehmen die Mitteilung, das die Haltestelle "Kraftwerk Knepper" vor diesem Hintergund in Abstimmung mit dem Kreis Recklinghausen und der Stadt Castrop-Rauxel zum 1. Juli 2019 aufgehoben wird.
Projektgruppe Zwangsarbeit: Errichtung eines Denkmals für Zwangsarbeitende gefordert
Gelsenkirchen, 4.4.2019. Unter dem Dach des Gelsenzentrum e.V. hat im September letzten Jahres eine weitere Projektgruppe ihre Arbeit aufgenommen. Die Gruppe will NS-Zwangsarbeit in Gelsenkirchen digital dokumentieren, die Lebenswege von Opfern würdigen und die Erinnerung an Zwangsarbeitende in der stadtgesellschaftlichen Erinnerung verankern. Damit soll die Geschichte eines lange verdrängten Verbrechens im lokalhistorischen Kontext abgebildet werden. Wir setzen uns für die Errichtung eines Erinnerungsortes für die zwischen 1940-1945 in Gelsenkirchen Zwangsarbeitenden ein, damit soll diesen Menschen symbolisch ein Teil ihrer Würde zurückgegeben werden.
Von der Dimension der Zwangsarbeit im lokalen Raum
Abb.: Unrechtsorte der Zwangsarbeit in Gelsenkirchen
3.4.2019, Gelsenkirchen. Die Verortung von Lagern/Unterkünften auf 20 Luftbildern soll auch deutlich machen, wie dicht Zwangsarbeitende und "Volksgemeinschaft" gelebt haben - nachgewiesen sind für Gelsenkirchen in der Summe mindestens 268 Standorte. Offen bleibt für viele Lagerstandorte, wie lange sie bestanden haben, wie hoch die Belegungsziffern waren und woher die dort untergebrachten Menschen kamen.
Niemand kann die Kolonnen der Zwangsarbeitenden beispielsweise auf ihren Wegen zwischen den Lagern und Arbeitseinsatzstellen "übersehen" bzw. "überhört" haben. Wir wollen mit der Verortung ausgewählter Standorte auf den Fotos den vergessenen Zwangsarbeitenden gedenken, Lücken in der Lokalgeschichte Gelsenkirchens schließen und nicht zuletzt Anregungen zu weiteren Forschungen zum Thema Zwangsarbeit in der eigenen Familienhistorie geben. Mit den Informationen wird es noch schwerer, die altbekannte Ausrede aufrecht zu erhalten: "Wir haben doch nichts davon gewusst". Die genannten Firmen und Privatpersonen profitierten in unterschiedlicher Ausprägung von Zwangsarbeit.
Ewaldstraße: Hier lebte und arbeitete der Schuhmacher Naphtalie Heß
Abb.:Im Erdgeschoß des Hauses an der Ewaldstraße 42, im Ladenlokal links außen, hatte Naphtalie Heß seine Schuhmacherei
24.3.2019, GE. Ein Brand in diesem Haus in Gelsenkirchen-Resse an der Ewaldstraße 42/Ecke Middelicherstraße sorgte jüngst für Schlagzeilen. Was jedoch kaum jemand weiß: Im Erdgeschoß hatte einst der Schuhmacher Naphtalie Heß seinen Betrieb. Auch Naphtalie Heß verlor die Existenzgrundlage der Famile im Zuge der "Arisierung" von Geschäften mit jüdischen Inhabern unter dem NS-Terrorregime. Sein Schuhmachergeschäft wurde von dem Schuhmachermeister Hermann Schmies "übernommen". Naphtalie Heß und seine zweite Frau Recha wohnten auch in diesem Hause, bis sie von den Nazis gezwungen wurden, in eines der so genannten "Judenhäuser" Gelsenkirchens an der damaligen Theresienstraße (heute Kolpingstraße) zu ziehen. Von dort erfolgte dann 1942 die Deportation in den Tod.
Fischhandlung Isacson: Alte Fotos gesucht - Fish store Isacson: looking for old pictures
Abb.: Aus diesem Bereich werden Fotos/Ansichtskarten vor 1945 gesucht. (Zum Vergrößern Foto anklicken)
18.3.2019, GE. Die Projektgruppe Stolpersteine sucht historische Ansichtskarten, Fotos und Dokumente mit Bezug/Blickrichtung zum Fisch-Fachgeschäft Isidor Isacson in Gelsenkirchen. Das Geschäft befand sich vor 1933 im Erdge- schoß des damaligen Gebäudes Ringstraße 4 im Bereich zwischen Einmündung Waldstrasse (heute: Im Kerkenbusch) und Bahnhofsunterführung. Auch Scans oder Kopien sind willkommen, übersandte Orginale werden von uns gescannt und zurückgesendet. Nach der so genannter "Arisierung" im Jahr 1933 firmierte das Geschäft als "Fischhage Gmbh". Mail: info(ätt)stolpersteine-gelsenkirchen.de , oder: Gelsenzentrum e.V., 45899 Gelsenkirchen, Devensstrasse 111
Fig. above: We are looking for pictures/postcards taken before 1945 showing street sceneries of this area (please click for magnification)
The project group „Stolpersteine“ (memorial stones for persecuted persons) is searching for historical postcards/pictures and documents in connection with the fish store of Isidor Isacson in Gelsenkirchen, possibly showing the front of the shop and its surrounding. Before 1933 the shop was located in the ground floor of the building in Ringstrasse 4, exactly between the junction of Waldstrasse (today: Im Kerkenbusch) and the railway underbridge of Gelsenkirchen Main Station. Scans or copies are welcome, original documents will be scanned by us and returned to sender.
After the so-called „Arisierung“ (aryanization / transfer of jewish property into „Aryan“ hands) in 1933 the company signed with the firm name „Fischhage GmbH“. Emails to info@stolpersteine-gelsenkirchen.de and/or letters to Gelsenzentrum e.V., Devensstrasse 111, D-45899 Gelsenkirchen are welcome and will be answered by return.
Namensvorschlag für die Umbenennung der Hohoffstrasse
14.3.2019, GE. Die Bezirksvertretung Süd hat die Umbenennung der Hohofstraße angesichts der aktiven Unterstützung des Nationalsozialismus durch den Namensgeber beschlossen. Die Bezirksvertretung Süd hat um Namensvorschläge gebeten. Daraufhin wurde von uns die in Rotthausen tiefverwurzelte Widerständlerin gegen den Nationalsozialismus Emma Rahkob vorgeschlagen. Unser Vorschlag wurde von verschiedener Seite und auch von der Lokalpolitik aufgegriffen und findet breite Unterstützung. Aus dem Kreis Rotthauser Aktivisten war hingegen zu erfahren, das man im Stadtteil Wolf von Reis (ehemaliges Vorstandsmitglied der früheren Flachglas AG (heute Pilkington), als Namensgeber für die Hohoffstraße favorisiert. Von Reis war u.a. NSDAP-Mitglied - bleibt also abzuwarten, wie die Bezirksvertretung Gelsenkirchen-Süd letztlich entscheidet.
Nutzung von Kriegsluftbildern für die Altlastenerfassung
14.3.2019, GE. Die industrielle Vornutzung ist nicht in allen Fällen für die Belastung großer und kleinerer Industriebrachen und Gewerbeflächen verantwortlich. Altlastenflächen entstanden zum Beispiel auch durch Kriegseinwirkungen. Die Bombardierungen hinterließen Sprengkörper und zerstörte Industrieobjekte, austretende chemische Substanzen gelangten so in den Boden und lagerten sich dort ab. Anhand von Kriegsluftbildern sollen diese Verdachtsflächen jetzt genauer erfasst und untersucht werden. In einer Mitteilungsvorlage der Stadtverwaltung für die Sitzung des Gelsenkirchener Umweltausschusses am Dienstag (13.3.2019) heißt es dazu:
"Das Land NRW hat in den letzten Jahren von den Alliierten zahlreiche Luftbilder aus der Zeit des 2. Weltkriegs erhalten. Die Altlastenerfassung weist für diesen Zeitraum Lücken und Unschärfen auf. Akten zu kriegsrelevanten Produktionsbetrieben unterlagen der Geheimhaltung und sind zum Teil in den örtlichen Archiven nicht vorhanden. Es ist daher festzustellen, dass eine Zeitphase von mehr als 15 Jahren mit zum Teil äußerst altlastenrelevanten Ereignissen (z. B. Expansion von Rüstungsbetrieben, Zerstörungen durch Kriegseinwirkungen, Ablagerung von Trümmerschutt) nur sehr lückenhaft dokumentiert ist. Diese Lücke kann durch eine systematische Auswertung der alliierten Luftbilder geschlossen werden. Insbesondere können durch eine Auswertung der Kriegsluftbilder folgende Aspekte aufgegriffen werden:
Veri-/Falsifizierung der vorliegenden Anschüttungsflächenkartierung,
Detailkartierung der Flächengröße von Altstandorten (z. B. temporäre Produktionsausweitungen von Rüstungsbetrieben),
Erfassung singulärer Ereignisse (z. B. zerstörte Kesselwagen auf Bahnstrecken, Flak-Stellungen),
Exemplarische Überprüfung der kriegsbedingten Kontaminationsanteile auf altlastverdächtigen Altstandorten,
Bodenveränderungen durch Kriegseinwirkungen (Bodenumlagerungen und Bodenverdichtungen bei Bombeneinschlägen, Eintrag bodenfremder Materialien).
Um eine möglichst lagegenaue Auswertung dieser Luftbilder im Hinblick auf luftbildsichtbare Altlastenhinweise durchführen zu können, sind die Luftbilder vorab zu entzerren und zu georeferenzieren (Beheben von Lagefehlern durch Morphologie, Schrägstellung der Kamera und optische Verzerrung). Nachdem das Land NRW sich bereit erklärt hatte, die Luftbildauswertung mit einer 80%-igen Förderung zu unterstützen, wurde nach Rücksprache mit dem LANUV (Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen) seitens der Verwaltung das Institut für GEOmatik der Ruhr-Universität Bochum, das die „Findhilfe erfassungsrelevanter Luftbilder“ erarbeitet hat, mit der Auswertung der Kriegsluftbilder beauftragt.” Der Gutachter wird die Untersuchungsergebnisse in einer Sitzung des Umweltausschuss vortragen. Auf Basis dieser Ergebnisse soll langfristig auch das Altlastenkataster für Gelsenkirchen auf einen neueren Stand gebracht werden. (Grafik: Ausschnitt Karte Altlastenverdachtsflächen Gelsenkirchen, Stand 2015)
Donnerstag, 23. Mai 2019: Stolperstein-Verlegung in Gelsenkirchen
Die Steine sprechen mit uns
Zum Gedenken an Opfer des Nationalsozialismus wurden vor deren früheren Wohnhäusern bislang 198 sogenannte Stolpersteine in ganz Gelsenkirchen verlegt. Am 23. Mai kommen insgesamt 17 weitere und eine Stolperschwelle hinzu. Bildhauer und Stolperstein-Erfinder Gunter Demnig wird an fünf Stellen im Stadtgebiet tätig, gemeinsam mit unserer Initiative, Paten und Anwohnern. Verlegt werden an diesem Tag zehn Stolpersteine an der Bergmannstr. 41 (Familien → Heymann und → Löwenstein), drei an der Bochumer Str. 92 (Familie → Buchthal), einer an der Hedwigstr. 1 (→ Dr. Samuel Hocs), drei an der Buer-Gladbecker-Str. 12 (Familie → Caro) und eine Stolperschwelle (→ NS-Unrechtsort Polizeigefängnis/Zwangsarbeitende) an der Ecke Kurt-Schumacher-Str./Hölscherstr..
Wir bitten Bürgerinnen und Bürger, die an den Verlegungen teilnehmen wollen, die Uhrzeiten bei uns zu erfragen. Mail: info(ätt)stolpersteine-gelsenkirchen.de
Samstag, 9. März 2019: 76. Jahrestag: Deportation der Gelsenkirchener Sinti und Lovara
Am 9. März 1943 wurden die noch in Gelsenkirchen in einem Internierungslager an der damaligen Reginenstraße (Bulmke-Hüllen) lebenden deutschen Sinti und Lovara zusammengetrieben, festgenommen und in das so genannte "Zigeunerlager" Auschwitz-Birkenau deportiert. In den so genannten "Hauptbüchern" des "Zigeunerlagers" ist die Ankunft der aus Gelsenkirchen verschleppten Menschen am 13. März 1943 festgehalten. Die Lebenswege von 164 Kindern, Frauen und Männern endeten mit der Ermordung in Auschwitz-Birkenau und 48 mit unbekanntem Schicksal im Lagerkomplex Auschwitz. Bei 31 als „Zigeuner“ verfolgten Menschen mit Lebensmittelpunkt in Gelsenkirchen konnte eine Deportation nach Polen im Mai 1940 nachgewiesen werden, fünf weitere Menschen, ebenfalls Angehörige der Minderheit, wurden in anderen Lagern des so genannten "Dritten Reiches" ermordet. → Gedenkseite
Mittwoch, 23. Mai 2018: Stolperstein-Verlegung in Gelsenkirchen
Denkanstöße für den Alltag
Mit Gunter Demnigs Stolpersteinen, die am letzten frei gewählten Wohnort von Opfern der Nazidiktatur verlegt werden – und das sind bei weitem nicht nur jüdische Mitbürger, sondern auch Sinti und Roma, politisch Andersdenkende, Homosexuelle, kritische Christen, Zeugen Jehovas und Personen mit psychischen oder physischen Erkrankungen – gedenken wir dauerhaft Menschen, die früher hier gelebt haben und wegen ihren Auffassungen, ihren Neigungen, Veranlagungen und Erkrankungen verfolgt, gequält und getötet wurden. Einbezogen werden dabei auch Menschen, denen die Flucht gelang und jene, die als letzte autonome Handlung ihrem Leben selbst ein Ende setzten. Die kleinen Denkmale sollen nicht zuletzt auch darauf aufmerksam machen, wozu Rassenhass, Fremdenfeindlichkeit und Dehumanisierung letztendlich führen können.
Zur Teilnahme an den Verlegungen am 23. Mai 2018 sind alle Mitbürgerinnen und Mitbürger herzlich eingeladen. An 4 Orten in Gelsenkirchen wird Gunter Demnig 12 weitere Stolpersteine in das Pflaster Gelsenkirchener Gehwege einsetzen:
Wir weisen darauf hin, dass im zeitlichen Ablauf Verschiebungen möglich sind, planen Sie bitte jeweils ein Zeitfenster von +/- 15 Min. zu den genannten Uhrzeiten ein.
Sonntag, 29. April 2018: Im Gedenken an den Todesmarsch durch Buer
Am Karfreitag 1945 wurden kurz vor dem Einmarsch der Amerikaner in Gelsenkirchen-Buer 25 russische Mädchen und Männern im Alter von 19 bis 25 Jahren in den frühen Morgenstunden ohne Fußbekleidung von Gestapo und Kripo aus dem Polizeigefängnis Buer über die Goldbergstraße in den Westerholter Wald getrieben und dort durch Genickschuß ermordet. Es gab nach Kriegsende Ermittlungen, zu einer strafrechtlichen Verfolgung kam es in dieser Sache jedoch nicht. Die Fahndung nach den Hauptverbrechern in dieser Sache blieb ohne Erfolg und wurde bald darauf zu den Akten gelegt.
Am Sonntag, dem 29. April wollen wir der Gelsenkirchener Opfer öffentlich gedenken. Treffpunkt 11 Uhr Polizeipräsidium Buer, anschließend Mahngang über die Goldbergstraße zum Tatort im Westerholter Wald. Wer diesen Weg – wie damals die Ermordeten – barfuß zurücklegen möchte, sei daran nicht gehindert. Weitere Infos: → Verbrechen in der Endphase: 25 Zwangsarbeiter im Westerholter Wald ermordet
Gelsenzentrum e.V. – VVN-BdA GE – Klaus Brandt
Freitag, 24. November 2017: Stolperstein-Verlegung in Gelsenkirchen
Diese Steine haben etwas zu erzählen
Einmal mehr kommt Bildhauer Gunter Demnig am 24. November 2017 nach Gelsenkirchen. 25 Stolpersteine wird er dabei haben und diese in das Gelsenkirchener Pflaster einlassen.
Mit der Verlegung der Stolpersteine wird die Erinnerung an das Leben und Leiden verfolgter Menschen im so genannten "Dritten Reich" lebendig. Stolpersteine erinnern auch an Wendepunkte in den individuellen Lebenswelten, an eine oftmals glückliche Zeit, bevor Angst, Ausgrenzung und Rassenwahn das Leben der Verfolgten bestimmten. Namen kehren mit der Verlegung von Stolpersteinen zurück in unseren Alltag. Und zwar genau dort, wo die verfolgten Menschen vor ihrer Verhaftung, Flucht, Verschleppung oder Ermordung ihre Lebensmittelpunkte hatten, inmitten der Stadtgesellschaft – Vor den Türen ihrer Häuser.
In die Messingoberfläche der Stolpersteine werden von Hand Inschriften eingeprägt, die meist mit den Worten "Hier wohnte" beginnen, darunter Name, Geburtsjahrgang, Eckdaten der Verfolgung und der Todesort. Derart unauslöschlich gemacht, erinnert die Inschrift dauerhaft an Menschen, die aufgrund ihrer Herkunft, Religion, sexuellen Orientierung oder politischen Gesinnung von den Nazis verfolgt beziehungsweise zumeist ermordet worden sind. Im Gedenken sollen Familien wieder symbolisch "zusammengeführt" werden, so werden auch Familienmitglieder einbezogen, die überleben konnten.
Zur Teilnahme an den Verlegungen am 24. November 2017 sind alle Mitbürgerinnen und Mitbürger herzlich eingeladen. An 7 Orten in Gelsenkirchen wird Gunter Demnig 25 weitere Stolpersteine in das Pflaster Gelsenkirchener Gehwege einsetzen:
Wir weisen darauf hin, dass im zeitlichen Ablauf Verschiebungen möglich sind, planen Sie bitte jeweils ein Zeitfenster von +/- 15 Min. zu den genannten Uhrzeiten ein.
Mittwoch, 9. November 2017: 79. Jahrestag der Pogromnacht
Abb.: Aussage des Oberbrandmeisters Anton Czimnik vom 25. Januar 1947 im Ermittlungsverfahren gegen den mutmaßlichen Synagogen-Brandstifter Montel in Gelsenkirchen.
Die Novemberpogrome vom 7. - 13. November 1938 waren eine vom NS-Terrorregime organisierte und gelenkte Zerstörung von Leben, Eigentum und Einrichtungen jüdischer Menschen im so genannten "Deutschen Reich".
Auch in diesem Jahr finden an vielen Orten in Deutschland Veranstaltungen zum Gedenken an die jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger statt, die in der so genannten "Reichskristallnacht" vom 9. auf den 10. November 1938 Opfer rassistisch motivierter Gewalttaten gegen Leben und Eigentum wurden. In dieser Nacht wurden hunderte jüdische Menschen von Nazis und ihren Helfershelfern vergewaltigt, zusammengeschlagen, ermordet oder in den Suizid getrieben.
Fast alle Synagogen, Geschäfte jüdischer Eigentümer, Wohnungen und viele jüdische Friedhöfe in Deutschland, Österreich und der Tschechoslowakei wurden in der Pogromnacht zerstört. Ab dem 10. November wurden ca. 30.000 Juden in Konzentrationslagern inhaftiert, wo viele ermordet wurden oder an den Haftfolgen starben. Die Pogrome in Gelsenkirchen: → November 1938 in Gelsenkirchen
Dienstag, 17. Oktober 2017: Ein Film über NS-Massaker in Italien
"Das zweite Trauma – das ungesühnte Massaker von Sant’Anna di Stazzema"
Den Dokumentarfilm "Das zweite Trauma – das ungesühnte Massaker von Sant’Anna di Stazzema" zeigt der Gemeinnützige Verein Gelsenzentrum e.V. in Kooperation mit der VVN-BdA Gelsenkirchen am Dienstag, 17. Oktober, im Kulturraum "die flora" (45879 Gelsenkirchen, Florastr. 26). Jürgen Weber, Autor des Films, wird anwesend sein. Eintritt frei.
Im nordtoskanischen Bergdorf Sant’Anna di Stazzema töteten im Sommer 1944 Einheiten der Waffen-SS 400 bis 560 Zivilisten, darunter viele Frauen und etwa 130 Kinder. 2015 wurde das Verfahren gegen den letzten noch lebenden Teilnehmer dieses Massakers in Deutschland eingestellt. In seinem Film „Das zweite Trauma“ zeichnet der Journalist, Autor und Regisseur Jürgen Weber historische und juristische Sachverhalte nach. Der Film lässt aber auch den Erinnerungen und Emotionen der Überlebenden Raum. Jürgen Weber arbeitet seit mehr als 20 Jahren zum Thema deutsche Besatzung in Italien, Widerstand und Partisanenkampf. Die Vorführung im Kulturraum "die flora", Florastraße 26, beginnt um 19.30 Uhr.
Veranstaltungsfoto: Querwege, Konstanz.
Veranstalter: Gelsenzentrum e.V., Gemeinnütziger Verein für regionale Kultur- und Zeitgeschichte Gelsenkirchen
Veranstaltungsort: Kulturraum "die flora", 45879 Gelsenkirchen, Florastraße 26
Mittwoch, 22. Februar 2017: Unter verbranntem Himmel. Lesung mit Greta Sykes
Am Mittwoch, 22. Februar 2017 liest Autorin Greta Sykes ab 19.30 Uhr im Kulturraum "die flora" in Gelsenkirchen, Florastraße 26, aus ihrem Roman "Unter verbranntem Himmel". Die Gelsenkirchener Buchhandlung Junius wird die Lesung mit einem Büchertisch begleiten. Eintritt frei.
2015 erschien Greta Sykes erster Roman, zunächst in einer englischen Fassung "Under Charred Skies", 2016 erschien die deutsche Übersetzung "Unter verbranntem Himmel". Die Autorin beleuchtet darin Facetten des zeitgenössischen Lebens, Kreativität, Kultur und den Widerstand einfacher Menschen in der Weimarer Republik und der aufkommenden NS-Zeit.
Eingebettet in die Familienerzählung von Lene, ihren Geschwistern und Eltern sowie ihren Freunden erleben wir mit ihnen die Erregungen und Tragödien der Zeit, als ob wir in ihnen selbst lebten. Wir treffen viele berühmte Schriftsteller und Sozialisten der damaligen Zeit, wie beispielsweise Paul Loebe, Gertrud Bäumer, Berta von Suttner, Margarethe und Alfred Zingler, den Maler Karl Schwesig, Ernst Eck und Erich Lange.
Greta Sykes, Jahrgang 1944, in Deutschland geboren und aufgewachsen, ging in den 60er Jahren nach London, wo sie studierte und seitdem im akademischen Bereich tätig ist. Als Mitglied der British Psychological Society war sie lange Zeit Repräsentantin für internationale Zusammenarbeit und Redakteurin des Nachrichtenblattes debate. Sie arbeitet als Dozentin am Institut of Education der London University. Seit einigen Jahren engagiert sie sich im Vorstand der Socialist History Society, deren President einst Eric Hobsbawm war. Greta Sykes gehört der Dichtergruppe London Voices an.
"Gelsenkirchen, insbesondere Rotthausen, war für mich als Kind wunderbar. Ich kam in den Ferien aus Hamburg, meine Tante und meinen Onkel Deppermann zu besuchen. Sie hatten eine Bäckerei in der Karl-Meyer-Straße 61 und ich durfte im Geschäft helfen. Nachts schlief ich im Wohnzimmer und schaute immer den Wägelchen mit der Kohle zu, die mit der Seilbahn durch die Luft reisten. Ich lernte die Geschichten meiner Mutter kennen, die eigentlich eher unterhaltsam und friedlich waren und von der Familie handelten. Erst später wurde mir klar, was alle durchgemacht hatten und wovon man damals nie sprach. Ich konnte lange nicht verstehen, wie es dazu kommen konnte, dass so eine starke Arbeiterbewegung und so eine hochentwickelte Kulturlandschaft so einfach von faschistischen Banden zerstört werden konnte. Durch meine Forschungen für das Buch, die ich u.a. im Institut für Stadtgeschichte und im Stadtteilarchiv Rotthausen machte, wurde mir klar, wie sehr diese Banden von Banken und Industriellen unterstützt wurden, sonst hätten die Nazis nie so viel Unheil anrichten können" sagt Greta Sykes.
Veranstalter: Gelsenzentrum e.V., Gemeinnütziger Verein für regionale Kultur- und Zeitgeschichte Gelsenkirchen
Veranstaltungsort: Kulturraum "die flora", 45879 Gelsenkirchen, Florastraße 26
Freitag, 27. Januar 2017, 75. Jahrestag der Deportation von Gelsenkirchen nach Riga
Am 27. Januar 1942 vollzog sich mit der Riga-Deportation einer der letzte Schritte zur Vernichtung der jüdischen Gemeinde Gelsenkirchens. Der 27. Januar sollte nach unserem Dafürhalten zum zentralen Gedenktag für die örtliche Geschichte der Shoa werden. Nicht zuletzt symbolisiert dieser Tag exemplarisch auch die kommunale Mitwirkung an der NS-Politik, denn die Stadt Gelsenkirchen hatte als untere Verwaltungsbehörde die NS-Vernichtungspolitik auf kommunaler Ebene umzusetzen.
Einige Tage vor dem Abtransport in das Ghetto Riga wurden die von der Deportation Betroffenen zur Ausstellungshalle an der Wildenbruchstraße verschleppt. In dieser Halle, von den Nazis zum temporären “Judensammellager“ umfunktioniert, wurden rund 360 jüdische Frauen, Männer und Kinder jeden Alters aus Gelsenkirchen eingepfercht, etwa 150 weitere jüdische Menschen wurden aus umliegenden Städten nach Gelsenkirchen transportiert. Die NS-Verfolgungsbehörden stellten in diesen Tagen ab Gelsenkirchen einen der so genannten „Judensammeltransport“ zusammen. Die Menschen wurden im Sammellager ihrer Wertsachen beraubt, Frauen und Mädchen wurden gynäkologisch untersucht, um so jedes mögliche Versteck für Schmuck oder Geld aufzuspüren.
Vor 75 Jahren sahen an diesem 27. Januar in der Ausstellungshalle mehr als 500 eingesperrte Menschen einer schrecklichen, von den Nazis bereits vorbestimmten Zukunft entgegen. Die Menschen wussten nicht, was sie am Bestimmungsort erwarten sollte. Einige Wochen vor der Deportation hatten die Betroffenen bereits Briefe erhalten, darin wurde dem Empfänger mitgeteilt, dass er zur „Evakuierung in den Osten“ eingeteilt ist und sich an einem bestimmten Tag für den Transport bereit zu halten habe.
Die Menschen glaubten zu diesem Zeitpunkt noch an einen Arbeitseinsatz im Osten, wurde doch in dem Brief detailliert aufgelistet, welche Ausrüstungsgegenstände mitzunehmen sind: Schlafanzüge, Nachthemden, Socken, Pullover, Hosen, Hemden, Krawatten, warme Kleidung, Näh- und Rasierzeug, Bettzeug, Medikamente und Verpflegung. Arbeit im Osten, daran glaubte man. Denn Arbeit bedeutet Brot, und Brot bedeutet Leben, bedeutet Überleben, so dachte man. Niemand konnte sich vorstellen, dass das alles nur Lug und Trug war, perfider Teil eines Mordplans, den die Nazis „Endlösung“ nannten. Am frühen Morgen des 27. Januar 1942 wurden die Menschen dann zum alten Güterbahnhof getrieben, ihr Gepäck wurde verladen. Der Zug verließ schließlich Gelsenkirchen in Richtung Riga. Dieser Menschentransport war der erste aus Gelsenkirchen, weitere sollten in den nächsten Monaten folgen.
Die jüdische Bevölkerung mußte den Transport in das Ghetto Riga, der für die meisten eine Reise in den Tod war, selbst bezahlen. Aus dem Nachlass von Lewis R. Schloss sind Benachrichtigungen im Zusammenhang mit der Deportation erhalten. Die staatlich legalisierte Ausplünderung jüdischer Menschen setzte sich auch bei der Deportation fort: Für drei Familienmitglieder mussten 150,- RM als „Gebühr Evakuierung“ und 120,- RM „Transportkosten“ für die Mitnahme der beweglichen Habe gezahlt werden – gegen Quittung. Die Waggons mit den wenigen Habseligkeiten der Verschleppten wurden jedoch bereits in Hannover abgehängt, ihren Besitz haben die Menschen nie wiedergesehen. Diese Dokumente weisen wie kaum andere auf die perfide und zynische Handlungsweise der Nazis, mit der diese die Deportation vorbereiteten und organisierten. Die so genannte „Endlösung“ war zu diesem Zeitpunkt längst beschlossene Sache.
Die Deportationsrichtlinien erließ das Judenreferat des Reichssicherheitshauptamtes. Die örtlichen Stapoleitstellen fassten sie für den lokalen Bereich zusammen und organisierten für ihren Zuständigkeitsbereich den gesamten Abtransport. So waren der Dienstsitz der Stapoleitstellen das Zentrum, zu dem die Judentransporte der umliegenden Städte und Gemeinden zumeist zusammengeführt wurden, um dann den Transport gemäß den Absprachen mit der Deutschen Reichsbahn auf seinen verhängnisvollen Weg zu schicken. Die lokale Schutzpolizei begleitete die Transporte bis nach Riga. Diese Männer waren natürlich in Besitz einer Rückfahrkarte.
Die „Reichsvereinigung der Juden in Deutschland“ und die noch bestehenden jüdischen Gemeinden, die unter dem Kuratel der Gestapo standen, wurden gleichermaßen mit einbezogen. Sie waren gezwungen, die Deportationslisten nach den Richtlinien der Gestapo zusammenzustellen, die dann von der Staatspolizei überarbeitet und genehmigt wurden. Sie „betreuten“ die Menschen bis zum Abtransport in das Ghetto Riga. Die Gelsenkirchener Jüdin Helene Lewek wählte im “Judensammellager” angesichts der bevorstehenden Deportation die Flucht in den Tod. Auf dem Weg nach Riga wurden weitere Menschen an verschiedenen Haltepunkten – u.a. in Dortmund und Hannover – in den Zug gezwungen. Der Deportationszug der Deutschen Reichsbahn erreichte schließlich mit etwa 1000 Menschen am 1. Februar 1942 Riga in Lettland.
Die allermeisten der am 27. Januar 1942 von Gelsenkirchen nach Riga verschleppten jüdischen Menschen wurden von den Nazis ermordet. Die oftmals einzigen Spuren ihres Lebens finden sich heute meist nur noch in den alten Meldeunterlagen der Stadtverwaltung. Es sind verschleiernde bürokratischen Vermerke wie „amtlich abgemeldet“, „nach dem Osten abgeschoben“ oder „unbekannt verzogen“. Es blieben von den Verschleppten nur wenige Menschen am Leben, die zurückkehrten und Zeugnis ablegen konnten.
Heute erinnert an diesem Gelsenkirchener Tatort nichts mehr an das „Judensammellager“ und die Deportation vom 27. Januar 1942. Die von uns im Frühjahr 2014 an den Rat der Stadt Gelsenkirchen gerichtete Anregung, am damaligen Standort des “Judensammellagers” einen Gedenk- und Erinnerungsort zu errichten, ist bisher nicht realisiert worden.
Samstag, 13. September 2014: Nächster Halt: Stolperstein"
Am damaligen Standort des so genannten "Judensammellagers" am Wildenbruchplatz beginnt der begleitete Spaziergang entlang von Stolpersteinen im Bereich Neu- bzw. Altstadt und endet nach etwa 2,5 Stunden am alten Jüdischen Betsaal, Von-Der-Recke-Straße. Treffpunkt: 13. September 2014, 14 Uhr am Wildenbruchplatz 2 (Polizeiwache), 45888 Gelsenkirchen. Teilnahme kostenlos, Anmeldung erbeten unter (0209) 9994676. Leitung: Andreas Jordan, Projektgruppe Stolpersteine Gelsenkirchen.
Veranstalter: Projektgruppe Stolpersteine Gelsenkirchen in Kooperation mit DIE LINKE. Kreisvereinigung Gelsenkirchen.
Donnerstag, 20. Februar 2014: Ein Film von Pierre Dietz - Briefe aus der Deportation
Der Film zeichnet den Weg des französischen Arbeiters William Letourneur nach, der 1943 von einem Nachbar denunziert von der Gestapo in Maromme, einem Vorort von Rouen, verhaftet und über Compiègne nach Buchenwald deportiert wurde. Weitere Stationen waren Konzentrationslager in Lublin und Auschwitz. Während dieser Zeit hielt er über heimliche und offizielle Briefe Kontakt zu seiner Frau, die ihm alles schickte, was sie entbehren konnte. In Auschwitz wurde er stumm. Nur Krankenblätter sind Zeugnisse aus dieser Zeit. Briefe aus der Deportation ist auch als Buch erschienen.
Filmvorführung im Kulturraum "flora", Gelsen-kirchen, Florastraße 26 für Schülerinnen und Schüler: 10:00 Uhr, Voranmeldung von Klassen erforderlich. Abendvorführung 19:30 Uhr. Der Eintritt ist frei
Veranstalter: Gelsen-zentrum e.V. in Kooperation mit der VVN-BdA, Kreisvereinigung Gelsenkirchen. Info: (0209) 9994676
Der 27. Januar wurde 2005 von den Vereinten Nationen zum „Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust“ erklärt.
Am 27. Januar 1945 hatten Soldaten der Roten Armee die Überlebenden des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau befreit. Das KZ Auschwitz steht symbolhaft für die Millionen Opfer des Nazi-Regimes.
Dieser Tag erinnert an die Mordopfer eines beispiellosen totalitären Regimes während der Zeit des Nationalsozialismus, an Menschen, die nach der verbrecherischen Weltanschauung der Nazis nicht in das vorgegebene Bild einer "arischen Volksgemeinschaft" passten: Juden, Sinti und Roma, Menschen mit Handicap, Homosexuelle, politisch Andersdenkende, so genannte "Asoziale", Zeugen Jehovas, Deserteure, WiderständlerInnen, Kriegsgefangene, Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, an all die Namenlosen, an die mehr als elf Millionen Menschen, die unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft verfolgt, gedemütigt, entrechtet, ausgegrenzt, gekennzeichnet, gequält und in den Konzentrationslagern und anderen Unrechtsstätten bestialisch ermordet wurden.
Nur wenige der Verschleppten überlebten die Ghettos, Konzentrations- und Vernichtungslager, konnten nach ihrer Befreiung eine neue Existenzen aufbauen und eigene Familien gründen. Ihre Zahl wird von Jahr zu Jahr kleiner. Ihre Lebens- und Leidenswege dürfen bei dem Gedenken an die Toten des Holocaust nicht vergessen werden.
In Gelsenkirchen ist der 27. Januar zugleich auch Jahrestag der ersten und größten Deportation jüdischer Mitbürgerinnen und Mitbürger. An diesem Tag im Jahre 1942 verließ in den frühen Morgenstunden ein Menschentransport den Gelsenkirchener Güterbahnhof mit Ziel Ghetto Riga. Zuvor waren im so genannten "Judensammellager" an der Wildenbruchstraße jüdische Kinder, Frauen und Männer aus Gelsenkirchen zusammen mit weiteren Juden aus dem Präsidialbezirk Recklinghausen und umliegenden Revierstädten "gesammelt" und unter unmenschlichen Bedingungen eingepfercht worden. Von dort mussten die zur Deportation bestimmten Menschen schließlich unter Bewachung am frühen Morgen des 27. Januar 1942 zum Güterbahnhof getrieben und wurden mit der Reichsbahn zunächst in das Ghetto Riga deportiert.
Dienstag, 17. Dezember 2013: Hier wohnte... Weitere Stolpersteine in Gelsenkirchen
Am 17. Dezember 2013 verlegt Gunter Demnig in Gelsenkirchen weitere neun Stolpersteine. Der Verlegetag beginnt mit einer Gedenkveranstaltung im Schalker Gymnasium, am Nachmittag wird Bildhauer Demnig ab 14:30 Uhr die Stolpersteine für Lieselotte Margot Elikan und Werner de Vries an der Arminstraße 3 in das Gehwegpflaster einsetzen. Weitere Stationen: Von-Der-Recke-Straße 9 vor der Begegnungstätte Alter Jüdischer Betsaal für Adolf und Johanna Hirsch und an der Ebertstraße 1 für die Familie Moritz Back. → Stolpersteine in Gelsenkirchen
Samstag, 9. November 2013: 75. Jahrestag der Pogromnacht
Abb.: Stolpersteine erinnern an vielen Orten in Gelsenkirchen an Opfer des Pogroms vom November 1938. So wie diese Stolpersteine vor dem Haus Wanner Straße 119, auch das in dem Haus befindliche Geschäft und die Wohnung von Selma und Erna Schöneberg wurden von den Nazischergen in der Pogromnacht zerstört.
Die Novemberpogrome vom 9. auf den 10. November 1938 waren eine vom NS-Terrorregime organisierte und gelenkte Zerstörung von Leben, Eigentum und Einrichtungen jüdischer Menschen im gesamten "Deutschen Reich".
Auch in diesem Jahr finden an vielen Orten in Deutschland Veranstaltungen zum Gedenken an die jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger statt, die in der so genannten "Reichskristallnacht" vom 9. auf den 10. November 1938 Opfer rassistisch motivierter Gewalttaten gegen Leben und Eigentum wurden. In dieser Nacht wurden hunderte jüdische Menschen von Nazis und ihren Helfershelfern vergewaltigt, zusammengeschlagen, ermordet oder in den Suizid getrieben.
Fast alle Synagogen, Geschäfte jüdischer Eigentümer, Wohnungen und viele jüdische Friedhöfe in Deutschland, Österreich und der Tschechoslowakei wurden in der Pogromnacht zerstört. Ab dem 10. November wurden ca. 30.000 Juden in Konzentrationslagern inhaftiert, wo viele ermordet wurden oder an den Haftfolgen starben. Jüdische Betroffene und Zeitzeugen aus der Mehrheitsgesellschaft schildern ihre Erlebnisse in der sogenannten "Reichskristallnacht": → Die Pogromnacht vom November 1938 in Gelsenkirchen
Zu einer besonderen Form des Gedenkens ruft der gemeinnützige Verein Gelsenzentrum auf. Am 8. und 9. November 2013 werden alle 78 bisher in Gelsenkirchen verlegten Stolpersteine geputzt und an jeder der insgesamt 40 Verlegestellen Blumen niedergelegt.
9. November 2013, Treffpunkt 17.30 Uhr Alte Post/Bahnhofsvorplatz anschließend Schweigegang zum HSH, dort ab 18 Uhr Kundgebung
Donnerstag, 31. Oktober 2013: Filmpräsentation "Wir haben es doch erlebt"
Erinnerung an den Massenmord in Lettland - 70. Jahrestag der Auflösung des Rigaer Ghettos
Am 31. Oktober 2013 zeigen wir ab 19:30 Uhr in der Gelsenkirchener "flora", Florastraße 26, den Film "Wir haben es doch erlebt" - Das Ghetto von Riga. Der Film von Jürgen Hobrecht erinnert an die NS-Verbrechen im Ghetto von Riga. Der Regisseur wird anwesend sein und nach der Vorführung Fragen des Publikums beantworten. Der Eintritt ist frei, um eine Spende zugunsten der Weiterarbeit der Phoenix Medienakademie am Thema "Riga" und zur Unterstützung einer Hilfsorganisation für baltische Holocaust-Überlebende wird gebeten.
Über 25.000 Juden aus dem "Deutschen Reich" wurden ab Herbst 1941 nach Riga verschleppt, Hauptstadt des von Hitlers Wehrmacht besetzten Lettland. Zwischen November 1941 und Oktober 1942 fuhren 25 Züge der Reichsbahn mit ihrer Menschenfracht aus 14 Städten - darunter u.a. Gelsenkirchen, Dortmund, Münster und Bielefeld - nach Riga. Unmittelbar zuvor waren die bis dahin im Ghetto von Riga internierten ca. 27.000 lettischen Juden und Jüdinnen in einem Massaker ermordet worden - das Ghetto wurde "freigeschossen" sagt Margers Vestermanis, selbst Überlebender des Holocaust in Lettland. Die SS schaffte mit dieser Mordaktion Platz für die Neuankömmlinge aus Deutschland.
Tausende der Deportierten wurden bereits direkt nach ihrer der Ankunft in Riga erschossen. Diejenigen, die das Ghetto lebend erreichten, erlitten hingegen ein jahrelanges Martyrium in Konzentrationslagern und Unrechtsstätten, an dessen Ende auf die meisten Menschen ebenfalls der Tod wartete. Von den 24.605 in den Jahren 1941 und 1942 nach Riga deportierten jüdischen Menschen aus dem so genannten "Großdeutschen Reich" überlebten unter unsäglichen Leiden und Qualen nur 1.073. Von den 355 Gelsenkirchener Juden – am 27. Januar 1942 nach Riga verschleppt – wurden 307 in Riga und Umgebung ermordet. Allein bei einer Massentötung im Zuge der Auflösung bzw. Räumung des Rigaer Ghettos am 2./3. November 1943 ermordete die SS und ihre Helfer 87 Gelsenkirchener*innen, darunter zwanzig Kinder.
Der Filmemacher Jürgen Hobrecht hat über viele Jahre hinweg die Spuren der mit dem Namen „Riga“ verbundenen NS-Verbrechen und die damit verknüpften Lebens- und Leidenswege Ermordeter und der wenigen Überlebenden recherchiert. Seine erschütternde Dokumentation begibt sich an die Orte des Geschehens in Lettland, zeigt aber auch, wie akribisch die Deportationen in Deutschland vorbereitet wurden.
Wesentliches Stilmittel des Films sind dialogisch montierte Zeitzeugenaussagen. Aus vielen einzelnen Interviews entsteht die Erzählung der Deportation nach Riga, der mehrjährigen Zwangsarbeit und täglichen Todesgefahr im Ghetto, der Odyssee durch die Lager, der Befreiung und schließlich der Frage, wie ein Überleben nach diesen unvorstellbaren, traumatischen Erlebnissen möglich war bzw. ist. „Dabei erhebt sich kein belehrender Kommentarton über die Wahrhaftigkeit der Aussagen Überlebender. Vielmehr sorgt ein informierender Sprecher für historische Einordnung und Orientierung, um dem Zuschauer das Verständnis zu erleichtern“, so Regisseur Hobrecht über den Grundtenor des Films.
Bundesminister a.D. Wolfgang Tiefensee übernimmt Schirmherrschaft
Der Dokumentarfilm '"Wir haben es doch erlebt" - Das Ghetto von Riga' wird in einer Reihe von Veranstaltungen zwischen dem 10. Oktober und dem 10. Dezember 2013 in bisher 35 Städten präsentiert. Bundesminister a.D. Wolfgang Tiefensee, Vorsitzender von "Gegen Vergessen für Demokratie e.V.", hat die Schirmherrschaft für die Veranstaltungsreihe übernommen.
Veranstalter: Gelsenzentrum e.V. in Kooperation mit dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge und der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes-Bund der Antifaschist*innen, Kreisvereinigung Gelsenkirchen (VVN-BdA) und der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Gelsenkirchen e. V.
Montag, 28. Oktober 2013: 75. Jahrestag der "Polenaktion" - Auftakt zur Vernichtung
Im Rahmen der im Nazi-Jargon als "Polenaktion" bezeichneten Abschiebeaktion zwischen dem 27. und 29. Oktober 1938 wurden rund 18.000 jüdische Menschen mit polnischer Staatsangehörigkeit aus dem "Dritten Reich" abgeschoben. Bei im ganzen Reichsgebiet durchgeführten Razzien brutal festgenommen, meist nur mit dem versehen, was die Betroffen auf dem Leib trugen, wurden die Menschen in Sammeltransporten mit der "Reichsbahn" an die polnischen Grenze verschleppt und ins Niemandsland getrieben. In Gelsenkirchen waren etwa 80 Juden jeden Alters von der Massenabschiebung betroffen. Einigen wenigen wurde die Rückreise nach Gelsenkirchen gestattet - sie wurden dann gezwungen, vor Ort bei der "Arisierung" ihres Eigentums "mitzuhelfen". Die "Polenaktion" stand in direktem Zusammenhang mit den "Kristallnacht"-Pogromen vom 9. November 1938.
Abb.: Ein letztes Lebenszeichen von Isidor Jeckel aus Gelsenkirchen ist dieser Brief, gerichtet an seinen ebenfalls aus Gelsenkirchen stammenden Freund Ernst. Dieser konnte bereits im Januar 1938 in die USA in Sicherheit gebracht werden. In diesem Brief aus Zbaszyn, datiert auf den 9. Januar 1939, beschreibt der damals 16jährige Isidor Jeckel auch die Verhaftung in Gelsenkirchen und die unmenschlichen Zustände im Internierungslager Zbaszyn. So schildert er, wie er und sein Vater von der Arbeitstelle in Gelsenkirchen direkt in das Gefängnis gebracht wurden, ohne sich vorher entsprechende Bekleidung aus ihrer Wohnung holen zu dürfen. Weiter schreibt er: "(...) wünsche ich alles Gute, vor allem wünsche ich keinem jüdischen Jungen in eine solche Lage zu kommen, wie ich es bin (...)."
Es gab mehrere Zielorte für die Abschiebungstransporte – einer war die polnische Grenzstation Zbaszyn (Bentschen) in der Provinz Posen. Dorthin wurden auch die Betroffenen aus Gelsenkirchen verschleppt. Die meisten der Deportierten (in Zbaszyn zwischen 5.000 und 10.000) mussten neun Monate unter katastrophalen Bedingungen in Militär-Pferdeställen und einer ehemaligen Mühle hausen. Die Abschiebeaktion stellte einen ersten Höhepunkt der physischen Verfolgung jüdischer Menschen dar und war der eigentliche Auftakt zur geplanten Vernichtung der europäischen Juden.
Diese erste NS-Massendeportation, die im Zusammenspiel von Polizei, Reichsbahn, Finanzbehörden und Diplomatie ablief, kann als "Probelauf" für die später folgenden Deportationen jüdischer Menschen gelten. Auf die dabei gemachten Erfahrungen und die logistische Zusammenarbeit mit der Reichsbahn griff der Sicherheitsdienst (SD) zurück, als er wenig später nach den Novemberpogromen vom 9. auf den 10. November 1938 mehr als 26.000 Juden in Konzentrationslager schaffen ließ.
Montag, 26. August 2013: Zum 80. Todestag von Oskar Behrendt
An das Leben, Wirken und den gewaltsamen Tod von Oskar Behrendt erinnert eine kleine Gedenkveranstaltung, die am 26. August 2013 um 18 Uhr an der Küppersbuschstraße 25 stattfindet.
Vor diesem Haus, dem Wohnort von Oskar Behrendt, verlegte Bildhauer Gunter Demnig am 1. August 2011 einen Stolperstein in Gedenken an den kommunistischen Widerständler.
Oskar Behrendt stellte sich frühzeitig den Nazis entgegen - der engagierte Antifaschist bezahlte seinen Widerstand mit dem Leben. Am 17. August 1933, einen Tag nach seiner Verhaftung, starb Oskar Behrendt im Gelsenkirchener Gerichtsgefängnis an den Folgen der dort durch Nazischergen erlittenen Folter. Seine mutmaßlichen Mörder wurden in einem nach 1945 eingeleiteten Gerichtsverfahren "aus Mangel an Beweisen" freigesprochen.
13. August 2013 - 70. Todestag von Rosa Böhmer
Symbolische und temporäre Platzbenennung Dienstag, 13. August 2013 um 18.30 Uhr
Platz hinter dem Bildungszentrum
Gelsenkirchen
Das Sinti-Mädchen Rosa Böhmer wurde am 13. August 1943 im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau ermordet – wenige Wochen vor ihrem zehnten Geburtstag. In einem der Stadtverwaltung Gelsenkirchen seit April diesen Jahres vorliegenden Bürgerantrag wurde angeregt, den Platz zwischen der City-Wohnanlage "Weißer Riese" und dem Bildungszentrum nach Rosa Böhmer zu benennen. Ihr Lebens- und Leidensweg soll stellvertretend an die im so genannten "Dritten Reich" aus Gelsenkirchen verschleppten und ermordeten Sinti und Roma erinnern. Über den Antrag ist bisher noch nicht abschließend beraten worden.
Um so wichtiger ist es, am 70. Todestag von Rosa Böhmer mit der symbolischen und temporären Benennung dieses Platzes an die Folgen von Tyrannei und Rassismus unter dem NS-Regime zu erinnern und die Forderung nach einem dauerhaften Zeichen des Gedenkens an die vom NS-Terrorregime verfolgten und ermordeten Sinti und Roma aus Gelsenkirchen zu unterstreichen. Ein "Rosa-Böhmer-Platz" an dieser Stelle fügt sich nahtlos in die Reihe der bereits nach Opfern und Gegnern des NS-Regimes benannten Plätze in der Gelsenkirchener Innenstadt ein.
Der Völkermord an 500.000 Sinti und Roma hatte seine eigene schreckliche Dimension, seine eigene Bürokratie und Systematik. Der Genozid an Sinti und Roma war kein „Schicksal“, sondern er war die Folge bewusster, rassistischer Politik. Er war der Endpunkt von systematischer Entrechtung, Ausgrenzung – und auch von Zustimmung, Gefolgschaft und Wegschauen.
Die symbolische und temporäre Benennung dieses Platzes ist auch ein ein Aufruf an an die lokale Politik und Gesellschaft, der fortbestehenden Diskriminierung von Sinti und Roma energisch entgegenzutreten.
10.-12. Juni 2013: Zug der Erinnerung in Dortmund - Spuren der Kinder von Westerbork
Vor 70 Jahren deportierte die „Reichsbahn“ tausende Kinder – weil sie Juden oder Sinti und Roma waren. Die „Reichsbahn“-Züge kamen aus einem Nazi-Lager in den besetzten Niederlanden: Westerbork. In verschlossenen Waggons wurden die Menschen durch Deutschland transportiert, darunter auch Kinder aus Gelsenkirchen, Dortmund, Hannover, Magdeburg oder Berlin.
Nach drei Tagen erreichten die Züge Sobibór in Ostpolen. In dem Nazi-Vernichtungslager wurden die Kinder sofort nach der Ankunft ermordet. Der Verein "Zug der Erinnerung" will im Mai und Juni 2013 auf 10 deutschen Bahnhöfen gemeinsam mit Initiativen und Projektgruppen aus den verschieden Städten von den in Sobibór ermordeten Kindern Abschied nehmen - auf den Bahnhöfen, auf den ihnen vor 70 Jahren niemand half. Von Montag 10. Juni bis Mittwoch 12. Juni 2013 macht der Zug der Erinnerung in Dortmund Station.
Montag, 29. April 2013, Stolpersteine - Denkmal für die Zukunft
Am Montag, den 29. April verlegt Bildhauer Gunter Demnig weitere 19 Stolpersteine in Gelsenkirchen. Die Verlegungen beginnen um 10 Uhr an der Karl-Meyer-Straße in Rotthausen.
Der Verlegetag schliesst mit einer vom Inner Wheel Club Gelsenkirchen unterstützten Gedenkstunde in der Bleckkirche (an der ZOOM Erlebniswelt), Beginn 18 Uhr. Joachim Rönneper stellt dann in einer musikalisch umrahmten Lesung aus seinem Buch „Vor meiner Haustür“ das Werk des Bildhauers Gunter Demnig vor.
Gedenkstunde in Kooperation mit:
Samstag, 23. März 2013, 80. Todestag von Erich Lange
Kurz nach der Machtübergabe an die Nazis wird in der Nacht vom 21. auf den 22. März 1933 Am Rundhöfchen der Antifaschist und Widerständler Erich Lange von einem SS-Mann erschossen. Stolpersteine erinnern seit 2011 am Ort des Mordes in der Altstadt und an seinem letzten Wohnort Schwanenstraße 6 an Erich Lange. Zum 80. Jahrestag des gewaltsamen Todes von Erich Lange findet am 23. März 2013 ab 11:00 Uhr in Gelsenkirchen eine kleine Gedenkveranstaltung am Verlegeort des Stolpersteins Am Rundhöfchen/Neumarkt statt.
Donnerstag, 21. März 2013, Porajmos - Gedenken an Deportation von Sinti und Roma
„Der Völkermord an den Sinti und Roma ist aus den gleichen Motiven des Rassenwahns, mit dem gleichen Vorsatz, mit dem gleichen Willen zur planmäßigen und endgültigen Vernichtung durchgeführt worden wie der an den Juden. Sie wurden im ganzen Einflussbereich der Nationalsozialisten systematisch und familienweise vom Kleinkind bis zum Greis ermordet."
(Bundespräsident Roman Herzog, 16. März 1997)
Den von Nazis erlassenen Rassengesetze „zur Bekämpfung des Zigeunerwesens“ folgte der Völkermord an hunderttausenden Sinti und Roma.
In diesem Jahr jährt sich zum 70. Mal die Deportation Gelsenkirchener Sinti und Roma in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Aus diesem Anlass findet am 21. März in der Bleckkirche in Gelsenkirchen-Bismarck eine Gedenkstunde statt.
Die im Internierungslager an der damaligen Reginenstraße in Bulmke-Hüllen eingepferchten Sinti- und Roma-Familien wurden am 9. März 1943 auf Grundlage des so genannten "Auschwitz-Erlass" Heinrich Himmlers verhaftet und zunächst in das Polizeigefängnis Gelsenkirchen gebracht, dann weiter nach Bochum und von dort per "Sammeltransport" in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau verschleppt. In den Lagerbüchern ist die Ankunft der Gelsenkirchener Sinti und Roma am 13. März 1943 festgehalten. Nur die wenigsten der Verschleppten haben diese Hölle überlebt.
Worte des Gedenkens werden die Feierlichkeit einleiten, so wird auch Roman Franz, Vorsitzender des Landesverbandes Deutscher Sinti und Roma NRW, eine Ansprache halten. Hartmut Hering wird in einem Vortrag über Verfolgungshintergründe, Ursache und Wirkung referieren, eine Lesung aus "Elses Geschichte - Ein Mädchen überlebt Auschwitz" ist geplant. Die Gedenkveranstaltung wird von dem Musiker Norbert Labatzki musikalisch umrahmt und beginnt um 20 Uhr in der Bleckkirche - Kirche der Kulturen - Gelsenkirchen, Bleckstraße (an der ZOOM Erlebniswelt). Einlass ab 19:30 Uhr. Der Eintritt ist frei. Reservierungen per Email an: sekretariat@gelsenzentrum.de oder Telefon: 0209-9994676
Von Beifallsbekundungen während und nach der Gedenkveranstaltung bitten wir abzusehen.
Veranstaltung des gemeinnützigen Vereins Gelsenzentrum in Kooperation mit der
Mittwoch, 30. Januar 2013, 80. Jahrestag der Machtübergabe an die Nazis
Möglich gemacht hat die Machtübergabe die finanzielle Unterstützung der Nazis durch die deutsche Großindustrie und die willfährige Mehrheit des Deutschen Volkes. Am Ende dieser Machtübergabe sollte die Unangefochtenheit des NS-Regimes, die Etablierung der "rassisch reinen Volksgemeinschaft" sowie die Beherrschung Europas und der Welt stehen.
Die Folgen von 12 Jahren Nazi-Barberei sind den meisten bekannt: Diskriminierung, Ausgrenzung Verfolgung und Ermordung von Minderheiten, Industrieller Massenmord an Juden, Sinti und Roma, Zerstörung von Vielfalt und Kultur, der 2. Weltkrieg mit all seinen schrecklichen Auswüchsen. Bundesweit erinnern am 30. Januar 2013 zahlreiche Ausstellungen, Projekte und Initiativen an den 80. Jahrestag der Machtübergabe an die Nazis und die Folgen.
Sonntag, 27. Januar 2013, 16:00 Uhr Holocaust-Gedenktag: Gelsenkirchener Lichter
Zur Teilnahme an eine besondere Form der Erinnerung und des Gedenkens ruft der gemeinnützige Verein Gelsenzentrum auf. Mit dem entzünden der "Gelsenkirchener Lichter" wird am 27. Januar ein temporärer Erinnerungsort markiert - in diesem Jahr um 16 Uhr am damaligen Standort des "Judensammellagers" an der Wildenbruchstraße/Höhe Polizeiwache. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer werden gebeten, Kerzen mitzubringen.
Der 27. Januar wurde 2005 von den Vereinten Nationen zum „Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust“ erklärt. Dieser Tag erinnert an Mordopfer eines beispiellosen totalitären Regimes während der Zeit des Nationalsozialismus, an Menschen, die nach der verbrecherischen Weltanschauung der Nazis nicht in das vorgegebene Bild einer "arischen Volksgemeinschaft" passten: Juden, Sinti und Roma, Menschen mit Handicap, Homosexuelle, politisch Andersdenkende, so genannte "Asoziale", Zeugen Jehovas, Deserteure, WiderständlerInnen, Kriegsgefangene, Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, an all die Namenlosen, an die mehr als elf Millionen Menschen, die unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft verfolgt, gedemütigt, entrechtet, ausgegrenzt, gekennzeichnet, gequält und in den Konzentrationslagern und anderen Unrechtsstätten bestialisch ermordet wurden. Nur wenige der Verschleppten überlebten die Ghettos, Konzentrations- und Vernichtungslager, konnten nach ihrer Befreiung eine neue Existenzen aufbauen und eigene Familien gründen. Ihre Zahl wird von Jahr zu Jahr kleiner. Ihre Lebens- und Leidenswege dürfen bei dem Gedenken an die Toten des Holocaust nicht vergessen werden.
In Gelsenkirchen ist der 27. Januar zugleich der Jahrestag der ersten und größten Deportation jüdischer Mitbürger. An diesem Tag im Jahre 1942 verließ in den frühen Morgenstunden ein Menschentransport den Gelsenkirchener Güterbahnhof mit Ziel Ghetto Riga. Zuvor waren im so genannten "Judensammellager" an der Wildenbruchstraße jüdische Kinder, Frauen und Männer aus Gelsenkirchen zusammen mit weiteren Juden aus dem Präsidialbezirk Recklinghausen und umliegenden Revierstädten "gesammelt" und unter unmenschlichen Bedingungen eingepfercht. Von dort mussten die zur Deportation bestimmten Menschen schließlich unter Bewachung zum Güterbahnhof laufen und wurden mit der Reichsbahn zunächst in das Ghetto Riga deportiert.
Montag, 21. Januar 2013, 19:30 Uhr "Wann wohl das Leid ein Ende hat..."
Wenige Tage vor dem Holocaust-Gedenktag, 1996 von Bundespräsident Roman Herzog zum 27. Januar als nationaler Gedenktag in Deutschland erklärt, laden wir aus diesem Anlass zu einer Veranstaltung im Kulturraum "die flora", Florastr. 26 in Gelsenkirchen ein. Mittelpunkt des Abends sind die im KZ Theresienstadt geschriebenen Gedichte und Lieder der tschechisch-jüdischen Schriftstellerin Ilse Weber, die 1944 in Auschwitz ermordet wurde. Die Opernsängerin Michaela Sehrbrock präsentiert sowohl eine Reihe unvertonter als auch erhalten gebliebener vertonter Gedichte und wird dabei von Marion Steingötter am Klavier begleitet.
Kultur erleben - unabhängig vom Einkommen: Vier Eintrittskarten für diese Veranstaltung stellt Gelsenzentrum e.V. der Kulturloge Ruhr kostenfrei zur Verfügung.
Vor dem "Osttransport" nach Auschwitz kann Willi Weber die Gedichte seiner Frau Ilse in einem Geräteschuppen in Theresienstadt einmauern - Gedichte und Lieder, die sie für ihre Mithäftlinge und ihre Pflegekinder geschrieben hat. Ilse Weber und ihr Sohn Tomas wurden am 6. Oktober 1944 in Auschwitz ermordet. Willi kehrte als Überlebender nach Theresienstadt zurück, um die Texte in Sicherheit zu bringen. Darin schildert Ilse Weber ihres Leben als Jüdin in Mähren, erzählt in Briefen vom Terror des Nationalsozialismus, darunter befinden sich auch die Trostgesänge aus der Kinderkrankenstube im KZ Theresienstadt.
Michaela Sehrbrock wurde in München geboren und besuchte nach dem Abitur die Schauspielschule. Ihr Studium absolvierte sie im Fach Musiktheater u. Gesang an der Folkwang-Hochschule Essen bei Frau Prof. Csilla Zentai. Seit 1997 ist sie Mitglied im Opernchor Essen. Darüber hinaus wirkt sie bei Liederabenden, Kirchenkonzerten und freien Opern- und Musicalinszenierungen mit. Ebenfalls nimmt sie kleinere solistische Partien in Opern am Aalto-Theater wahr.
Marion Steingötter absolvierte ihr Musikstudium an der Universität zu Mainz und an der Musikhochschule Köln. Ihre Gesangsausbildung erhielt sie bei Frau Professor Mechthild Georg. Während ihrer langen freiberuflichen Tätigkeit in diversen namhaften Vokalensembles und als Solistin, erarbeitete sie sich ein breites Repertoire, das Musikstile vom Mittelalter bis zur Moderne umfasst. Internationale Konzertreisen, Kurse und Wettbewerbe prägten ihren musikalischen Werdegang. Seit 2001 ist die Altistin Mitglied des Opernchores des Aalto-Theaters.
Veranstalter: Gelsenzentrum e.V. in Kooperation mit M. Sehrbrock und M. Steingötter
Ab 26.12.2012: Ausstellung "Vergeben muss man, aber Vergessen ist unmöglich..."
An die Verlegung eines Stolpersteins für den Holocaust-Überlebenden Herman Neudorf in Gelsenkirchen knüpft eine Ausstellung an, die ab dem 26. Oktober 2012 von Gelsenzentrum in Zusammenarbeit mit Herman Neudorf in der Gesamtschule Horst präsentiert wird.
Die Ausstellung, die nach einem Zitat von Herman Neudorf den Titel “Vergeben muss man, aber Vergessen ist unmöglich…” trägt, rückt Judenverfolgung und -vernichtung im so genannten “Dritten Reich” mit der Darstellung der Lebens- und Leidenswege der jüdischen Familie Neudorf in einen konkreten örtlichen und personellen Zusammenhang. Diese Ausstellung soll vor allem junge Menschen, Schulen oder lokale Gruppen erreichen und kann auch ausgeliehen werden.
Die jüdische Familie Neudorf aus Gelsenkirchen-Horst gerät 1938 in die Mordmaschinerie des NS-Staates. Simon Neudorf stirbt 1941 im KZ Sachsenhausen, Frieda Neudorf wird 1944 in Riga ermordet. Der junge Herman Neudorf wird im Oktober 1938 mitten aus dem Schulunterricht heraus verhaftet und von Gelsenkirchen zunächst nach Bentschen/Polen abgeschoben. Nach der Rückkehr in seine Heimatstadt Gelsenkirchen führt sein weiterer Leidensweg über eines der Gelsenkirchener „Judenhäuser“ in das Ghetto Riga, von dort in das KZ Kaiserwald weiter über die KZ Stutthof und Buchenwald in das KZ-Außenlager von Buchenwald beim Bochumer Verein und wieder zurück nach Buchenwald. Herman Neudorf überlebt einen der Todesmärsche und wird am 13. April 1945 bei Gera von amerikanischen Soldaten befreit. Der 87jährige Herman Neudorf lebt heute in den USA. Auf der Basis seiner Erinnerungen erzählt und dokumentiert diese Ausstellung Lebens- und Leidenswege der Familie Neudorf, ihrer Angehörigen und Freunde.
Ausleihe möglich!
Die Ausstellung kann von lokalen Gruppen, Schulen, Kirchengemeinden u.a. ausgeliehen werden!
Interessierte Veranstalter wenden sich bitte an:
GELSENZENTRUM e.V.
Verein für regionale Kultur- und Zeitgeschichte
Devensstrasse 111
45899 Gelsenkirchen
Telefon: (0209) 9994676
Email: Gelsenzentrum e.V.
Sowohl für die Ausstellungseröffnung am 26. Oktober um 16 Uhr als auch für die Finissage am 9. November um 16 Uhr entwickeln Lehrer und Schüler der Jahrgänge 10, 12 und 13 derzeit ein vielfältiges Programm: Neben musikalischen Beiträgen planen die Beteiligten Theaterszenen zum Leben Neudorfs „Das Ende der Kindheit“, eine Kunstinstallation „Wege der Erinnerungen“ sowie weitere Präsentationen zu den Themen Umgang mit der NS-Zeit und Erinnerungskultur. Schülerinnen und Schüler aus der Sek. II führen durch die Ausstellung.
Alle Bürger laden wir herzlich zum Besuch der Ausstellung ein. Um vorherige Anmeldung über das Sekretariat der Gesamtschule Horst (Tel. 4503012) wird gebeten. Eröffnungs- und Abschlußveranstaltung können jedoch ohne Voranmeldung besucht werden!
8. Oktober 2012 - Stolpersteine Gelsenkirchen - Gemeinsam gegen das Vergessen
Am 8. Oktober kommt Künstler Gunter Demnig nach Gelsenkirchen, 18 weitere Stolpersteine gegen das Vergessen wird er dann an 8 Orten in den Boden einlassen. In diesem Jahr werden erstmals auch Stolpersteine für ehemalige jüdische Bürgerinnen und Bürger Gelsenkirchens verlegt, die den Naziterror überleben konnten. Familien sollen so im Gedenken symbolisch wieder zusammengeführt werden.
Demnigs Stolpersteine bringen niemanden zu Fall, man stolpert nicht körperlich. Man stolpert mit den Augen, dem Kopf und mit dem Herzen über die Stolpersteine, denn die kleinen Betonquader werden flächenbündig in das Pflaster der Gehwege eingelassen - damit Vergangenheit sichtbar bleibt. “Und wenn du den Namen auf dem Stein lesen willst, musst du dich vor dem Opfer automatisch verbeugen” sagt Gunter Demnig.
Die Stolpersteine erinnern an Menschen, die in den Jahren des “Dritten Reichs” verfolgt, entrechtet, gedemütigt, in die Flucht getrieben und in den allermeisten Fällen von den Nazis ermordet wurden. Im Rahmen des Kunstprojektes „Stolpersteine“ des Bildhauers Gunter Demnig werden die Gedenksteine vor den Häusern ins Pflaster der Gelsenkirchener Gehwege eingelassen, in denen die Menschen einst lebten.
Arthur Hermann, Cranger Straße 267. 13:30 Uhr
Pater Hermann Joseph Vell, Grillostraße 57. 14:15 Uhr
Familie Posner, Arminstraße 1. 14:45 Uhr
Familie Spiegel, Kirchstraße 65. 15:15 Uhr
Ehepaar Isacson, Ringstraße 4. 15:45 Uhr
Familie Krämer, von der Recke Straße 10. 16:15 Uhr
Familie Süßkind, Markenstraße 29. 16:50 Uhr
Herman Neudorf, Markenstraße 19. 17:10 Uhr
(Zeitangaben +/- 15 Minuten)
Der Verlegetag findet seinen Abschluß mit einer Matinee, die um 18 Uhr im Kaminzimmer von Schloss Horst beginnt. Bezirksbürgermeister Joachim Gill wird ein Grußwort an die Anwesenden richten, Heike Jordan wird aus der 1947 als Broschüre publizierten Bericht “Sadismus oder Wahnsinn” von Jeanette Wolff (1888-1976) lesen. Die jüdische Sozialdemokratin beschreibt darin ihre Deportation nach Riga und den Leidensweg durch verschiedene Konzentrationslager. Die Veranstaltung endet mit einer Auswahl von geschriebenen Gedichten und Liedern der tschechisch-jüdischen Schriftstellerin Ilse Weber (1903-1944), die sie im KZ Theresienstadt geschrieben hat und die 1944 in Auschwitz ermordet wurde. Die Opernsängerin Michaela Sehrbrock wird sowohl eine Reihe unvertonter als auch erhalten gebliebener vertonter Gedichte präsentieren und dabei von Marion Steingötter am Klavier begleitet. Internetpräsenz Stolpersteine Gelsenkirchen
30. März 2012 - "Zwei Lieben". Lesung mit Rainer Vollath in der "flora" Gelsenkirchen
Autor Dr. Rainer Vollath
Am Freitag, dem 30. März 2012 liest der Autor Rainer Vollath um 19 Uhr im Kulturzentrum "die flora" in Gelsenkirchen, Florastraße 26, aus seinem zeitgeschichtlichen Roman "Zwei Lieben". Begrüßung und einleitendes Referat: Markus Chmielorz und Jürgen Wenke.
"Zwei Lieben" - Sachsenhausen, Flossenbürg, Berlin Nollendorfplatz – die Lebensstationen eines bewegten Lebens, einer bewegenden Geschichte
In seinem Buch "Zwei Lieben" hat sich Rainer Vollath einem verdrängten Kapitel deutscher Geschichte gewidmet: Berlin 1938. Der 28-jährige Fritz wird im Berliner Tiergarten von der Gestapo ertappt, verhaftet und ins KZ gebracht. Sieben Jahre verbringt er in Sachsenhausen und Flossenbürg. Was ihm beim Überleben hilft, ist seine Liebe zu dem jungen Häftling Jan aus Warschau. Bei Kriegsende trennen sich jedoch ihre Wege für immer.
Aus Angst vor Repressalien führt Fritz nach dem Krieg in Berlin jahrzehntelang ein Doppelleben und traut sich nicht, zu seinem Schwulsein zu stehen. Doch dann wird 1969 der Paragraph 175 entschärft, ein frischer Wind weht in der Metropole. Fritz versucht, eine Entschädigung für die im KZ erlittenen Qualen zu bekommen – und er lernt Will kennen. Rainer Vollath erzählt in sich zeitlich abwechselnden Kapiteln den Überlebenskampf im KZ und das Aufkeimen der Schwulenbewegung in der Berliner Nachkriegszeit. In klarer, nüchterner Sprache zeichnet er das Leben eines Mannes nach, der es trotz seiner – aus einer bedrückenden Vergangenheit herrührenden – Ängste schafft, ein Selbstbewusstsein als schwuler Mann zu entwickeln und sich seinen Platz in der Gesellschaft zu erkämpfen.
Möglich wurde diese Lesung durch eine Kooperation des Vereins Rosa Strippe, der in Bochum die zweitgrößte psychosoziale Beratungsstelle für Lesben, Schwule und deren Angehörge in NRW betreibt und der Projektgruppe STOLPERSTEINE des Gelsenzentrum e.V. in Gelsenkirchen. Beide Initiativen widmen sich schon seit langem der Erinnerung an die Verfolgten des Nationalsozialismus. Auf Initiative der Rosa Strippe e.V. hat der Künstler Gunter Demnig im Februar in Dortmund einen weiteren Stolperstein für ein schwules Opfer des Nationalsozialismus verlegt. Im Herbst verlegt Demnig in Gelsenkirchen einen Stolperstein für den im KZ wegen seiner Homosexualität zu Tode geschundenen Arthur Hermann, auch hier hat die Rosa Strippe die Patenschaft übernommen. Die Recherchen für diese beiden Stolpersteine stammen von Jürgen Wenke, der seit langem die Lebensgeschichten schwuler Männer während der NS-Zeit erforscht.
"Uns haben sie einfach vergessen..." - schwule Männer als Opfer des NS-Terrors
Lange blieb das Schicksal schwuler Männer und deren Verfolgung in der Zeit zwischen 1933 und 1945 im Verborgenen. Schätzungsweise 10.000 - 15.000 schwule Männer wurden zwischen 1934 und 1945 in die KZ eingesperrt, die wenigsten haben den faschistischen Terror überlebt. Für die Überlebenden ging die Verfolgung in der bundesrepublikanischen Nachkriegszeit fast nahtlos weiter. Wenn einer der wenigen Überlebenden wieder „straffällig“ im Sinne des § 175 wurde, bezog die bundesdeutsche Justiz die Verurteilung aus der NS-Zeit strafverschärfend mit ein, denn der Angeklagte galt ja als unverbesserlicher Wiederholungstäter, hatte doch der § 175 in der NS-Fassung noch bis 1969 Gültigkeit. Endgültig aus dem bundesdeutschen Strafgesetzbuch gestrichen wurde der § 175 erst im Jahr 1994.
Der Eintritt zur Lesung ist frei, um eine Spende für das Projekt Stolpersteine Gelsenkirchen wird gebeten.
Cover- und Autorenfoto mit freundlicher Genehmigung des Querverlag, Berlin
20. - 27. Januar 2012 - Woche der Erinnerung - Gelsenkirchener Lichter
Die Ausstellungshallen am Wildenbruchplatz in Gelsenkirchen dienten den Nazis im Januar 1942 als so genanntes "Judensammellager"
Der Internationale Holocaust-Gedenktag, der am 27. Januar europaweit begangen wird, erinnert an alle Menschen, die Opfer des national-sozialistischen Rassen- und Größenwahns geworden sind.
An diesem Tag wurden auch die Überlebenden des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz durch die Rote Armee befreit. Allein in der Mordfabrik Auschwitz starben etwa 1,5 Millionen Menschen auf grausamste Weise. Auschwitz, der deutsche Name eines kleinen Ortes in Südpolen, ist weltweit zum Synonym für den NS-Völkermord geworden. Im Januar findet in Gelsenkirchen vom 20. - 27. Januar 2012 eine "Woche der Erinnerung" statt. Die Gedenkwoche erinnert an den 70. Jahrestag der berüchtigten "Wannseekonferenz" am 20. Januar 1942 und den 70. Jahrestag des größten Deportationstransportes von Menschen jüdischer Herkunft aus Gelsenkirchen am 27. Januar 1942.
Ihren Abschluss findet die „Woche der Erinnerung“ mit einer Gedenkveranstaltung am 27. Januar - dem Internationalen Holocaust-Gedenktag - in der Gelsenkirchener Innenstadt, Beginn 18:30 Uhr mit dem Treffen auf dem Bahnhofsvorplatz. Der sich anschließende Schweigegang führt über die Bahnhofstraße zum Neumarkt. Dort sind neben dem Aufstellen und Entzünden der "Gelsenkirchener Lichter" auch Redebeiträge geplant, es sprechen u.a. Roman Franz (Landesverband der Sinti und Roma NRW), Dr. Michael Krenzer (Zeugen
Jehovas) und Marianne Konze (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes). Der gemeinnützige Verein Gelsenzentrum e.V. lädt herzlich ein. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer werden gebeten, Kerzen mitzubringen.
Die Veranstaltung des Instituts für Stadtgeschichte und der Jüdischen Gemeinde beginnt am 27. Januar 2012 bereits um 15.30 Uhr im Gemeindesaal in der Synagoge Gelsenkirchen.
Vom Zwangslagerplatz an der Reginenstraße (Nähe heutige Ostpreußenstraße) wurden die Gelsenkirchener Sinti und Roma in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau verschleppt und dort ermordet
Auch die Volksgruppen der Sinti und Roma ("Zigeuner") wurden im Dritten Reich als "rassisch minderwertig" eingestuft. Annähernd 30.000 deutsche Sinti und Roma sind dem Rassenwahn zum Opfer gefallen, europaweit wird von 220.000 bis zu 500.000 Opfern des Genozid in dieser Volksgruppe ausgegangen, ein Großteil von ihnen Kinder und Jugendliche.
"Hartnäckig hält sich bis heute die Legende, die Sinti und Roma seien irgendwie zufällig mit in die Mordaktion geraten. Das stimmt nicht. Der Völkermord an den Sinti und Roma ist aus dem gleichen Motiv des Rassenwahns, mit dem gleichen Vorsatz und dem gleichen Willen zur planmäßigen und endgültigen Vernichtung durchgeführt worden wie der an den Juden."
(Der frühere Bundespräsident Roman Herzog bei der Eröffnung des Dokumentation- und Kulturzentrums Deutscher Sinti und Roma am 16. März 1997 in Heidelberg)
Gedenken zum 70. Jahrestag der Deportation nach Riga
In Gelsenkirchen verließ am 27. Januar 1942 der erste und größte "Judensammeltransport" die Stadt. Über 500 jüdische Menschen aus Gelsenkirchen und Umgebung wurden an diesem Tag mit der Deutschen Reichsbahn zunächst in das Ghetto Riga verschleppt. Nur die wenigsten der Menschen überlebten Transport, Ghettos und Konzentrationslager.
Zu den Zielsetzungen der "Woche der Erinnerung" gehören:
die Förderung von Empathie mit den Opfern und die Bewahrung deren Andenkens;
die Stärkung des Bewusstseins dafür, wie wichtig die Erinnerung an Überlebende, Opfer, Retter und Befreier ist;
die Einsicht, dass der Holocaust ein Verlust sowohl für die Menschheit wie für die direkt betroffenen Länder war;
die Erzeugung eines tieferen Verständnisses für die Vergangenheit und eines erhöhten Bewusstseins für lokale, regionale und nationale Bezüge;
die Sensibilisierung für die Gefahren, die von radikalen, extremistischen Bewegungen und totalitären Regimes ausgehen, für neue Formen des Antisemitismus, der Fremdenfeindlichkeit und alle Formen von Hass und für die Existenz von Völkermorden sowie deren stärkere Thematisierung;
die Förderung des Schutzes der Menschenrechte, insbesondere gegenüber Minderheiten, kritischen Denkens und intellektueller Neugier sowie der Eigenverantwortung als demokratische Bürger.
Vertreter interessierter Organisationen, Schulen, Gliederungen, Vereine oder Verbände sind zum aktiven Mitmachen und Mitgestalten der "Woche der Erinnerung" aufgerufen. Organisiert z.B. Workshops, Vorträge, Ausstellungen, Konzerte, Aufführungen, Zeremonien, Verlesen von Namen - seid kreativ!
Infos per Email bei Gelsenzentrum e.V. - Verein für regionale Kultur- und Zeitgeschichte Gelsenkirchen oder unter Telefon 0209 9994676.
Filmvorführungen in der "flora"
Nacht und Nebel
Nacht Und Nebel. Alain Resnais, Frankreich 1955
Als Mahnmal gegen das Vergessen entstand 1955, 10 Jahre nach der Auflösung der Konzentrationslager, unter der Regie von Alain Resnais der Film "Nacht und Nebel". Er nimmt seinen Ausgang in den grün überwucherten Ruinen von Auschwitz und zeigt dann in einem Rückblick das Geschehen in den Todeslagern, die gnadenlose menschenverachtende Präzision der "Endlösung". Dabei verbinden sich einprägsame Bilder mit der Musik Hanns Eislers und der künstlerischen Ausdruckskraft der Schriftsteller Jean Cayrol und Paul Celan (für die deutsche Bearbeitung), die beide den Holocaust überlebten, zu einem Dokument von erbarmungsloser Eindringlichkeit. Diese Qualität und sein Stellenwert als Warnung vor kollektiver Entmenschlichung im Zuge ideologischer Verblendung und politischer Diktatur verleihen dem Film eine zeitlose Aktualität.
Regie Alain Resnais, Frankreich 1955 (32 Min.) Deutsche Fassung. FSK: 12 Jahre
Der Eintritt ist frei - Um eine Spende für das Projekt Stolpersteine in Gelsenkirchen wird gebeten.
"Alles weiß ich noch... und das ist das Schlimme an der Geschichte"
Rolf Abrahamsohn (86) aus Marl wurde in verschiedene Konzentrationslager verschleppt. Als Jugendlicher musste er die unermessliche Brutalität und abgrundtiefe Menschenverachtung des Nazi-Regimes auf mannigfache Weise miterleben. Foto: Gelsenzentrum
Der 86-jährige Rolf Abrahamsohn aus Marl ist einer der wenigen Überlebenden des Holocaust, der noch aus eigenem Erleben von seinen Gewalterfahrungen unter dem Terrorregime der Nazis berichten kann. Was Rolf Abrahamsohn erzählt, ist spannend, ist aufregend, ist unglaublich - und leider wahr. Sichtlich zerrt die Erinnerung an seinen Kräften, wenn er von den Erlebnissen in der so genannten "Reichskristallnacht" berichtet oder von der Deportation am 27. Januar 1942 aus dem "Judensammellager" auf dem Gelsenkirchener Wildenbruchplatz in das Ghetto Riga. Als er vom gewaltsamen Tod seiner Mutter spricht, versagt dem alten Mann beinahe die Stimme. Abrahamsohn berichtet von seinem Leidensweg, der in die Konzentrationslager Kaiserwald, Stutthof und Buchenwald, in ein Außenlager von Buchenwald beim Bochumer Verein und weiter nach Theresienstadt führte, wo er schließlich befreit wurde. In Marl baute sich Rolf Abrahamsohn, dem am 17. November 2011 in Recklinghausen die Auszeichnung "Vestischer Ehrenbürger" verliehen wurde, nach seiner Rückkehr ein neues Leben auf.
Videomitschnitt eines zeitzeugenschaftlichen Vortrages von Rolf Abrahamsohn am 27. Januar 2011 im Gauß-Gymnasium Gelsenkirchen. Eine Aufzeichnung von Jesse Krauß. (53 Min.)
Einführung (Vortrag): Dr. Rolf Heinrich, Pfarrer i.R.
Der Eintritt ist frei - Um eine Spende für das Projekt Stolpersteine in Gelsenkirchen wird gebeten.
9. November 2011 - Jahrestag der Novemberpogrome 1938
Auch in diesem Jahr finden an vielen Orten in Deutschland Veranstaltungen zum Gedenken an die jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger statt, die in der so genannten “Reichskristallnacht” vom 9. auf den 10. November 1938 Opfer der rassistisch motivierten Gewalttaten gegen Leib, Leben und Eigentum wurden - so auch in Gelsenkirchen.
In Gelsenkirchen beginnt die diesjährige - von der Demokratischen Initiative getragene - Veranstaltung zum Gedenken an die Pogromnacht um 18:30 Uhr am Südeingang des Gelsenkirchener Hauptbahnhofes in der Neustadt. Dort formiert sich ein Schweigezug, der zur Begegnungsstätte “Alter Betsaal” an der Von-der-Recke-Straße 9 zieht. Halt macht der Schweigezug an der Grasreinerstraße bzw. Klosterstraße, dort ist eine Kundgebung mit einer Rede von Oberbürgermeister Baranowski geplant.
Der gemeinnützige Verein Gelsenzentrum e.V. ruft die Bürgerinnen und Bürger zur Teilnahme an den Kundgebungen und Gedenkveranstaltungen demokratischer Organisation und Gruppierungen zur Erinnerung und zum Gedenken an die jüdischen Menschen auf, die 1938 in vielfältiger Form zu Opfern der Novemberpogrome wurden. “Wir müssen wachsam sein und uns entschlossen und gemeinsam gegen das Vergessen, gegen Extremismus, Rassismus, Antisemitismus und gegen Gewalt stellen - und das nicht nur am Jahrestag der Pogrome“, so Andreas Jordan, Vorsitzender des Vereins für regionale Kultur- und Zeitgeschichte in Gelsenkirchen und Initiator des Stolperstein-Projekts in Gelsenkirchen.
"In unserer Stadt erinnern 28 von 41 bisher verlegten Stolpersteinen an die Leidenswege und die Ermordung jüdischer Menschen durch das NS-Regime. Jeder dieser 28 Stolpersteine erinnert an einen Menschen, der auch von den Angriffen gegen Leib und Leben in der Pogromnacht betroffen war. Wir hätten uns gewünscht, dass die Stolpersteine mit in die offizielle Gedenkveranstaltung der Stadt Gelsenkirchen einbezogen worden wären, führt doch die Wegstrecke des von der "Demokratischen Initiative" geplanten Schweigegangs auch an einigen Stolpersteinen vorbei" so Heike Jordan, ehrenamtliche Projektleiterin der Stolpersteine Gelsenkirchen, und weiter: "Warum die "Demokratische Initiative" die Stolpersteine nicht mit in das Gedenken am 9. November einbezieht, erschließt sich uns nicht."
Die Projektgruppe Stolpersteine ruft daher Gelsenkirchener Bürgerinnen und Bürger auf, an den im Stadtgebiet verlegten Stolpersteinen am Abend des 9. November Kerzen aufzustellen und zu entzünden.
28. Oktober 2011 - Stolpersteine werden geputzt. Gedenkveranstaltung am Abend
Die Projektgruppe Stolpersteine läd auch in diesem Jahr zur Putzaktion für die Stolpersteine ein. Die 41 bisher in Gelsenkirchen verlegten Stolpersteine sollen am 28. Oktober 2011 geputzt werden. Dieser Termin ist nicht willkürlich gewählt worden, denn mit der Putzaktion soll an die so genannte "Polenaktion" vom 28. Oktober 1938 erinnert werden. Mit einer Andacht findet die Putzaktion an den in der Kolpingstrasse verlegten Stolpersteinen am Abend Ihren Abschluss.
Mehr als 80 Juden mit polnischer Staatsangehörigkeit allein aus Gelsenkirchen wurden am 28. Oktober vor 73 Jahren gewaltsam aus ihrem Alltag gerissen und mit Massentransporten an die polnische Grenze verschleppt. Deutschlandweit waren es über 17.0000 jüdischen Bürger, die von dieser Vertreibungsaktion betroffen waren. Diese Maßnahme des NS-Regimes gegenüber den so genannten "Ostjuden" stellte einen ersten Höhepunkt der physischen und staatlich organisierten Judenverfolgung dar und war der Auftakt zur geplanten Vernichtung der europäischen Juden.
Beteiligung von Schulklassen
Die Putzaktion stellt für Schulklassen eine pädogisch wertvolle Möglichkeit zur Auseinandersetzung mit der NS-Terrorherrschaft dar. Beteiligte Schülerinnen und Schüler finden so bereits im Vorfeld über die Biografien und Leidenswege der ermordeten Menschen einen ganz direkten Zugang zur lokalen NS-Geschichte. Für die Putzaktion 2011 sind Helferinnen und Helfer herzlich
willkommen! Interessierte wenden sich bitte bis zum 15. Oktober 2011 an die Projektgruppe Stolpersteine Gelsenkirchen unter Telefon: 0209-9994676 oder per Email an: "heike.jordan@gelsenzentrum.de".
11. September 2011 - Gedenken an jüdische Zwangsarbeiterinnen
Nur wenigen Gelsenkirchenern und Gelsenkirchenerinnen ist bekannt, dass in unserer Stadt im so genannten "Dritten Reich" ein Außenlager des Konzentrationslagers Buchenwald existierte. Das Lager befand sich auf dem Gelände der Gelsenberg Benzin AG (heute BP-Raffinerie) im Stadtteil Horst, nördlich des Linnenbrinksweg. Aus dem KZ Auschwitz hatte man 2000 Mädchen und Frauen nach Gelsenkirchen deportiert, die in dem Lager inhaftiert waren. Bei einem Luftangriff am 11. September 1944 auf die Gelsenberg Benzin AG wurden mindestens 150 der Mädchen und Frauen getötet. Ihnen war als Jüdinnen der Zutritt zu den Luftschutzräumen und Bunkern verboten.Mehr...
24. August 2011 - 67. Todestag: Gedenkveranstaltung Fritz Rahkob
Gedenkveranstaltung des VVN/BdA Gelsenkirchen: In Erinnerung an den von den Nazis ermordeten Widerständler Fritz Rahkob. Mehr...
20. August 2011 - Stolperstein-Verlegungen in Gelsenkirchen
Am 20. August verlegt die Projektgruppe weitere Stolpersteine im Stadtgebiet.
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2. August 2011 - Internationaler Gedenktag der Sinti und Roma
Am 2. August 1944 wurden die 2900 in Auschwitz-Birkenau verbliebenen Sinti und Roma auf Befehl des Reichssicherheitshauptamtes ermordet. Der vorangegangene Versuch, 6000 Sinti und Roma am 16. Mai 1944 in den Gaskammern umzubringen, scheiterte am Widerstand der Häftlinge. Daraufhin wurden alle noch arbeitsfähigen Lagerinsassen selektiert und in andere Konzentrationslager überführt. Zurück blieben Frauen, Kinder, Alte und Kranke. Sie alle fanden in der Nacht zum 3. August den Tod in den Gaskammern in Auschwitz. Mehr...
1. August 2011 - Stolperstein-Verlegungen in Gelsenkirchen
Im August 2011 werden sie wieder in das Pflaster Gelsenkirchener Gehwege eingelassen - die Stolpersteine des Kölner Künstlers Gunter Demnig. 22 weitere Stolpersteine werden dann an im Nationalsozialismus verfolgte und ermordete Menschen aus Gelsenkirchen erinnern. Am Montag, den 1. August verlegt Gunter Demnig ab 14 Uhr an zehn Orten in Gelsenkirchen insgesamt 18 Stolpersteine, 4 Stolpersteine verlegt die Projektgruppe Stolpersteine Gelsenkirchen Ende August in Eigenregie. Mehr...
22. Juni 2011 - Erinnerung: 70. Jahrestag des deutschen Angriffs auf die Sowjetunion
Mit einer Gedenkveranstaltung am Jahrestag des Überfalls Nazi-Deutschlands auf die Sowjetunion erinnern wir an den systematischen Völkermord und das unsagbare Leid, dass deutsche Besatzer im Zweiten Weltkrieg den Angehörigen der Sowjetrepubliken zugefügt haben. Wir erinnern an die über 1000 Menschen, die zwischen 1941-1945 aus den Republiken der Sowjetunion verschleppt und hier in Gelsenkirchen durch Gewalt, Hunger und Krankheit zu Tode kamen. Mehr...
9. Mai 2011 - Tag des Sieges
Wie auch in den Jahren zuvor wird der gemeinnützige Verein Gelsenzentrum in Gelsenkirchen mit der Niederlegung von Blumen den Toten Angehörigen der ehemaligen Sowjetunion am 9. Mai 2011, dem Tag des Sieges über Hitlerdeutschland, ein ehrendes Andenken bewahren.Mehr...
8. Mai 2011 - Mahnwache am 66. Jahrestag der Befreiung von Krieg und Faschismus
Der 8. Mai 1945 markiert die militärische Zerschlagung des Nationalsozialismus und das Ende des von Deutschland entfachten Weltkrieges, der über 55 Millionen Menschenleben kostete. Dieser 8. Mai steht auch symbolisch für die Befreiung der wenigen Überlebenden der Konzentrationslager, die dem deutschen Rassen- und Vernichtungswahn entkommen konnten.
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1./2 Mai 2011 - Yom Hashoa 2011 - Holocaust Remembrance Day
In Gelsenkirchen gedenkt der gemeinnützige Verein Gelsenzentrum am Abend des 1. Mai 2011 der Opfer des Holocaust. Am damaligen Standort der Gelsenkirchener Ausstellungshalle, in der NS-Zeit so genanntes "Judensammellager" ,werden sechs Lichter entzündet und Blumen niedergelegt.
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4. April 2011 - Kundgebung gegen die rechte "Pro NRW": Wehret den Anfängen!
Mit ihrer als "Deutsch-Israelischen Konferenz" bezeichneten Veranstaltung am 4. April 2011 im Schloss Horst schürt die ultrareaktionäre "Pro NRW" weiter Vorbehalte gegen Muslime. "Pro NRW" bewegt sich dabei hart an der Grenze zur Volksverhetzung und versucht erneut, Deutsche und Migranten zu spalten.
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13. März 2011 - Kundgebung: Gegen Alltagsrassismus und Rechtsextremismus
Die Kundgebung findet von 11-13 Uhr auf dem Josef-Büscher-Platz (gegenüber Schloss Horst) in Gelsenkirchen statt. GELSENZENTRUM und AUF Gelsenkirchen zeigen in einer antifaschistischen Aktionseinheit gemeinsam Flagge gegen Rechtspopulismus, Alltagsrassismus und Rechtsextremismus. Geplant sind Rede- und Kulturbeiträge.
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27. Januar 2011 - Internationaler Holocaustgedenktag
Dieser Tag des Gedenkens erinnert an alle Opfer eines beispiellosen totalitären Regimes während der Zeit des Nationalsozialismus. In Gelsenkirchen markiert dieses Datum auch den Jahrestag der Deportation von etwa 350 Gelsenkirchener Juden am 27. Januar 1942 nach Riga. Nur einige wenige der verschleppten Menschen überlebten die Vernichtungsmaschinerie.
Das gemeinsame Gedenken in Gelsenkirchen beginnt am Morgen des 27. Januar 2011, dem Internationalen Holocaustgedenktag mit dem Vortrag eines jüdischen Zeitzeugen. Der Holocaust-Überlebende Rolf Abrahamsohn spricht im Carl-Friederich-Gauß-Gymnasium auf Einladung von Gelsenzentrum vor Schülern über seine Erfahrungen in den Konzentrationslagern der NS-Zeit.
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16. Dezember 2010 - Gedenkveranstaltung: "O pharipe meg dschil ... Das Leid lebt noch..."
Den aus rasseideologischen Gründen in der Zeit des Nationalsozialismus verfolgten und ermordeten Angehörigen des Volkes der Sinti und Roma aus Gelsenkirchen zum Gedenken. Mehr...
4. Dezember 2010 - Protestaktion in Gelsenkirchen
Den Überlebenden der "Reichsbahn"-Deportationen muss Gerechtigkeit widerfahren. Mehr...
28. Oktober 2010 - Erinnerung an die so genannte "Polen-Aktion" 1938
Abschiebung von mehr als 18.000 jüdische Bürgerinnen und Bürger polnischer Staatsangehörigkeit am 28. Oktober 1938 aus Deutschland. In Gelsenkirchen waren mehr als 80 Jüdinnen und Juden jeden Alters von der Abschiebeaktion betroffen.
Mit einer Putzaktion der besonderen Art erinnerte die Projektgruppe Stolpersteine Gelsenkirchen an die mehr als 80 jüdischen Bürger mit polnischer Staatsangehörigkeit, die von Gelsenkirchen im Rahmen der so genannten "Polenaktion". Mit Ablauf des 28. Oktober wurden alle im Stadtgebiet verlegten Stolpersteine vom Reinigungstrupp des Arbeitskreises wieder auf Hochglanz gebracht.
Die Putzaktion fand mit einer Andacht vor dem Haus an der Markenstraße 19 im Ortsteil Horst ihren Abschluss. Dort erinnern die Inschriften auf zwei Stolpersteine an das Ehepaar Simon und Frieda Neudorf. Mutter Neudorf und ihr Sohn Herman waren 1938 ebenfalls von der Ausweisung nach Zbaszyn betroffen. Herman Neudorf kehrte 1945 aus dem KZ Buchenwald zurück. Mehr...
Andreas Jordan, Gelsenzentrum e.V. - Regionale Kultur- und Zeitgeschichte Gelsenkirchen